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Zwischen residentieller Integration und Segregation: Herausforderung für die Städte

Der in ganz Westeuropa zunehmende ethnische Pluralismus hat die Diskussion um die residentielle Segregation angeheizt. In der Schweiz ist dieses Phänomen allerdings noch wenig bekannt. Eine kürzlich verfasste Studie der Universität der italienischen Schweiz (USI) zeigt, dass in Lugano
Die Analyse umfasste das Gebiet und die Wohnbevölkerung von «Nuova Lugano» (Definition von 2008) mit seinen alten Gemeinden, die sich inzwischen zu Quartieren entwickelt haben, sowie von sieben weiteren Gemeinden der Region Lugano: Paradiso, Massagno, Capriasca, Agno, Bioggio, Collina d’Oro und Cadempino. – trotz des grossen Anteils an Ausländerinnen und Ausländern in der Bevölkerung – die Konzentration der einzelnen eingewanderten Gruppen noch nicht so hoch ist, dass man von einer sozialen Isolierung sprechen könnte. Dennoch sind in einzelnen Quartieren bestimmte Volksgruppen und Nationalitäten auffallend stark vertreten. Diese räumliche Verteilung hängt gemäss den Ergebnissen der Studie nicht allein von sozialwirtschaftlichen Faktoren ab, sondern auch von den individuellen Präferenzen der Personen in Bezug auf die ethnische Zusammensetzung der eigenen Nachbarschaft.

Ethnischer Pluralismus und die Stadt


Die soziale Integration in den Wohngebieten stellt für die Stadtentwicklung heute eine der grössten Herausforderungen dar. Dabei tauchen zwei Hauptprobleme auf: einerseits die immer markantere räumliche Trennung zwischen der wohlhabenden Bevölkerung und den weniger gut situierten Gesellschaftsschichten und andererseits die geografische Trennung zwischen Einwohnergruppen verschiedener Herkunft, Kultur und Religion. Dieses als ethnische oder sozialwirtschaftliche residentielle Segregation bekannte Phänomen ist Thema zahlreicher Untersuchungen in den USA. Seit kurzem wird ihm aber auch in den Grossstädten Europas immer grössere Aufmerksamkeit zuteil.Von residentieller Segregation spricht man, wenn sich Einwohnergruppen mit unterschiedlicher Herkunft oder unterschiedlichem sozialwirtschaftlichem Profil nicht in den gleichen Quartieren niederlassen. Dies muss nicht per se negativ sein. Es kann für die diversen ethnischen Gruppen sogar Vorteile bringen, zumal sie so ihre Kultur, Sprache und Bräuche bewahren können. Auch der Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt wird damit erleichtert. Wenn die Konzentration ähnlicher Profile allerdings ein gewisses Niveau übersteigt und zur Trennung von den «Andern» wird, kann es zu Problemen kommen, die man in modernen Städten häufig antrifft: soziale Ausgrenzung und Isolierung, Bildung von «Ghettos» und Konzentration von Armut.

Ursachen solcher Trends


Dass es bei Volksgruppen zu einer hohen Konzentration – oder zum anderen Extrem, einer starken Zerstreuung – kommt, kann das Ergebnis einer Vielzahl von Prozessen sein. Dies kann durch das Verhalten der Ausländerinnen und Ausländer hervorgerufen werden (soziale Mobilität, Integration, Präferenzen bei der Wahl des Wohngebiets), oder eine Folge des von Bevölkerung, Privatsektor und staatlicher Politik verursachten städtischen Wandels sein. Je nach Ursache kann die ethnische Segregation gewollt oder ungewollt sein. Zieht man es beispielsweise vor, in der Nähe von Personen gleicher Nationalität zu wohnen und wählt das Wohnquartier entsprechend aus, entspricht dies einer gewollten ethnischen Konzentrationen. Als Folge davon entstehen monoethnische Stadtviertel. Sind die Ausländerinnen und Ausländer jedoch wegen ihres Einkommensniveaus oder wegen der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt bei der Wahl ihres Wohnquartiers eingeschränkt, kann dies zu verschiedenen Formen ungewollter ethnischer Ausgrenzung und Segregation – sowie als Konsequenz zur Entstehung multiethnischer Immigrantenquartiere – führen. Diese Quartiere sind in der Regel sozialwirtschaftlich benachteiligt. Soll die Städtepolitik hier Abhilfe schaffen, müssen die effektiven Ursachen eruiert werden, um allfälligen negativen Folgen effizient entgegenwirken zu können.

