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Spannungsfeld Luftfahrt

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Der Schweizer Luftfahrt kommt volkswirtschaftlich eine grosse Bedeutung zu. Sie verbindet die Schweiz mit den wichtigsten Wirtschaftszentren der Welt und trägt so wesentlich zur Standortattraktivität unseres Landes bei. Verschiedene Faktoren können jedoch die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Luftfahrt beeinträchtigen: Sicherheitsvorgaben, ökologische Auflagen und ein dichtes Netz von Regulierungen. Die Bewilligungsverfahren im Bereich der Aviatik sind aufwändig; sie vermögen aber wirtschaftliche Interessen, Sicherheitsvorgaben und ökologische Anliegen zu einem fairen Ausgleich zu bringen.

Die Luftfahrt als bedeutender Standortfaktor


Dank der Luftfahrt können grosse Distanzen rasch überwunden werden. Dadurch nimmt sie eine wichtige Rolle in der globalisierten Welt von heute ein. Die Luftfahrt ermöglicht den schnellen Transport von Personen und Waren rund um die Erde und trägt – neben den modernen Telekommunikationstechniken – entscheidend zur zunehmenden Vernetzung von Produktionsfaktoren, aber auch zur Beschleunigung der Warenströme bei. Das Tourismus- und Exportland Schweiz ist auf ein gut funktionierendes weltweites Luftverkehrsnetz angewiesen. Die Erreichbarkeit einer Region bestimmt zu einem wesentlichen Teil mit, in welchem Umfang diese am wirtschaftlichen Wachstumsprozess teilhaben kann. Neben den Verkehrsträgern Schiene und Strasse sind deshalb insbesondere attraktive Luftverkehrsverbindungen Voraussetzung für eine prosperierende Volkswirtschaft. In der Schweiz bilden die drei Landesflughäfen in Zürich, Genf und Basel das Rückgrat der internationalen Anbindung der Zivilluftfahrt. Weitere Anbindungen über die Landesgrenzen hinaus werden durch die Regionalflugplätze in Bern, Lugano, Sion und St. Gallen sichergestellt.

Volkswirtschaftliche Effekte der Zivilluftfahrt


Die Flugplätze, die darauf verkehrenden Fluggesellschaften, die Luftfahrtindustrie, die Flugsicherung sowie die Klein- und Geschäftsluftfahrt generieren in der Schweiz eine beträchtliche Wertschöpfung und bedeutende Beschäftigungseffekte. Auf den Schweizer Flugplätzen wurden im Jahr 2011 insgesamt rund 43 Mio. Passagiere abgefertigt, davon 24,4 Mio. in Zürich, 13,1 Mio. in Genf und 5,05 Mio. in Basel. 90 Flugbetriebsunternehmen, 90 Unterhalts- und 13 Herstellerbetriebe sowie über 140 Flugschulen
Zahlen: 2010, Statistik Bazl. tragen dazu bei, dass die Schweizer Zivilluftfahrt eine jährliche Wertschöpfung von rund 30 Mrd. Franken erzielt und 180 000 Personen Beschäftigung bietet. Unter Berücksichtigung aller Effekte beträgt der Anteil der Luftfahrt am schweizerischen BIP 5,6%.
Volkswirtschaftliche Bedeutung der Luftfahrt in der Schweiz. 1. Juni 2011, Infras.

Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Ökologie


Die zahlreichen Sicherheitsmassnahmen, denen sich die Luftfahrtindustrie unterziehen muss, stellen für diese eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Einschränkend ist allerdings festzuhalten, dass die entsprechenden Vorschriften der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation Icao und der EU weltweit bzw. europaweit Gültigkeit haben und deshalb die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Industrie nicht sonderlich beeinträchtigen. Trotz des wirtschaftlichen Nutzens, den sie generiert, sieht sich die schweizerische Luftfahrt mit vielfältigen ökologischen und vor allem lärmpolitischen Auflagen konfrontiert, welche sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Flugplätze und der hier ansässigen Fluggesellschaften nachteilig auswirken.Zudem leidet die Wettbewerbsfähigkeit der international ausgerichteten Schweizer Luftfahrtindustrie auch daran, dass ihre ausländischen Konkurrenten teilweise massiv subventioniert werden. So sind zwar die US- und europäischen Airlines grossmehrheitlich und die schweizerischen Fluggesellschaften vollumfänglich privatisiert. Im Mittleren Osten hingegen befinden sich die Airlines sowie die für den Flugbetrieb wichtigen Annexbetriebe zu über 80% im Eigentum des Staates oder staatsnaher Unternehmen.Die Sicherheit als oberste Maxime der Luftfahrt kann die Kapazitäten eines Flughafens und damit auch dessen Wirtschaftlichkeit limitieren. Der Flughafen Zürich als aviatische Schlüsselinfrastruktur unseres Landes zeichnet sich beispielsweise durch eine ausgesprochen hohe Komplexität im Betrieb aus. Die Ursache dafür liegt im Layout des Flughafens mit seinen gekreuzten Pisten und den Terminals dies- und jenseits der Rollbahnen. Hinzu kommen häufige Wechsel der Betriebsverfahren, die nicht nur wetterbedingt sind, sondern ihre Ursache vor allem auch in politischen Vorgaben haben. Zu erwähnen sind etwa die von Deutschland verhängten Sperrzeiten im süddeutschen Luftraum für Flüge von und nach Zürich. Dass komplexe Betriebsabläufe die Fehlerhäufigkeit erhöhen können, liegt auf der Hand. Um einen akzeptablen Sicherheitsstandard aufrecht zu erhalten, müssen zusätzliche Vorkehren baulicher, technischer und betrieblicher Art getroffen oder aber die Kapazitäten reduziert werden. Beides beeinträchtigt die Wirtschaftlichkeit eines Flughafens.Sicherheit bedingt aber auch ein Mindestmass an standardisierten Regulierungen und Aufsicht. Aufgrund des Luftverkehrsabkommens mit der EU übernimmt unser Land seit Dezember 2006 die Sicherheitsvorschriften der Europäischen Sicherheitsagentur (Easa). Um eine europaweit harmonisierte Sicherheitsregelung in allen Luftfahrtbereichen sicherstellen zu können, baut die Easa ihr Regulierungswerk stetig aus. Deren Übernahme bereitet vor allem den kleinen schweizerischen Aviatikunternehmen oft Mühe und verursacht beträchtliche Kosten. Zudem wurde die staatliche Aufsicht über die Luftfahrt in unserem Land als Folge von mehreren schweren Unfällen um die Jahrtausendwende verstärkt und verfeinert. Heute hat die Schweizer Luftfahrt in Sachen Sicherheit international wieder einen guten Ruf. Sicherheit hat aber ihren Preis. Die Kosten für die Umsetzung der Sicherheitsauflagen trägt vollumfänglich die Industrie. Indessen kann sie ihren Mehraufwand nicht in jedem Fall den Nutzern weitergeben, steht sie doch in einem starken internationalen Wettbewerb. Nicht immer stossen deshalb die Auflagen der Behörden auf das Verständnis in der Branche, auch wenn die Behörden bemüht sind, bei Sicherheitsvorgaben Augenmass zu bewahren. Denn eine Luftfahrt, die zwar sicher ist, aber sich nicht mehr finanzieren lässt, ist ohne volkswirtschaftlichen Nutzen.Eine prosperierende Luftfahrt bedeutet mehr Verkehr. Das verursacht tendenziell mehr Lärm-, CO2– und andere Emissionen. Zwar werden die Luftfahrzeuge infolge des technologischen Fortschritts generell immer leiser und verbrauchen weniger Treibstoff. Lärm und CO2-Ausstoss lassen sich auch durch effizientere Flugoperationen, direktere Flugrouten, kürzere Rollwege, Beschränkungen der Betriebszeiten und Schallschutzanlagen reduzieren. Die diesbezüglichen Anstrengungen der Industrie sind eindrücklich. Doch werden diese Emissionsreduktionen durch das Verkehrswachstum und die Kapazitätsausweitungen im Luftverkehr wieder aufgewogen. Flughäfen und Behörden sehen sich vermehrt mit Lärmklagen aus der Bevölkerung konfrontiert, deren Empfindlichkeit gegenüber Lärm und deren Ruhebedürfnis zunehmen. Langwierige Bewilligungsverfahren und Entschädigungsforderungen sind die Folge. Die Frage der Konkurrenzfähigkeit bzw. eines Konkurrenzvorteils der schweizerischen aviatischen Industrie stellt sich in einer besonderen Art angesichts des von der EU eingeführten Emissionshandelssystems für die Luftfahrt. Während Lärmfragen vorab auf nationaler oder auf zwischenstaatlicher Ebene angegangen werden können, lässt sich der Herausforderung des Klimaschutzes nur mit einem multinationalen oder weltweiten Ansatz begegnen. Auch wenn die Luftfahrt bloss für knapp 3% des globalen CO2-Ausstosses verantwortlich ist, kommt ihr im Kampf gegen die Klimaerwärmung eine wichtige Rolle zu. Die EU hat deshalb ein Emissionshandelssystem für die Luftfahrt eingeführt, das nicht nur auf Flüge innerhalb der EU, sondern auch auf solche von und nach den Staaten ausserhalb der EU Anwendung findet. Davon erfasst sind sämtliche Flüge von EU-Gesellschaften und sämtliche Flüge von Nicht-EU-Airlines in das Gebiet der EU. Dieses System stösst ausserhalb der EU aber auf erbitterten Widerstand. Vor diesem Hintergrund verhandelt die Eidgenossenschaft derzeit mit der EU über die Integration der Schweizer Luftfahrt in das europäische System. Die EU ist an einem Beitritt der Schweiz interessiert, weil sie nicht möchte, dass sich unser Land durch Abseitsstehen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Tritt die Schweiz nicht bei, kann dies zu Zerwürfnissen mit der EU führen. Bei einem Beitritt zum EU-System riskiert unser Land anderseits Retorsionsmassnahmen wichtiger Nicht-EU-Staaten, die es empfindlich treffen können. Für schweizerische Fluggesellschaften dürfte ein Fernbleiben vom EU-System auf den ersten Blick zwar wirtschaftlich eher interessant sein. Es stellt sich aber die Frage, ob sich unser Land in diesem Fall nicht andere volkswirtschaftlich oder politisch bedeutsame Nachteile einhandeln würde. Aus diesem Grund favorisiert die Schweiz eine weltweite Lösung.

