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Weshalb ist administrative Entlastung so kompliziert?

Weshalb ist administrative Entlastung so kompliziert?

Programme zur administrativen Entlastung werden von Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern nicht immer genügend wahrgenommen. Sogar in Ländern, wo Anstrengungen zum Abbau der administrativen Belastung beachtliche Resultate erbrachten, zeigen sich die Begünstigten oft wenig begeistert. Als Reaktion darauf erweitern nun viele Länder den Fokus ihrer Programme auf die gesamten Regulierungskosten und setzen zur Messung der Kosten – in Ergänzung zu den quantitativen Instrumenten – vermehrt qualitative Methoden ein. Zudem werden Kommunikation und enge Zusammenarbeit mit den betroffenen Kreisen immer wichtiger. Der vorliegende Artikel, der auf der gleichnamigen OECD-Publikation basiert,
Vgl. OECD, Why Is Administrative Simplification So Complicated? Looking Beyond 2010, Paris 2010. fasst die wichtigsten Trends und Entwicklungslinien im Bereich der administrativen Entlastung in den letzten Jahren zusammen und zeigt Richtungen für die zukünftige Entwicklung auf.

Administrative Entlastung (AE) ist ein Instrument, um den Bestand an staatlichen Regulierungen zu überprüfen und zu vereinfachen. Hauptziel ist es, unnötige Kosten für die Regelungsadressaten zu beseitigen, da sie Wettbewerb und Innovation beeinträchtigen können. Programme zur administrativen Vereinfachung und zum Abbau der administrativen Belastung hatten in den letzten Jahren vor allem in Europa Hochkonjunktur.

Wichtigste Trends der letzten Jahre


Das Standardkostenmodell (SKM) dient dazu, die administrative Belastung zu quantifizieren und Möglichkeiten zu ihrer Reduzierung zu identifizieren. In den letzten Jahren wurde das in den 1990er-Jahren von der niederländischen Regierung entwickelte SKM von einer wachsenden Anzahl von Ländern übernommen. Andere Instrumente und Prozesse – wie etwa die Kodifizierung und Konsolidierung des Rechtsbestandes oder die Schaffung von One-Stop-Shops – stehen oft etwas im Schatten. Manchmal werden sie nur ad hoc eingesetzt und sind entsprechend schlecht mit den Hauptbestrebungen koordiniert. Wie Grafik 1 zeigt, liefen im Jahr 2008 in 30 der 31 OECD-Mitgliedstaaten AE-Programme, gegenüber 25 im Jahr 2005 und 18 1998. Viele Länder und auch die Europäische Kommission haben ihre AE-Programme in jüngster Zeit abgeschlossen oder werden sie in den nächsten Jahren beenden. Einer der Hauptfaktoren zur raschen Verbreitung dieses Ansatzes war das im Januar 2007 lancierte Aktionsprogramm zur Reduzierung von Verwaltungslastenin der EU der Europäischen Kommission, das eine administrative Entlastung um 25% bis 2012 anstrebte.Die jüngste Wirtschaftskrise hat die Bedeutung der AE noch akzentuiert: Die dadurch freigewordenen Ressourcen können in produktivere Tätigkeiten investiert werden und so die wirtschaftliche Erholung und Wachstum fördern. Deshalb ist die AE ein wichtiges Instrument, um die Krise zu überwinden und das Wachstum wieder in Gang zu bringen.Trotz des Enthusiasmus von Verwaltung und Politik für solche Programme ist die Beurteilung durch diejenigen Kreise, die eigentlich davon profitieren sollten – d.h. Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger – durchzogen. Sogar in Ländern, wo Anstrengungen zur administrativen Entlastung beachtliche Resultate brachten, zeigen sich die Unternehmen wenig begeistert. In den Niederlanden beispielsweise wurde das Ziel der Regierung, die administrativen Belastung um 25% zu reduzieren, im Jahr 2007 erreicht. Dennoch zeigten sich die Unternehmen enttäuscht über die ihrer Meinung nach langsamen Fortschritte und kritisierten, dass die eigentlich wichtigen Themen nicht angegangen worden seien.Die Gründe für diese negative Wahrnehmung sind unter anderen folgende:− Das Ausmass der AE sieht bei Betrachtung der gesamten Gesellschaft oder eines ganzen Wirtschaftssektors oft beindruckend aus. Auf der Stufe des einzelnen Unternehmens oder Individuums kann die Entlastung jedoch viel geringer erscheinen.− Häufig werden die Resultate der AE für die Begünstigten erst mit einer Verzögerung sichtbar.− Einige Länder haben sich auf die Beseitigung von leicht zu reduzierenden Belastungen konzentriert, beispielsweise bei Regulierungen, die offensichtlich obsolet sind und/oder nicht befolgt werden.− Regierungen schenken der Wahrnehmung durch die Regelungsadressaten zu wenig Beachtung. Manchmal sind die von den Adressaten als am hinderlichsten empfundenen Regulierungen nicht diejenigen, die bei einer quantitativen Analyse als belastendste identifiziert werden (und umgekehrt).− Die Kommunikation mit den betroffenen Kreisen wurde in der Vergangenheit vernachlässigt. Die Resultate der Programme – wie z.B. die 25%-Reduktion – sind zwar für die Medien attraktiv, bezogen auf ihren konkreten Nutzen jedoch zu abstrakt für den einzelnen Bürger oder Unternehmer.