Ausländische Bevölkerung in Lugano


Lugano gehört zu den Schweizer Städten mit dem höchsten Ausländeranteil, ist dieser mit rund 40% (vgl. Tabelle 1) doch praktisch doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt (22%
Statistik der ausländischen Wohnbevölkerung (Petra) 2009, Bundesamt für Statistik (BFS), Neuenburg.). Die Hälfte der Ausländerinnen und Ausländer sind italienische Staatsangehörige. Weitere 15,5% stammen aus den restlichen EU15-Ländern, Nordamerika und Australien. Migrantinnen und Migranten aus anderen Ländern machen 31,4% der gesamten ausländischen Bevölkerung aus. Von den Staatsangehörigen aus Drittländern, die als Arbeitskräfte, auf der Suche nach Asyl oder im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz gekommen sind, stammen die meisten aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei (16,9% bzw. 2,3%). Staatsangehörige aus Osteuropa, Asien, Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten machen insgesamt 12,2% der ausländischen Bevölkerung aus.

Multiethnische Quartiere und Gemeinden der Region Lugano


Insgesamt variiert der Ausländeranteil des in der Studie untersuchten Gebiets stark: In den peripheren Gemeinden beträgt er 12%-30% der Bevölkerung, während er in den städtischen Quartieren bis zu 57% erreicht. Diese räumliche Verteilung deckt sich mit dem restlichen Europa, wo in gemischten Wohnquartieren zahlreiche verschiedene Volksgruppen und Nationalitäten zusammenleben. Im Gegensatz dazu sind in Amerika monoethnische Stadtviertel vorherrschend. Die gegenwärtige Konzentration der einzelnen Ausländergruppen in den untersuchten Quartieren hält sich in Grenzen, was unter anderem auch der kompakten Städteform und einem breiten Wohnmix zu verdanken ist. Dennoch finden sich auf dem untersuchten Gebiet in bestimmten Wohngegenden mehr oder weniger grosse Ansammlungen von Volksgruppen und Nationalitäten. Diese widerspiegeln eine gewisse sozialräumliche Hierarchie der Stadt, wobei Staatsangehörige aus den EU15-Ländern und Nordamerika vor allem in den exklusiveren Stadtteilen vertreten sind (vgl. Grafik 1, Karten C und D), während andere Migrantinnen und Migranten grösstenteils in den grossen Wohnquartieren rund um das Altstadtzentrum leben (Karten A und B). Daraus könnte man schliessen, dass diese räumliche Verteilung vor allem von sozialwirtschaftlichen Faktoren herrührt. Untersucht werden muss aber auch, ob die verschiedenen Volksgruppen jeweils individuelle Präferenzen haben, die zu solchen Segregationsphänomenen führen.

Das Experiment Lugano


Ausgehend von der beschriebenen Analyse versuchten wir die Dynamik und die Ursachen zu ergründen, die zur Bildung der bestehenden ethnischen Gruppen geführt haben. Ausserdem wollten wir eruieren, ob die Konzentration bestimmter Volksgruppen oder Nationalitäten in Lugano aufgrund der gewollten Segregation bestimmter ethnischer Gruppen entstanden ist. Dazu haben wir mittels eines vom Istituto Ricerche Economiche (IRE) im September und Oktober 2010 durchgeführten ökonomischen Experiments analysiert, welches Wohnquartier 133 schweizerische und ausländische Haushalte in der Stadt oder in den anderen sieben Gemeinden auswählen würden. Diese Analyse sollte die Präferenzen der Haushalte bezüglich der in der Nachbarschaft lebenden Nationalitäten bzw. der Präsenz von Angehörigen gleicher Nationalität und von Ausländerinnen und Ausländern im gleichen Wohnquartier aufzeigen. Jedem befragten Haushalt wurden zwölf verschiedene Auswahlaufgaben vorgelegt, bei denen jeweils drei Nachbarschaftssituationen zur Auswahl standen. Dies ergab 1566 gültige «Aussagen». Die entsprechenden Umfragedaten wurden mittels Discrete-Choice-Modellen analysiert (siehe Kasten 1

