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Die Forschungsergebnisse aus der Sicht der Praxis: Ein Kommentar

Wachstum und Wohlstand sind massgeblich von einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur abhängig. Beschränkte öffentliche Mittel, wachsende Mobilität und höhere Ansprüche der Nutzerinnen und Nutzer stellen die Schweiz in den nächsten Jahren vor grosse Herausforderungen bei Unterhalt und Ausbau. Aus Sicht der Praxis zeigen die Ergebnisse der Studien, dass die Grundrichtung in der Schweiz stimmt: Die Schieneninfrastruktur trägt massgeblich zur Wertsteigerung und Entwicklung von Standorten, Regionen und Landesteilen bei. Für die anstehenden Herausforderungen zur Finanzierung der Schieneninfrastruktur liegen taugliche Vorschläge auf dem Tisch. Die SBB gehört dank unternehmerisch konsequentem Handeln im internationalen Vergleich zu den leistungsfähigsten und produktivsten Eisenbahnunternehmen.

Ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrssystem ist eine zentrale Grundlage für wirtschaftliche Prosperität und sozialen Zusammenhalt. Zudem weist die Schieneninfrastruktur einen beachtlichen Wert sowie Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte auf, wie der Bundesrat in seinem Bericht zur «Zukunft der nationalen Infrastrukturnetze in der Schweiz» feststellt. Angesichts dieser volkswirtschaftlichen Bedeutung des Schienenverkehrs ist es begrüssenswert, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Finanzierung und Produktivität der Verkehrsinfrastrukturen wissenschaftlich hat aufarbeiten lassen. Diese Themen sind wichtige Elemente der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit. Die weiteren Aspekte der Nachhaltigkeit, nämlich die ökologischen Vorteile des öffentlichen Verkehrs sowie dessen Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt in der Schweiz, wurden hingegen nicht thematisiert. Für eine umfassende Beurteilung der Leistungen des öffentlichen Verkehrs sind diese Aspekte ebenfalls einzubeziehen.Das Mobilitätsbedürfnis der Schweizer Bevölkerung ist in der Vergangenheit stark gewachsen und orientiert sich den Maximalszenarien des Bundes (vgl. Grafik 1). Vor diesem Hintergrund ist die SBB bestrebt, auf der bestehenden Infrastruktur das Maximum an Verkehr abzuwickeln. Die hohe Auslastung des bestehenden Netzes macht in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hohe Investitionen in die Schieneninfrastruktur nötig. Prioritär müssen beträchtliche Summen in den Substanzerhalt des immer stärker genutzten Netzes investiert werden, um dessen Leistungsfähigkeit zu erhalten. Angesichts des prognostizierten Wachstums sind gezielte Ausbauten dort nötig, wo Kapazitätsgrenzen erreicht und neue Angebote wirtschaftlich erfolgreich betrieben werden können.

Wirtschaftliche Kriterien für die Priorisierung von Infrastrukturprojekten entscheidend


