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Wo steht die Schweizer Finanzmarktstrategie?

Die Finanzmarktkrise 2008/09 und ihre Folgeerscheinungen haben Schwächen im internationalen Finanzsystem aufgezeigt und zu tiefgreifenden Veränderungen auf den Finanzmärkten geführt. Was viele bis vor kurzem für unmöglich gehalten haben, ist heute Wirklichkeit. Der Bundesrat hat noch während der Finanzmarktkrise die neue Ausgangslage zum Anlass genommen, die Ziele und strategischen Stossrichtungen seiner Politik zu klären und neu festzulegen, um damit die Grundlage für einen zukunftsfähigen schweizerischen Finanzplatz zu schaffen. Wichtige Massnahmen konnten bis dato umgesetzt werden. Doch die Arbeit ist damit nicht getan, denn der Schweizer Finanzplatz wird von immer neuen Entwicklungen herausgefordert.

Die Finanzmarktpolitik gestaltet sich aufgrund der globalen Verflechtung des Schweizer Finanzplatzes äusserst dynamisch. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet die Umsetzung der Ende 2009 vom Bundesrat festgelegten Finanzmarktstrategie und wirft einen kritischen Blick auf kommende Herausforderungen für den Schweizer Finanzplatz.

Rolle und Bedeutung einer Strategie


Prima vista ist alles einfach und klar: Dem Staat kommt die Aufgabe zu, gesamtwirtschaftlich sinnvolle Rahmenbedingungen für den Finanzsektor zu schaffen, vor allem im Bereich der Finanzmarktaufsicht und -regulierung sowie bei der Ausgestaltung der Besteuerung. Innerhalb dieses staatlich festgesetzten Rahmens bleibt es dem Privatsektor überlassen, möglichst erfolgreiche Geschäftsbereiche zu entwickeln. Betrachtet man Finanzmarktpolitik etwas näher, zeigt sich rasch ein differenzierteres Bild: Die Gestaltung der Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung von Wettbewerbsfähigkeit, Stabilität und Integrität ist eine komplexe und dynamische Angelegenheit. Sie kommt einer Gratwanderung gleich – einem stetigen Abwägen von Kosten und Nutzen sowie der Suche nach einem Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen. Der Blick auf die spezifische Situation in der Schweiz verdeutlicht, dass der prosperierende, international ausgerichtete Finanzsektor im Dienste der gesamten Volkswirtschaft steht. Gerade für ein rohstoffarmes Land wie die Schweiz bildet er eine wichtige Stütze für Wohlstand und Beschäftigung (vgl. Kasten 1

Bedeutung des Finanzsektors für die Schweizer Volkswirtschaft


Der Finanzsektor stellte 2010 mit einem gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsanteil von rund 11% eines der wichtigsten Branchenaggregate der Schweiz dar und trägt somit wesentlich zum Wohlstand bei. Über die Hälfte der Wertschöpfung wurde von den Banken erwirtschaftet, wovon wiederum fast die Hälfte im Private Banking generiert wurde. Anschliessend folgen die Versicherungen mit einem Anteil von einem Drittel und die sonstigen Finanzdienstleistungen mit rund einem Zehntel. Die Anteile an der nationalen Gesamtbeschäftigung (ca. 6%) und am gesamten Steueraufkommen von Bund, Kantonen und Gemeinden (weniger als 10%) waren ebenfalls bedeutend.

Quelle: EFD-Finanzstandort Schweiz, Kennzahlen.). Deshalb ist es entscheidend, die Zukunft durch gute Rahmenbedingungen nachhaltig zu sichern.