Methodischer Rahmen: Discrete-Choice-Modelle


Diese vom Ökonomen Daniel L. McFadden entwickelten Modelle dienen dazu, die Entscheidungsprozesse der Personen bei der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen zu analysieren. Mit diesen Modellen können die Präferenzen der Personen für verschiedene Güter und für verschiedene Eigenschaften dieser Güter empirisch ermittelt werden. Daraus lassen sich Prognosen für die Auswahlwahrscheinlichkeit (Human Decision Making Behavior) entwickeln, und der monetäre Wert lässt sich schätzen, den die Personen einer bestimmten Verbesserung des Guts oder der gewünschten Eigenschaft beimessen. Die für ihre überzeugenden Ergebnisse und ihre Vielseitigkeit geschätzten Discrete-ChoiceModelle gelangen heute sehr breit zur Anwendung. Abgesehen vom in dieser Studie analysierten Phänomen im Wohnsektor werden diese Modelle auch in den Bereichen Transport, Umwelt, Marketing und in anderen Zusammenhängen verwendet.Die vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierte Studie wurde zwischen 2007 und 2010 von zwei Forschungszentren der USI, dem Istituto Ricerche Economiche (IRE) und dem MACSLab durchgeführt. Damit sollten unter Berücksichtigung wirtschaftlicher sowie städtepolitischer und sozialer Aspekte Antworten auf einige der wichtigsten Fragen zum Thema residentielle Segregation gefunden werden. Insbesondere wollte man untersuchen, ob und in welchem Ausmass dieses Phänomen bei uns existiert und welche Faktoren dafür verantwortlich sind.

).

Einfluss der ethnischen Präferenzen auf die Wahl des Wohnquartiers

Wohnen in der Nähe von Personen gleicher Nationalität


Die bei der Umfrage zur Wahl des Wohnquartiers gesammelten Daten wurden mittels Discrete-Choice-Modellen ausgewertet und ergaben interessante Ergebnisse. Beginnen wir zunächst mit dem wichtigsten Ergebnis, das die Hauptfrage der Untersuchung beantwortet: Existiert in der Region Lugano eine gewollte ethnische Segregation? Die Resultate zeigen, dass die Befragten am liebsten in der Nähe von Personen gleicher Nationalität leben, dass dies für die Wahl des Wohnquartiers letztlich jedoch nicht entscheidend ist. Der Einfluss dieser Präferenz ist – monetär ausgedrückt – effektiv relativ gering. So wären beispielsweise die Befragten unter sonst gleichen Umständen bereit, für 10% mehr Angehörige der gleichen Nationalität im gleichen Wohnquartier monatlich 29 Franken mehr Miete zu bezahlen. Dies entspricht in unserer Studie einer Erhöhung von 2% einer durchschnittlichen Monatsmiete von 1350 Franken.Je nach Herkunft der Befragten variieren diese Präferenzen allerdings. Insbesondere Ausländerinnen und Ausländer aus westlichen Ländern sowie Schweizerinnen und Schweizer äusserten klarere Präferenzen in Bezug auf die Nähe von Personen ihrer eigenen Nationalität als Angehörige von Drittstaaten. Neben der Herkunft spielt hier auch das Bildungsniveau der einzelnen Personen eine wichtige Rolle. Bei Einwohnerinnen und Einwohnern mit höherer Ausbildung ist die bereits schwache Neigung zur Segregation noch weniger ausgeprägt: Die Bereitschaft, dafür zu bezahlen, um in einem Quartier mit grösserer Konzentration von Personen gleicher Nationalität zu wohnen, ist praktisch gleich null.