Empfehlungen zur zukünftigen Ausrichtung


Aus diesen Erfahrungen der OECD-Mitgliedsländer können Schlussfolgerungen abgeleitet werden, die es bei der Ausgestaltung, Umsetzung und Evaluation zukünftiger AE-Programme zu beachten gilt.

Breiter und umfassender


Die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger, wie erfolgreich die Regierungen in ihrem Kampf gegen die Bürokratie sind, ist stark von ihrer persönlichen Erfahrung geprägt. Die Tatsache, dass bisher hauptsächlich grosse Unternehmen substanzielle Einsparungen tätigen konnten, beeinträchtigt die Beurteilung der AE-Programme durch die Bevölkerung. Der Fokus der Programme sollte deshalb breiter angelegt werden und sich nicht nur auf die Unternehmen konzentrieren, sondern auch die Regulierungskosten für die Bürger sowie den öffentlichen Sektor mit einbeziehen.Ein anderes Problem hängt mit der relativ engen Definition der administrativen Belastung zusammen. Die AE-Programme haben sich aus naheliegenden Gründen hauptsächlich auf einen Teil der Regulierungskosten konzentriert, nämlich die administrativen Kosten. Insbesondere das Ausfüllen von Fragebögen wurde bisher als besonders störend – quasi als Sinnbild von Bürokratie im negativen Sinn – betrachtet. Die Bekämpfung dieser Kosten mag für Politiker interessant sein, zumal der Zweck der Erfüllung von Informationspflichten nicht immer auf den ersten Blick einleuchtet. Während die materiellen Erfüllungskosten üblicherweise mit dem Schutz übergeordneter Werte – wie Umweltschutz oder Konsumentenschutz – begründet werden können, ist die Rechtfertigung der Informationspflichten schwieriger.Die administrative Entlastung scheint auf den ersten Blick ein sicherer Gewinn zu sein. Überraschenderweise ist dies aber nicht immer der Fall. So schätzt zum Beispiel der Schwedische Unternehmensausschuss für bessere Rechtssetzung (NNR), dass über alle Unternehmen gesehen die administrativen Kosten weniger als 30% der regulatorischen Kosten ausmachen. Der NNR beklagt sich darüber, dass die administrativen Kosten im Verhältnis zu den finanziellen und materiellen Regulierungskosten der Unternehmen nur einen geringen Teil der Regulierungskosten darstellen und deren Reduzierung für die Unternehmen daher von untergeordneter Bedeutung sei.
Vgl. NNR Regulation Indicator 2008, NNR, Stockholm.Eine Kategorie von Regulierungskosten muss gesondert betrachtet werden, nämlich die so genannten Irritationskosten. Aufgrund des subjektiven Charakters sind sie schwierig – wenn nicht gar unmöglich – zu quantifizieren. Sie können definiert werden als das von den Regelungsadressaten empfundene Ärgernis, das dadurch hervorgerufen wird, dass sie die Raison d’être der Vorschrift nicht einsehen können oder nicht in der Lage sind, die Anforderungen der Vorschriften zu erfüllen. Die subjektive Wahrnehmung kann dabei von der objektiv gemessenen Belastung abweichen. Die EU kommt in ihrer Messung der bestehenden administrativen Kosten denn auch zum Schluss, dass das Ausmass, in welchem eine Informationsvorschrift von den Unternehmen als störend empfunden wird (Irritationsfaktor), oft nicht mit der administrativen Belastung korreliert.
Vgl. Communication from the European Commission to the Council and the European Parliament – Action programme for reducing administrative burdens in the EU, COM(2009) 544 final, Brüssel 2009.