Finanzmarktpolitik des Bundes


Im Dezember 2009 hat der Bundesrat in seinem Bericht «Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik der Schweiz» die Anforderungen an einen zukunftsfähigen Schweizer Finanzplatz skizziert. Er nahm die tiefgreifenden Veränderungen auf den Finanzmärkten zum Anlass, die Ziele und strategischen Stossrichtungen seiner Politik zu klären (vgl. Kasten 2

Finanzmarktpolitik der letzten Jahre


− 2003 publizierte das EFD die «Leitlinien für die Finanzplatzpolitik» und formulierte erstmals eine aktive Politik zum Finanzplatz Schweiz. − 2005 folgte die EFD-Publikation «Richtlinien für Finanzmarktregulierung» mit Vorgaben für eine verhältnismässige, kostenbewusste und wirksame Regulierung der Finanzmärkte.− 2007 präsentierten die vier wichtigsten Branchenverbände erstmals eine gemeinsame Strategie, den «Masterplan Finanzplatz Schweiz». Daraufhin hat das EFD zusammen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden und Branchenverbänden den Steuerungsausschuss Dialog Finanzplatz Schweiz (Stafi) geschaffen. Dieses Gremium hatte den Auftrag, die von der Finanzbranche vorgeschlagenen Initiativen vertieft zu prüfen und gegebenenfalls Massnahmen zur Umsetzung vorzunehmen.− 2008 stand für die Behörden die Stärkung der Stabilität des schweizerischen Finanzsystems im Vordergrund (u.a. Unterstützung UBS, Verstärkung des Einlegerschutzes, schärfere Eigenmittelvorschriften für Grossbanken).− 2009 legt der Bundesrat im Bericht «Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik der Schweiz» seine Finanzmarktpolitik fest.− 2010 wurde das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) operativ tätig; Umsetzung der Finanzmarktstrategie.

). Die Strategiearbeiten der Behörden wurden von Anfang an durch eine gemischte Arbeitsgruppe, in der die wichtigsten Verbände des Finanzsektors vertreten waren, begleitet. Dieser Dialog mit der Finanzbranche konnte im Rahmen des neu geschaffenen Forums Finanzplatz weitergeführt und vertieft werden. Das Festlegen einer Strategie ist wertlos ohne eine konsequente Umsetzung. Der Bundesrat hat deshalb nicht nur eine breite Palette von insgesamt 25 bereits in Umsetzung begriffenen, geplanten oder zu prüfenden Massnahmen vorgeschlagen, sondern gleichzeitig auch eine interdepartementale Arbeitsgruppe IDA Finanzmarktpolitik mit der Begleitung der Umsetzung der Massnahmen beauftragt.
Die IDA Finanzmarktpolitik wird vom Staatssekretär SIF geleitet. Neben dem Eidg. Finanzdepartement (EFD) sind das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), das Eidg. Volkswirtschaftsdepartemente (EVD), das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) sowie die Schweizerische Nationalbank (SNB) und die Finanzmarktaufsicht (Finma) in diesem Gremium vertreten. Seit März 2010 ist das neu geschaffene Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) operativ tätig. Es ist verantwortlich für die internationalen Finanz-, Steuer- und Währungsangelegenheiten sowie die Finanzmarktpolitik.

Massnahmenpaket des Bundesrates


Nachfolgend ein aktueller Überblick über eine Auswahl wichtiger Massnahmen im Bereich der internationalen Finanz- und Steuerfragen:

Wettbewerbsfähigkeit


Mit gezielten Massnahmen zur Verbesserung der generellen regulatorischen und steuerlichen Rahmenbedingungen will der Bundesrat die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes nachhaltig stärken. Verschiedene regulatorische Anpassungen – beispielsweise im Börsen-
Änderung der Börsenverordnung, damit nichtbeaufsichtigte ausländische Eigenhändler zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen wie Schweizer Eigenhändler Mitglied einer Schweizer Börse werden können. oder Versicherungsbereich
Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). – sollen die Attraktivität steigern. Im Sinne einer längerfristigen Optimierung des Schweizer Steuersystems sollen marktverzerrende Wirkungen minimiert werden. Zu diesem Zweck hat die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) – im Auftrag des Bundesrates – Möglichkeiten zur Finanzierung einer über eine längere Zeitperiode gestaffelten Abschaffung der Stempelabgaben evaluiert und ihre Erkenntnisse Anfang Juli 2011 in einer Studie veröffentlicht. Das Parlament hat im Rahmen der Vorlage zur Stärkung der Stabilität im Finanzsektor (Too big to fail) in der Herbstsession 2011 bereits eine erste Weichenstellung vorgenommen und die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Obligationen und Geldmarktpapieren sowie die Befreiung der Beteiligungsrechte von der Emissionsabgabe beschlossen, sofern diese aus der Wandlung von Hybridkapital stammen. Damit können Schweizer Banken Contingent Convertible Bonds (CoCos) in der Schweiz zu international wettbewerbsfähigen Bedingungen begeben.
Bei der geplanten Umstellung der Verrechnungssteuer vom Schuldner- zum Zahlstellenprinzip soll eine zweite Hürde für internationale Investoren beseitigt werden (vgl. Botschaft zur Belebung des schweizerischen Kapitalmarktes vom 24. August 2011). Die Rahmenbedingungen werden damit für den Schweizer Kapitalmarkt insgesamt verbessert.

