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Verfassungswidriger Flickenteppich?

Gerade aus liberaler Perspektive beinhaltet der vom Bundesrat postulierte Paradigmenwechsel im Kartellgesetz gewichtige Fragen. Statt einer funktionierenden Wirtschaft unkomplizierte und faire Rahmenbedingungen zu geben, setzt die Revision auf die Planung dessen, was ein Markt sein darf. Das führt zu zwei Ergebnissen: Einerseits werden gerade dadurch Marktmissbräuche gefördert, andererseits wird dem Wettbewerb nur noch wenig Gestaltungskraft eingeräumt. Es entsteht der Eindruck, dass der Bundesrat den Wettbewerb schützen will, indem er ihn abschafft; darum ist die Revision aus KMU Sicht gefährlich.

Beim Kauf von Kleidern werden gewöhnlich Grössen ausgesucht, welche der Trägerin passen. Es ist unüblich, zunächst bestimmte Grössen einzukaufen und dann den eigenen Körper dem Kleidungsstück anzupassen. Mit der Revision des Kartellgesetzes wird gerade dies getan. Statt an einem austarierten Kartellgesetz festzuhalten, das zur freiheitlichen Schweizer Wirtschaftsordnung passt, setzte die Exekutive Vorgaben, die bewährten Prinzipien der Schweizer Rechtsordnung widersprechen und eher in Ländern mit anders gestalteten Märkten üblich sind. Man will also die Schweizer Wirtschaft der Regulierung anpassen.

Wahn oder Wille?


Noch dringender scheint die Frage, ob die Botschaft zur Revision überhaupt konsistent ist. Drei unabhängige Vorlagen sind vermengt worden, und aus jeder wurden jeweils lediglich Teilaspekte herausgenommen. Sah die erste Vorlage eine Aufweichung des Artikels 5 im Kartellgesetz vor, ging die dritte Vorlage von seiner Verschärfung aus. Der Bundesrat machte daraus eine Effizienzüberprüfung ohne Kartellverbot. Die zweite Vorlage wollte Entlastungstatbestände beim Vorliegen von Compliance-Programmen und die Einführung der persönlichen Haftungsmöglichkeit für Mitarbeitende. Der Bundesrat hat ersteres genommen, liess aber das zweite fallen. Institutionell peilte man eine Professoren-Weko ohne Vertreter der Sozialpartner an. Daraus nahm man die Hälfte: eine Kammer im Bundesgericht mit «praktisch erprobten» Mitgliedern.Diese formale Inkonsistenz öffnet gefährlichen Inhalten Tür und Tor. Mit der vom Bundesrat beabsichtigten Abkehr von der bisherigen Praxis im Kartellrecht würden Unternehmen in Zukunft beweisen müssen, dass Wettbewerbsabreden gerechtfertigt wären. Die Beweislast würde also zu Ungunsten der Unternehmen umgekehrt. Eine solche durch die Hintertüre eingeführte Bestimmung, die einem Kartellverbot sehr nahe käme, würde dem in der Bundesverfassung verankerten Missbrauchsprinzip widersprechen und den Unternehmen zusätzliche Regulierungskosten verursachen.

Erosion der KMU?


Diese Beweislastumkehr kann auch genau das Gegenteil dessen bewirken, was sie bekämpfen will. Das Kartellgesetz gilt für Absprachen zwischen Unternehmen, nicht aber für die Preisgestaltung innerhalb einer Firma. Eine mögliche Konsequenz des Gesetzes ist, dass Unternehmen, die immer wieder bestätigen müssen, dass ihre Absprachen zur Markteffizienz beitragen, letzten Endes fusionieren. Dieses Zusammengehen und die daraus folgende Preisfestlegung entziehen sich der Kontrolle durch die Weko.Auch setzt die bisherige Ordnung auf die geteilte Verantwortung aller Marktteilnehmer. Wer eine Meldung erstatten wollte, musste sich der möglichen Konsequenzen bewusst sein. Mit der Einführung der Klagemöglichkeit werden Unternehmen zum Teil egoistisch motivierten Klagen ausgesetzt. Damit wird die Rechtssicherheit für Unternehmen reduziert. KMU können sich nicht mit einem Heer von Ökonometrikern und Juristen umgeben, um jederzeit beweisen zu können, dass sie gesetzeskonform handeln.

Wettbewerb und Rechtssicherheit


Die Botschaft zur Revision des Kartellgesetzes zeugt also von grossen Wahrnehmungsdefiziten. Das Hauptproblem ist nicht so sehr der verfassungswidrige Flickenteppich, sondern eher die Annahme, dass sich Märkte planen liessen. Wettbewerb ist etwas Dynamisches; seine Effizienz lässt sich nicht von vornherein durch einen «Rat der Weisen» festlegen, sondern muss das Ergebnis eines verantwortungsvollen Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage sein.Die KMU stehen zu einem wirksamen Wettbewerb. Sie haben alles Interesse daran, dass die Unternehmen ihre Marktmacht nicht missbrauchen. Dazu braucht es jedoch keine Gesetzesrevision, sondern eine konsequente Anwendung der bestehenden Instrumente und die Herausbildung einer verlässlichen Praxis. Zu häufige Änderungen des rechtlichen Rahmens sind Gift für die Wirtschaft und schädigen die Zuverlässigkeit des Standortes. Denn letztlich ist die Schweiz dank einer liberalen Regulierung global eines der wettbewerbsfähigsten Länder.

Zitiervorschlag: Henrique Schneider (2012). Verfassungswidriger Flickenteppich. Die Volkswirtschaft, 01. März.