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Verkehrsinfrastrukturen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung

Verkehrsinfrastrukturen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung

Das Postulat ist so einfach wie geläufig: Verkehrsinfrastrukturen sind teuer, aber von grossem wirtschaftlichen Nutzen. Zumindest die erste Hälfte dieser Aussage lässt sich unschwer belegen: Gemäss einer aktuellen Studie
Vgl. Schalcher H.-R. et. al. (2011): Was kostet das Bauwerk Schweiz in Zukunft und wer bezahlt dafür? Fokusstudie Nationales Forschungsprogramm NFP 54 Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung. beträgt der Wiederbeschaffungswert der im Verantwortungsbereich des Bundes liegenden nationalen Landverkehrs-Infrastrukturnetze rund 150 Mrd. Franken; davon entfallen ca. 50 Mrd. Franken auf das Nationalstrassennetz und 100 Mrd. Franken auf das Schienennetz (SBB und Privatbahnen). Wie steht es aber mit dem wirtschaftlichen Nutzen der Verkehrsinfrastrukturen?



Eine Studienreihe des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) soll mehr Klarheit darüber schaffen, wie gross der volkswirtschaftliche Nutzen von Verkehrsinfrastrukturen ist (siehe Kasten 1

Angaben zu den Studien


− Vaterlaus S., Zenhäusern P., Leukert K., Suter S., Fischer B. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Finanzierungsansätze für Verkehrsinfrastrukturen und deren Einfluss auf die Produktivität. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/1, Bern.− Peter M., Bertschmann-Aeppli D, Zandonella R, von Stokar T., Wanner K. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Grundversorgung mit öffentlichen Verkehr. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/2, Bern.− Suter S., Lieb C. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Finanzierung und verursachergerechte Kostenanlastung im Verkehrsbereich. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/3, Bern.− Bruns F., Buser B. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Kosten und Nutzen von grossen Verkehrsinfrastrukturprojekten. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/4, Bern.− Müller U., Segovia C., Scherrer C., Babuc N. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Erreichbarkeit und Wirtschaftsentwicklung. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/5, Bern.

). Zwar gibt es Indizien, die dafür sprechen, dass die qualitativ hoch stehenden Infrastrukturnetze in der Schweiz einen positiven Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes ausüben. So schneidet die Schweiz bei internationalen Rankings der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit regelmässig mit einem Spitzenplatz ab und rangiert gerade bei der Qualität der Infrastrukturen im weltweiten Vergleich meist ganz vorne. Aber Indizien sind keine wissenschaftlichen Beweise.

Historische Rolle des Verkehrswesens


Ein Blick auf die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass zu allen Zeiten besonders jene Regionen und Nationen wohlhabend und mächtig waren, die über einen komparativen Vorteil im Verkehrswesen verfügten. Lange Zeit war vor allem die Seefahrt entscheidend: Dass ein so kleines, peripheres und an natürlichen Ressourcen armes Land wie Portugal zu einer kolonialen Grossmacht − ja zeitweise sogar Weltmacht − aufsteigen konnte, war einzig und allein seiner leistungsfähigen Handelsflotte zu verdanken. Später übertrug sich diese Regel auf den Landverkehr, als im 19. Jahrhundert die Eisenbahn die Rolle des massgeblichen Treibers von Industrialisierung und Modernisierung übernahm. Kein Wunder wurde der Ausbau des Schienennetzes auf dem Kontinent fast überall staatlich gefördert, um den Rückstand gegenüber den britischen Pionieren aufzuholen; jede Gemeinde suchte Anschluss an dieses Netz, koste es beinahe, was es wolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen dann Automobil und Flugzeug – und mit ihnen Autobahnen und Grossflughäfen – zu den Insignien des Fortschritts und zu den Symbolen von Wachstum und Wohlstand auf.In der durch beinahe grenzenlose Mobilität gekennzeichneten Ära der Globalisierung ist Erreichbarkeit zum zentralen Schlüssel für Standortattraktivität avanciert. Wer im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb mithalten will, braucht leistungsfähige Verkehrsinfrastrukturen. Und wer sich in diesem Wettbewerb nach oben arbeiten will, braucht noch leistungsfähigere Verkehrsinfrastrukturen: Es ist sicher kein Zufall, dass sich der weltgrösste Hafen in Schanghai befindet, und der weltgrösste Flughafen in Dubai entsteht.