Marktzutritt


Für die Schweiz mit einem international kompetitiven Finanzplatz sind offene Märkte entscheidend. Aufgrund des kleinen Heimmarktes sind die Schweizer Finanzintermediäre auf einen guten Marktzugang im Ausland angewiesen, wobei aus Sicht des Standorts Schweiz der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung eine besondere Bedeutung zukommt. In verschiedenen Ländern haben die zuständigen Behörden als Folge der Finanzmarktkrise neue Massnahmen getroffen, die den grenzüberschreitenden Kapital- und Dienstleistungsverkehr direkt oder indirekt einschränken. Die Schweiz setzt sich im Rahmen einer aktiven bilateralen und multilateralen Aussenwirtschaftspolitik sowie durch regulatorische Anpassungen dafür ein, dass Schweizer Finanzmarktakteure einen diskriminierungsfreien Zugang zu ausländischen Märkten erhalten. Zu diesem Zweck sollen die engen bilateralen Kontakte des Eidg. Finanzdepartements (EFD) zu den massgeblichen Industrieländern verstärkt werden. Im Rahmen von so genannten bilateralen Finanzdialogen sollen privilegierte Kontakte mit Behörden ausgewählter Partnerstaaten aufgebaut werden. 2011 konnte die Schweiz mit Russland und Indien solche Finanzdialoge vereinbaren und entsprechende Memoranden unterzeichnen. Weitere Schwellenländer – wie China, Brasilien oder Südafrika – sollen folgen. Ebenfalls auf bilateraler Ebene ist der Marktzutritt Gegenstand der mit Deutschland und Grossbritannien unterzeichneten Abgeltungssteuerabkommen. Insbesondere eröffnet der erzielte Abbau von Zutrittshürden
Im Falle Deutschlands geht es vor allem um die erleichterte Anbahnung von Kundenbeziehungen im grenzüberschreitenden Verkehr. Insbesondere wird die Durchführung des Freistellungsverfahrens für Schweizer Banken in Deutschland vereinfacht und die Pflicht zur Anbahnung von Kundenbeziehungen über ein Institut vor Ort aufgehoben. Im Falle Grossbritanniens geht es vor allem um die Verminderung des bürokratischen Aufwands und um klare Leitlinien beim Anbieten von Finanzdienstleistungen. der Finanzbranche die Möglichkeit, Kunden mit grösserer Rechtssicherheit und Servicequalität grenzüberschreitend anzusprechen und zu beraten. Auf regulatorischer Ebene hat der Bundesrat am 6. Juli 2011 die Vernehmlassung für eine Teilrevision des Kollektivanlagengesetzes (KAG) eröffnet. Die Vorschriften des KAG betreffend Verwaltung, Verwahrung und Vertrieb von kollektiven Kapitalanlagen sollen an die neuen internationalen Standards angeglichen werden. Dadurch soll einerseits der Anlegerschutz sowie die Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Finanzmarktdienstleister verbessert werden. Andererseits soll Schweizer Finanzdienstleistern der Zugang zum EU-Markt erhalten bleiben.

