Über die künftige Rolle der Schweizer Flugsicherung in Europa
Die Initiative der Europäischen Kommission für einen einheitlichen europäischen Luftraum will das Flugsicherungssystem in Europa in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Skyguide hat bereits viel unternommen, um seine Position angesichts dieser Entwicklung zu verbessern. Das Unternehmen stellt sich den Herausforderungen und sieht die verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Chance. Um bei der Reorganisation des europäischen Luftraumes grosse Schritte zu erzielen, braucht es jedoch mehr Führung seitens der Staaten.
Der europäische Luftraum ist heute stark fragmentiert. Er besteht aus zahlreichen kleinräumigen Lufträumen, die sich mehr an den nationalen Grenzen als an den tatsächlichen Bedürfnissen der Luftraumbenutzer orientieren. Dadurch können die Flugzeuge nicht auf direktem Weg von A nach B fliegen, sondern sind gezwungen, Umwege zu machen. Dies führt zu zusätzlichem Kerosinverbrauch, unnötigen Kosten und einem höheren CO2-Ausstoss. In Zukunft ist von einer weiteren Verkehrszunahme auszugehen, welche die Situation zusätzlich verschärfen wird. Zwar stagnierte das Verkehrswachstum in den letzten Jahren aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Prognosen gehen jedoch bis im Jahr 2018 von einem Zuwachs von über 10% aus. Umso dringender ist es, die Effizienz und die Leistungsfähigkeit des Flugsicherungssystems in Europa zu verbessern.
Für einen effizienteren europäischen Luftraum
Die Initiative der Europäischen Kommission für einen einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky) sieht vor, die kleinräumige Zerstückelung des Luftraums durch die Einführung von grösseren, grenzübergreifenden Luftraumblöcken zu reduzieren. Die Schweiz und Skyguide sind zusammen mit Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden an der Schaffung eines von insgesamt neun geplanten Luftraumblöcken in Europa beteiligt: dem Functional Airspace Block Europe Central Fabec (siehe Grafik 1). Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags im Dezember 2010 wurde der Fabec rechtlich gebildet. Ende 2012 soll er von den einzelnen Staaten ratifiziert sein. Welche Form die Zusammenarbeit im Fabec zukünftig annehmen wird, ist noch offen. Denkbar sind verschiedene Stufen der Kooperation von einer vertraglich geregelten Zusammenarbeit über gemeinsame Gesellschaften bis hin zu einer einzigen, integrierten Flugsicherungsfirma.Die Flugsicherungsunternehmen tun sich schwer mit dem voranschreitenden Kooperationsprozess. Dabei sind die gleichen Symptome auszumachen, wie sie auch für den europäischen Integrationsprozess typisch sind. Heute hat jede Flugsicherungsfirma ein Vetorecht; das verhindert die grossen Schritte. Obschon allen klar ist, dass kein Weg an einer verstärkten Integration vorbeiführt, gehen die Meinungen über den zu beschreitenden Weg zur Zeit noch weit auseinander.Konkrete Resultate gibt es im kleineren Rahmen: Das Nachtroutennetz sowie einzelne, häufig benutzte Verkehrsverbindungen zwischen den Hauptflughäfen wurden optimiert. Der Mehrwert für die Nutzer ist heute aber angesichts der Erwartungen an den Fabec noch viel zu klein. Für grössere Fortschritte bedarf es verstärkter Kooperationen. Die Schweiz und Skyguide haben einige Impulse dazu gegeben. Um wirklich vorwärts zu kommen, braucht es jedoch mehr Führung seitens aller beteiligten Staaten.
Skyguide mit neuer strategischer Ausrichtung gut aufgestellt
Die Schweizer Flugsicherung engagierte sich von Beginn an stark im Fabec-Projekt. Für ein kleines Land wie die Schweiz mit einem beschränkten Luftraum ist es von Vorteil, den Verkehr in einem grösseren Verbund organisieren zu können. Wir sehen deshalb die laufenden Entwicklungen als Chance für unser Land und für Skyguide. Der Schweizer Luftraum ist aufgrund seiner geografischen Lage im europäischen Kontext sehr wichtig. Skyguide hat zudem Erfahrung in der grenzüberschreitenden Flugsicherung und in der Bewirtschaftung komplexer Lufträume. Vor allem ist jedoch die enge Zusammenarbeit mit der Luftwaffe beispielhaft für Europa. Um ihre Konkurrenzfähigkeit weiter zu erhöhen, hat Skyguide in den letzten Jahren ihre Strategie neu ausgerichtet. Insbesondere in den Kernbereichen Kapazität und Kosteneffizienz konnte sie sich markant verbessern: Im Jahr 2011 wickelte Skyguide rund 97% der Flüge pünktlich ab – ein Rekord. Das gute Resultat ist verschiedenen Massnahmen zur Erhöhung der Kapazität im Luftraum zu verdanken. Dazu zählen Anpassungen bei der Luftraumstruktur, intensivierte Rekrutierungsanstrengungen sowie eine effizientere Planung des Personaleinsatzes. Ohne das Sicherheitsniveau anzutasten, hat das Unternehmen zudem seine Kostenstruktur seit 2007 kontinuierlich verbessert, dies vor allem durch interne Effizienzsteigerungen. Positiv zu werten ist weiter, dass Skyguide seit 2011 dank des verbesserten rechtlichen Rahmens Bundesbeiträge für unzureichend entgoltene Leistungen auf Regionalflugplätzen und in den delegierten Lufträumen erhält. Dies wird Skyguide ermöglichen, mittelfristig wieder ein ausgeglichenes Betriebsergebnis zu präsentieren. Um die von der Europäischen Kommission ab dem Jahr 2012 vorgegebenen – sehr ambitiösen – Leistungsziele in den Bereichen Kapazität, Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit im Sinne von Umweltverträglichkeit zu erreichen, wartet aber noch ein grosses Stück Arbeit auf uns.
