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Die neue Wirtschaftspolitik des Kantons Waadt vereint Neuausrichtung und Kontinuität

Die neue Wirtschaftspolitik des Kantons Waadt vereint Neuausrichtung und Kontinuität

Der Kanton Waadt hat ein Jahrzehnt des aussergewöhnlichen Wachstums hinter sich. Seit Beginn der 2000er-Jahre hat er sein wirtschaftliches Gefüge stark diversifiziert; gleichzeitig haben Dutzende von internationalen Firmen ihren Hauptsitz in den Kanton Waadt verlegt. Die «Politique d’appui au développement économique (Pade)» für die Jahre 2012–2017 sieht eine Verlagerung gewisser Prioritäten auf der Basis des vorhandenen Potenzials vor. Der Kanton setzt dabei stark auf Innovation als Triebkraft.

Im Vorwort zur Pade
Politique d’appui au développement économique (Pade) pour les années 2012–2017, vom Regierungsrat am 8. Juni 2011 verabschiedetes Dokument, S. 3. stellt der Regierungsrat fest, dass der Kanton Waadt in den letzten 15 Jahren seine Trümpfe und sein Potenzial erstaunlich gut habe ausspielen können. Das verdankt er in erster Linie den Unternehmern. Dennoch hat auch die staatliche Wirtschaftspolitik angesichts der «strukturell alternden» Wirtschaft und eines starken konjunkturellen Abschwungs eine wichtige Rolle gespielt. Trotz der Turbulenzen auf den Finanzmärkten, welche die Weltwirtschaft belasten, präsentiert sich der Kanton in beneidenswerter Verfassung, als eine Art «Wachstumsinsel». Das Wachstum ist hier noch dynamischer als in der übrigen Schweiz (siehe Tabelle 1). Der Regierungsrat ist der Meinung, dass die Anstrengungen zur Standortförderung weitergeführt werden sollten. Allerdings hat das ausgeprägte Wachstum, so löblich es auch sein mag, gewisse negative Effekte, die es zu vermeiden gilt. Bisher war das Wirtschaftswachstum eng mit der Ansiedlung internationaler Unternehmen verknüpft. Nun wird es darum gehen, diese Aktivitäten auf eine nächste Stufe zu heben. Im Hinblick auf Wachstum und wirtschaftliche Diversifizierung wird in Zukunft entscheidend sein, wie die herausragende Stärke des Kantons Waadt im Bereich Innovation mit seiner einmaligen Dichte an Hochschulen und Forschungsinstitutionen von gesamtschweizerischer Reichweite genutzt werden kann.

In diesem Zusammenhang steht die neue Pade, wie sie vom Regierungsrat definiert und erstmals in einem mehrjährigen Dokument formalisiert worden ist, sowohl für Kontinuität wie auch für eine Neuausrichtung:Einerseits Kontinuität, da die Pade zum grössten Teil aus der Kodifizierung der Strategien und Massnahmen der letzten Jahre resultiert.
Ebd., S. 6. In diesem Sinne legt sie die Hauptprioritäten des Regierungsrates fest, präzisiert die Erwartungen an die mit der Umsetzung betrauten Organisationen und definiert die Zielsetzungen der Projekte mit wirtschaftlicher oder touristischer Ausrichtung, welche Subventionen oder Beiträge auf der Basis des Loi cantonale sur l’appui au développement économique (Lade) erhalten.
Ebd., S.5.Andererseits Neuausrichtung, da sich die Pade nicht mit der Verallgemeinerung der bestehenden guten Praktiken begnügt. Denn sie schreibt eine Koordination vor welche die Arbeitsweise des Staates und der anerkannten Organisationen verändert. Zudem werden einige Prioritäten neu gesetzt, indem das Schwergewicht eher auf Forschung und Entwicklung (F&E) und Produktion gelegt wird. Und schliesslich wird eine gewisse Vereinheitlichung der Entwicklung auf dem gesamten Kantonsgebiet angestrebt. Ein spezielles Augenmerk wird dabei auf das Finden neuer Gleichgewichte zwischen Typen von Aktivitäten und Wirtschaftsregionen gelegt.Konkret sieht das Lade Massnahmen in folgenden drei Bereichen vor:− Förderung von Wirtschaft und Tourismus des Kantons;− Valorisierung des regionalen Potenzials;− Begünstigung der Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