Stabilität


Die Finanzkrise zwang viele Länder zu staatlichen Bankenrettungen, um die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaften sicherzustellen. Ein solches Engagement kann so weit führen, dass Länder nicht nur ihre finanziellen Handlungsspielräume verlieren, sondern aufgrund der damit entstehenden zusätzlichen Schuldenlast gar selbst gerettet werden müssen, wie das Beispiel von Irland verdeutlicht. Die Too-big-to-fail-Problematik führt ausserdem dazu, dass der Markt nicht ohne Wettbewerbsverzerrungen und Behinderung des Strukturwandels funktionieren kann. Auch die Schweiz musste 2008 ein grossangelegtes Massnahmenpaket erarbeiten, in dessen Zentrum die Stabilisierung der UBS stand.
Zwar konnte der Bund sein Engagement von 6 Mrd. Franken schon 2009 mit einem Gewinn von 1,2 Mrd. Franken veräussern; doch verbleiben im von der SNB eingerichteten StabFunds illiquide Aktiven in Milliardenhöhe (anfänglich 38,7 Mrd. US-Dollar). Um solche Gefahren für die Volkswirtschaft und die Steuerzahlenden zukünftig möglichst zu verhindern, setzte der Bundesrat am 4. November 2009 eine aus Vertretern von Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft bestehende Expertenkommission ein, die Ende September 2010 ihren Schlussbericht mit Empfehlungen vorgelegt hat. Der vorgeschlagene Policy-Mix enthält verschärfte Eigenmittelanforderungen, organisatorische Massnahmen (die im Krisenfall systemrelevante Funktionen sicherstellen), strengere Liquiditätsvorschriften sowie eine Begrenzung der Verflechtungen und Klumpenrisiken im Finanzsektor. Der Bundesrat hat den Expertenvorschlag in einem Gesetzesentwurf aufgenommen und konkretisiert. Zudem wurde eine Regulierungsfolgeabschätzung von den involvierten Behörden durchgeführt. Eine zügige Beratung im Parlament, die weitestgehend der bundesrätlichen Botschaft folgte, ermöglichte eine Verabschiedung am 30. September 2011.Obwohl andere Länder mit bedeutenden Finanzplätzen – wie etwa das Vereinigte Königreich – ähnliche Gesetzesvorlagen planen, nimmt die Schweiz mit ihrer Lösung international eine führende Rolle ein. Bei der Umsetzung der verschärften Basel-III-Vorschriften für alle Banken und Effektenhändler richtet sich die Schweiz grundsätzlich nach dem internationalen Fahrplan. Per 1. Januar 2013 sollen die strengeren Eigenmittelvorschriften in Kraft treten. In einem zweiten Schritt werden – nach einer Beobachtungsperiode – neue Vorschriften zur Liquidität und zur Höchstverschuldung (Leverage Ratio) eingeführt. Die vom Parlament beschlossene Stärkung des Einlegerschutzes sowie die verbesserte Zusammenarbeit der Finanzmarktbehörden
Der Bundesrat hatte das EFD am 18. August 2010 beauftragt, mit der SNB und der Finma eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit abzuschliessen. Ein entsprechendes Memorandum of Understanding (MoU) wurde am 17. Januar 2011 unterzeichnet. Dieses umfasst den Informationsaustausch zu Fragen der Finanzstabilität und Finanzmarktregulierung sowie die Zusammenarbeit im Falle einer Krise, welche die Stabilität des Finanzsystems bedrohen könnte. Die gesetzlich festgelegten Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der drei Behörden werden durch das MoU nicht verändert. sind weitere Massnahmen zur Stärkung der Stabilität. Nur ein stabiler Finanzsektor kann nachhaltig Wohlstand schaffen. Und schliesslich leistet die Schweiz durch ihr aktives Engagement in den wichtigsten internationalen Finanzgremien – wie dem Financial Stability Board (FSB), dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht und dem Internationalen Wahrungsfonds (IWF) – einen wichtigen Beitrag für die internationale Finanzstabilität.

