Die Schweizer Luftfahrt muss sich massvoll weiterentwickeln können
Die Luftfahrt leistet einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand der Schweiz. Der Bundesrat misst diesem Träger des öffentlichen Verkehrs denn auch eine herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung zu. Wegen der Globalisierung wuchs die Luftfahrt mehr als doppelt so schnell wie die Weltwirtschaft. Dieser Trend wird weiter anhalten. So geht der Bundesrat bis ins Jahr 2030 von einer Verdoppelung der Luftverkehrsnachfrage aus. Um im internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können, muss sich die Luftfahrt massvoll entwickeln können und braucht international konkurrenzfähige Rahmenbedingungen. Dieses Anliegen ist vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Frankenstärke vordringlich.
Wohlstand und Prosperität dank guter Verkehrsanbindung
Dass der Wohlstand entlang der Verkehrsachsen besonders gut gedeiht, ist eine Binsenwahrheit. Die Region Basel beispielsweise verdankt ihren heutigen Wohlstand nicht zuletzt einem weitsichtigen Kirchenfürsten, der im Jahre 1225 in Basel die erste Brücke über den Rhein bauen liess und dadurch den Verkehr zum Rheinknie zog. Umgekehrt bekommen Regionen, die den Anschluss an die Verkehrswege nicht geschafft oder verloren haben, die Folgen des Abseitsstehens besonders schmerzlich zu spüren. Die Schweiz hat diesbezüglich wegen ihrer Lage im Herzen Europas gegenüber vielen europäischen Ländern einen strategischen Vorteil. Hier kreuzen sich bekanntlich viele Wege zu Lande und in der Luft. Damit eröffnet sich die Chance des Anschlusses an die internationalen Verkehrsströme.
Der Luftverkehr gewinnt laufend an Bedeutung
Für die Schweiz als exportorientiertes Binnenland ist der Anschluss an das internationale Luftverkehrsnetz wegen der rasch fortschreitenden weltweiten Arbeitsteilung besonders wichtig. Heute sind nämlich in steigendem Masse auch kleine und mittlere Betriebe weltweit tätig. Aber auch global tätige Konzerne wählen nicht zuletzt wegen der hervorragenden Luftverkehrsanbindung unseres Landes die Schweiz als Hauptsitz. Aufgrund der hohen Wirtschaftskraft und starken internationalen Verflechtung hat die Schweiz ein deutlich überdurchschnittliches Passagier-Aufkommen. Dieses liegt bei ca. 1,3 Flugreisen pro Kopf. Nur flächenmässig grössere Länder und Länder in Randlage haben ein ähnlich hohes Aufkommen.
Volkswirtschaftlich herausragende Bedeutung der Luftfahrt
In seinem Luftfahrtpolitischen Bericht 2004 misst der Bundesrat der Schweizer Zivilluftfahrt eine herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung zu. Diese Aussage wird durch die jüngste Infras-Studie
Volkswirtschaftliche Bedeutung der Luftfahrt in der Schweiz, 1. Juni 2011, Infras. zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Schweizer Zivilluftfahrt bestätigt. In der Schweiz stehen 180 000 Arbeitsplätze und über 30 Mrd. Franken Wertschöpfung im Zusammenhang mit der Luftfahrt. Dies entspricht einem Anteil von 5,6% am Bruttoinlandprodukt. Zahlreiche Branchen sind auf gute Luftverkehrsverbindungen angewiesen. So kommt jeder dritte ausländische Tourist mit dem Flugzeug in die Schweiz. Für die Exportwirtschaft ist die Luftfracht wichtig, denn jeder dritte Exportfranken verlässt die Schweiz auf dem Luftweg.
