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Zweitwohnungsbaustopp: Mögliche Auswirkungen auf die Immobilienpreise in den Tourismusregionen

Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative führt in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20% zu markant veränderten Rahmenbedingungen der Wohnimmobilienmärkte. Der faktische Baustopp für Zweitwohnungen wird auf der einen Seite die Preise von bestehenden Zweitwohnungen weiter in die Höhe treiben. Auf der anderen Seite ist bei den im Grundbuch deklarierten und neuen Erstwohnungen sowie unbebautem Bauland in Zukunft mit empfindlichen Preiseinbussen zu rechnen.



Selten hallt der Ausgang einer Volksabstimmung derart nach und sind die Auswirkungen so gross wie bei der Annahme der Zweitwohnungsinitiative. Zweitwohnungen sind nicht nur ein lokales Phänomen in einzelnen bekannten touristischen Gemeinden, sondern sie sind ein prägendes Merkmal des gesamten Schweizer Wohnimmobilienmarktes. Insgesamt schätzen wir die Anzahl Zweitwohnungen heute auf rund 500 000 Einheiten.
Die letzten offiziellen Zahlen stammen aus dem Jahr 2000, weswegen wir uns bei unseren aktuellen geschätzten Werten auf die Bautätigkeit und die Bevölkerungsentwicklung seit dem Jahr 2000 stützen. Das entspricht einem Zweitwohnungsanteil von über 12% im Landesmittel. Diese Grössenordnung legt nahe, dass die Annahme der Zweitwohnungsinitiative weitaus grössere Auswirkungen auf den Schweizer Immobilienmarkt und die regionale Wirtschaft hat, als sich die meisten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger beim Ausfüllen der Abstimmungsunterlagen gedacht haben. Der von den Initianten gesetzte Schwellenwert eines maximalen Zweitwohnungsanteils von 20% wird heute von mehr als 550 der 2515 Schweizer Gemeinden übertroffen. Dazu gehören praktisch alle auch nur halbwegs touristisch geprägten Gemeinden im Alpenbogen (siehe Grafik 1). Die klassischen touristischen Gemeinden haben im Durchschnitt heute sogar einen Zweitwohnungsanteil von mehr als 50%. Damit bedeutet die Annahme der Zweitwohnungsinitiative in diesen Gemeinden faktisch einen Baustopp für Zweitwohnungen auf unbegrenzte Zeit.

Rahmenbedingungen sind zurzeit noch unklar


Die Wohnimmobilienmärkte in den betroffenen Gemeinden stehen vor markant veränderten Rahmenbedingungen. Um die mittel- und langfristigen Konsequenzen besser abschätzen zu können, ist es notwendig, die genauen Folgen der Zweitwohnungsinitiative zu verstehen. Doch nicht nur bei der Frage der Übergangsbestimmungen, sondern auch bei der grundlegenden Frage, welche Wohnungen überhaupt betroffen sind, gibt es heute noch grosse Fragezeichen. Zunächst stellt sich die Frage, was alles unter einer Zweitwohnung zu verstehen ist. Aufgrund von bisherigen Reaktionen ist davon auszugehen, dass es auch in Zukunft möglich sein wird, bewirtschaftete Zweitwohnungen zu erstellen. Gemäss erstem Verordnungsentwurf müssen diese im Rahmen von strukturierten Beherbergungsformen angeboten werden; oder der Eigentümer wohnt im selben Haus und die Wohnungen sind nicht individualisiert ausgestaltet

Zweiteilung des Wohnungsmarktes aufgrund der Zweitwohnungsinitiative


In den betroffenen Gemeinden zeichnet sich eine Zweiteilung des Wohnungsmarktes ab. Die Besitzer von bestehenden Zweitwohnungen werden von der Annahme der Volksinitiative profitieren können, da es auch in Zukunft möglich sein wird, eine bestehende Zweitwohnung als solche weiterzuverkaufen. Anders gestaltet sich die Situation für die Besitzer von deklarierten und neuen Erstwohnungen sowie von Bauland in den betroffenen Gemeinden. Gemäss heutigem Kenntnisstand muss davon ausgegangen werden, dass diese Wohnungen und Bauland nur noch an Wohnsitzhabende weiterverkauft werden dürfen. Bei sogenannt altrechtlichen Wohnungen – d.h. Wohnungen, die im Grundbuch keinen Erst- oder Zweitwohnungseintrag haben – spricht sich die Arbeitsgruppe Zweitwohnungen des Bundes für die Möglichkeit eines freien Verkaufs aus, was von den Initianten abgelehnt wird (siehe Kasten 1

