Kantone als Konzerne: Herausforderung Risikomanagement
Die öffentliche Hand ist an einer grossen Anzahl rechtlich eigenständiger Unternehmen beteiligt. Viele Kantone haben erst in den letzten Jahren konzeptionelle und rechtliche Grundlagen zum Umgang mit ihren Beteiligungen geschaffen. Die Umsetzung des Risikomanagements stellt dabei eine besondere Herausforderung dar, solange Diversifizierungs- und Privatisierungsstrategien aus politischen Gründen nur begrenzt möglich sind.
Die im Jahr 2009 publizierte Studie «Kantone als Konzerne»
Meister, Urs (2009): Kantone als Konzerne – Einblick in die kantonalen Unternehmensbeteiligungen und deren Steuerung; Kantonsmonitoring, Avenir Suisse, Zürich. von Avenir Suisse schuf erstmals eine umfassende Übersicht über das Ausmass, die Strukturen und das Management der Unternehmensbeteiligungen der Kantone. Ende 2008 wiesen diese rund 1000 Beteiligungen an rechtlich eigenständigen Unternehmen auf.
Ämter, unselbstständige Anstalten, Pensionskassen, Stiftungen und kurzfristige Anlagen/liquide Mittel wurden nicht als Unternehmensbeteiligungen definiert. Beteiligungen an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen wurden in der Studie zwar ausgewiesen, aufgrund der laufenden Strukturveränderungen jedoch in der aggregierten Analyse nicht erfasst. Da an einigen Unternehmen teilweise mehrere Kantone beteiligt sind, beläuft sich die Anzahl der Unternehmen auf rund 600. Die Beteiligungen teilen sich wie folgt auf: − 190 im öffentlichen Verkehr; − 146 im Finanzensektor (v.a. Banken, Versicherungen, Kredit- und Bürgschaftsgenossenschaften); − 102 im Bereich Energie; − 56 in der Bildung; − 42 im Bereich Gesundheit (v.a. Spitäler); − 447 Übrige (v.a. Landwirtschaft). Lediglich bei rund 8% aller Beteiligungen waren die Kantone alleinige Eigner; bei weiteren 8% waren sie Mehrheitseigner. In den Bilanzen der Kantone wurden die Beteiligungen Ende 2007 mit einem Wert von rund 8,3 Mrd. Franken geführt. Der tatsächliche Marktwert dürfte jedoch weit höher liegen. Dies illustriert die Beteiligung des Kantons Bern am Stromverbundunternehmen BKW (siehe Grafik 1). Der Marktwert dieses 53%-Aktienpakets lag Ende 2007 bei rund 4 Mrd. Franken. Bis Ende 2011 reduzierte er sich jedoch auf weniger als 1 Mrd. Franken. Dieser Verlust hat sich beim Kanton allerdings kaum bemerkbar gemacht, weil die BKW-Beteiligung mit ihrem Nominalwert von rund 69 Mio. Franken in den Büchern steht.Die Analyse der kantonalen Beteiligungsportfolios zeigt zwei wichtige Aspekte auf: − Erstens ist die Zahl an Minderheitsbeteiligungen bei vielen Kantonen sehr hoch. Die Möglichkeit der Einflussnahme ist daher für einen einzelnen Kanton begrenzt. Zudem sind viele kleine Unternehmensbeteiligungen historisch bedingt, wobei heute weder ein Bedürfnis noch die Notwendigkeit einer politischen Steuerung besteht. − Zweitens entstehen durch die grösseren Beteiligungen vermehrt relevante finanzielle Risiken für die Kantone. In den zunehmend liberalisierten Märkten bergen neue Geschäfts- und Wachstumsmodelle nicht nur Gewinn-, sondern auch erhebliches Verlustpotenzial. Das gilt nicht zuletzt für die Stromproduzenten und Kantonalbanken. Im Elektrizitätssektor illustrieren die marktbedingt sinkenden Aktienkurse der Verbundunternehmen zwischen 2008 und 2012 das Beteiligungsrisiko für die Kantone. Bei den Kantonalbanken geben die vielfältigen Erfahrungen mit Sanierungs- und Stützungsmassnahmen einen Hinweis auf das Gefahrenpotenzial für die öffentlichen Finanzen (vgl. Kasten 1
Risikohafte Kantonalbankengagements der Kantone
