Die Schweizer Regierung und besonders das Seco gehen mehrheitlich von der irrigen Vorstellung aus, dass das, was für die Schweiz bzw. für ihre Unternehmen gut ist, auch Entwicklungsländern nicht schaden kann. Dabei erleben ihre Vertreterinnen in der UNO, der WTO und anderen multilateralen Organisationen Tag für Tag, dass die Entwicklungsländer in allen internationalen Verhandlungen über weltwirtschaftliche Regelsetzung, wirtschaftliche Entwicklungsstrategien und globale Umweltgüter konträre Positionen verteidigen.
Welche Schweizer Politiken leiden besonders unter entwicklungspolitischer Inkohärenz?
Erstens die Finanz- und Steueraussenpolitik: Der Schweizer Finanzplatz verwaltet auch aus Entwicklungsländern Einkommen und Vermögen, die der Besteuerung in ihren Herkunftsländern entzogen worden sind. Die Übernahme der einfachen Amtshilfe bei Steuerhinterziehung im Jahre 2009 hat das Problem nicht beseitigt. Bislang behandelt der Bundesrat die Entwicklungsländer bei Doppelbesteuerungsabkommen anders als die OECD-Mitglieder. Er gewährt ihnen Amtshilfe nur auf ausdrückliches Verlangen. Die Regierung hat auch ihr Angebot an der Konferenz zu Financing for Development in Doha (Katar) 2008, das Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU auf Entwicklungsländer auszudehnen, nicht konkretisiert. Das Interesse daran dürfte steigen, wenn die Schweiz Abgeltungssteuerabkommen mit Deutschland und Grossbritannien abschliessen kann. Zweitens die Aussenwirtschaftspolitik: Die Schweiz profitiert von einem möglichst umfassenden Freihandel und von einem Marktzutritt ohne Einschränkungen, weil sie in allen Branchen global wettbewerbsstarke Unternehmen besitzt. Entsprechend verfolgt sie in der WTO und bei den bilateralen Freihandelsverträgen eine Politik der maximalen Marktöffnung, ausser in der Landwirtschaft. Die Interessen von Entwicklungsländern liegen oft konträr: Die ärmeren müssen erst weltmarktfähige Unternehmen entwickeln. Die Schwellenländer wiederum wollen sich aus der Abhängigkeit von der Fertigung industrieller Güter für westliche Konzerne befreien und selber technologische Spitzenindustrien entwickeln. Zudem würden weite Teile der chinesischen oder indischen Wirtschaft bei einem ungehinderten Zugang westlicher Konkurrenz zusammenbrechen, was «soziale Verlierer» in dreistelligen Millionenbeträgen produzieren würde. Alle haben deshalb ein Interesse daran, ihren Binnenmarkt teilweise zu schützen. Gegensätze zu den kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Schweiz bestehen beim Industriegüterzollabbau, bei der Öffnung der Dienstleistungs- und Finanzmärkte und beim Patentschutz. Drittens die Waffenexportbewilligungspraxis: Sie wird lasch gehandhabt und widerspricht oft der Friedens- und Menschenrechtsförderung unserer Aussenpolitik.
Die entwicklungspolitische Abteilung des Seco ist gefordet
In all diesen Fällen kommt es dazu, dass die Schweiz als Geber mit der einen Hand den armen Ländern gibt bzw. ihre Entwicklung unterstützt und mit der anderen Hand wieder nimmt bzw. die Entwicklung der armen Länder beeinträchtigt und behindert. Mangelnde entwicklungspolitische Kohärenz wird nur dann produktiv angegangen, wenn die Zielkonflikte in Verwaltung und Regierung so offen und klar wie möglich angesprochen und kontrovers ausdiskutiert werden. Damit können entwicklungsschädliches Handeln verringert und bei Zielkonflikten Kompromisse gefunden werden. Im Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) muss sich die Entwicklungsabteilung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Zukunft nachdrücklich zu kohärenzpolitisch sensiblen Vorhaben äussern. Zudem braucht es bessere institutionelle Voraussetzungen, um in der Verwaltung entwicklungspolitische Zielkonflikte zu behandeln. Prüfenswert wäre eine eigene Stelle der Bundesverwaltung, welche die entwicklungspolitischen Zielkonflikte analysiert und gegenüber Bundesrat und Parlament zur Sprache bringt.