Integrität


Die Finanzkrise hat einen breiten internationalen Konsens für eine effektivere und bessere Regulierung im Finanz- und Steuerbereich hervorgebracht. Die Schweiz will offensiv agieren und sich international mit innovativen und glaubwürdigen Vorschlägen im Finanz- und Steuerbereich einbringen. Die Schweiz soll sich als sicherer, erfolgreicher und weltweit respektierter Finanzstandort profilieren. Die beiden mit Deutschland und dem Vereinigten Königreich vereinbarten Abgeltungssteuerabkommen sehen vor, dass Personen mit Wohnsitz in den beiden Ländern ihre bestehenden Bankkonten in der Schweiz nachbesteuern und damit regularisieren können, indem sie entweder eine Einmalzahlung leisten oder ihre Konten offenlegen. Künftige Kapitalerträge und -gewinne unterliegen einer Abgeltungssteuer. Damit wird die Rechtssicherheit erhöht, und die Schweiz untermauert ihre Weissgeldstrategie von 2009. Das Modell der Abgeltungssteuer bildet eine nachhaltige Alternative zum automatischen Informationsaustausch der EU.
Das Abgeltungssteuermodell dient dazu, die berechtigten Steueransprüche der Staaten zu erfüllen, im Gegensatz zum automatischen Informationsaustausch jedoch unter Wahrung des Schutzes der Privatsphäre der Kunden. Weitere Abkommen sollen folgen. Das neue Steueramtshilfegesetz leistet künftig einen wichtigen Beitrag, dass sich der Schweizer Finanzplatz durch seine Stabilität, Berechenbarkeit und Integrität hervorhebt. Das Gesetz regelt den Vollzug der Amtshilfe in Doppelbesteuerungsabkommen und anderen Abkommen, insbesondere den darin vereinbarten Informationsaustausch gemäss OECD-Standard.

Herausforderungen für die Schweiz


Die konsequente Umsetzung der Strategie ist für alle Beteiligten eine grosser Aufgabe und benötigt viel Energie. Dazu gehört insbesondere die Weiterführung der von der Schweiz 2009 eingeschlagenen Weissgeldstrategie. Zudem haben sich aufgrund der internationalen Entwicklungen einige Herausforderungen akzentuiert, denen sich die Schweiz nicht entziehen kann. Sie umfassen – neben den erhöhten Risiken auf dem Schweizer Immobilienmarkt (vgl. Kasten 4

Risiken des schweizerischen Immobilienmarktes


Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen, dass der schweizerische Immobilienmarkt, der sich seit der grossen Immobilienkrise Anfang der 1990er-Jahre über lange Jahre vergleichsweise moderat entwickelt hat, plötzlich mit höheren Risiken konfrontiert ist. Starke Preissteigerungen konnten zwar nicht flächendeckend beobachtet werden, ergaben sich aber vor allem in Hotspots wie beispielsweise die Genferseeregion. Dazu trägt vor allem das rekordtiefe Zinsniveau bei. Dieses wird durch die aktuellen geldpolitischen Massnahmen aufgrund des starken Frankens zusätzlich gefördert. Aufgrund des starken Wettbewerbs zwischen den Hypothekaranbietern – wie Banken, Versicherungen oder Pensionskassen – verengten sich in den letzten Jahren die Margen, was die Risikoneigung einzelner Anbieter erhöht hat. Fehlende attraktive Anlagealternativen stimulieren zusätzlich höhere Immobilieninvestitionen. Schliesslich führt das heutige System der Wohneigentumsbesteuerung mit Eigenmietwert und Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen und werterhaltenden Unterhaltskosten zu einem steuerlichen Anreiz für Haushalte, ihre Verschuldung nicht zu reduzieren, wodurch sie gegenüber Zinserhöhungen und Preiskorrekturen zusätzlich exponiert sind. Ein zu hoher Leverage kann die Finanzstabilität gefährden, wie die schwere Immobilienkrise vor gut 20 Jahren auch in der Schweiz gezeigt hat. Die Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte übersteigt mit 605 Mrd. Frankena das BIP und ist im internationalen Vergleich hoch. Aufgrund dieser Situation hat der Bundesrat bekanntgegeben, dass er mit einer Änderung der Eigenmittelverordnung gegen die Überhitzungsgefahr im Hypothekarsektor antreten will. So sollen Hypothekarforderungen, die über die üblichen Belehnungs- und Tragbarkeitsnormen hinausgehen, durch die Banken zusätzlich mit Eigenmitteln unterlegt werden müssen. Zudem wird das EFD mit der Umsetzung der Eigenmittelvorschriften von Basel III die Einführung eines antizyklisch wirkenden Kapitalpuffers prüfen.b

