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Globale Gouvernanz: UNO und G20 als Ergänzung oder Konkurrenz?

Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, die von den USA rasch auf die ganze Welt übergriff, rückte die globale Gouvernanz ins Zentrum der internationalen Agenda. Die G20 überzeugte in dieser Situation mit einer effizienten Krisenbewältigung. Wird sie sich deshalb definitiv als wichtigstes Forum in der globalen Gouvernanz etablieren? Und welche Rolle kommt in diesem Zusammenhang der UNO – und namentlich der Generalversammlung – zu?
Die Ansichten im vorliegenden Artikel geben ausschliesslich die Meinung der Autorin wieder.

Globale Gouvernanz zur Bewältigung der neuen Realität


Wir befinden uns in einer Phase, in der die globalen Herausforderungen immer zahlreicher werden. Genau wie die Finanz- und Wirtschaftskrise machen Risiken wie Armut, Klimaerwärmung, Verlust an Biodiversität, Migration, Pandemien oder der internationale Terrorismus an den Grenzen nicht Halt; die einzelnen Länder können das Geschehen im Ausland nicht mehr ausblenden.Entsprechend sind Lösungen häufig nur möglich, wenn die internationale Gemeinschaft koordiniert entscheidet und vorgeht. Dazu ist eine globale Gouvernanz unabdingbar. Diese umfasst alle Gesetze, Normen, Strategien und Institutionen, welche die Beziehungen zwischen Privatpersonen, Gesellschaft, Märkten und Staat auf internationaler Ebene regeln, also alle gemeinsamen Vereinbarungen, die Berechenbarkeit, Stabilität und Ordnung in die grenzüberschreitenden Herausforderungen bringen.
Siehe Weiss (2010), Einleitung. Übersetzt aus dem englischen Originaltext.Gleichzeitig verschieben sich die demografischen, politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse. Die Weltbevölkerung wird von derzeit 6,4 Mrd. bis 2050 auf über 9 Mrd. anwachsen, wobei der grösste Teil der Zunahme auf die Entwicklungsländer entfällt. Es werden neue Märkte entstehen, wie in China, das die Finanz- und Wirtschaftskrise besser überstanden hat als die fortgeschritteneren Volkswirtschaften der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). 2011 dürfte das kräftige Wachstum der Binnennachfrage in den Entwicklungsländern die Weltwirtschaft beflügeln. Die international tätigen Konzerne in den BRICS-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) werden immer häufiger zu Konkurrenten der Unternehmen aus den traditionellen Industrieländern und kaufen diese teilweise sogar auf. Der Süd-Süd-Austausch expandiert kräftig – sowohl im Handels- und Finanzverkehr als auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.
Vgl. Unctad (2010) und Unctad (2011). Die globale Gouvernanz muss diesen Veränderungen Rechnung tragen.Doch die traditionell für die Gouvernanz zuständigen multilateralen Institutionen wie UNO, Internationaler Währungsfonds (IWF) oder Weltbank stehen in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, wirkungslos und für die heutige Welt nicht mehr repräsentativ zu sein. Die traditionelle Architektur der globalen Gouvernanz wird fragmentierter und komplexer. Adhoc-Initiativen und informelle Gruppen gewinnen an Bedeutung.
Wie G8, G22, G77+ China (die 131 Entwicklungs- und Schwellenländer umfasst), G3 (Singapur, die Schweiz und 26 weitere Nicht-G20-Mitglieder für einen Dialog mit der G20), G5 (BRICS-Länder), um nur einige Beispiele für Gruppen zu nennen, die mit dem Buchstaben G beginnen.Bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die G20 die Berechtigung solcher Gruppen unter Beweis gestellt: Es ist ihr tatsächlich gelungen, koordiniert und rasch zu reagieren und zu verhindern, dass die Weltwirtschaft in die tiefste Rezession seit der Grossen Depression fällt. Während die Wirksamkeit der G20 somit erwiesen ist, wird die Legitimität und Repräsentativität der UNO zunehmend in Frage gestellt. Aber ist es vertretbar, dass 20 Länder Entscheidungen treffen, die Auswirkungen für die ganze internationale Gemeinschaft haben? Denn das globale gouvernementale System muss repräsentativ, wirksam und offen zugleich sein. Angesichts der vielen Akteure mit eigenen komparativen Vorteilen ist die bestmögliche, kohärente Kombination aus Fachwissen, Leadership und Legitimität gefragt.