Arbeitsgruppe Zweitwohnungen: Verordnungsentwurf für konferenzielle Anhörung bereit


Ittigen, 24.5.2012. Die Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative hat die an der letzten Sitzung begonnene Diskussion zum Verordnungsentwurf fortgesetzt. Der Besitzstand soll garantiert bleiben. Das bedeutet, dass Bauten, die unter dem bis zum 11. März 2012 geltenden Recht gebaut und genutzt wurden, auch künftig in dem Mass genutzt werden dürfen, wie dies zum Zeitpunkt der Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen rechtlich zulässig war. Bestehende Wohnungen sollen frei verkauft und vererbt werden können. Im Zentrum des Verordnungsentwurfs steht der Umgang mit neuen Zweitwohnungen in Gemeinden, die bereits einen Zweitwohnungsanteil von über 20% aufweisen. Die Arbeitsgruppe schlägt für die konferenzielle Anhörung vor, dass diese Gemeinden künftig nur dann neue Zweitwohnungen bewilligen dürfen, wenn es sich um «warme Betten» handelt. Als Zweitwohnungen sollen dabei all jene Wohnungen gelten, in denen Nutzer keinen Wohnsitz haben. Bezüglich des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verordnung sollen zwei Varianten – 1. September 2012 bzw. 1. Januar 2013 – in die Anhörung gegeben werden.

). Altrechtliche Wohnungen können somit voraussichtlich in Bezug auf die zu erwarteten Preiseffekte den Zweitwohnungen zugeordnet werden. Diese Zweiteilung des Marktes legt nahe, den Preiseffekt für beide Märkte getrennt zu betrachten.

Auswirkungen auf den Zweitwohnungsmarkt


Bereits heute ist die Preisentwicklung von Zweitwohnungen in den bekannten touristischen Destinationen Ausdruck einer nationalen und internationalen Nachfrage nach einem Refugium in den Schweizer Bergen – und nicht das Marktergebnis aus Angebot und lokaler Nachfrage. Vielerorts ist das Angebot nicht mehr durch das mögliche Absatzpotenzial limitiert, sondern durch das beschränkte Bauland an attraktiven Lagen sowie die Kontingentierung des Zweitwohnungsbaus, die in den vergangenen Jahren bereits in einigen Gemeinden eingeführt worden ist. Das hat die Preisdynamik der letzten Jahre zusätzlich verstärkt. Mangels genügend Neubauten konnten insbesondere auch Bestandsobjekte davon profitieren.

Weiterer Rückgang des Angebots


Mit der Annahme der Zweitwohnungsinitiative wird das Angebot an Zweitwohnungen auf dem Markt nochmals zurückgehen. Zudem wird die Initiative die Marktliquidität stark reduzieren, da viele bestehende Besitzer ihre Zweitwohnungen mangels Neukaufmöglichkeiten nicht mehr verkaufen werden. Weil die nationale und internationale Nachfrage nach Zweitwohnungen ungebrochen hoch bleibt, werden die Preise für Zweitwohnungen aufgrund dieser künstlich geschaffenen Angebotsverknappung weiter steigen. Damit wird der Wert der Bausubstanz bei der Preisfindung zunehmend in den Hintergrund rücken. Vielmehr dürfte es für die zahlungskräftigen potenziellen Käufer entscheidend sein, überhaupt in den Besitz einer Zweitwohnung zu kommen.

Erwartete Preisentwicklung


Die bisherige Preisentwicklung in den touristischen Destinationen stellt einen guten Benchmark dar, um die Grössenordnungen der Preiszuwächse in den kommenden Jahren abschätzen zu können. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Immobilienpreise gerade in den letzten fünf Jahren schweizweit stark zulegten. Mit der Angebotsverknappung in den touristischen Destinationen scheint es aber realistisch, dass vergleichbare Wachstumsraten auch in Zukunft erreicht werden. Im Durchschnitt sind die Preise von Eigentumswohnungen in den touristischen Gemeinden in den letzten fünf Jahren um jährlich 6,6% angestiegen. Dabei gibt es aber grosse Unterschiedene zwischen den Destinationen, wie ein Blick auf einige bekannte Orte zeigt (siehe Grafik 2). Zwar sind die höchsten Preise nach wie vor in den klassischen Destinationen – wie Crans-Montana, Gstaad oder St. Moritz – zu finden. Die höchsten jährlichen Zuwachsraten konnten aber gut erreichbare Destinationen – wie Leysin (16%), Villars (Ollon, 15%) oder Champéry (14%) – sowie Gemeinden im Einzugsgebiet der Topdestinationen – wie Samedan (12%) und Bever (11%) bei St. Moritz – erreichen. Wir gehen davon aus, dass die noch nicht ganz so bekannten, gut erreichbaren Destinationen sowie touristische Gemeinden im Schatten der Topdestinationen weiterhin überproportional zulegen werden. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass plötzlich im gesamten Alpenbogen Höchstpreise zu bezahlen sind. Die Infrastruktur und internationale Bekanntheit der einzelnen Destinationen wird auch in Zukunft für Preisunterschiede sorgen.