Die 24 Schweizer Kantonalbanken gehören zu den finanziell bedeutsamsten Beteiligungen der Kantone. 2010 vereinten sie Bilanzwerte von 440 Mrd. Franken und erwirtschafteten Bruttogewinne von insgesamt 4 Mrd. Franken.a Auch wenn sie weiterhin lokal und regional verankert sind, haben viele Institute auf internationale Märkte expandiert.b Dabei sind sie – wie ihre privaten Konkurrenten – volatilen Zinsen und Wechselkursen ausgesetzt. Auch vor internationalen Rechtsstreitigkeiten sind sie nicht gefeit, was die potenziellen US-Klagen gegen Kantonalbanken im Zusammenhang mit der vermuteten Beihilfe zur Steuerhinterziehung von amerikanischen Bürgern illustrieren. Daneben bestehen auch lokale Unwägbarkeiten. Beispielsweise könnte sich im Falle einer Überhitzung am Immobilienmarkt das traditionell starke Hypothekar-Engagement für inlandorientierte Kantonalbanken als Klumpenrisiko erweisen.c Weil die Kantone die Werte ihrer Beteiligungen bisher meist sehr tief auf Basis der Nominalwerte ausgewiesen haben, scheinen die wirtschaftlichen Gefahren für die Steuerzahler auf den ersten Blick begrenzt. Tatsächlich aber müssten zur Bestimmung des finanziellen Risikos die weit höheren Marktwerte zugrunde gelegt werden. Zudem haften die Kantone (ausser Genf, Waadt und Bern) spätestens im Liquidationsfall explizit für alle offenen Verbindlichkeiten ihrer Kantonalbanken. Ein Blick auf das Verhältnis zwischen Bilanzsumme der Banken und den jährlichen Ausgaben der Kantone zeigt, dass dieses Haftungsrisiko signifikant ist und die Kantonsfinanzen stark strapazieren könnte (vgl. Grafik 2).Faktisch entfalten diese Haftungsverpflichtungen zudem die Wirkung von Bestandesgarantien.d Kostspielige Hilfsaktionen zu Gunsten einzelner Kantonalbanken – teils in Milliardenhöhe – sind in den vergangenen 20 Jahren denn auch keine Seltenheit geblieben. Die Kantone Bern (1993), Jura (1996), Genf (2000), Wallis (2000), Waadt (2001/2002) und Glarus (2008) sahen sich dazu gezwungen, die Finanzen ihrer Kantonalbanken zu sanieren. Die Kantonalbanken Solothurns (1995) und Appenzell-Ausserrhodens (1996) konnten gar nur durch Vollprivatisierungen «gerettet» werden.e Mit Genf und der Waadt mussten auch zwei Kantone ihre Banken stützen, die über keine vollumfängliche Staatsgarantie verfügten. Es besteht sogar die Gefahr, dass die Verankerung expliziter Staatsgarantien die Risikoneigung der Kantonalbanken erhöht. Denn diese verbessern die Bonitätsratings der Banken und ermöglichen es ihnen, am Interbanken- und Obligationenmarkt zu besseren Konditionen Geld aufzunehmen. Tatsächlich bewertete Moody’s 2011 die intrinsische Finanzkraft der Zürcher und der St. Galler Kantonalbanken – d.h. deren Bonität unter Ausblendung der Staatsgarantie – lediglich mit einem C+, und stuft sie damit nur leicht höher als die UBS (C) und tiefer als die CS (B) ein. Dank expliziter Staatsgarantie erhalten die beiden Kantonalbanken aber effektiv um vier- bis fünf Stufen höhere Ratings (Aaa und Aa1). Interessant dabei ist, dass die expliziten Staatsgarantien für ZKB und SGKB zu höheren Bonitätsaufwertungen führen als die impliziten Staatsgarantien für UBS und CS – und damit auch zu potenziell höherem Moral Hazard.f
a Vgl. Verband Schweizerischer Kantonalbanken (2011): Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Kantonalbanken. Stand 31. Dezember 2010.b Gemäss Angaben der ZKB weist beispielsweise rund ein Drittel ihrer Wertschöpfung einen «Auslandbezug» auf. Vgl. Zürcher Kantonalbank (2012): Geschäftsbericht 2011, S.29.c Vgl. Schweizerische Nationalbank (2011): Stabilitätsreport 2011, S.27.d Die Staatsgarantien der Kantonalbanken können in beschränkte und unbeschränkte unterschieden werden. In den meisten Fällen haftet der Kanton nach der Liquidation subsidiär für die