Der komparative Vorteil der UNO


Die UNO kann für sich mehrere exklusive komparative Vorteile in Anspruch nehmen: Die Organisation hat trotz aller Kritik seit ihrer Gründung wertvolle Dienste geleistet. Sie hat unbestreitbar dazu beigetragen, dass die Welt friedlicher, sicherer und wohlhabender geworden ist, insbesondere durch Einsätze zur Friedenssicherung und zahlreiche lokale Programme und Aktivitäten. Ausserdem hat sie die Verbreitung und Förderung von Ideen unterstützt, die für das Gemeinwohl zentral sind. Im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung hat die UNO wesentlich dazu beigetragen, die Menschenrechte sowie die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben. Sie war an der Erarbeitung und Bekanntmachung des UNDP-Indexes zur menschlichen Entwicklung beteiligt, der ausdrücklich anerkennt, dass Armut mehrere Dimensionen umfasst. Die Lancierung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG), welche die internationale Gemeinschaft namentlich dazu aufrufen, die extreme Armut bis 2015 zu beseitigen, ist ein weiteres Beispiel für die fundamentale Rolle der UNO (siehe Kasten 1

Armutsbekämpfung und Entwicklung in der Agenda der 65. Session der UNO-Generalversammlung


Armutsbekämpfung und Entwicklungsfragen gehören zu den drei thematischen Schwerpunkten, die der Präsident der 65. Session der UNO-Generalversammlung vorgab. Die Wahl des Themas wurde weitgehend durch die internationale Agenda diktiert. Die Session wurde im September 2010 in New York mit einem hochrangigen Treffen zu den Millenniums-Entwicklungszielen (MDG) eröffnet. Es ging darum, fünf Jahre vor dem Zieljahr 2015 Bilanz zu ziehen und festzulegen, in welchen Ländern und Sektoren es zusätzliche Anstrengungen braucht. Die Staats- und Regierungschefs erschienen zahlreich und bekräftigten, dass sie das Versprechen der Initiative aus dem Jahr 2000 einlösen und die dazu notwendigen Anstrengungen intensivieren wollen. Sie haben die Generalversammlung aufgerufen, 2013 eine Sondersession zur weiteren Entwicklung in diesem Bereich abzuhalten.Das Thema Entwicklung gehörte während der gesamten 65. Session zu den Schwerpunktthemen. Am 9. Februar 2011 debattierte die Versammlung zum Beispiel über die Reduktion der Risiken von Naturkatastrophen, welche für die armen Länder eine besonders grosse Gefahr darstellen. Am 11. März 2011 wurde den ganzen Tag über Finanzierungen und Investitionen für Produktionskapazitäten in den am wenigsten fortgeschrittenen Ländern diskutiert. Damit wurde betont, wie wichtig es ist, die Entwicklung des Privatsektors zu fördern um die bisher erreichten Ergebnisse in der Armutsbekämpfung zu konsolidieren. Am 4. UNO-Gipfel für die am wenigsten fortgeschrittenen Länder – der vom 9. bis zum 13. Mai 2011 in Istanbul stattfand – wurde die Botschaft der Generalversammlung erneut betont, wie wichtig günstige Bedingungen für den Privatsektor, für Investitionen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen sind, um diesen Ländern ein nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Am 14. Juni 2010 widmete sich die Generalversammlung ebenfalls dem Thema Entwicklung. Die Diskussion drehte sich um die erzielten Fortschritte bei den MDG 4 und 5 und insbesondere um die globale Strategie zur Förderung der Gesundheit von Frauen und Kindern, die der UNO-Generalsekretär im April 2010 lanciert hatte. Der Dialog beschäftigte sich auch mit der Zeit nach 2015.a