Luftfracht als Wettbewerbsfaktor des Wirtschaftsstandortes Schweiz, Uni St. Gallen. Mit einer Tonne Luftfracht wird ein Wert von mindestens 100 000 Franken befördert, während es im Landverkehr (Strasse, Schiene) nur rund 3000 und im Seeverkehr 1500 Franken pro Tonne sind. Allerdings fliesst derzeit ein Grossteil des Luftfrachtaufkommens zu ausländischen Flughäfen ab.Noch schafft die Luftfahrt Arbeitsplätze in erheblichem Umfang. Alleine die Swiss schafft im Jahr 2012 beispielsweise 500 neue Stellen. Allerdings kann diese günstige Entwicklung nur weitergehen, wenn ein massvolles Wachstum möglich ist. Doch in diesem Punkt sind die Perspektiven eher ungünstig. Gemäss jüngsten Studien wird die Schweizer Luftfahrt wegen Kapazitätsengpässen auf den Flughäfen Zürich und Genf im Jahre 2030 jährlich etwa 8 Mio. Passagiere an deren Konkurrenten im Ausland verlieren. Damit werden bis zu 16 000 Arbeitsplätze nicht in der Schweiz, sondern im Ausland entstehen (siehe Kasten 1
Die Nachfrage nach Luftverkehr wird weiter zunehmen
Gemäss Infrastrukturbericht 2010 des Bunderates wird sich die Nachfrage nach Luftverkehr auf den drei Landesflughäfen Zürich, Genf und Basel in den nächsten 20 Jahren nahezu verdoppeln. Der Flughafen Zürich stösst zu Spitzenzeiten jedoch bereits heute an die Kapazitätsgrenzen. Ohne massvollen Ausbau der Kapazitäten werden das Nachfragewachstum und die Schaffung der damit verbundenen Arbeitsplätze künftig an Konkurrenzstandorten – wie z.B. München – stattfinden.
).Der scharfe Wettbewerb seit der Liberalisierung des Luftverkehrs in den USA und in der EU führte zu einem dramatischen Preiszerfall. Die Flugpreise zwischen Zürich und New York sind in den letzten 40 Jahren um 90% gefallen.
Swiss International Air Lines AG. Ursache dieser Entwicklung ist ein starker Angebotsüberhang. Seit 1985 sind weltweit nicht weniger als 477 neue Fluggesellschaften entstanden.
Airclaims Case Database.
Grosse Anstrengungen zur Begrenzung der Umweltbelastung
Auf lokaler Ebene steht die Bekämpfung des Fluglärms an vorderster Stelle. Die bisherigen Anstrengungen haben sich für die Anwohner gelohnt: Der Lärmteppich um den Flughafen Zürich hat in den letzten 20 Jahren trotz mehr Flugbewegungen um zwei Drittel abgenommen (siehe Grafik 1).
Flughafen Zürich AG. Durch den Einsatz der sog. Geared Fans sind ab 2014 noch einmal substanzielle Lärmreduktionen zu erwarten.Auf globaler Ebene steht die Reduktion des CO2-Ausstosses im Zentrum der Anstrengungen. Der Anteil der Luftfahrt an den weltweiten anthropogenen CO2-Emissionen beträgt derzeit rund 2%.
UNEP, Aviation and the Global Atmosphere, DLR, IPCC 1999. Trotz diesem relativ bescheidenen Anteil nimmt die Luftfahrt ihre Verantwortung bei der Bekämpfung des Klimawandels wahr und unternimmt grosse Anstrengungen im Rahmen der Vier-Säulen-Strategie (technischer Fortschritt, operationelle Massnahmen, effizientere Infrastruktur und ökonomische Instrumente). Ziel dieser Bemühungen ist eine Halbierung des CO2-Ausstosses bis ins Jahr 2050. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es vor allem viel Geld zur Beschaffung neuer Flugzeuge. Ein Einbezug der Schweiz in ein regionales Emissionshandelssystem wie das EU ETS würde den Fluggesellschaften die nötigen Mittel entziehen.