Verbindlichkeiten seiner Bank. Faktisch wirkt aber auch die subsidiäre Haftung als Bestandesgarantie, da die Kantone durch Interventionen Konkurse zu verhindern versuchen. Vgl. Geiger, Hans und Beat Kräuchi (2003): Umstrittene Staatsgarantie der Kantonalbanken. Moral-Hazard-Risiken und hohe Kosten sowie Gut, Ursula (2009): Hat die Staatsgarantie eine neue Bedeutung erhalten? Referat beim Bankkaderverein vom 19. März 2009.e Vgl. Rodrigues, Michel und Manfred Büchler (2008): Kantonalbanken: Nicht jede Staatsgarantie bietet gleiche Sicherheit. Vontobel Credit Report. 10. März 2008, S.7 f.f Vgl. Schweizerische Nationalbank (2011): Stabilitätsreport 2011, S.39. Würden die jeweiligen expliziten und impliziten Staatsgarantien wegfallen, verschlechterten sich die Moody’s Ratings der ZKB um fünf, der SGKB um vier, der UBS um drei und der CS um zwei Stufen. und Grafik 2). In Anbetracht des administrativen Aufwands, der eingeschränkten Möglichkeiten der Einflussnahme sowie der Beteiligungsrisiken drängt sich für die Kantone eine Überprüfung ihrer Portfolios bezüglich Zusammensetzung und Management auf.
Schaffung neuer Gesetze und Richtlinien
Neben der Grösse und den Risiken der Beteiligungsportfolios verdeutlichte die Avenir-Suisse-Studie auch die mangelnde Transparenz und die fehlenden Instrumente und Prozesse des Beteiligungsmanagements. Dazu gehören etwa die Zuteilung der organisatorischen Verantwortlichkeit für das Beteiligungsmanagement, die institutionalisierte Trennung von Eigentümer- und Einkäuferfunktionen zur Vermeidung von Interessenkonflikten, verschiedene Steuerungs- und Controllinginstrumente sowie das Risikomanagement des öffentlichen Finanzhaushalts. Nur gerade zwei Kantone (Waadt und Zürich) verfügten 2009 über ein umfassendes Risikomanagement. Auf gesetzlicher Ebene existierten bis 2009 ebenfalls nur im Kanton Waadt und teilweise im Kanton Zürich fundierte Grundlagen zum Beteiligungsmanagement.
Im Kanton Zürich existierte kein separates Gesetz zum Beteiligungsmanagement. Vielmehr wurde dieses als Teil der Verordnung über die Organisation des Regierungsrats und der kantonalen Verwaltung (VOG RR) aus dem Jahr 2007 sowie im Rahmen des Gesetzes über Controlling und Rechnungslegung (CRG) aus dem Jahr 2006 geregelt. Auf Basis verschiedener Richtlinien verfügten daneben vor allem die Kantone Aargau, Jura und Luzern über gewisse Rahmenbedingungen. Während die Beteiligungsportfolios bis heute kaum wesentliche Veränderungen erfahren haben, ist das Bewusstsein über die Relevanz eines systematischen Managements der Unternehmensbeteiligungen grösser geworden. So haben verschiedene Kantone neue Gesetze oder Richtlinien geschaffen. Folgende – nicht abschliessende – Liste illustriert die Breite der eingeleiteten Reformen in den Kantonen:− 2009 setzte der Kanton Basel-Landschaft eine Verordnung über das Controlling der Beteiligungen in Kraft. − 2010 erliess der Kanton Basel-Stadt Public-Corporate-Governance-Richtlinien zum Beteiligungsmanagement. − Der Regierungsrat des Kantons Bern verabschiedete 2010 ein «Gesamtkonzept der Aufsicht und des Controllings gegenüber den kantonalen Beteiligungen, Unternehmen und Institutionen». In Form einer Richtlinie soll das Konzept einen Rahmen für das Beteiligungsmanagement schaffen. − Ende 2010 setzte der Kanton Graubünden eine «Verordnung zur Umsetzung der Public Corporate Governance» in Kraft. − Anfang 2012 präsentierte der Kanton Luzern eine Gesetzesvorlage über die Normierung und Umsetzung von Public Corporate Governance. − Auch der Kanton Zürich hat ein neues Projekt zum Thema Public Corporate Governance und dem Management von Unternehmensbeteiligungen lanciert.