Wechselwirkungen zwischen Infrastruktur und Wirtschaftswachstum


Die Sache wird schwieriger, wenn man versucht, diese augenfälligen Hinweise mit harten Zahlen zu belegen, d.h. einen signifikanten und robusten Zusammenhang zwischen Bestand und Ausbau der Verkehrsnetze einerseits sowie Niveau und Dynamik der Wertschöpfung anderseits herzuleiten. Das liegt zum einen an der oft dürftigen Datenlage, vor allem aber an der unerhörten Komplexität der Wechselwirkungen zwischen Infrastruktur und Wirtschaftswachstum. Zunächst gilt: Ohne Infrastruktur keine Wertschöpfung – Mobilität ist ein unerlässliches Basisgut für sämtliche produktiven und konsumtiven Zwecke. Das ist letztlich auch der Grund, warum es fast überall auf der Welt der Staat als seine Aufgabe ansieht, die Verkehrsnetze zu bauen oder zumindest (mit) zu finanzieren. Infrastrukturen ermöglichen also Wachstum. Aber bis zu welchem Grad fördern sie es? Wirtschaftswachstum ist – grob gesagt – das Ergebnis aus Beschäftigungsentwicklung und Produktivitätsfortschritt. Ein neues Autobahnteilstück oder ein neuer Bahntunnel kann in der dadurch besser erschlossenen Region durchaus zur Ansiedlung von Arbeitsplätzen und Steuerzahlern führen, d.h. einen Beschäftigungszuwachs bewirken, der sonst nicht stattgefunden hätte. Gleichzeitig wird der Austausch von Waren und Personen erleichtert und beschleunigt. Dadurch nimmt der Perimeter von Beschaffungs- und Absatzmärkten zu – beides fördert die Produktivität. Dasselbe Verkehrsprojekt kann aber in einer anderen, nun relativ weniger gut erschlossenen Region die Abwanderung von Arbeitsplätzen und einen Rückschritt in der Wettbewerbsfähigkeit bewirken. Welcher Effekt dominiert, ist schwer zu bestimmen und hängt massgeblich von der Grösse des betrachteten Raumes ab. Hinzu kommt die uralte Frage nach dem Huhn und dem Ei: Sind Investitionen in Verkehrsinfrastrukturen die Ursache oder eher die Folge von wirtschaftlicher Entwicklung? Beides ist wohl bis zu einem gewissen Grad richtig. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind neue Arbeitsplätze in der Schweiz vor allem in den ehemals ländlichen Gebieten zwischen den städtischen Zentren entstanden. Das rasante Wachstum in diesen so genannten «Speckgürteln» der Agglomerationen war möglich, weil die Verkehrswege – zunächst die Nationalstrassen, später die Bahn – massiv ausgebaut wurden. Zugleich hat aber diese Entwicklung die Zersiedelung der Landschaft gefördert und mächtige Pendlerströme hervorgerufen, welche die Infrastrukturen zunehmend belasten und den Ruf nach deren Ausbau nach sich ziehen. Ist diese Spirale von sich gegenseitig anstossenden Nachfrage- und Angebotssteigerungen im Verkehr volkswirtschaftlich effizient? Oder anders gefragt: Könnte man die enormen Mittel, die für die Beseitigung der neuralgischsten Kapazitätsengpässe auf Strasse und Schiene benötigt werden, nicht anderweitig produktiver einsetzen, zumal man damit rechnen muss, dass die neu geschaffenen Transportkapazitäten durch den von ihnen selbst hervorgerufenen Mehrverkehr alsbald wieder aufgebraucht sein werden? Darauf kann die Wissenschaft keine verbindliche Antwort liefern, handelt es sich doch um eine eminent politische Frage. Die Wissenschaft kann hingegen helfen, die Beurteilung der dahinter stehenden Faktoren auf eine solide Grundlage zu stellen.