Stärken beibehalten und Chancen wahrnehmen


In dieser Logik der Ausschöpfung des bestehenden Potenzials und dem Erschliessen neuer Opportunitäten hat der Staat auf eine Swot-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) zurückgegriffen. Diese erprobte Methode zur Erarbeitung wirtschaftlicher Strategien wurde in drei Bereiche unterteilt: die gesamte Wirtschaftsstruktur, die Gebietsaufteilung und die bestehenden staatlichen Aktivitäten.Aufgrund der Analyse konnten in einem ersten Schritt drei durchgängige Herausforderungen identifiziert werden:− Die Kohärenz und Effizienz der regionalen, kantonalen und überkantonalen staatlichen Aktivitäten;− Die Ausstrahlung und der Bekanntheitsgrad des Kantons als Wirtschafts- und Tourismusraum mit einer integrierten Standortförderung, d.h. durch die Pflege eines gemeinsamen Images unter dem Dach von vaud.ch;− Instrumente zur Erfassung und Evaluation der Wirtschaftsstruktur sowie der regionalen und sektoriellen Wirtschaftsentwicklung.In einem zweiten Schritt konnten dank der Managementdiagnostik acht thematische Bereiche unterschieden werden, welche der Regierungsrat mit massgeschneiderten Mitteln angehen will:1. Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur durch gezielte Unterstützung von Branchen und Aktivitäten mit grossem Entwicklungs- und Innovationspotenzial;2. Anpassung auf die Bedürfnisse von KMU und Start-ups in den Bereichen Strategie, Beratung und Finanzierung;3. Innovation im Hinblick auf die Schaffung von Unternehmen und Arbeitsplätzen in Branchen mit hoher Wertschöpfung;4. Internationalisierung der waadtländischen Wirtschaftsstruktur;5. Entwicklung eines kohärenten, qualitativ hoch stehenden und nachfrageorientierten touristischen Angebots, das mit der Standortförderung koordiniert ist;6. Schaffung eines Angebotes an Arealen und Räumlichkeiten, das an den Bedürfnissen der Branchen und Unternehmen ausgerichtet und mit der Wohnraumpolitik koordiniert ist;7. Förderung der sozioökonomischen Vitalität der Zentren;8. Wirtschaftliche Valorisierung der natürlichen Ressourcen, des kulturellen Erbes und des Know-hows.

Finanzielle Unterstützung ist unabdingbar


Die Pade präzisiert, auf welche Wirtschaftsbranchen die finanzielle Unterstützung prioritär auszurichten ist. Darunter sind auch die bereits 2006 definierten sechs Branchen: Life Sciences, Präzisionsinstrumente, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Ernährungsindustrie und Landwirtschaft, Tourismus sowie Cleantech. Neu hinzu kamen 2011 die Luxusgüterindustrie und der internationale Sport.Der Kanton Waadt hat die zur Erreichung seiner wirtschaftspolitischen Ziele notwendigen Instrumente und finanziellen Mittel
Das Lade führt die bis dahin in verschiedenen Gesetzen verstreuten Mittel zusammen: das Loi sur la promotion économique, das Loi sur le développement régional, das Loi vaudoise d’application de la loi fédérale sur l’aide à l’investissement dans les régions de montagne, das Loi sur le tourisme, der Fonds d’équipement touristique sowie das Décret relatif à la politique des pôles de développement. bereitgestellt, dies unter Einhaltung der verfassungsmässigen Prinzipien der Wirtschaftsfreiheit, des unverfälschten Wettbewerbs und der Subsidiarität staatlichen Handelns. Die Mittel à fonds perdu werden – abhängig vom jährlichen Budgetrahmen – dem Service de la promotion économique et du commerce (Speco)
2011: 25 Mio. Franken. zur Verfügung gestellt. Mit diesem Instrument werden einerseits die kantonalen, regionalen oder interkantonalen Förderorganisationen finanziert (rund 2/3 des Budgets); andererseits werden daraus die regionalen oder unternehmensbezogenen Projekte sowie die Erbringer von Unternehmensdienstleistungen gespiesen (rund 1/3 des Budgets). Ausserdem können mit dem Lade zinslose Darlehen, Bürgschaften und Rückbürgschaften gewährt werden. Insgesamt ist aber immer zu beachten, dass die vom Pade abgedeckten Elemente nicht die Gesamtheit der staatlichen Wirtschaftspolitik umfasst. Die waadtländische Regierung ist sich denn auch darüber im Klaren, dass bei der Ausgestaltung der für wirtschaftliches Handeln entscheidenden Rahmenbedingungen auch andere staatliche Politiken eine Schlüsselrolle einnehmen.
Vgl. Pade., S. 5. Die Wirkungen der Pade werden nach deren Abschluss genau evaluiert.

