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Die Auswirkungen der Schuldenkrise in der Eurozone auf den Schweizer Bankensektor

Die Auswirkungen der Schuldenkrise in der Eurozone auf den Schweizer Bankensektor

Die vielfältigen Auswirkungen der Schuldenkrise in der Eurozone stellen Finanzinstitute vor grosse Herausforderungen. Der solide Schweizer Bankensektor und die finanzpolitische Stabilität der Schweiz vermögen die dortigen Solvenzrisiken aufzufangen. Dies hat sich positiv auf das Vertrauen von Investoren ausgewirkt. Rezessionstendenzen und Frankenstärke stellen jedoch eine erhebliche Belastung dar.

Wir sind gegenwärtig Zeugen eines ausserordentlichen Zusammentreffens der Schuldenkrise in Europa mit einem Bankensektor, der aufgrund der Bewältigung der Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise und der einschneidenden regulatorischen Veränderungen noch mitten in einem Transformationsprozess steht. Die volkswirtschaftlichen und politischen Kosten der Schuldenkrise in einigen Staaten der Eurozone sind – unabhängig von ihrem Ausgang – bereits heute enorm. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzte im September 2011, dass die Schuldenkrise für die Banken in der EU Verluste in der Höhe von 300 Mrd. Euro zur Folge habe. Mittlerweile dürfte sich dieser Betrag massiv vergrössert haben. Entsprechend hoch ist der zusätzliche Kapitalbedarf, der anfangs Dezember 2011 von der Europäischen Bankenaufsicht auf umgerechnet rund 140 Mrd. Franken geschätzt wurde.

Schweizer Bankensektor äusserst robust


Der Schweizer Bankensektor erscheint im internationalen Vergleich dagegen äusserst robust. Dies wird gemäss einer Studie der Schweizerischen Bankiervereinigung und der Boston Consulting Group vom September 2011 auch in Zukunft so bleiben.
Vgl. SBVg/BCG (2011): Banking im Wandel – Zukunftsperspektiven für Banken in der Schweiz. Zwar dürften die höhere Wettbewerbsintensität und zusätzliche regulatorische Anforderungen zu einem Rückgang der Gewinnmargen führen. Aufgrund der weltweit wachsenden Vermögensbasis und eines höheren Kreditvolumens wird für die nächsten fünf Jahre dennoch mit einem Ertragswachstum in der Grössenordnung des BIP-Wachstums gerechnet. Obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, bleibt die Schuldenkrise in Europa für den hiesigen Finanzplatz nicht ohne Folgen. Die Hauptgründe liegen in der offenen Volkswirtschaft, die direkt von der Wirtschaftsentwicklung in der EU abhängig ist, sowie in der globalen Natur des Bankengeschäfts. Ende 2010 stammten 44% der Auslandvermögen bei Schweizer Banken aus der EU. Die Schweiz spürt als vermeintlich sicherer Hafen auch die hohe Nachfrage nach Schweizer Franken. Dies setzt die Währung seit längerem unter Aufwertungsdruck und beeinflusst die Ertragssituation der Banken in der Schweiz. Weitere Unwägbarkeiten entstehen durch das schiere Ausmass der Schuldenkrise.

Kreditausfallrisiken unter Kontrolle


Die Banken sind heute jedoch gut gewappnet. Aufgrund ihrer relativ geringen Exposure in überschuldeten GIIPS-Ländern sind die Kreditausfallrisiken moderat. Ende Juni 2011 machten die von Schweizer Banken in diesen Ländern gehaltenen Forderungen 35,2 Mrd. US-Dollar aus. Das sind lediglich 2,3% aller Forderungen gegenüber ausländischen Schuldnern und 1,2% der Bilanzsumme der Banken in der Schweiz. Den grössten Anteil stellten mit 27,5 Mrd. US-Dollar Forderungen gegenüber Spanien und Italien. Der Bestand an griechischen Staatspapieren belief sich auf 571 Mio. US-Dollar. Somit sind Schweizer Banken absolut wie relativ nur marginal von direkten Auswirkungen des am EU-Gipfel vom 27. Oktober 2011 vorgesehenen Schuldenschnitts im Gesamtumfang von ca. 100 Mrd. Euro betroffen.Nebst der geringen Risikoexposure in überschuldeten Ländern der Eurozone sind Schweizer Banken auch deshalb stabil, weil sie international zu den bestkapitalisierten Instituten gehören und Verluste entsprechend abzufedern vermögen. Die in der EU festgelegte und bis Juni 2012 zu erreichende Untergrenze der Kernkapitalquote von 9% übertreffen die Schweizer Institute schon heute. Die sukzessive Erhöhung des Kapitalpolsters seit der Finanzkrise ist Ausdruck davon, dass Banken und Behörden in der Schweiz die notwendigen Lehren früh gezogen haben. So bauten Schweizer Banken zwischen 2007 und 2010 gemessen am BIP mehr Auslandvermögen ab als Finanzinstitute in jedem anderen europäischen Land. Dass dieses Deleveraging von EU-Banken während der gegenwärtigen Schuldenkrise nachgeholt wird, stellt ein hohes Risiko für die makroökonomische Stabilität in Europa dar.
Deloitte schätzt die Aktiven, die nicht zum Kerngeschäft gehören oder verlustträchtig sind, und die somit potenziell desinvestiert werden könnten, auf 1,7 Bio. Euro. Dies entspricht der Grösse der britischen Volkswirtschaft.Das Vertrauen in die Schweizer Banken äussert sich auch in einer grosszügigen Liquiditätssausstattung und beruht auf einer komfortablen Finanzierung. Ein Grund dafür sind Anleger, die aufgrund der hohen Risikoaversion in turbulenten Zeiten vermehrt liquide Mittel anstatt Wertschriften in Form von Sichteinlagen bei den Banken halten. Zudem waren Schweizer Banken dank ihrer Solidität bisher nicht direkt vom ausgetrockneten Interbankenmarkt betroffen, zumal auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) dem Markt sehr viel Liquidität zuführt. Zur Stärkung des Vertrauens hat namentlich die finanzpolitische Stabilität der Schweiz beigetragen. Im Gegensatz dazu gehen von den Problemen auf dem Interbankenmarkt existenzielle Gefahren für zahlreiche Banken in der Eurozone aus, welche konzertierte und massive Massnahmen von verschiedenen Zentralbanken erforderten.
EZB, Federal Reserve, Bank of England, Bank of Japan und SNB haben am 15. September 2011 zusätzliche liquiditätszuführende USD-Geschäfte bekannt gegeben. Die EZB hat am 6. Oktober 2011 die Einführung von langfristigen Refinanzierungsgeschäften bekannt gegeben. Am 30. November 2011 wurde das Liquiditätsangebot von den Zentralbanken erneut ausgeweitet.Die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hinterlegten Sichtguthaben – heute ein Indikator der Liquiditätsrisiken – überstiegen Mitte Januar 2012 500 Mrd. Euro. Dies entspricht beinahe dem Doppelten des Volumens während dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008.