Nicht-touristische Gemeinden


Was bedeutet das fehlende Angebot an Zweitwohnungen sowie die in Zukunft noch höheren Preise in den touristischen Destinationen für nicht-touristische Gemeinden im Alpenbogen? Ein Blick auf Grafik 1 zeigt, dass in den Berggebieten kaum noch Potenzial für Zweitwohnungen vorhanden ist. Nur in vereinzelten Gemeinden – wie Susch und Lavin im Unterengadin – liegt der Zweitwohnungsanteil noch knapp unter 20%. Aufgrund der fehlenden Tourismusinfrastruktur dürfte deren Preispotenzial jedoch deutlich geringer sein, da die Zweitwohnungsbesitzer jeweils das Auto oder den ÖV verwenden müssen, um die entferntere Infrastruktur nutzen zu können. Das dürfte die Nachfrage nach Zweitwohnungen in diesen Gemeinden stark limitieren.

Preise für deklarierte und neue Erstwohnungen geraten unter Druck


Wird die Zweitwohnungsinitiative umgesetzt, wie es die Arbeitsgruppe plant, so wird die Preisbildung der deklarierten und neuen Erstwohnungen in touristischen Gemeinden fundamental verändert. Bisher bestand für die meisten Neuerwerber von Erstwohnungen die Realoption, die Wohnung an einen Zweitwohnungsinteressenten zu verkaufen. Aufgrund dieser Option konnte natürlich auch bei einem Verkauf an einen Einheimischen der gleich hohe Preis gelöst werden. Die Möglichkeit des Verkaufs an einen Zweitwohnungseigentümer fällt bei deklarierten und neu erstellten Erstwohnungen in Zukunft weg. Das Preisniveau von solchen Erstwohnungen in touristischen Gemeinden dürfte sich folglich demjenigen vergleichbarer nicht touristischen Gemeinden annähern – sprich spürbar zurückgehen. Eine vollständige Konvergenz ist allerdings nicht zu erwarten, und dies aus folgenden Gründen:− Erstens werden auf der Nachfrageseite – neben der regionalen Nachfrage nach Erstwohnungen – immer noch Kaufinteressenten mit höherer Zahlungsbereitschaft auf dem Markt zu finden sein. Haushalte, welche die Bedingungen für die Erstwohnsitznahme erfüllen, können wie bisher ihren Erstwohnsitz in die touristische Gemeinde verlegen. − Zweitens kommen mehr Haushalte mit höherem Einkommen als in anderen nicht-touristischen Gemeinden hinzu. − Drittens können Haushalte, die bereits eine Zweitwohnung in einer touristischen Gemeinde haben und darüber hinaus die Kriterien für den Besitz einer Erstwohnung erfüllen, sowie Besitzer einer altrechtlichen Wohnung Arbitrage betreiben. Diese werden einen starken Anreiz haben, ihr bestehendes Heim als Zweitwohnung zu verkaufen und am selben Ort eine Erstwohnung zu bauen. Mit Preisrückgängen für neu erstellte Erstwohnungen ist erst mit dem Ende der bestehenden Rechtsunsicherheit zu rechnen. Danach dürften die Preise in einer ersten Phase recht rasch nachgeben und ein erstes Gleichgewicht auf einem tieferen Niveau wiederfinden. Die Preise dürften mittelfristig zudem unter Druck bleiben, weil der zu erwartende Stellenabbau im Baugewerbe und als Kettenreaktion in diversen weiteren Branchen der Wertschöpfungskette die Erstwohnungsnachfrage dämpfen wird.