Licht und Schatten bei der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Luftfahrt
Um die Zivilluftfahrt als Instrument der Aussenwirtschaftspolitik weiter zu entwickeln, will der Bundesrat die Wettbewerbsfähigkeit des Luftfahrtsektors durch die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen stärken. Im Rahmen der gesetzgeberischen Umsetzung des Luftfahrtberichtes 2004 haben der Bundesrat und der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen deutlich verbessert. Trotzdem kämpft die Schweizer Zivilluftfahrt vielerorts mit vergleichsweise kurzen Spiessen. So ist der Flughafen Zürich bei den Betriebszeiten der am stärkste eingeschränkte Flughafen in Europa.
Flughafenverband ADV. Auch bezüglich des Pistensystems ist er gegenüber vergleichbaren Flughäfen klar benachteiligt. Bei den zahlreichen Ausbauvorhaben europäischer Flughäfen und dem Verkehrswachstum werden diese Nachteile immer gravierender. Aber auch der Flughafen Genf hat klare Defizite: An keinem Nicht-Hub-Flughafen in Europa finden so viele Flugbewegungen auf einer Piste statt wie in Genf. Die meisten der grösseren Flughäfen Europas verfügen über mehr als eine Start- und Landebahn, manche sogar über ein Parallelpistensystem. Kurzfristig und auf absehbare Zeit macht die starke Überbewertung des Frankens gegenüber dem Euro und dem US-Dollar der Luftfahrt als typische Exportbranche das Leben zusätzlich schwer. Dieser Umstand wiegt im Wettbewerb gegenüber Konkurrenten besonders schwer. Die Carrier aus der Golfregion operieren wegen ihrer Staatsnähe und der von diesen Staaten verfolgten Industriepolitik mit Kostenvorteilen von bis zu 30%.
Arthur D. Little, Booming Middle East Carriers.
Herausforderungen
Damit sich die Schweizer Luftfahrt im weltweiten Konkurrenzkampf behaupten kann, müssen folgende Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden:− Nachfragegerechter Ausbau der Infrastruktur; − Verstärkte Wahrnehmung des verfassungsmässigen Auftrages des Bundes bei den Landesflughäfen zur Durchsetzung der Bundesinteressen;− Begrenzung der CO2-Emissionen, aber kein Einbezug der Schweizer Luftfahrt in ein EU ETS;− Sicherstellung des Nachwuchses von qualifiziertem Luftfahrtpersonal;− Stärkung der Luftfracht; − Lösung des Fluglärmkonfliktes zwischen der Schweiz und Deutschland;− Begrenzung der Regulierungsdichte auf das Notwendige und ausnützen der nationalen Handlungsspielräume zu Gunsten der Schweizer Luftfahrt.Wenn es gelingt, diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern, sind die Chancen zur Fortschreibung der Erfolgsgeschichte der Schweizer Luftfahrt intakt. «Ein Volk, das nicht fliegt, wird überflügelt», sagten die Bundesräte Enrico Celio und Karl Kobelt sowie General Henri Guisan schon vor fast 70 Jahren. Diese Erkenntnis gilt heute mehr denn je!
Grafik 1: «Entwicklung des Tageslärms um den Flughafen Zürich»
Kasten 1: Die Nachfrage nach Luftverkehr wird weiter zunehmen
Die Nachfrage nach Luftverkehr wird weiter zunehmen
Gemäss Infrastrukturbericht 2010 des Bunderates wird sich die Nachfrage nach Luftverkehr auf den drei Landesflughäfen Zürich, Genf und Basel in den nächsten 20 Jahren nahezu verdoppeln. Der Flughafen Zürich stösst zu Spitzenzeiten jedoch bereits heute an die Kapazitätsgrenzen. Ohne massvollen Ausbau der Kapazitäten werden das Nachfragewachstum und die Schaffung der damit verbundenen Arbeitsplätze künftig an Konkurrenzstandorten – wie z.B. München – stattfinden.
Zitiervorschlag: Kurrus, Paul (2012). Die Schweizer Luftfahrt muss sich massvoll weiterentwickeln können. Die Volkswirtschaft, 01. April.