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Stabile und gerechte Verhältnisse für eine ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung

Stabile und gerechte Verhältnisse für eine ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung

Ziel der Wirtschafts- und Wachstumspolitik ist, eine möglichst hohe Zufriedenheit der Schweizer Bevölkerung mit ihrer Situation zu erreichen. Das ist dann der Fall, wenn es in der Schweiz gute und sichere Arbeitsplätze mit fairen Löhnen gibt und eine gute Versorgung mit Waren und Dienstleistungen zu einem angemessenen Preis gewährleistet ist. Effektiv ist aber in den letzten Jahren die Unsicherheit gestiegen und die Einkommensverteilung schiefer geworden. Die finanzielle Lage vieler Haushalte ist schwierig: 26% der Haushalte mit Kindern hat beispielsweise zu wenig Geld für unerwartete Ausgaben, wie etwa für den Zahnarzt, dies obwohl die Schweiz eines der reichsten Länder ist.

Die Gewinner der letzten Jahre in der Schweiz waren die hohen Einkommen und Vermögen. Sie profitierten von überdurchschnittlichen Einkommenszuwächsen sowie von steuerlichen Entlastungen. Die tiefen und mittleren Einkommen stiegen hingegen kaum. Belastend waren dabei insbesondere die höheren Krankenkassenprämien und die steigenden Wohnkosten sowie die unverändert hohen Kinderbetreuungskosten. Das Problem der Schweiz ist also nicht das Niveau der Arbeitsproduktivität, wie vom Bund im Kontext mit den Wachstumsanalysen und -berichten immer wieder gesagt wird, sondern vor allem die Verteilung. Die in den Analysen des Bundes immer wieder beklagte tiefe Arbeitsproduktivität ist schon deshalb nicht das Problem, weil sie auf aggregierten Produktivitätsbetrachtungen beruhen, die ökonomisch umstritten sind. Für innovative, hochentwickelte Volkswirtschaften sind diese sehr fragwürdig. So gelten Investitionen in Forschung und Entwicklung als Vorleistungen, was im Falle der Schweiz eine deutlich tiefere Arbeitsproduktivität ergibt, als sie wirklich ist.

Gescheiterte Liberalisierungspolitik


Die wirtschaftliche Unsicherheit ist weltweit gestiegen. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 ist das globale Finanzsystem instabil und auf staatliche Stabilisierungsmassnahmen angewiesen. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind hoch. Teilweise zahlen wir nun für die Deregulierungspolitik auf den Finanzmärkten. Die Liberalisierungspolitik im Service public der 1990er-Jahre ist in vielen Bereichen gescheitert. Die marktmächtige Stellung der Swisscom ist in einzelnen Bereichen wie der Mobiltelefonie kaum reguliert. Das führt zu hohen Preisen. Auch im Glasfaserbereich zeichnet sich eine unkontrollierte Entwicklung ab. Die Strommarktöffnung wird in der Schweiz inzwischen sehr kritisch gesehen, da sie entgegen den fragwürdigen Versprechen u.a. nicht zu tieferen Strompreisen geführt hat. Der öffentliche Verkehr stösst an seine Kapazitätsgrenzen. Das ist umweltpolitisch und volkswirtschaftlich unerwünscht. Die grössten Umweltbelastungen rühren vom privaten Strassenverkehr her.

Politische Prioritäten für eine stabile Wirtschaftsentwicklung


Die Schweizer Wirtschafts- und Wachstumspolitik hat wichtige Aufgaben zu erledigen:– Die Nationalbank muss den überbewerteten Franken mit Unterstützung des Bundes rasch in Richtung 1,40 Fr./Euro bringen. – Unter der Führung des Bundes müssen die Kapazitätsengpässe im öffentlichen Verkehr beseitigt werden. – Damit die Zahl der bezahlbaren Wohnungen mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten kann, muss sich die öffentliche Hand stärker engagieren. – Die Telekom- und Stromversorgung benötigt eine strengere ex-ante Regulierung. – In der Gesundheitspolitik ist eine gerechtere Finanzierung überfällig. Das Kostenwachstum muss vor allem durch planerische Massnahmen beim Angebot gedämpft werden. – Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sind das einzige Instrument, mit dem die Zuwanderung von Arbeitskräften gesteuert werden kann. Der Grundsatz der Flankierenden ist, dass in der Schweiz Schweizer Löhne bezahlt werden und Schweizer Arbeitsbedingungen gelten. Bund und Kantone müssen diesen Grundsatz konsequent durchsetzen, damit die inländischen Arbeitnehmenden durch die Arbeitsmarktöffnung nicht benachteiligt werden.– Die Steuerpolitik muss endlich effizient werden. Steuersenkungen für Unternehmen und Aktionäre sind falsch investiertes Geld, da diese bereits heute tiefe Steuerbelastungen geniessen und nicht auf weitere Erleichterungen angewiesen sind. – Das Geld wird für Entlastungen bei den Krankenkassenprämien und zur Finanzierung der ausserhäuslichen Kinderbetreuung gebraucht.

Fazit


Die gesamte Bevölkerung muss Anteil haben an der wirtschaftlichen Entwicklung, nicht nur eine privilegierte Schicht. Folgt die Politik diesem Grundsatz, führt das nicht nur zu einer gerechteren, sondern auch zu einer stabileren wirtschaftlichen Entwicklung.

Zitiervorschlag: Daniel Lampart (2012). Stabile und gerechte Verhältnisse für eine ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.