a Vgl. SNB: Vermögen der privaten Haushalte, Medienmitteilung vom 19. November 2010.b Vgl. Medienmitteilungen EFD vom 17. August 2011 und 7. September 2011.) – die Schuldenkrise und die hohe Dynamik der Finanzmarktregulierung.Die aktuelle Schuldenkrise insbesondere in der Eurozone – u.a. als Folge der Stützung taumelnder Finanzinstitute und der Konjunktur in der Finanzkrise – birgt auch für die Schweiz und den Schweizer Finanzstandort mannigfache Risiken. Zum einen spürt die Schweiz die Auswirkungen des zu starken Schweizer Frankens, was eine Lähmung der Konjunktur und negative Wirkungen auf Arbeitsplätze, Sozialversicherungen und öffentliche Haushalte zur Folge haben kann. Die Finanzintermediäre sind mit tieferen Ergebnissen wegen ungünstiger Kosten-Ertragsverhältnisse konfrontiert. Düstere Konjunkturperspektiven erhöhen zudem die Gefahr von Zahlungsschwierigkeiten bei Kreditnehmern. Zum andern ergeben sich Auswirkungen aufgrund der starken internationalen Vernetzung der Finanzbranche. Auch wenn das direkte Engagement in Krisenländern wie Griechenland gering ist, so besteht die Gefahr, dass durch die Schieflage von grossen, international tätigen Banken und den dadurch ausgelösten Marktentwicklungen auch gesunde Finanzinstitutionen in den Abwärtssog gezogen werden könnten. Eindrückliches Beispiel hierfür war der Fall von Lehman Brothers 2008. Die hohe Schuldenlast und die Schwierigkeiten, Strukturreformen durchzuführen, die sich nicht zuletzt auch aufgrund der demografischen Alterung akut aufdrängen, stimmen für die mittelbare wirtschaftliche Zukunft in vielen Ländern pessimistisch. Ein schwaches Wirtschaftswachstum dieser Märkte würde die international ausgerichteten Schweizer Finanzinstitute ebenfalls treffen. Auch im Bereich der internationalen Finanzmarktregulierungen zeichnen sich grosse Herausforderungen für die Schweiz ab. Weltweit laufen die Regulierungsmaschinerien auf Hochtouren. Im Anschluss an die Finanzkrise hat neben den USA (Fatca
Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca): Teil eines im Jahr 2010 in Kraft getretenen US-Gesetzes, mit dem das US-Steuer-Reporting von ausländischen Finanzinstitutionen deutlich verschärft wurde./Dodd-Frank Act
Der Dodd–Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act (Dodd-Frank Act): US-Bundesgesetz, welches als Reaktion auf die Finanzmarktkrise von 2007, das Finanzmarktrecht der USA umfassend ändert.) auch die EU-Kommission eine umfassende Reform der EU Finanzmarktregulierung initiiert. Ziel der EU-Regulierungsinitiative ist die Transparenz und Stabilität der EU-Finanzmärkte in Umsetzung der Entscheidungen der G20 zu erhöhen. Zugleich soll die Harmonisierung und Integration des europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen vorangetrieben werden. Die Regulierungsinitiative umfasst über 25 Einzelregulierungen, welche die Kommission bis Ende 2011 ausarbeiten will, mit dem erklärten Ziel, sie Anfang 2013 in Kraft zu setzen. Die Revisionsbestrebungen werden die europäischen Finanzmärkte massgeblich umgestalten. Die EU-Finanzmarktregulierung soll verschärft, in ihrem Anwendungsbereich erweitert und an die Entwicklungen an den Finanzmärkten angepasst werden. Zudem besteht die Tendenz, den Marktzugang für Drittstaaten wie die Schweiz auf EU-Ebene zu harmonisieren. Ein Finanzdienstleister aus einem EU-Drittstaat erhält nur dann Zugang zum europäischen Finanzmarkt, wenn er sich dem EU-Recht unterwirft. Um also nur schon den Status Quo in der Frage des EU-Marktzugangs zu halten, drängen sich unter solchen Umständen Anpassungen im Schweizer Recht auf.