a Auf der Agenda der Generalversammlung stehen noch viele weitere Themen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Ein Beispiel dafür war das hochrangige Treffen über Aids vom 8. bis zum 10. Juni in New York, siehe: http://www.un.org/en/ga/president/65.).Im Gegensatz zu einer informellen Gruppe – wie etwa die G20 – verfügt die UNO über eine Charta, in der sie Ziele und Grundsätze verankert hat. Auch Mitglieder, Gremien und das Budget sind offiziell festgelegt. Die Generalversammlung kann das gesamte Spektrum an Themen erörtern, welches durch die Charta abgedeckt wird. Die UNO bietet ihren Mitgliedern damit einen stabilen institutionellen Rahmen. Hingegen dazu praktiziert die G20 eine Gipfel- und Problemdiplomatie,
Siehe Jones (2010), S. 2. und ihre Zusammensetzung ist mehr oder weniger willkürlich. Welche Kriterien entscheiden beispielsweise darüber, ob ein Drittland von der Präsidentschaft zu einem Treffen eingeladen wird? Ein Beispiel dafür ist das von Mark Malloch Brown erwähnte Dilemma,
Siehe Mark Malloch Brown (2011). in dem sich die britische Präsidentschaft bei der Wahl eines afrikanischen Staatschefs für eine Einladung zum G20-Treffen in London befand.Ausserdem ist die UNO-Generalversammlung als eines der wichtigsten Gremien der UNO mit ihren 192 Mitgliedsstaaten nahezu universell und widerspiegelt die unterschiedlichen Situationen und Interessen der Mitglieder. Mit ihrem System, das jedem Land eine Stimme zuerkennt, verschafft sie auch den Kleinsten Gehör. Afrika wiederum ist mit seinen 53 Stimmen in der Generalversammlung ein Partner, an dem kein Weg vorbeiführt.Schliesslich sorgt die UNO – namentlich über ihr Entwicklungsprogramm (UNDP), das gemeinsame Programm für HIV/Aids (UNAIDS) oder die Organisation für industrielle Entwicklung (Unido) – für ein Know-how und eine Präsenz in diesen Bereichen, die für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zentral sind.Gleichwohl besteht für die UNO ein konkretes Risiko, an den Rand gedrängt zu werden. Als sich die Staats- und Regierungschefs der G20 am 24. und 25. September 2009 in Pittsburgh trafen, um über notwendige Massnahmen zur Ankurbelung der Weltwirtschaft zu entscheiden, lief die Generaldebatte der UNO in New York noch. Dies zeigt, dass es der Generalversammlung damals nicht gelang, sich als wichtiger Akteur bei der Lösung der Krise zu positionieren – obwohl die Kommission Stiglitz die Krise und ihre Folgen für die Entwicklung als Schwerpunktthema der Generaldebatte vorschlug. Die Kommission war bei der 63. Session der Generalversammlung gebildet und damit beauftragt worden, über die Krise zu beraten, Empfehlungen zur Stärkung der Rolle der UNO in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen abzugeben und die Bemühungen zwischen G20 und UNO abzustimmen.
Vgl. Kommission Stiglitz (2009), S.xxv. Die G20 bezeichnete sich in Pittsburg gleichzeitig als «wichtigstes Forum für die globale Gouvernanz». Dem Wirtschafts- und Sozialrat der UNO (Ecosoc), dessen Adhoc-Arbeitsgruppe im Sommer 2010 ihren Bericht vorlegte, ist es ebenfalls nicht gelungen, Einfluss auf die Bewältigung der Krise zu nehmen.
Siehe Generalversammlung (2010).