Quantitative mit qualitativen Methoden ergänzen


Regierungen sollten die administrative Belastung quantifizieren und auch quantitative Reduktionsziele definieren. Die Quantifizierung sollte jedoch vorsichtig eingesetzt und deren Effizienz stets im Auge behalten werden. Eine der entscheidenden Fragen für Länder, welche das Thema administrative Entlastung angehen wollen, ist diejenige nach der geeigneten Methode. Das SKM ist relativ leicht verständlich und einfach zu implementieren, und die resultierenden Zahlen können den Medien und dem breiteren Publikum gut präsentiert werden. Erfahrungen der Mitgliedsländer zeigen, dass die Messung selbst kostenintensiv sein kann, speziell wenn die Kosten aller existierenden Regulierungen im Rahmen eines so genannten Baseline Measurement gemessen und externe Unternehmen dazu beigezogen werden.Einige Länder haben sich deshalb auf prioritäre Bereiche konzentriert, die jeweils im Vorfeld von den Regelungsadressaten – zumeist Unternehmen – identifiziert wurden. Die Resultate der Länder deuten darauf hin, dass sich die administrative Belastung nach dem Pareto-Prinzip aufteilt: 20% der Regulierungen verursachen in etwa 80% der Belastung. Das SKM ist eine rein quantitative Methode, welche die administrative Belastung in Geldbeträgen ausdrückt. Verschiedene Länder haben qualitative Methoden eingesetzt, sei es als Ergänzung oder als Ersatz der quantitativen Methoden. Qualitative Untersuchungstechniken haben nicht zum Ziel, die administrative Belastung in messbaren Grössen auszudrücken. Sie arbeiten vielmehr mit Informationen, die zwar subjektiv und nicht messbar sind, aber dennoch wertvolle Anstösse für Vereinfachungsbestrebungen geben können. Eine Form der qualitativen Techniken sind die Perception Studies.

Bessere Integration


AE sollte in andere Aktivitäten der Regulierungsreform integriert oder mit diesen koordiniert werden. Wenn die Koordination zwischen den einzelnen Anstrengungen mangelhaft ist, können die Synergieeffekte der diversen Ansätze nicht voll ausgeschöpft werden. Wertvolle Ressourcen werden auch mit parallelen Projekten verschwendet, wie z.B. die Kodifizierung von Rechtsakten, die gleichzeitig vom AE-Programm als verbesserungswürdig eingestuft werden. Die institutionellen Strukturen sind ein entscheidender Faktor bei der Koordination der AE-Bestrebungen.Ein weiterer Schritt zur Integration von AE ist die Koordinierung mit anderen Politiken und Instrumenten zur Verbesserung der Regulierungsqualität. Das wichtigste Beispiel ist die Verknüpfung von AE ex post mit der Abschätzung der Regulierungsfolgen ex ante. Gegenläufige Trends in diesen Bereichen können beachtliche Spannungen zur Folge haben. Einerseits besteht eine Nachfrage nach der Reduktion der administrativen Belastung. Andererseits werden immer neue Regulierungen eingeführt, und dies aus unterschiedlichen Gründen: − aufgrund der Anforderungen von inter- oder supranationalen Institutionen;− als Folge hoher nationaler Qualitäts- und Sicherheitsstandards;− auf politischer Ebene, wo Regulierungen manchmal dazu benutzt werden, um zu zeigen, dass «etwas getan wird».Ein Teil der Antwort zu dieser Herausforderung liegt darin, dass die vorgängige Abschätzung der Auswirkungen neuer Regulierungen durch die ex ante Berücksichtigung administrativer Belastungen gestärkt wird.Die Neugestaltung von Prozessen mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie die Schaffung elektronischer One-Stop-Shops zeigen, dass AE und E-Government besser integriert werden können. IKT werden vermehrt genutzt, um die administrative Belastung für Bürger, Unternehmen und Verwaltung zu mindern. Das niederländische Innenministerium schätzt, dass rund 40% der Reduktion administrativer Belastungen von Bürgerinnen und Bürgern IKT-induziert sind.Bisher gibt es jedoch wenig Hinweise darauf, dass diese Bereiche auf institutioneller Ebene oder auf Stufe der Politikentwicklung besser integriert worden wären. Oft werden die Politiken in beiden Bereichen separat entwickelt, und somit kann das Potenzial an Synergieeffekten nicht voll ausgeschöpft werden.