Innovation: Einmalige Position des Kantons Waadt


Um die Pade erfolgreich zu gestalten, setzt der Kanton Waadt stark auf Innovation. Auf der Basis seines aktuellen Potenzials will der Kanton mehrere Partner auf der neuen Plattform InnoVaud zusammenbringen. Die Plattform ist von der gleichnamigen Vereinigung ins Leben gerufen worden und mit einem Mandat des Kantons ausgestattet. Sie ist von ähnlichen Aktivitäten anderer Kantone inspiriert, welche ebenfalls Netzwerk-Plattformen ins Leben gerufen haben. Solche Aktivitäten sind angesichts der immer stärker werdenden internationalen Konkurrenz notwendig geworden. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Schwellenländer, die lange ausschliesslich in der wertschöpfungsextensiven Produktion tätig gewesen sind, neuerdings aktive Innovationsförderung betreiben und Talente anzuziehen vermögen.Der Kanton Waadt ist dieser Entwicklung nicht hilflos ausgeliefert, im Gegenteil: Seine Stärken sind offensichtlich. Erstens hat er eine schweizweit einmalige Konzentration an Hochschul- und Forschungsinstitutionen vorzuweisen. Zweitens ist seine Wirtschaftsstruktur vielseitig. Aufgrund seiner Positionierung in der Spitzenindustrie und -technologie nimmt er automatisch eine führende Rolle als Inkubator von Innovationen ein. Dies zeigt sich auch darin, dass die Branchen mit Technologieanteil einen wesentlichen Beitrag zum kantonalen Wachstum leisten (siehe Grafik 1). Trotz dieser günstigen Ausgangslage sind der Regierungsrat und die unten erwähnten Partner der Meinung, dass die Les- und Sichtbarkeit des Innovationsnetzwerks verbessert werden muss. Es müssen kohärente Formen der Unterstützung und Strategien entwickelt und die Erfolgsaussichten der Gesellschaften und Projekte erhöht werden. Als Resultat dieser Aktivitäten sollen Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung in KMU und Start-ups geschaffen werden.Die Umsetzung dieses Programms unter der Federführung des Département de l’économie (DEC) und des Département de la formation, de la jeunesse et de la culture (DFJC) ist dann von entscheidender Bedeutung, wenn der Return on Investment noch klar negativ ausfällt. InnoVaud will in drei zur Gründung neuer Unternehmen entscheidender Phasen unterstützend eingreifen: Zunächst bei der Standortsuche, dank der vorhandenen Reserven an gut erschlossenen Arealen; anschliessend bei der Finanzierung, die für die Lancierung eines Projekts entscheidend ist; und schliesslich der Begleitung in Form von Beratungs- und Coaching-Angeboten.

Kompetente und engagierte Partner


Das Projekt InnoVaud bringt eine Reihe von Schlüsselplayern unter einen Hut. All diese Organisationen stellen ihre professionellen Kompetenzen und vorhanden Ressourcen – auch finanzieller Art – zur Verfügung:− Die Bildungs- und Forschungsinstitutionen sowie die Organe des Technologietransfers;− Die bestehenden Standortstrukturen, d.h. Technoparks, Gründerzentren und Inkubatoren; − Die Leistungserbringer der Innovationsunterstützung, d.h. die Beratungs- und Finanzierungsorgane;− Die Banque Cantonale Vaudoise;− Die Waadtländische Handels- und Industriekammer (WHIK);− Das Centre Patronale;− Die Associations régionales du développement économique (Codev).Für die nächsten 10 Jahre (ab 2012) budgetiert InnoVaud seinen finanziellen Rahmen auf 130 Mio. Franken, gegenüber 82 Mio. Franken in der vorangegangenen Periode. Der Kanton Waadt trägt diesem erhöhten Mittelbedarf ebenfalls Rechnung und hat sein Engagement via DEC und DFJC von bisher 15 Mio. auf 47 Mio. Franken ausgeweitet. Ab dem elften Jahr seiner Existenz soll dieser ausserordentliche Beitrag an InnoVaud durch einen Mechanismus abgelöst werden, der die finanzielle Autonomie der Plattform innerhalb des ordentlichen Budgets des Kantons Waadt garantiert.Parallel zu dieser langfristig ausgerichteten Leitung hat der Regierungsrat einen Strategischen Plan 2012–2015 für den Kanton erarbeitet. Dessen Ziel ist es, dass in diesem Zeitraum 40 neue Unternehmen mit 400 Stellen gegründet werden. Dazu sollen Investitionen in Start-ups von regionalen, nationalen und ausländischen Fonds angezogen werden. Gestärkt werden müssen überdies die Brücken zwischen den Hochschul- und Forschungsinvestitionen und den Unternehmen mittels Technologietransfer.

Grafik 1: «Mittleres Jährliches Netto-Wachstum des Kantons Waadt nach Sektoren, 2005–2008»

Tabelle 1: «Reales BIP der Schweiz und des Kantons Waadt: Jährliche Wachstumsraten (in %)»

Zitiervorschlag: Lionel Eperon (2012). Die neue Wirtschaftspolitik des Kantons Waadt vereint Neuausrichtung und Kontinuität. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.