Suche

Abo

Die neue Selbstbeherrschung der Gesetzgebung

Die neue Selbstbeherrschung der Gesetzgebung

Im Laufe der letzten Jahrzehnte musste in der Schweiz eine Intensivierung der Gesetzgebungstätigkeit registriert werden. Vor allem in den Politikbereichen Soziales, Umwelt und Energie bestand hoher Regulierungsbedarf. Dazu kamen laufende Angleichungen an internationale Normen und Vereinbarungen. Dies führte nach und nach zu einer Zunahme der Einschränkungen für die Wirtschaft. Dabei war in der Regel die ökonomische Rationalität dieses Tuns kein Thema. Weder wurden Fragen nach Kosten und Nutzen dieser Regulierungen, noch nach Auswirkungen auf ökonomische Variablen wie Beschäftigung, Investitionen oder Standortattraktivität gestellt. Schleichend wurde die liberale Haltung der Schweiz zur Wirtschaft eingeschränkt.

Seit einigen Jahren bemüht sich der Bundesrat, die Regulierungskosten in den Griff zu bekommen. Als Mitglied des KMUForums stelle ich dabei fest, dass dieser Wille immer wieder an die Grenzen des politisch Machbaren stösst. Die hehre Absicht, alles und jedes – und zwar möglichst für die Ewigkeit – zu regeln, ist in unserem Land nach wie vor sehr gross. Die Massnahmen des Bundes und vieler Kantone zur administrativen Entlastung der Wirtschaft und insbesondere der KMU sind wichtige Schritte. Nur so kann der uneingeschränkten Lust zur Regulierung und den damit verbundenen Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit ein Gegengewicht gegeben werden.

Systematische, aber vernünftige Kosten-Nutzen-Analysen


Für mich ist es unerlässlich, dass beim Erlass jeder neuen gesetzlichen Regelung – insbesondere auch auf Verordnungsstufe – eine umfassende Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) gemacht wird. Dabei soll diese nicht nur die Anliegen der Wirtschaft berücksichtigen, sondern die Folgen auf Gesellschaft und Umwelt möglichst umfassend offenlegen. Ein gesetzlicher Eingriff mag einen gewünschten Regelungsbedarf befriedigen, löst aber auch Nebenwirkungen aus, die nicht immer im Voraus erkennbar sind. Aus diesem Grund ist es zwingend, dass mit geeigneten Instrumenten – wie zum Beispiel dem KMU-Verträglichkeitstest – neue Regelungen auf ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis hin überprüft werden. Mit einer ganzheitlichen Interessensabwägung soll die Inkaufnahme von eventuellen ökonomischen Auswirkungen auf Wachstum, Beschäftigung oder anderes begründet werden. Ebenso gehört dazu die Überprüfung möglicher kostengünstigerer Alternativen sowie die Problemanalyse für die Abläufe des Vollzugs. Die systematische Messung der Kosten bei neuen Regelungen scheint heute breit akzeptiert zu sein. Aber wie so oft liegt auch hier der Teufel im Detail. Widerstände zeichnen sich bei den «Erfindern» von Regulierungen ab. Dieses Verfahren wird auch negative Auswirkungen haben. Ernst zu nehmen ist die Abwehrhaltung insbesondere dann, wenn die Bestimmung der Regulierungsfolgen einen erheblichen Aufwand bedeuten würde. In diesen Fällen müssen der Aufwand und die Folgen für die Wirtschaft der zu treffenden Regelung sehr genau abgewogen werden. Erhebliche Zweifel drängen sich vor allem dort auf, wo mit aufwändigsten Methoden und Kostenmodellen eine generelle Überprüfung des gesamten geltenden Rechts gefordert wird. Solche Verfahren sind aufwändig, undurchsichtig und erzielen in der Regel keine grosse Wirkung. Zudem müsste damit gerechnet werden, dass neue Erwartungen geschürt werden und als Folge davon bisher unproblematische Gesetzesanwendungen in Zweifel gezogen würden.

Regulieren mit Augenmass und Menschenverstand


Als Volkswirtschaftsdirektorin gehört es für mich zu den Selbstverständlichkeiten des staatlichen Handelns, dass geltende Regelungen periodisch auf ihren Sinn und die Zweckmässigkeit hin überprüft werden. Dazu braucht es keine speziellen Methodenkenntnisse, sondern vor allem einen gesunden Menschenverstand, gute Kontakte zu den Unternehmen und ein Gespür für ein rücksichtsvolles Zusammenleben von Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Allein die Sensibilisierung für das Thema der administrativen Entlastung hat einiges ausgelöst. So wurden in den letzten Jahren etliche administrative Hürden abgebaut – durch den Wegfall überflüssiger und überholter Bestimmungen und Bewilligungen oder durch eine Vereinfachung bei der Erfüllung der Informationspflicht, wie zum Beispiel mit dem elektronischen Datenaustausch bei der Meldung der AHV-pflichtigen Löhne. Die weitergehende Einführung von E-Government wird noch wesentliche Beiträge leisten. Das Wichtigste bleibt immer die Einstellung der Betroffenen. Die mancherorts gern zitierte «Beamtenmentalität» gehört weitgehend der Vergangenheit an. Seriöse Unternehmen erfüllen ihre Informationspflichten gegenüber dem Staat ohne namhafte Probleme. Die administrative Entlastung ist für einen schlanken Staat eine Daueraufgabe. Dabei gilt es scharf darauf zu achten, dass sie für keine Seite zu grösserem Aufwand führt.

Zitiervorschlag: Esther Gassler (2011). Die neue Selbstbeherrschung der Gesetzgebung. Die Volkswirtschaft, 01. September.