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Offen für eine ökonomisch abgestützte Modernisierung des Kartellgesetzes

Economiesuisse ist für eine Modernisierung des Kartellgesetzes offen. Dies ist eine Chance für die bessere Ausgestaltung der Institutionen. Entscheidend ist, dass die Revision an ökonomischen Zielsetzungen ausgerichtet wird und nicht einem kurzfristig orientierten Populismus verfällt. Gerade beim Teilkartellverbot bleiben wichtige Fragen offen. Economiesuisse setzt sich klar für einen effektiven Wettbewerb und gegen Abschottungen, aber auch gegen verzerrende staatliche Interventionen ein. In diesem Sinne befürwortet sie die Weiterentwicklung des Kartellrechts gestützt auf eine eigene Evaluation.
Economiesuisse, Unternehmen im Wettbewerb, Zürich 2009. Der Bundesrat nimmt wichtige Anliegen von Economiesuisse im Rahmen der drei Vernehmlassungen auf.

Institutionen mit getrennten Kompetenzen und Einbezug der Praxis


Es ist zweckmässig, die Wettbewerbsbehörde als selbständige Anstalt auszugestalten. Dies stärkt die Unabhängigkeit der Behörde für Untersuchungen – nicht nur gegenüber privaten Akteuren, sondern auch gegenüber staatlichen Stellen. Die Aufsicht über die gestärkte Wettbewerbsbehörde soll richtigerweise nicht politisch, sondern durch einen Aufsichtsrat erfolgen. Wenn dabei die Wirtschaftskreise und Sozialpartner einbezogen werden, kann auch die Rolle als «Sprachrohr für den Wettbewerb» breit abgestützt wahrgenommen werden. Dieser Praxisbezug müsste durch den Bundesrat als Wahlbehörde gewährleistet werden.Die vorgeschlagene Angliederung des Wettbewerbsgerichtes als separate Kammer beim Bundesverwaltungsgericht ermöglicht einen erstinstanzlichen Entscheid durch ein unabhängiges Gericht und den Wegfall einer Instanz.
Im Entscheid Menarini Diagnostic (Italien) hat der Europäische Menschengerichtshof immerhin festgehalten, dass eine Rekursinstanz mit einer vollen Überprüfungsmöglichkeit ebenfalls genügt. Wettbewerbsentscheide haben stets eine entscheidende ökonomische Dimension. Es ist daher zwingend, dass bei den Urteilen Personen mit Praxis in der Wirtschaft mitwirken. Den Fachrichtern darf jedoch keine «Zweitklassenrolle» zukommen, was wohl ein substanzielles Pensum bedingt. Nicht zu akzeptieren sind die prognostizierten längeren Verfahren. Im Sinne der Rechtssicherheit muss ein erster Entscheid in der Regel innert weniger als 12 Monaten nach Abschluss einer Untersuchung vorliegen. Eine verbindliche kurze Frist ist gerade für die erste Instanz notwendig.Die zu lange Verfahrensdauer hängt auch vom aktuellen Verfahrensrecht ab. Hier wurde die Chance verpasst, komplexe Wirtschaftsverfahren
Die analoge Problematik besteht neben dem Kartellrecht auch in anderen Gebieten, wie z. B. der Geldwäschereibekämpfung oder Finanzmarktfällen. angepasst zu regeln. Anstatt einer Mischung von Verweisen auf Verwaltungs- und Strafverfahren müssen auf die Dauer spezifische Regeln gefunden werden, die einen zeitgerechten Entscheid unter Wahrung der Rechte der Betroffenen gewährleisten.

Wechsel zu Teilkartellverbot muss ökonomisch begründet werden


Wichtigste materielle Änderung ist der Wechsel zu einem Teilkartellverbot mit Rechtfertigungsmöglichkeiten. Auf der einen Seite führt der Wechsel zu einer Vereinfachung und stärkerer Rechtssicherheit sowie einer weiteren Annäherung an europäische Regeln. Voraussetzung ist, dass die Fälle immer in der konkreten Abwägung und nicht schematisch beurteilt werden. Auf der anderen Seite widerspricht das Teilkartellverbot vom Grundsatz her einem liberalen Ansatz. Die Schädlichkeitsvermutung ist zwar bei horizontalen Abreden breit anerkannt, bei vertikalen Vereinbarungen jedoch umstritten. In der Botschaft fehlt es an einer transparenten ökonomischen Begründung des Vorgehens. Hier ist das Parlament wohl beraten, einen Zusatzbericht zu verlangen. Der Zusammenhang mit der Weitergabe von Währungsvorteilen lässt sich kaum ökonomisch, sondern eher politisch erklären.Wird der auf einem (Teil-)Verbot basierenden Ansatz weiterverfolgt, ist es im Sinne einer modernen Wettbewerbsgesetzgebung zwingend, dass mit den Rechtfertigungen genügend unternehmerischer Handlungsspielraum besteht. Nur das verhindert volkswirtschaftlich schädlichen Interventionismus. Allerdings kann dies erst nach Vorliegen der Verordnung richtig beurteilt werden. Sollte sich die Rechtfertigung (richtigerweise) an der EU ausrichten, dürften die faktischen Auswirkungen des Wechsels eher gering ausfallen. Die Weko orientiert sich ja bereits heute mit ihren jüngsten Entscheiden an der EU-Situation. Allerdings sind diese Entscheide noch nicht rechtskräftig. Eine baldige Bestätigung würde gerade in der Frage von Absprachen mit grenzüberschreitenden Wirkungen rascher Rechtssicherheit schaffen als der anvisierte Systemwechsel.

Zitiervorschlag: Thomas Pletscher (2012). Offen für eine ökonomisch abgestützte Modernisierung des Kartellgesetzes. Die Volkswirtschaft, 01. März.