Die beiden Studien von BAK Basel und Ernst Basler + Partner befassen sich mit Kosten und Nutzen sowie wachstumsrelevanten Effekten von Verkehrsinfrastrukturen. Abgesehen von kurzfristigen Effekten durch das Bauen sind nicht die Infrastrukturbauten selbst, sondern die daraus resultierende verbesserte Erreichbarkeit volkswirtschaftlich relevant. Beide Studien belegen einen positiven Beitrag von Verkehrsinfrastrukturen bzw. der Erreichbarkeit zum Wirtschaftswachstum, wobei der Zusammenhang weniger deutlich ausfällt, als man vielleicht erwarten würde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Relevanz von Infrastrukturprojekten von Politik und Branchenvertretern überschätzt wird. Bei der Beurteilung dieser Frage ist einerseits auf die methodischen Herausforderungen hinzuweisen: Die Vielzahl an Einflussfaktoren für Wachstum sowie insbesondere die Langfristigkeit der Effekte bilden die Hauptschwierigkeiten der Messung. Die praktische Erfahrung wie auch Studien mit anderen methodischen Ansätzen zeigen, dass Verkehrsinfrastrukturen massive Mehrwerte für Private und öffentliche Hand generieren.Andererseits zeigt die Praxis, dass Infrastrukturinvestitionen aus verschiedenen Gründen getätigt werden. Kosten-Nutzen-Überlegungen sind oft nicht alleiniges Entscheidkriterium; es spielen auch (regional-)politische Aspekte mit. Die beiden Studien belegen, dass nicht von jeglicher Infrastruktur ein positiver Wachstumsbeitrag zu erwarten ist. Folglich ist die Auswahl, Optimierung und Priorisierung von Infrastrukturprojekten wichtig: Nur dort sollte investiert werden, wo ein hoher Nutzen erwartet, ein wirtschaftlich erfolgreiches Angebot betrieben und das System des Schienenverkehrs nachhaltig weiterentwickelt werden kann. Dieser Ansatz wird auch von der SBB konsequent verfolgt und ist in ihren Vorschlag für die nächsten Ausbauschritte der Schieneninfrastruktur eingeflossen.

Herausforderung Finanzierung


Die Finanzierung des Unterhalts der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen sowie deren Ausbau birgt grosse Herausforderungen. Wie Ecoplan darlegt, ist hierfür eine verkehrsträgerübergreifende Sicht unabdingbar. Die Praxis zeigt, dass diese Betrachtungsweise auch aus Sicht der Verkehrsteilnehmer naheliegt: Die wenigsten nutzen konsequent nur den Individualverkehr oder nur den öffentlichen Verkehr. Viele entscheiden sich je nach Situation für ein Verkehrsmittel. Diese enge Verzahnung aus Sicht der Verkehrsteilnehmer solle sich gemäss Ecoplan auch in der Finanzierung spiegeln, wogegen eine getrennte Betrachtung von Schiene und Strasse bei der Verkehrsfinanzierung nicht zielführend sei. Die Erkenntnisse von Ecoplan bestätigen denn auch die Grundrichtung der Vorlage «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur» (Fabi) des Bundesrates mit deren Kernelement zur Finanzierung, dem Bahninfrastrukturfonds (BIF).

Ja zur Grundversorgung mit unternehmerisch richtigen Anreizen


Die Regelung der Grundversorgung von Verkehrsinfrastrukturen ist das Thema der Studie von Infras. Aus Sicht der Praxis ist in diesem Zusammenhang insbesondere wichtig, dass ein regulatorischer Rahmen geschaffen wird, der Anreize für unternehmerisches Handeln setzt. Das Augenmerk sollte dabei auch auf unternehmerisch richtige Anreizsysteme für die abgeltungsberechtigten Bereiche gelegt werden.

Hohe Produktivität im internationalen Vergleich


In der Studie von Polynomics zur Produktivität der Verkehrsinfrastruktur ist die SBB als Eisenbahnverkehrsunternehmen und als Infrastrukturbetreiberin direkt angesprochen. Die zentralen Ergebnisse der Studie bestätigen die bisher geleisteten Anstrengungen der SBB: Bezüglich technischer Effizienz gehörte die SBB 2004 und 2009 im internationalen Vergleich zu den besten, und bezüglich Kosteneffizienz konnte sich die SBB von einer mittelmässigen Platzierung 2004 zu den besten im Jahr 2009 steigern. Diese Erkenntnisse belegen, dass die SBB nicht nur zu den leistungsfähigsten, sondern auch zu den produktivsten Bahnen gehört.Es lässt sich einwenden, dass die Produktivität der SBB schon x-fach gemessen wird. So verlangt auch der Bund als Eigner der Unternehmung in einem jährlichen Rechenschaftsbericht zur Erreichung der vorgegebenen Ziele Auskunft zu Produktivitätskennzahlen (vgl. Kasten 1

