Wichtigste Studienergebnisse aus Sicht des Seco
Die Finanzierung des Infrastrukturausbaus in der Schweiz steht sowohl im Bereich der Schiene als auch der Strasse vor erheblichen Herausforderungen. Fünf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Rahmen eines Schwerpunktthemas seiner Ressortforschung in Auftrag gegebene Studien zur Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen analysieren Effizienz und Kostenanlastung im Verkehrssystem aus volkswirtschaftlicher Sicht.
Verkehrsinfrastruktur ist teuer. Aus ihrer Nutzung sollten sich deshalb möglichst hohe Deckungsbeiträge an Bau und Unterhalt ergeben, um die öffentlichen Haushalte nicht übermässig mit Kosten für den Infrastrukturausbau zu belasten. Und es sollte zweckmässig investiert werden. Denn Mobilität ist als solche nicht subventionswürdig; an sich sollte das Verkehrssystem als Ganzes kostendeckend operieren. Doch die Realität sieht anders aus: Die Kostendeckung bei der Schiene ist tief, während der Strassenverkehr nicht für alle Kosten aufkommt, die er bei Dritten verursacht.
Effiziente Betreibergesellschaften
Ein wichtiger Baustein zur Erhöhung des Kostendeckungsgrads beim Schienenverkehr kann die Effizienzsteigerung sein. Öffentliche Mittel, die in den laufenden Betrieb gehen, stehen nicht für Ausbauten zur Verfügung. Und Ineffizienzen bei den Betreibergesellschaften reduzieren den Trassenpreis, der ihnen bei gegebenen Tarifen für die Endkunden verrechnet werden kann. Polynomics zeigt in ihrer Untersuchung jedoch auf, dass bei den wichtigsten beiden Anbietern im öffentlichen Verkehr, SBB und BLS, keine wesentliche Verbesserung der Ertragslage durch eine Steigerung der betrieblichen Effizienz möglich ist. Die Schweizer Bahnen gehören bereits heute im internationalen Vergleich zu den effizientesten Bahnbetrieben. Gemäss den Autoren gibt es ausserdem kaum Hinweise dafür, dass sich die technische Effizienz bei einer Finanzierung durch die öffentliche Hand verschlechtert. Ebenso sind Effizienzgewinne aus einer vertikalen Separierung von integrierten Bahnunternehmen nicht belegt. Die Frage nach verbesserter Kostendeckung verlagert sich folglich auf den Punkt, welches Bestellvolumen mit welcher Kostenunterdeckung aus volkswirtschaftlicher Sicht zweckmässig ist.
Hohes Bestellvolumen oder hoher Deckungsbeitrag?
Aus ökonomischen Überlegungen sollten die Nutzer der Verkehrsinfrastruktur jene Kosten übernehmen, die sie durch den Gebrauch verursachen. Namentlich im Bereich des Schienenverkehrs ist es jedoch schwierig, eine individuelle Fakturierung jedes beanspruchten Streckenkilometers vorzunehmen und das Angebot auf die noch kostendeckend zu betreibenden Linienpaare zu begrenzen. Nichtsdestotrotz sollte in Zukunft dank technologischem Fortschritt – und der damit verbundenen Möglichkeit zur Erfassung einzelner Nutzer – eine verstärkte Preisdifferenzierung gemäss Uhrzeit und zurückgelegter Bahnstrecke möglich sein.Auch dann bleibt bei Leistungen des öffentlichen Verkehrs das Problem, dass ein zusätzlicher Nutzer oft zu sehr tiefen Grenzkosten transportiert werden kann. Wie sollen aber bei volkswirtschaftlich optimalen grenzkostennahen Preisen die Vollkosten gedeckt werden? Immerhin haben die Betreiber und die hinter ihnen stehende öffentliche Hand erheblichen Gestaltungsspielraum bei der Frage, welcher Kostendeckungsbeitrag von welchen Nutzern (Erwachsene, Schüler, Rentner, Geschäftsleute, Touristen, Pendler) für welche beanspruchten Leistungen (Hochgeschwindigkeitsstrecke, Postauto ins Bergdorf) erreicht werden soll – trotz dem ökonomischen Wissen um die Preissetzung bei Kuppelprodukten. In solche Entscheide fliessen auch erhebliche politische Wertungen ein, z.B. Zielsetzungen der Umweltpolitik (Verlagerungsziel) oder der Standortförderung (Anschlussdichte). Und aufgrund der grossen Skaleneffekte – ein grosses Volumen geht mit einem tiefen Gestehungspreis einher – kann ein grosses Angebot, das nur ungenügende Deckungsbeiträge generiert, volkswirtschaftlich besser sein als eine Preissetzung, die Monopolmacht und Preisdiskriminierungspotenzial unter den Kunden ausschöpft und wegen der resultierenden hohen Preise zu geringem Verkehrsaufkommen im öffentlichen Verkehr führt. Dass im Zeichen der Grundversorgung von der öffentlichen Hand ein bestimmtes Standardangebot bestellt wird, soll deshalb nicht bestritten werden, auch weil es die Realisierung von kundenfreundlichen Angeboten – wie Taktfahrplan und Tarifverbünde – erleichtert.
Was soll als Standardangebot gemäss Grundversorgungsauftrag gelten?