Die Zukunft der G20


Die G20 besitzt zweifellos einen komparativen Vorteil: Die Treffen finden auf Ebene der Staats- und Regierungschefs statt, was ermöglicht, allfällige Kompetenzstreitigkeiten unter den Spezialorganisationen auszuschalten. Ihr horizontaler Blickwinkel schafft ausserdem die Voraussetzung dafür, die Wurzel der Probleme zu erkennen und eine kohärente Politik sicherzustellen.Noch nicht sicher ist hingegen, dass es der G20 wirklich gelingt, sich als globales gouvernementales Führungsgremium zu etablieren und so über eine reine Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise hinaus zu gehen. Die Ergebnisse des Gipfels in Seoul enttäuschten; im Bereich Entwicklung wurden beispielsweise keine konkreten Massnahmen beschlossen. Bisher haben die Treffen der Finanzminister der G20 in Paris und Washington unter französischer Präsidentschaft keine nennenswerten Fortschritte erzielt, was Aspekte wie makroökonomische Ungleichgewichte, Rohstoffpreise oder innovative Finanzierungen angeht. Die von der französischen Präsidentschaft zur Sprache gebrachten Themen sind zwar zentral, aber in der G20 aufgrund der heterogenen Mitgliedsländer auch umstritten. Dies verdeutlicht, dass Konsenslösungen schwieriger zu finden sind, sobald die Risiken nicht als akut wahrgenommen werden, selbst in einer relativ kleinen Gruppe von zwanzig Mitgliedsländern.Dagegen bestätigten der Biodiversitätsgipfel in Nagoya und der Klimagipfel in Cancun, dass die multilaterale Diplomatie mit 192 Beteiligten nach wie vor erfolgreich sein kann. Es zeigt auch, dass die Art, wie die Beratungen und Verhandlungen während der einzelnen Etappen des Prozesses geführt werden, ebenfalls einen Einfluss auf den Erfolg haben. Die einstimmige Verabschiedung einer Resolution zur Suspendierung des libyschen Sitzes im Menschenrechtsrat durch die UNO-Generalversammlung ist ein weiteres Beispiel dafür, was mit politischem Willen in der zuweilen als träge und veraltet empfundenen UNO-Maschinerie möglich ist.

Ein Rahmen für eine ergänzende Tätigkeit


Die Frage der Legitimität dürfte die UNO somit für sich entscheiden, während die G20 in Sachen Leadership im Vorteil ist. Wenn sich die beiden Instanzen ergänzen sollen, müssen einerseits die wirtschaftlichen Kompetenzen der UNO gestärkt und andererseits in der G20 verbindliche Beratungs-, Informations- und Kommunikationsmechanismen geschaffen werden.Die Stärkung der wirtschaftlichen Rolle der UNO führt über den Ecosoc, das intergouvernementale Gremium, welches prioritär für wirtschaftliche und soziale Fragen zuständig ist. Eine Resolution in dieser Richtung verabschiedete die Generalversammlung bei ihrer 61. Session.
Vgl. Generalversammlung (2007). Die laufende Reform ist jedoch nicht sehr ambitiös. Es müsste darum gehen, die Prioritäten neu festzulegen und das Mandat des Ecosoc wieder auf wirtschaftliche Fragen zu konzentrieren, da der Zuständigkeitsbereich dieses Rates von der Kultur- und Bildungszusammenarbeit bis zu den Menschenrechten reicht und damit zu breit ist. Zudem ist es sowohl für die Generalversammlung als auch für den Ecosoc wichtig, dass sich die multilaterale Diplomatie nicht auf die Aussenministerien beschränkt, sondern dass Experten der Fachministerien, die letztlich die Hauptbetroffenen sind, systematisch einbezogen werden. Dies verspricht mehr Pragmatismus und einen Abbau der ideologischen Nord-Süd-Blockaden, die Fortschritten im Weg stehen. Wichtig ist auch mehr Kohärenz und eine Konsolidierung der UNO-Organisationen und -Programme, deren Arbeiten der Ecosoc überwacht und koordiniert. Ein Beispiel dafür ist die Schaffung der Einheit der Vereinten Nationen für Gleichstellung und Ermächtigung der Frauen (UN-Frauen). Schliesslich müsste der Ecosoc vermehrt mit den übrigen wichtigen Akteuren im Bereich Wirtschaft kommunizieren, etwa mit den Bretton-Woods-Institutionen. Die jährlichen Treffen mit diesen Institutionen sind ein Instrument, dessen Potenzial noch besser ausgeschöpft werden muss. Denkbar wäre es, die Beziehung zur G20 zu stärken, indem die Präsidentschaft der G20 zu diesen jährlichen Treffen und zur Arbeitstagung des Ecosoc eingeladen wird.Diese Verbesserungen sind jedoch nur sinnvoll, wenn es gelingt, den institutionellen Rahmen zu formalisieren, der die Generalversammlung, den Ecosoc, die G20 und die übrigen ordnungspolitischen Akteure einbindet. Den UNO-Generalsekretär an die G20-Treffen einzuladen, ist grundsätzlich eine gute Idee; es reicht aber nicht. Denn er kann die vielfältigen Mitgliedsstaaten nicht repräsentieren. Es ist jedoch wichtig, dass der Generalsekretär von der G20 auf dem Laufenden gehalten wird und er die UNO-Mitgliedsländer über die G20-Agenda informieren kann.In der laufenden Session kam es zu einer ersten Annäherungsgeste zwischen G20 und UNO: Im Rahmen der Generalversammlung organisierte der Präsident vor und nach dem G20-Treffen in Seoul informelle Diskussionen, die allen Mitgliedsstaaten Gelegenheit boten, zur Agenda der G20 Stellung zu nehmen, ob sie zum Gipfel eingeladen waren oder nicht. Die französische Präsidentschaft führt diese Bemühungen weiter: Die Agrar- und Arbeitsminister haben die UNO-Generalversammlung besucht und diese über die Prioritäten der G20 im Bereich Nahrungssicherheit und volatile Landwirtschaftspreise sowie im Bereich sozialer Schutz informiert.Damit die G20 an Legitimität gewinnt und mit ihren Entscheidungen mehr Verantwortung übernimmt, ist es wichtig, dass die Generalversammlung nach dem Gipfel in Cannes zusammenkommt und über die Entwicklungen nach Seoul diskutiert.