Niveau des Preisrückgangs für neue Erstwohnungen und Bauland


Welchem Niveau könnten sich die Preise für neue Erstwohnungen mittel- bis langfristig annähern? Einen Anhaltspunkt gibt der qualitative Vergleich von touristischen Gemeinden, in welchen der Zweitwohnungsmarkt floriert, mit ähnlich gelegenen Gemeinden, welche weniger touristisch geprägt sind, einen tieferen Zweitwohnungsanteil haben und deren Bekanntheitsgrad weniger gross ist (siehe Grafik 3). Die Preisdifferenz verdeutlicht somit, wie weit die Preise von Zweit- und Erstwohnungen maximal auseinanderliegen dürften. Geschmälert wird diese Spanne dadurch, dass die Vergleichsgemeinden für Einheimische – z.B. aufgrund fehlender Zentrumsfunktion – ebenfalls etwas unattraktiver sein dürften. Der Vergleich zeigt deshalb den oberen Rand des Abschlags, welcher sich für das in der Grafik dargestellte Sample im Mittel bei 39% bewegt. In der Praxis dürfte der Abschlag geringer ausfallen und sich bei 20% bis 30% einpendeln, weil Zuzüger mit der obligatorischen Wohnsitznahme den Erstwohnungsmarkt zumindest etwas beleben dürften. Noch viel stärker als die Preise von neuen Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser könnten die Bodenpreise nachgeben. Möchte zum Beispiel ein Investor Land entwickeln, so wird seine Zahlungsbereitschaft für das Bauland – bei gleich bleibenden Baukosten und erwarteter prozentualer Marge – noch deutlicher abnehmen als der Erlös aus dem Verkauf der Wohneinheiten. Der Grund liegt bei den konstanten Baukosten, welche die nach Abzug der Marge verbleibenden Mittel für den Landkauf stärker schmelzen lassen. Damit dürften Besitzer von unbebautem Bauland in den betroffenen Gemeinden die veränderten Rahmenbedingungen am stärksten zu spüren bekommen.

Auswirkungen auf Bauwirtschaft und Beschäftigung


Die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf das Preisgefüge in touristischen Gemeinden sind nur ein Teil der Geschichte. Viel unmittelbarer werden sich die negativen Konsequenzen in der Bauwirtschaft in Form eines Rückgangs der Beschäftigung bemerkbar machen. Aufgrund von Zweit- und Drittrundeneffekten werden die Auswirkungen jedoch erst in einigen Jahren absehbar sein. Allein im Bau- und Ausbaugewerbe muss im schlimmsten Fall in den am stärksten betroffenen Regionen mit Beschäftigungsrückgängen von bis zu 60% gerechnet werden. Insbesondere in der Hotellerie wird sich zeigen, ob die negativen Effekte (keine Quersubventionierung durch Verkäufe von Zweitwohnungen) durch die positiven Substitutionseffekte (mehr Logiernächte in Hotels anstatt in neuen Zweitwohnungen sowie günstigeres Bauland) wettgemacht werden können.

Grafik 1: «Geschätzter Anteil Zweitwohnungen in den Schweizer Gemeinden»

Grafik 2: «Preiswachstum von Stockwerkeigentum in touristischen Destinationen, 1. Quartal 2007–1. Quartal 2012»

Grafik 3: «Preisvergleich von neuen Eigentumswohnungen mittleren Ausbaustandards, 1. Quartal 2012»

Kasten 1: Arbeitsgruppe Zweitwohnungen: Verordnungsentwurf für konferenzielle Anhörung bereit

Arbeitsgruppe Zweitwohnungen: Verordnungsentwurf für konferenzielle Anhörung bereit


Ittigen, 24.5.2012. Die Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative hat die an der letzten Sitzung begonnene Diskussion zum Verordnungsentwurf fortgesetzt. Der Besitzstand soll garantiert bleiben. Das bedeutet, dass Bauten, die unter dem bis zum 11. März 2012 geltenden Recht gebaut und genutzt wurden, auch künftig in dem Mass genutzt werden dürfen, wie dies zum Zeitpunkt der Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen rechtlich zulässig war. Bestehende Wohnungen sollen frei verkauft und vererbt werden können. Im Zentrum des Verordnungsentwurfs steht der Umgang mit neuen Zweitwohnungen in Gemeinden, die bereits einen Zweitwohnungsanteil von über 20% aufweisen. Die Arbeitsgruppe schlägt für die konferenzielle Anhörung vor, dass diese Gemeinden künftig nur dann neue Zweitwohnungen bewilligen dürfen, wenn es sich um «warme Betten» handelt. Als Zweitwohnungen sollen dabei all jene Wohnungen gelten, in denen Nutzer keinen Wohnsitz haben. Bezüglich des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verordnung sollen zwei Varianten – 1. September 2012 bzw. 1. Januar 2013 – in die Anhörung gegeben werden.

Zitiervorschlag: Philippe Kaufmann, Thomas Rieder, (2012). Zweitwohnungsbaustopp: Mögliche Auswirkungen auf die Immobilienpreise in den Tourismusregionen. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.