Fazit


Zwei Jahre nach der Verabschiedung der bundesrätlichen Finanzmarktpolitik lassen sich drei Punkte festhalten:− Erstens befindet sich die Umsetzung der Finanzmarktpolitik auf Kurs.
Vgl. Übersicht über die nationalen Regulierungsprojekte: http://www.finweb.admin.ch. Belege dafür sind die Ergebnisse bei der Umsetzung der Weissgeldstrategie oder zur Regulierung der Too-big-to-fail-Thematik. Auch der Dialog sowie die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Behörden und der Branche konnten weiter vertieft werden.− Zweitens zeigen die seit der Verabschiedung akzentuierten Herausforderungen – namentlich die aktuelle Schuldenkrise oder die Regulierungsentwicklung –, dass die Ziele und die Stossrichtungen nach wie vor stimmen. Die grosse Dynamik führte zu punktuellen Anpassungen des Massnahmenkatalogs. − Drittens gilt es zu akzeptieren, dass Finanzplatzthemen trotz Strategie und planmässiger Umsetzung auch in absehbarer Zukunft im Brennpunkt des öffentlichen Interesses bleiben werden. Dies ist nicht Ausdruck fehlendender Konzeption oder mangelndem Engagements, sondern illustriert die Vernetzung der internationalen Finanzmärkte und die hohe Bedeutung der Finanzbranche für das erfolgreiche Funktionieren der Volkswirtschaft.

Grafik 1: «Wertschöpfungsanteile der verschiedenen Bereiche des Finanzssektors, 2010»

Kasten 1: Bedeutung des Finanzsektors für die Schweizer Volkswirtschaft

Bedeutung des Finanzsektors für die Schweizer Volkswirtschaft


Der Finanzsektor stellte 2010 mit einem gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsanteil von rund 11% eines der wichtigsten Branchenaggregate der Schweiz dar und trägt somit wesentlich zum Wohlstand bei. Über die Hälfte der Wertschöpfung wurde von den Banken erwirtschaftet, wovon wiederum fast die Hälfte im Private Banking generiert wurde. Anschliessend folgen die Versicherungen mit einem Anteil von einem Drittel und die sonstigen Finanzdienstleistungen mit rund einem Zehntel. Die Anteile an der nationalen Gesamtbeschäftigung (ca. 6%) und am gesamten Steueraufkommen von Bund, Kantonen und Gemeinden (weniger als 10%) waren ebenfalls bedeutend.

Quelle: EFD-Finanzstandort Schweiz, Kennzahlen.
Kasten 2: Finanzmarktpolitik der letzten Jahre

Finanzmarktpolitik der letzten Jahre


− 2003 publizierte das EFD die «Leitlinien für die Finanzplatzpolitik» und formulierte erstmals eine aktive Politik zum Finanzplatz Schweiz. − 2005 folgte die EFD-Publikation «Richtlinien für Finanzmarktregulierung» mit Vorgaben für eine verhältnismässige, kostenbewusste und wirksame Regulierung der Finanzmärkte.− 2007 präsentierten die vier wichtigsten Branchenverbände erstmals eine gemeinsame Strategie, den «Masterplan Finanzplatz Schweiz». Daraufhin hat das EFD zusammen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden und Branchenverbänden den Steuerungsausschuss Dialog Finanzplatz Schweiz (Stafi) geschaffen. Dieses Gremium hatte den Auftrag, die von der Finanzbranche vorgeschlagenen Initiativen vertieft zu prüfen und gegebenenfalls Massnahmen zur Umsetzung vorzunehmen.− 2008 stand für die Behörden die Stärkung der Stabilität des schweizerischen Finanzsystems im Vordergrund (u.a. Unterstützung UBS, Verstärkung des Einlegerschutzes, schärfere Eigenmittelvorschriften für Grossbanken).− 2009 legt der Bundesrat im Bericht «Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik der Schweiz» seine Finanzmarktpolitik fest.− 2010 wurde das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) operativ tätig; Umsetzung der Finanzmarktstrategie.