Wohnen in multiethnischen Quartieren


Die Analyse der Präferenzen in Bezug auf die Präsenz anderer ethnischer Gruppen im Wohnquartier zeigt, dass Quartiere mit einem geringeren Anteil an Ausländerinnen und Ausländern und folglich mit einer Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern bevorzugt werden. Unter sonst gleichen Umständen wären die Befragten – monetär ausgedrückt – bereit, in einem Quartier mit einem um 10% höheren Ausländeranteil zu wohnen, wenn die Miete dafür um 1,5%
Die Berechnung basiert auf einer Miete von 1350 Franken monatlich (Stichprobenmittel). reduziert würde. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass die Befragten eine Mietreduktion (Entschädigung) von 20 Franken monatlich (Stichprobenmittel) für einen um 10% höheren Ausländeranteil im Wohnquartier verlangen würden.Diese leichte – aus monetärer Sicht unwesentliche – Abneigung gegen Quartiere mit höherem Ausländeranteil, die sowohl bei den in- als auch bei den ausländischen Personen festgestellt wurde, könnte als negative Einstellung gegenüber multiethnischen Quartieren ausgelegt werden, die in den Augen der Befragten als weniger sicher gelten und weniger Infrastruktur aufweisen. Sie könnte aber auch als grössere Bereitschaft zur Integration in die lokale Bevölkerung seitens ausländischer Staatsangehöriger interpretiert werden.Doch nicht alle Befragten reagierten gleich auf ein multikulturelles Umfeld. So unterscheiden sich die Präferenzen der verschiedenen Haushalte insofern, dass ein Teil der Befragten die ethnische Vielfalt bei der Wohnumgebung und beim Stadtbild vorzieht. Die Gründe für diese Unterschiede waren aus den Analysen nicht ersichtlich. Die Präferenz für Multikulturalität war jedenfalls nicht von den sozialwirtschaftlichen und demografischen Eigenschaften der befragten Haushalte abhängig.
Auch unter Berücksichtigung verschiedener sozialwirtschaftlicher und demografischer Variablen in den analysierten Discrete-Choice-Modellen ergaben sich keine signifikanten Ergebnisse, die diese unterschiedlichen Präferenzen erklären würden. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass diese Präferenzen vermutlich durch die Haltung gegenüber «Ausländern» und einem «multiethnischen Umfeld» geprägt sind, die mit früheren Erlebnissen oder anderen sozialpsychologischen Faktoren zusammenhängt. Ausschlaggebend für Multikulturalität scheint also eher die individuelle Haltung als sozialwirtschaftliche Faktoren zu sein.

Einfluss der ethnischen Präferenzen auf die Dynamik der Segregation


Die Hauptergebnisse der Analyse in der Region Lugano zeigen, dass die ethnischen Konzentrationen nicht so gross sind, dass sich einzelne ethnische Gruppen von den anderen isolieren könnten. Dennoch ist es wichtig, die Faktoren zu identifizieren, welche für die bestehenden Konzentrationen verantwortlich sind, da sie die Wahl der Wohnquartiere von schweizerischen und ausländischen Haushalten beeinflussen könnten. Die Studie zeigt anhand des Wirtschaftsexperiments, dass die Befragten jene Quartiere leicht vorziehen, in denen mehr Personen gleicher Nationalität wohnen, dass sie aber gleichzeitig die Quartiere mit hohem Ausländeranteil lieber meiden. Dies verdeutlicht zum einen den Wunsch der Immigrantinnen und Immigranten, mit der eigenen Kultur und den eigenen Wurzeln in Kontakt zu bleiben, und zum anderen den Willen, sich ins soziale Netz des Gastgeberlandes zu integrieren.Aufgrund dieser Erkenntnisse können gewisse Überlegungen zum möglichen Einfluss der ethnischen Präferenzen auf die Dynamik der Segregation angestellt werden. Erstens bestätigen die Ergebnisse, dass sich positive externe Effekte aus der Nähe zu Personen gleicher Herkunft ergeben. Dies ist ein wichtiger Faktor für den Aufbau ethnischer Sozialnetzwerke, die neuen Immigrantinnen und Immigranten den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt erleichtern können. Andere soziale Aspekte könnten die Präferenzen für ethnische Konzentrationen langfristig ebenfalls verstärken, wie die Bewahrung der eigenen Sprache und Herkunftskultur, die Entstehung von und die Nähe zu Begegnungsorten oder das Angebot spezifischer landestypischer Produkte. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch der Einfluss des Bildungsniveaus auf diese Präferenzen. Die ethnische Segregation nimmt denn auch tendenziell ab, je besser die Personen ausgebildet sind. Die Berufsausbildung ist somit doppelt wichtig, da sie einerseits die sozialwirtschaftliche Mobilität, andererseits aber auch die residentielle Integration der ausländischen Personen im Gastgeberland begünstigt. Dies gilt insbesondere für die Immigrantinnen und Immigranten aus Drittstaaten. So ist es für Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus diesen Gemeinschaften wichtiger, mit anderen wohlhabenden Personen im gleichen Quartier zusammenzuleben, als in der Nähe Angehöriger gleicher Nationalität zu wohnen. Dieses Ergebnis lässt sich auch in anderen Ländern beobachten und wird als Wunsch interpretiert, die soziale Leiter hinaufzuklettern und ein vergleichbares sozialwirtschaftliches Niveau wie die inländische Bevölkerung zu erreichen.Ferner kann die ethnische Konzentration in den Quartieren durch Unterschiede bei den ethnischen Präferenzen der verschiedenen Einwohnergruppen beeinflusst werden. So kann beispielsweise die Präferenz von Personen gleicher Nationalität in Kombination mit einer Aversion gegenüber einem hohen Ausländeranteil in der Nachbarschaft bewirken, dass Gruppen vermögender Ausländerinnen und Ausländer sowie Einheimische ethnisch gemischte Quartiere meiden oder verlassen. Das führt unter Umständen zu einer stärkeren Segregation der weniger gut situierten Bevölkerung in gewissen Stadtteilen. Dieses von der gewollten Segregation einer oder mehrerer Bevölkerungsgruppen verursachte Phänomen, das die ungewollte Abgrenzung von den anderen zur Folge hat, kann dauerhafte Formen der Segregation nach sich ziehen: Es entstehen sogenannte «benachteiligte multiethnische Quartiere». Zahlreiche Studien beweisen denn auch, dass die Schichten an den äussersten Enden der sozialen Skala in der Regel eine stärkere Segregation aufweisen. Bei den privilegierten Gruppen ist dies gewollt, bei den marginalisierten nicht.Abgeleitet vom monetären Mass – d.h. der Bereitschaft, für bestimmte Eigenschaften des Wohnorts zu bezahlen – können wir schliesslich das Gewicht und die Bedeutung der ethnischen Präferenzen für die Wahl des Wohnorts quantifizieren und vergleichen. So können wir beurteilen, ob Voraussetzungen und Trends hin zu einer extremeren Form der Konzentration bestehen, die eventuell zu Segregationsphänomenen führen. Wie aus den Analysen ersichtlich ist, gehören für die befragten Personen ethnische Präferenzen – obwohl sie zweifelsohne bestehen – nicht zu den prioritären Kriterien bei der Wahl des Wohnquartiers. So sind die Befragten nicht unbedingt bereit, mehr zu bezahlen, um in einem Quartier mit einem höheren Anteil an Angehörigen der gleichen Nationalität zu wohnen.