Den Ausgleich schaffen


Die Politik muss Bedingungen schaffen, damit die Luftfahrtindustrie im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Menschen nach Mobilität, Sicherheit und Ruhe unter klaren rechtlichen Rahmenbedingungen rentabel arbeiten kann – und dies im Wesentlichen ohne staatliche Subventionen. Dieser Ausgleich geschieht unter anderem im Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL). Der Sachplan für den Flughafen Zürich wird nach langer Vorarbeit vom Bundesrat voraussichtlich im Jahr 2012 verabschiedet werden. Diesem liegen folgende Annahmen zu Grunde: Der Luftverkehr wird wohl auch in den nächsten Jahren wachsen. Bis ins Jahr 2025 ist weltweit von einer jährlichen Wachstumsrate von rund 2,5% auszugehen, wobei sich die massgeblichen Wachstumsmärkte in Asien, Lateinamerika und im Mittleren Osten befinden. Es ist absehbar, dass die drei Landesflughäfen – insbesondere Zürich – mittel- bis langfristig ihre Systemgrenzen erreichen werden. Mit Blick darauf werden bereits heute von der Luftfahrtindustrie und den Behörden Massnahmen geprüft, wie zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden können, beispielsweise durch Anpassungen von Flugrouten oder die Verlegung bestimmter Verkehrsarten – wie der Klein- oder Geschäftsluftfahrt – auf andere Flugplätze. Auch alternative Technologien, namentlich die Satellitennavigation, können neue Möglichkeiten für den Luftverkehr eröffnen. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hat deshalb ein nationales Programm zur Förderung von Satellitennavigation geschaffen. Erste Anwendungen von Satellitennavigation sind bereits in Betrieb.

Fazit


In der kleinräumigen Schweiz mit ihren ausgebauten demokratischen Mitwirkungsrechten ist es eine grosse Herausforderung, günstige Rahmenbedingungen für eine konkurrenzfähige Luftfahrt zu schaffen. Die Widerstände gegen Flughafenausbauten sind gross und die Bewilligungsverfahren entsprechend langwierig. Doch es sind gerade diese Verfahren, die eine gewisse Gewähr bieten, dass die wirtschaftlichen Interessen an der Luftfahrt, die Belange der Flugsicherheit und ökologische Anliegen in einen fairen Ausgleich gebracht werden und die Luftfahrt in der Bevölkerung weiterhin Akzeptanz findet.

Zitiervorschlag: Mueller, Peter (2012). Spannungsfeld Luftfahrt. Die Volkswirtschaft, 01. April.