Unbekannte im globalen Gouvernanz-System


Das globale Gouvernanz-System ist erst am Entstehen, was unter anderem auch WTO-Generaldirektor Pascal Lamy betont.
Pascal Lamy spricht von l’état gazeux des Gouvernanzsystems, siehe Vittori (2010), S.46. Die Einheiten der einzelnen Pole – Fachwissen, Leadership und Legitimität – und die Beziehung zwischen diesen Polen müssen weitgehend noch definiert werden; auch wenn die UNO und die Generalversammlung in Sachen Legitimität zweifellos im Vorteil ist.Muss die Schaffung einer neuen Struktur für die wirtschaftliche Koordination ins Auge gefasst werden? Eine solche Idee wurde im Bericht der Kommission Stiglitz
Vgl. Generalversammlung (2009b), S. 12. erwähnt, aber nicht konkret aufgenommen, weder von der Generalversammlung noch vom Ecosoc. Gewisse europäische Entscheidungsträger haben auch dazu aufgerufen, einen Rat für Wirtschaftssicherheit nach dem Vorbild des UNO-Sicherheitsrates zu schaffen. Da die internationale Gemeinschaft jedoch darin einig geht, dass die Struktur des Sicherheitsrats den neuen globalen Realitäten nicht gerecht wird, scheint es unrealistisch, sich für ein ordnungspolitisches Modell daran zu orientieren. Sollte die G20 deshalb konsolidiert werden, indem sie keine neue Struktur erhält, sondern ein ständiges Sekretariat? Welche Form müsste dieses haben? Diese und viele weiter Fragen sind noch offen.Wichtig ist zudem eine effiziente Gouvernanz hinsichtlich Know-how und Sonderorganisationen wie Weltbank, IWF, Internationale Arbeitsorganisation (IAO), Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad) oder UNDP, welche wirtschaftliche und sozialen Funktionen wahrnehmen: Es gilt Doppelspurigkeiten zu vermeiden, die zu Kompetenzkonflikten führen, und Lücken bei den abgedeckten Themen und Sektoren zu schliessen, indem grosse Herausforderungen früh identifiziert werden.All diese Fragen lassen sich weder sofort noch definitiv lösen. Es sind Überlegungen im Gange; es braucht aber weiterhin eine gewisse Flexibilität, damit dieses mit dem Umfeld Schritt zu halten vermag.

Kasten 1: Armutsbekämpfung und Entwicklung in der Agenda der 65. Session der UNO-Generalversammlung

Armutsbekämpfung und Entwicklung in der Agenda der 65. Session der UNO-Generalversammlung


