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Die Chancen des europäischen Arbeitsmarktes nutzen

Die Chancen des europäischen Arbeitsmarktes nutzen

Die Offenheit der Schweiz ist bekannt und hat das Land geprägt. Seit dem 19. Jahrhundert haben sich immer wieder Erfinder, Pioniere und Tüftler aus dem Ausland hier niedergelassen. Bekannte Beispiele aus der Wirtschaft sind der Frankfurter Apotheker Heinrich Nestle oder die Begründer der späteren ABB, die beiden Ingenieure Charles Brown und Walter Boveri, englischer resp. deutscher Herkunft. Sie haben Unternehmen gegründet, welche die Weltökonomie bis ins 21. Jahrhundert prägen. Das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU/Efta (FZA) setzt diese Tradition fort.

Bei ABB sprechen die Erfahrungen eine deutliche Sprache. Seit 2002 konnten dank dem freien Personenverkehr gut ausgebildete Mitarbeitende aus dem europäischen Ausland rekrutiert werden. Von den zwischen Januar und Oktober 2011 bei ABB Schweiz neu eingestellten Fachkräften kamen vier von zehn aus dem EU-Raum; 83% davon stammen aus unseren Nachbarländern. ABB beschäftigt allein am Hauptsitz in Zürich-Oerlikon über 600 Mitarbeitende – ein grosser Teil davon aus dem Ausland. Für ABB Schweiz arbeiten 6600 Mitarbeitende; nahezu die Hälfte davon sind ausländischer Herkunft. Bei ABB Schweiz wären die Neueintritte in diesem Jahr allein aus dem inländischen Arbeitsmarkt heraus nicht zu rekrutieren gewesen. Bei der Suche nach hoch qualifizierten Spezialisten in für uns wichtigen Forschungsgebieten oder nach Ingenieuren mit langjähriger Erfahrung beim Abwickeln komplexer Projekte ist es für uns unabdingbar, in Europa, aber auch global rekrutieren zu können.

Talentsuche – eine der dringlichsten Aufgaben


Damit dieser auf Know-how beruhende Teil der Wertschöpfung im Land bleibt, braucht es Talente. Diese zu finden, zu fordern und zu fördern, ist eine der dringlichsten Aufgaben von ABB Schweiz – und das in einem Umfeld, in dem sich der internationale Wettbewerb zusehends verschärft. Auch hier ist das FZA von zentraler Bedeutung. Es bietet die Chance, europaweit die besten Talente zu gewinnen und zugleich den Fachkräftemangel, den laut einer Swissmem-Umfrage knapp 80% der Grossunternehmen und 65% der KMU in der MEM-Industrie beklagen, teilweise aufzufangen.Wie wichtig die Personenfreizügigkeit für ein international tätiges Unternehmen wie ABB Schweiz ist, zeigt sich auch in der Forschung. In unserem Forschungszentrum in Baden-Dättwil arbeiten rund 190 Forscher. Die ausländischen Kolleginnen und Kollegen tragen nicht nur wesentlich dazu bei, dass ABB in ihren Kerngebieten Energie und Automation technologisch führend ist und bleibt. Sie sind zudem bestens mit in- und ausländischen Hochschulen vernetzt und arbeiten projektbezogen mit diesen zusammen – beispielsweise mit der ETH/EPFL und deren Forschungsinstitutionen, dem MIT in Boston, dem Imperial Collage in London oder der Technischen Hochschule in Aachen. Diese akademische Vernetzung ist von zentraler Bedeutung, denn sie führt zu Innovationen und bringt Wertschöpfung.Ein steter Zufluss an hoch qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland hält unser Unternehmen fit, die Innovation hoch und wirkt sich positiv auf das Wachstum aus. Dank des FZA können wir die Forschung und die Produktion in der Schweiz überhaupt im heutigen Massstab betreiben. Es hilft uns nicht zuletzt, in den Werkplatz Schweiz zu investieren – zuletzt 200 Mio. Franken für den Ausbau der Leistungshalbleiterproduktion in Lenzburg (AG).

Personenfreizügigkeit als Basis des internationalen Geschäfts


Das FZA ermöglicht ABB nicht nur einen unkomplizierten Austausch von Mitarbeitenden und Trainees im EU-Raum. Es bietet uns gleichzeitig Zugang zu unserem wichtigsten Markt und ist damit die Basis für eine erfolgreiche internationale Geschäftstätigkeit. Mehr als 80% des Umsatzes erzielt ABB Schweiz im Ausland und fast 40% davon in EU-Ländern – davon allein in Deutschland knapp 40%. Das FZA hilft uns im Übrigen auch bei der Abwicklung von Projekten für unsere internationalen Kunden und bei der Vernetzung mit unseren in- und ausländischen Zulieferern sowie innerhalb des ABB-Verbundes: Mitarbeitende von ABB Schweiz können ohne administrativen Mehraufwand in die entsprechenden Länder ein- und ausreisen. Für ABB ist es insbesondere in der heutigen wirtschaftlichen Situation wichtig, dass die Schweiz ihre Offenheit beibehält. Vielleicht gerade deshalb war unser Land in den letzten drei Krisenjahren wirtschaftlich erstaunlich robust. Angesichts der fortschreitenden Globalisierung ist Offenheit ein Standortvorteil. Nutzen wir die Chancen des europäischen Arbeitsmarktes und ermöglichen Erfindern, Pionieren und Tüftlern aus dem Ausland weiterhin, sich bei uns niederzulassen. Damit stärkt die Schweiz ihre Wettbewerbsfähigkeit und bleibt auch in Zukunft für ihre Offenheit bekannt.

Zitiervorschlag: Jasmin Staiblin (2011). Die Chancen des europäischen Arbeitsmarktes nutzen. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.