Schuldenkrise und Frankenstärke belasten dennoch


Trotz der generell soliden Situation stellen die indirekten Auswirkungen der Schuldenkrise in der Eurozone die Schweizer Banken vor grosse Herausforderungen. Das aus heutiger Sicht grösste Ertragsrisiko ist konjunktureller Art. Die sich anbahnende Rezession in Europa, die eine volkswirtschaftliche Abkühlung in der Schweiz nach sich ziehen dürfte, wirkt sich dämpfend auf die Kreditnachfrage aus und könnte sich auch in höheren Kreditausfällen niederschlagen. Aufgrund der Stabilität der Banken gibt es hierzulande jedoch keinerlei Anzeichen für eine Kreditklemme.
Bereits während der Finanzkrise 2008–2009 haben Banken stets genügend Kredite angeboten. Der damalige Beanspruchungsgrad der Kreditlimiten von rund 73% ist bis heute relativ konstant geblieben. Somit besteht – im Gegensatz zur EU – in der Schweiz auch nicht die Gefahr einer Abwärtsspirale, in welcher sich Staatsverschuldung und Refinanzierungsprobleme der Banken gegenseitig verstärken (vgl. Grafik 1). Die solide Finanzlage der Schweiz sorgt dafür, dass der Anleihenmarkt nicht unter Druck gerät und die Kreditausfallrisiken tief bleiben. Die komfortable Finanzierungssituation der Schweizer Banken lässt auch zukünftig eine Kreditklemme unwahrscheinlich erscheinen und erlaubt den Instituten, ihre Funktionen zugunsten der Volkswirtschaft uneingeschränkt wahrzunehmen. Auch die anhaltende Stärke des Frankens gegenüber den meisten Währungen belastet. Während der Bankenplatz Schweiz traditionellerweise von einer starken Währung profitiert hat, ist die diesbezügliche Ausgangslage diesmal anders. Sie beeinflusst die Gebühreneinnahmen in den Bereichen Vermögensverwaltung, Asset Management und Investmentbanking aufgrund des hohen Fremdwährungsanteils und entsprechender Wertminderungen in Kundenportfolios. Ebenfalls auf die Gebühren drückt die Risikoaversion von Anlegern, da sie vermehrt von Wertschriften auf liquide Mittel oder Edelmetalle umsteigen sowie die Anzahl Transaktionen reduzieren.International ausgerichtete Banken erleiden zudem Währungsverluste auf den ausländischen Aktiven in ihren Bilanzen. Mehr ins Gewicht fällt, dass – analog zu einem exportorientierten Industriebetrieb – bei den international ausgerichteten Banken die in Franken anfallenden erfolgswirksamen Komponenten auf Kostenseite höher sind als auf der Ertragsseite. Dies betrifft insbesondere das für die Schweizer Wertschöpfung bedeutende Vermögensverwaltungsgeschäft. Einen Zweitrundeneffekt über eine erhöhte Zahl von Kreditausfällen von Schweizer Exportfirmen, die unter der Frankenstärke leiden, stellt für den Geschäftsverlauf der Banken eine weitere Risikokomponente dar.

Herausforderungen sind erkannt


Die Herausforderungen für Banken sind erkannt. Entsprechend ergreifen sie Massnahmen, um in der langen Frist wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Behörden haben ebenfalls gezeigt, dass sie bereit sind, gegebenenfalls unkonventionelle Entscheide zu treffen. Das Bewusstsein ist vorhanden, wie wertvoll die Tugenden eines stabilen Bankenplatzes sowie gute Rahmenbedingungen für Investoren und Wirtschaft in turbulenten Zeiten sind. Die Anstrengungen von Banken und Behörden müssen weiterhin darauf abzielen, dass die Schweiz für den internationalen Standortwettbewerb in der Zeit nach der Krise gut gerüstet ist. Die bisherigen Zeichen stimmen zuversichtlich.

Grafik 1: «Die Angst von dem Teufelskreis»

Zitiervorschlag: Martin Hess (2012). Die Auswirkungen der Schuldenkrise in der Eurozone auf den Schweizer Bankensektor. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.