Fazit


Wir müssen die Ursachen für eine mögliche residentielle Segregation kennen, um städte- und sozialpolitische Strategien zu erarbeiten und umzusetzen, die den negativen Effekten dieses Phänomens effizient entgegenwirken können und die einen besseren sozialen Zusammenhalt in den Wohnquartieren begünstigen. Angesichts der immer internationaleren Zusammensetzung der Schweizer Bevölkerung wäre es daher interessant, diese Studie in verschiedenen städtischen Zentren zu wiederholen. So könnte das Phänomen der ethnischen Segregation im gesamtschweizerischen Zusammenhang besser verstanden und dessen Ursachen identifiziert sowie die mögliche künftige Entwicklung untersucht werden.

Grafik 1: «Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung in den Quartieren und Gemeinden der Region Lugano, 2008»

Tabelle 1: «Wohnbevölkerung von Lugano gemäss Herkunftsland, 2008»

Kasten 1: Methodischer Rahmen: Discrete-Choice-Modelle

Methodischer Rahmen: Discrete-Choice-Modelle


Diese vom Ökonomen Daniel L. McFadden entwickelten Modelle dienen dazu, die Entscheidungsprozesse der Personen bei der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen zu analysieren. Mit diesen Modellen können die Präferenzen der Personen für verschiedene Güter und für verschiedene Eigenschaften dieser Güter empirisch ermittelt werden. Daraus lassen sich Prognosen für die Auswahlwahrscheinlichkeit (Human Decision Making Behavior) entwickeln, und der monetäre Wert lässt sich schätzen, den die Personen einer bestimmten Verbesserung des Guts oder der gewünschten Eigenschaft beimessen. Die für ihre überzeugenden Ergebnisse und ihre Vielseitigkeit geschätzten Discrete-ChoiceModelle gelangen heute sehr breit zur Anwendung. Abgesehen vom in dieser Studie analysierten Phänomen im Wohnsektor werden diese Modelle auch in den Bereichen Transport, Umwelt, Marketing und in anderen Zusammenhängen verwendet.Die vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierte Studie wurde zwischen 2007 und 2010 von zwei Forschungszentren der USI, dem Istituto Ricerche Economiche (IRE) und dem MACSLab durchgeführt. Damit sollten unter Berücksichtigung wirtschaftlicher sowie städtepolitischer und sozialer Aspekte Antworten auf einige der wichtigsten Fragen zum Thema residentielle Segregation gefunden werden. Insbesondere wollte man untersuchen, ob und in welchem Ausmass dieses Phänomen bei uns existiert und welche Faktoren dafür verantwortlich sind.

Zitiervorschlag: Tatjana Ibraimovic (2011). Zwischen residentieller Integration und Segregation: Herausforderung für die Städte. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.