Studienreihe mit zwei Blickwinkeln


Die nachfolgend vorgestellte Studienreihe untersucht den volkswirtschaftlichen Nutzen von Verkehrsinfrastrukturen aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln: − Wie wirkt sich die Infrastruktur auf die globale Produktivität des sie umgebenden Wirtschaftsraumes aus? − Wie produktiv ist die Infrastruktur an sich, bezogen auf das Verhältnis von Aufwand (Finanzierung) und Ergebnis (Betrieb)?Dem ersten Aspekt gehen die Studien von Ernst Basler + Partner und von BAK Basel nach, dem zweiten Aspekt sind die Arbeiten von Polynomics und Ecoplan gewidmet, während die Studie von Infras beide Blickwinkel im Auge behält. Summarisch lassen sich die Ergebnisse der fünf Studien aus verkehrspolitischer Sicht so deuten, dass Investitionen in die Verkehrsnetze tatsächlich produktiv sind: Grosse Infrastrukturprojekte verbessern die Erreichbarkeit messbar, und gute Erreichbarkeit ist ein statistisch signifikanter Wachstumstreiber. Gleichzeitig erweisen sich die aktuell diskutierten Vorschläge zur Finanzierung des weiteren Ausbaus und Unterhalts der Verkehrsnetze als wirtschaftlich tragbar und bezüglich ihrer Allokations- und Verteilungswirkung ausgewogen. Allerdings zeigen sich auch die Grenzen des bisherigen Finanzierungssystems: Die Erkenntnis, dass von allen Finanzierungsoptionen eine distanzabhängige Benutzungsgebühr für Strasse und Schiene (Mobility Pricing) die volkswirtschaftlich bei weitem effizienteste wäre, dürfte wegweisend für die künftige Infrastrukturpolitik sein. Weiter bestätigt sich, dass die Schweizer Bahnen im internationalen Vergleich bemerkenswert effizient funktionieren, so dass die Erhöhung des Kostendeckungsgrades im öffentlichen Verkehr primär eine politische Herausforderung darstellt. Vorab im Bereich der politisch definierten Nachfrage nach Leistungen im regionalen Personenverkehr orten die Forscher beträchtliches Potenzial für betriebs- und volkswirtschaftliche Effizienzsteigerungen, wenn das heutige Bestellverfahren durch ein konsistentes Mobilitäts-Grundversorgungskonzept abgelöst würde, wie es analog in anderen Infrastruktursektoren zur Anwendung kommt. Es bleibt also reichlich Stoff für politische Diskussionen – auch wenn das eingangs erwähnte Postulat aus wissenschaftlicher Sicht inskünftig weniger Anlass zu Kontroversen geben dürfte.

Kasten 1: Angaben zu den Studien

Angaben zu den Studien


− Vaterlaus S., Zenhäusern P., Leukert K., Suter S., Fischer B. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Finanzierungsansätze für Verkehrsinfrastrukturen und deren Einfluss auf die Produktivität. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/1, Bern.− Peter M., Bertschmann-Aeppli D, Zandonella R, von Stokar T., Wanner K. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Grundversorgung mit öffentlichen Verkehr. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/2, Bern.− Suter S., Lieb C. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Finanzierung und verursachergerechte Kostenanlastung im Verkehrsbereich. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/3, Bern.− Bruns F., Buser B. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Kosten und Nutzen von grossen Verkehrsinfrastrukturprojekten. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/4, Bern.− Müller U., Segovia C., Scherrer C., Babuc N. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Erreichbarkeit und Wirtschaftsentwicklung. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/5, Bern.

Zitiervorschlag: Urs Weber (2011). Verkehrsinfrastrukturen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.