Kasten 3: Finanzmarktstrategie der Schweiz

Finanzmarktstrategie der Schweiz


Strategische Ziele:

− Erbringung hochwertiger Dienstleistungen für die Volkswirtschaft;− Sicherstellung guter Rahmenbedingungen für eine wertschöpfungsstarke Finanzbranche;− Sicherstellung einer hohen Finanzstabilität;− Erhaltung der Integrität und Reputation des Finanzplatzes.

Den Zielen angehängt sind die vier strategischen Stossrichtungen:

− Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors;− Sicherung und Verbesserung des Marktzutritts;− Verbesserung der Krisenresistenz des Finanzsektors und des Umgangs mit systemrelevanten Finanzunternehmen;− Sicherstellung der Integrität des Finanzplatzes.

Quelle: Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik der Schweiz, 2009.
Kasten 4: Risiken des schweizerischen Immobilienmarktes

Risiken des schweizerischen Immobilienmarktes


Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen, dass der schweizerische Immobilienmarkt, der sich seit der grossen Immobilienkrise Anfang der 1990er-Jahre über lange Jahre vergleichsweise moderat entwickelt hat, plötzlich mit höheren Risiken konfrontiert ist. Starke Preissteigerungen konnten zwar nicht flächendeckend beobachtet werden, ergaben sich aber vor allem in Hotspots wie beispielsweise die Genferseeregion. Dazu trägt vor allem das rekordtiefe Zinsniveau bei. Dieses wird durch die aktuellen geldpolitischen Massnahmen aufgrund des starken Frankens zusätzlich gefördert. Aufgrund des starken Wettbewerbs zwischen den Hypothekaranbietern – wie Banken, Versicherungen oder Pensionskassen – verengten sich in den letzten Jahren die Margen, was die Risikoneigung einzelner Anbieter erhöht hat. Fehlende attraktive Anlagealternativen stimulieren zusätzlich höhere Immobilieninvestitionen. Schliesslich führt das heutige System der Wohneigentumsbesteuerung mit Eigenmietwert und Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen und werterhaltenden Unterhaltskosten zu einem steuerlichen Anreiz für Haushalte, ihre Verschuldung nicht zu reduzieren, wodurch sie gegenüber Zinserhöhungen und Preiskorrekturen zusätzlich exponiert sind. Ein zu hoher Leverage kann die Finanzstabilität gefährden, wie die schwere Immobilienkrise vor gut 20 Jahren auch in der Schweiz gezeigt hat. Die Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte übersteigt mit 605 Mrd. Frankena das BIP und ist im internationalen Vergleich hoch. Aufgrund dieser Situation hat der Bundesrat bekanntgegeben, dass er mit einer Änderung der Eigenmittelverordnung gegen die Überhitzungsgefahr im Hypothekarsektor antreten will. So sollen Hypothekarforderungen, die über die üblichen Belehnungs- und Tragbarkeitsnormen hinausgehen, durch die Banken zusätzlich mit Eigenmitteln unterlegt werden müssen. Zudem wird das EFD mit der Umsetzung der Eigenmittelvorschriften von Basel III die Einführung eines antizyklisch wirkenden Kapitalpuffers prüfen.b

a Vgl. SNB: Vermögen der privaten Haushalte, Medienmitteilung vom 19. November 2010.b Vgl. Medienmitteilungen EFD vom 17. August 2011 und 7. September 2011.

Zitiervorschlag: Fred Buerki Kronenberg, David Gerber, (2011). Wo steht die Schweizer Finanzmarktstrategie. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.