Internationales Benchmarking versus einfache Produktivitätskennzahlen


Gemäss Unternehmensstatistik der SBBa haben sich auf Ebene Konzern drei von vier Produktivitätskennzahlen verbessert. Im Gegensatz dazu ist der Betriebsaufwand pro Personenzugkilometer gestiegen; diese Produktivitätskennzahl hat sich also verschlechtert. Ist dies ein Widerspruch zu den Ergebnissen von Polynomics? Nein, und zwar aus verschiedenen Gründen: Einerseits bezieht sich Polynomics auf die SBB als Ganzes, die erwähnte Produktivitätskennzahl nur auf den Personenverkehr. Die Kennzahlen zum Güterverkehr und zur Infrastruktur zeigen eine steigende Produktivität. Andererseits gelten die Aussagen von Polynomics relativ zu anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen mit vergleichbaren regulatorischen und marktgegebenen Rahmenbedingungen. Solche Rahmenbedingungen, die von den einzelnen Unternehmen nicht frei beeinflusst werden können, sind in die Beurteilung der Produktivitätsentwicklung einzubeziehen.

a Vgl. Die SBB in Zahlen und Fakten 2010, S. 7.). Worin liegt nun der Mehrwert der Studie?− Erstens ist die in der Studie angewendete Methode zur Produktivitätsmessung differenzierter: Es werden nicht einfach zwei Messgrössen zueinander in Beziehung gesetzt, sondern es wird eine so genannte Produktionsfunktion hinterlegt, d.h. mehrere Inputs generieren einen Output – beispielsweise Zugkilometer. Beurteilt wird, wie effizient diese Zugkilometer produziert werden. Dabei verwendet Polynomics bewährte Methoden, die in anderen Netzsektoren – wie zum Beispiel der Elektrizitätswirtschaft – seit Jahren für Benchmarkings verwendet werden.− Zweitens erfolgt die Produktivitätsmessung im internationalen Vergleich relativ zu anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen. Immer wichtiger werdende internationale Standards und internationalisierte Beschaffungsmärkte generieren Branchentrends, denen sich eine einzelne Unternehmung kaum entziehen kann. Der relative Vergleich über verschiedene Unternehmen derselben Branche stellt sicher, dass solche Branchentrends berücksichtigt werden.Der relative Vergleich von Polynomics ist eine wichtige Ergänzung zu den bisher vorherrschenden absoluten Kennzahlen-Vergleiche. Die SBB ist erfreut, dass der Bund den Handlungsbedarf erkannt und mit der Studie einen ersten wichtigen Grundstein zur Weiterentwicklung der Produktivitätsmessungen im Schweizer Schienenverkehr gelegt hat.

Grafik 1: «Nachfragewachstum im Personenverkehr»

Kasten 1: Internationales Benchmarking versus einfache Produktivitätskennzahlen

Internationales Benchmarking versus einfache Produktivitätskennzahlen


Gemäss Unternehmensstatistik der SBBa haben sich auf Ebene Konzern drei von vier Produktivitätskennzahlen verbessert. Im Gegensatz dazu ist der Betriebsaufwand pro Personenzugkilometer gestiegen; diese Produktivitätskennzahl hat sich also verschlechtert. Ist dies ein Widerspruch zu den Ergebnissen von Polynomics? Nein, und zwar aus verschiedenen Gründen: Einerseits bezieht sich Polynomics auf die SBB als Ganzes, die erwähnte Produktivitätskennzahl nur auf den Personenverkehr. Die Kennzahlen zum Güterverkehr und zur Infrastruktur zeigen eine steigende Produktivität. Andererseits gelten die Aussagen von Polynomics relativ zu anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen mit vergleichbaren regulatorischen und marktgegebenen Rahmenbedingungen. Solche Rahmenbedingungen, die von den einzelnen Unternehmen nicht frei beeinflusst werden können, sind in die Beurteilung der Produktivitätsentwicklung einzubeziehen.

a Vgl. Die SBB in Zahlen und Fakten 2010, S. 7.

Zitiervorschlag: Stephan Osterwald (2011). Die Forschungsergebnisse aus der Sicht der Praxis: Ein Kommentar. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.