Institutionelle Strukturen, Kommunikation und Evaluation


Effiziente institutionelle Strukturen zur Koordinierung und zum Monitoring von AE-Programmen sind von zentraler Bedeutung. Diese Strukturen sollten die Unterstützung der höchsten politischen Stellen geniessen und einem Whole-of-Government-Ansatz (interministerielle Ausschüsse, Arbeitsgruppen) verpflichtet sein. Sichtbar ist auch der Trend hin zur Schaffung oder Stärkung beratender Gremien, die oft einen hohen Grad an Unabhängigkeit geniessen und externe Stakeholder repräsentieren.Die Kommunikation mit den betroffenen Kreisen muss verbessert werden. Diese sollten aktiv während des ganzen Prozesses der AE mit einbezogen werden. Denn Kommunikation ist nicht nur für die Zielerreichung entscheidend, zumal die Regelungsadressaten als einzige verlässliche Daten zum Aufwand für die Erfüllung von Informationspflichten liefern können. Sie ist auch nach der Zielerreichung wichtig, da die Wahrnehmung von Bedeutung und Nützlichkeit dieser Projekte durch die Regelungsadressaten eine wichtige Rolle bei der Gesamtbewertung ihres Erfolgs spielt.AE-Anstrengungen sollten nach ihrem monetären Gegenwert evaluiert werden. Eine Evaluationsstrategie sollte bereits im Vorfeld der Projekte entwickelt werden. Eine ex post Evaluation muss aber den Blick über die blosse Erreichung des von den politischen Entscheidungsträgern definierten Ziels hinaus richten und das Gesamtresultat des Projekts bezüglich sozialer Wohlfahrt und Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen bewerten. Nebst der Wahl der geeigneten Methoden für die Messung sollte die Evaluation sicherstellen, dass Massnahmen zur Reduktion der administrativen Belastung nicht zusätzliche Kosten für die Unternehmen oder weitere betroffene Gruppen – wie z.B. Konsumenten und die Verwaltung – zur Folge haben. Zudem ist darauf zu achten, dass die mit der Aufhebung oder Vereinfachung einer Informationspflicht erzielte Kostenreduktion den mit der Informationspflicht verbundenen Nutzen auch wirklich übersteigt.

Fazit und Ausblick


Administrative Entlastung dürfte in den kommenden Jahren ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierungen bleiben. Sehr wahrscheinlich werden die AE-Initiativen nicht so erfolgreich sein wie noch vor wenigen Jahren erhofft. Die Wahrnehmung der Begünstigten – Unternehmen und Bürger – wird voraussichtlich nicht sehr positiv sein, und die Klagen in der Öffentlichkeit über zu viel Behördenbürokratie und Papierkram werden nicht so schnell verstummen. Dies heisst indes nicht, dass die Anstrengungen zur administrativen Vereinfachung fallen gelassen werden sollen.Vielmehr geht es darum, die AE-Projekte entsprechend anzupassen. Sie müssen umfassender und zielgerechter gestaltet und mit qualitativen Instrumenten ergänzt werden. Ihre Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Innovation usw. müssen klar aufgezeigt werden, um die politischen Entscheidungsträger und die betroffenen Kreise von deren Nützlichkeit zu überzeugen. Regierungen sollten zudem mittels Meinungsumfragen regelmässig die Wahrnehmung der Regulierungen seitens der Unternehmen und der Bevölkerung erheben und die Verbesserung dieser Wahrnehmung als eines der Ziele des Bereichs Regulierungsreform definieren.Die OECD wird die Entwicklungen im Bereich administrative Entlastung weiterhin eng verfolgen. Sie unterstützt ihre Mitgliedsländer wie auch die Nicht-Mitgliedstaaten tatkräftig dabei, ihre AE-Ziele in möglichst effizienter Art und Weise zu erreichen.

Grafik 1: «Anzahl OECD-Länder mit ausdrücklichen Programmen für administrative Entlastung, 1998–2008»

Kasten 1: Bibliografie

Bibliografie


− Board of Swedish Industry and Commerce for Better Regulation (NNR) (2008), Regulation Indicator 2008, Stockholm.− OECD (2003), From Red Tape to Smart Tape: Administrative Simplification in OECD Countries, OECD Publishing, Paris.− OECD (2006), Cutting Red Tape: National Strategies for Administrative Simplification, OECD Publishing, Paris.− OECD (2007), Cutting Red Tape: Administrative Simplification in the Netherlands, OECD Publishing, Paris.− OECD (2009), Overcoming Barriers to Administrative Simplification Strategies: Guidance for Policy Makers, OECD Publishing, Paris.− OECD (2010), Better Regulation in Europe: Denmark, OECD Publishing, Paris.− OECD (2010), Why Is Administrative Simplification So Complicated?: Looking beyond 2010, Cutting Red Tape, OECD Publishing, Paris− Radaelli, C.M. (2007), Cracking Down on Administrative Burdens: Why Business is not Latching on, Occasional Paper, Centre for Regulator Governance, University of Exeter, 27 June.

Zitiervorschlag: Daniel Trnka (2011). Weshalb ist administrative Entlastung so kompliziert. Die Volkswirtschaft, 01. September.