Initiative für ein gemeinsames Kontrollzentrum
Skyguide verfolgt in Europa eine aktive Kooperationsstrategie. Im Jahr 2009 machte sie sich für die Idee eines gemeinsamen Kontrollzentrums mit Deutschland und Frankreich in der Grenzregion Basel stark. Das gemeinsame Zentrum hätte den gesamten Schweizer Luftraum und Teile des französischen und deutschen Luftraumes überwacht, so auch die delegierten Lufträume, die heute im Zuständigkeitsgebiet von Skyguide liegen. Damit sich das Vorhaben in finanzieller Hinsicht lohnt, hätte nebst den beiden Schweizer Zentren jedoch mindestens ein weiteres Kontrollzentrum konsolidiert werden müssen. Bei den anderen beteiligten Partnern fehlte leider die Bereitschaft dazu. Skyguide musste einsehen, dass die Zeit für ein solches Projekt nicht reif war.
Innovative Wege für eine verstärkte Zusammenarbeit
Aufgrund der neuen Ausgangslage mussten andere Kooperationsstrategien entwickelt werden. Die vielversprechendste Option ist die virtuelle Vernetzung der europäischen Zentren mit dem Ziel grösstmöglicher Interoperabilität. Voraussetzung dafür ist, dass die Arbeitsplätze der Flugverkehrsleiter standardisiert sind und die dahinter liegende Dateninfrastruktur zentral nach dem Vorbild einer «Informationscloud» aufgebaut ist. Die Vernetzung der beiden Zentren Genf und Dübendorf soll dafür als Beispiel dienen: Heute überwacht jedes Kontrollzentrum je eine Hälfte des Schweizer Luftraumes. Zukünftig soll es möglich sein, den gesamten Schweizer Luftraum entweder von Genf oder von Dübendorf aus zu kontrollieren. Dadurch gewinnt Skyguide an Flexibilität; zudem wird durch die Schaffung redundanter Zentren die Sicherheit weiter verstärkt. Die laufenden Arbeiten in Richtung Virtual Center haben in Europa Pioniercharakter und werden im Ausland Schule machen. Längerfristig streben wir im Rahmen einer Industriepartnerschaft eine weitere Verbreitung des Modells in Europa an.
Gemeinsam für eine starke Flugsicherung
Skyguide hat bereits viel unternommen, um seine Position im sich verändernden europäischen Umfeld zu verbessern. Eine besondere Herausforderung stellt zur Zeit die anhaltende Euro-Baisse dar. Über 90% des Betriebsaufwands erfolgt in Schweizer Franken; zwei Drittel der Einnahmen generiert Skyguide aber in Euro. Der Einheitstarif im Überflugbereich steigt in Euro umgerechnet deutlich an, ohne dass Skyguide reell in Schweizer Franken Mehreinnahmen generiert. Optionen zur Lösung des Europroblems prüfen wir im Rahmen des diesjährigen Strategieprozesses. Die Möglichkeiten zur Kostensenkung sind jedoch bald ausgeschöpft – es sei denn, wir verlagern grössere Teile des Geschäftes in den EU-Raum. Da stellt sich die Frage der politischen Wünschbarkeit. Wir wollen dank anerkannter Leistung die qualifizierten Arbeitsplätze und das grosse Know-how in einem hoch spezialisierten Gebiet, welches für die Schweiz von strategischer Bedeutung ist, erhalten. Um uns im Fabec entsprechend zu positionieren, braucht es weiterhin die starke Zusammenarbeit mit der Politik, den Behörden, der Luftwaffe sowie den Kunden und Partnern.
Grafik 1: «Luftraum des Functional Airspace Block Europe Central»
Kasten 1: Functional Airspace Block Europe Central
Functional Airspace Block Europe Central
Sechs Staaten
Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Schweiz.
Sieben Flugsicherungsanbieter
Administration de la Navigation Aérienne ANA, Belgocontrol, Deutsche Flugsicherung DFS, Direction des Services de la Navigation Aérienne DSNA, Luchtverkeersleiding Nederland LVNL, Maastricht Upper Area Control Centre MUAC, Skyguide.
Ein Luftraum im Herzen Europas
– 1,7 Mio. km²;– 5,3 Mio. Flüge pro Jahr;– 55% des europäischen Luftverkehrs;– Prognostiziertes Verkehrswachstum von 2012 bis 2018: 12% (Eurocontrol Februar 2012).
Zitiervorschlag: Weder, Daniel (2012). Über die künftige Rolle der Schweizer Flugsicherung in Europa. Die Volkswirtschaft, 01. April.