Infras erklärt in ihrem Artikel, dass es in der Schweiz im Bereich des öffentlichen Verkehrs keine ausdrückliche Definition eines solchen Standardangebots gibt. Grundsätzlich erfolgte bisher die Ausweitung des Angebots nachfrageorientiert – zu gegebenen tiefen Preisen – woraus eine Tendenz zu einem teuren Infrastrukturausbau resultierte. Würde ein Grundangebot an Mobilität explizit definiert, das sich auf das Nötigste beschränkt, käme dies für den Staat wesentlich kostengünstiger als das bisherige Bestellverfahren im regionalen Personenverkehr. Um wie viel, quantifiziert Infras am Beispiel des Kantons Thurgau. Die Autoren von Infras plädieren dafür, die Kosten weitergehender Angebote transparent zu machen und fallweise der Umweltpolitik oder der Standortförderung zuzurechnen. Verlagerungseffekte aus einem eingeschränkten Angebot im öffentlichen Verkehr quantifiziert die Untersuchung von Ecoplan.
Wie kann bei gegebener Grundversorgung die Infrastrukturfinanzierung gewährleistet werden?
Bei der heutigen Regelung der Grundversorgung übersteigen die anstehenden Infrastruktur-Investitionen die vorgesehenen Mittel der öffentlichen Hand. Um eine möglichst selbsttragende Infrastruktur zu realisieren, ist es deshalb unerlässlich, den Verkehrsnutzern vermehrt die von ihnen verursachten Kosten anzulasten. Ecoplan macht dabei die Feststellung zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen, dass beide Verkehrsmittel die Öffentlichkeit und die öffentlichen Haushalte stark belasten: die Schiene durch ihre Kostenunterdeckung und die Strasse durch die von ihr verursachten externen Kosten (Umweltbelastung, Unfälle, Staus usw.). Um ungünstige Effekte auf den Modal Split – d.h. die Anteile von ÖV und Individualverkehr am Gesamtverkehrsaufkommen – zu vermeiden, ergibt sich für Infras die Notwendigkeit eines verkehrsträgerübergreifenden Gesamtpakets. Die Lösung, allein den Kostendeckungsgrad bei der Schiene zu erhöhen, stösst rasch an Grenzen, soll eine Verlagerung von der Schiene zur Strasse – und damit ein Ansteigen der externen Kosten der Strasse – vermieden werden. Vielmehr sind die externen Kosten der Strasse verstärkt zu internalisieren. Die Verwendung entsprechend erhöhter Abgaben im Strassenverkehr zur Mitfinanzierung von Schienenverkehrsinfrastrukturen kann umgekehrt nur gerechtfertigt werden, wenn die Einnahmen aus Internalisierungsabgaben nicht dazu verwendet werden müssten, um belastete Dritte zu entschädigen. Ecoplan legt eine nach diesen Grundsätzen konstruierte Finanzierungslösung vor und bestimmt in einem einfach gehaltenen Simulationsmodell deren Auswirkungen. Die untersuchte Lösung kommt den kürzlich in die Vernehmlassung gegebenen Vorschlägen zur Verkehrsfinanzierung relativ nahe. Ihre Auswirkungen auf die verschiedenen Schweizer Regionen wie auch auf die verschiedenen Einkommensklassen sind relativ ausgewogen.Die Bereitschaft, mehr für den Verkehr aufzuwenden, wird politisch allerdings nur herzustellen sein, wenn aus den zu finanzierenden Ausbauten für die Kunden auch ein Mehrnutzen resultiert. Die verbleibenden zwei Studien untersuchen deshalb, ob aus grossen Infrastrukturvorhaben wirtschaftliche Vorteile in Form eines Zuwachses von Beschäftigung und Produktivität hervorgehen, die mit den normalerweise berechneten und in Franken bewerteten Reisezeitgewinnen aufgrund von Infrastrukturverbesserungen noch nicht eingefangen sind.
Welchen wachstumsrelevanten volkswirtschaftlichen Nutzen haben Grossprojekte?
Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wird oft mit der Schaffung von mehr und höherwertigen Arbeitsplätzen sowie mit einer gesteigerten Einwohnerzahl assoziiert. Gemäss Ernst Basler + Partner stimmt diese Einschätzung nur teilweise. Arbeitsplätze wurden in den letzten 30 Jahren zumeist im ersten Agglomerationsgürtel wichtiger Zentren aufgebaut, sofern geeignete Flächen und weitere Standortfaktoren – wie mässiges Steuerniveau, qualifizierte Arbeitskräfte etc. – verfügbar waren. Das Bild stellt sich bei den Regionen, die von zwei eingehend untersuchten grossen Infrastrukturvorhaben begünstigt wurden, immerhin etwas besser dar als im nationalen Mittel: Die Arbeitsplatzverluste entlang der A3 und an den Knoten, die von der Hochgeschwindigkeitslinie Mattstetten-Rothrist profitierten, fielen tiefer aus, und die Zunahme der Arbeitsproduktivität war dort überdurchschnittlich. Allerdings ist dieses Ergebnis nicht allein der verbesserten Erreichbarkeit zuzurechnen. Ein positiver Effekt stellt sich nur in Verbindung mit der Pflege anderer Standortfaktoren ein.Klar positive Effekte grosser Verkehrsinfrastrukturprojekte sind gemäss der Untersuchung von BAK Basel jedoch auf der Ebene der europäischen Grossregionen erkennbar. Ausbaumassnahmen, welche die Anbindung an leistungsfähige internationale Infrastrukturnetze ermöglichen, erhöhen die Attraktivität der schweizerischen Metropolitanregionen und steigern das BIP. Die Rendite aus einer Vergrösserung der Arbeitsmarktregionen aufgrund verkürzter Pendelzeiten fallen dagegen weniger hoch aus. Die Studie beinhaltet eine Abschätzung des volkswirtschaftlichen Zusatznutzens, der aus der Realisierung des Neat-Basistunnels am Gotthard erwartet werden darf; sie kommt auf einen genügenden Mittelrückfluss.
Zitiervorschlag: Abt, Marianne; Balaster, Peter (2011). Wichtigste Studienergebnisse aus Sicht des Seco. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.