Armutsbekämpfung und Entwicklungsfragen gehören zu den drei thematischen Schwerpunkten, die der Präsident der 65. Session der UNO-Generalversammlung vorgab. Die Wahl des Themas wurde weitgehend durch die internationale Agenda diktiert. Die Session wurde im September 2010 in New York mit einem hochrangigen Treffen zu den Millenniums-Entwicklungszielen (MDG) eröffnet. Es ging darum, fünf Jahre vor dem Zieljahr 2015 Bilanz zu ziehen und festzulegen, in welchen Ländern und Sektoren es zusätzliche Anstrengungen braucht. Die Staats- und Regierungschefs erschienen zahlreich und bekräftigten, dass sie das Versprechen der Initiative aus dem Jahr 2000 einlösen und die dazu notwendigen Anstrengungen intensivieren wollen. Sie haben die Generalversammlung aufgerufen, 2013 eine Sondersession zur weiteren Entwicklung in diesem Bereich abzuhalten.Das Thema Entwicklung gehörte während der gesamten 65. Session zu den Schwerpunktthemen. Am 9. Februar 2011 debattierte die Versammlung zum Beispiel über die Reduktion der Risiken von Naturkatastrophen, welche für die armen Länder eine besonders grosse Gefahr darstellen. Am 11. März 2011 wurde den ganzen Tag über Finanzierungen und Investitionen für Produktionskapazitäten in den am wenigsten fortgeschrittenen Ländern diskutiert. Damit wurde betont, wie wichtig es ist, die Entwicklung des Privatsektors zu fördern um die bisher erreichten Ergebnisse in der Armutsbekämpfung zu konsolidieren. Am 4. UNO-Gipfel für die am wenigsten fortgeschrittenen Länder – der vom 9. bis zum 13. Mai 2011 in Istanbul stattfand – wurde die Botschaft der Generalversammlung erneut betont, wie wichtig günstige Bedingungen für den Privatsektor, für Investitionen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen sind, um diesen Ländern ein nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Am 14. Juni 2010 widmete sich die Generalversammlung ebenfalls dem Thema Entwicklung. Die Diskussion drehte sich um die erzielten Fortschritte bei den MDG 4 und 5 und insbesondere um die globale Strategie zur Förderung der Gesundheit von Frauen und Kindern, die der UNO-Generalsekretär im April 2010 lanciert hatte. Der Dialog beschäftigte sich auch mit der Zeit nach 2015.a

a Auf der Agenda der Generalversammlung stehen noch viele weitere Themen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Ein Beispiel dafür war das hochrangige Treffen über Aids vom 8. bis zum 10. Juni in New York, siehe: http://www.un.org/en/ga/president/65.
Kasten 2: Literatur

Literatur


− Generalversammlung (2007), A/RES/61/16, Résolution adoptée par l’Assemblée générale. Renforcement du Conseil économique et social, Vereinte Nationen, New York.− Generalversammlung (2009a), A/RES/63/ 303, Résolution adoptée par l’Assemblée générale, Punkt 48 der Tagesordnung, Vereinte Nationen, New York.− Generalversammlung (2009b), A/63/838, Recommandations de la Commission d’experts du Président de l’Assemblée générale sur la réforme du système monétaire et financier international, Vereinte Nationen, New York.− Generalversammlung (2010), A/64/884, Rapport d’activité du Groupe de travail spécial à composition non limitée de l’Assemblée générale chargé d’assurer le suivi des questions figurant dans le Document final de la Conférence sur la crise financière et économique mondiale et son incidence sur le développement, Vereinte Nationen, New York. − UNCTAD (2010), Rapport sur l’investissement dans le monde. Vue d’ensemble. Investir dans une économie à faible intensité de carbone, New York und Genf.− UNCTAD (17. Januar 2011), Global Investment Trends Monitor, Global and Regional FDI Trends in 2010, New York und Genf.− Jones B. (2010), Making Multilateralism Work, How the G20 can help the United Nations? Policy Analysis Brief, The Stanley Foundation.− Malloch Brown M.(2011), The Unfinished Global Revolution, The Penguin Press, New York.− Stiglitz Commission (2009), Report of the Commission of Experts of the President of the UN GA on Reforms of the International Monetary and Financial System, New York.− Vittori J-M.(2010), Pour une gouvernance mondiale, Autrement, Paris.− Weiss Th. und Thakur R.(2010), The Problématique of Global Governance, Global Governance and the UN, An Unfinished Journey, Indiana University Press.

Zitiervorschlag: Danielle Meuwly Monteleone (2011). Globale Gouvernanz: UNO und G20 als Ergänzung oder Konkurrenz. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.