Ziele und Herausforderungen bei der Umsetzung
Die von den Kantonen erlassenen Gesetze und Richtlinien verfolgen eine Reihe von Zielen. Zunächst geht es um die Schaffung von Transparenz über das Ausmass der Beteiligungen sowie um die Koordination zwischen politischen, Eigentümer- und Unternehmenszielen. Weiter sollen die unternehmerischen und finanziellen Risiken abgeschätzt sowie minimiert werden. Und schliesslich sollen Notwendigkeit und Ausgestaltung des kantonalen Engagements regelmässig überprüft sowie eine standardisierte Berichterstattung gewährleistet werden.Während die Ziele in Bezug auf Transparenz und Berichterstattung relativ einfach umzusetzen sind, dürften vor allem jene zum Risikomanagement und zur Überprüfung des staatlichen Engagements grössere Herausforderungen darstellen. Bei diesen beiden Aspekten geht es letztlich um die Frage, ob und in welchem Ausmass der Kanton überhaupt beteiligt sein sollte. Damit verbunden sind aber auch vielfältige politische Interessen. Nicht selten werden öffentliche Unternehmen als eine Art «eierlegende Wollmilchsau» betrachtet. Das öffentliche Engagement soll nicht nur Versorgungssicherheit und tiefe Tarife garantieren, sondern auch Erträge für die Staatskasse generieren. Gleichzeitig sollen regional-, industrie- und umweltpolitische Ziele über die Ausgestaltung der Unternehmensstrategien verfolgt werden. Derart unterschiedliche und sich widersprechende Ansprüche sind in der Praxis nicht umsetzbar. Das gilt insbesondere, wenn die staatlichen Gesellschaften in zunehmend offenen, wettbewerblichen Märkten agieren. Weil dort die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die Regulierung, aber auch die Preisbildung in zunehmendem Ausmass auf nationaler und oft internationaler Ebene erfolgen, werden die Kantone zu blossen Unternehmern. So zeigt der Energiesektor exemplarisch, wie schwierig es für die Kantone geworden ist, eine eigenständige Politik zu verfolgen, etwa im Sinne einer autarken Versorgung oder einer Energiewende. Würde ein öffentlicher Stromversorger aus politischen Motiven ausschliesslich auf neue erneuerbare Energien setzen, wären die Tarife derart hoch, dass (Gross-)Kunden ihren Anbieter wechseln würden. Umgekehrt garantieren auch Investitionen in neue Grosskraftwerke keine sicheren Renditen: Die wenig dynamische Konjunktur in Europa sowie Überkapazitäten im Kraftwerkspark sorgen seit längerem für tiefe Preise, Abschreibungen und Verluste bei den Stromproduzenten.
Marktverzerrungen und Grenzen des Risikomanagements
Neben den Risiken für die öffentlichen Haushalte sprechen auch ordnungspolitische Gründe für eine Neubeurteilung des kantonalen Engagements in wettbewerblichen Märkten. Schliesslich geht damit inhärent die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen einher – beispielsweise durch eine einseitige Bevorzugung staatlicher Unternehmen bei der Auftragsvergabe oder durch marktverzerrende Beihilfen. Möchte der Staat gewisse Grundversorgungsleistungen sicherstellen, die wegen ihrer Unwirtschaftlichkeit in einem freien Markt nicht erbracht werden, dann sollte er diese wettbewerbsneutral beschaffen und finanzieren. Beispielsweise könnte er gewisse Leistungen im öffentlichen Nahverkehr im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen bei unabhängigen Anbietern beschaffen.
Meister, Urs (2012): Mehr Markt für den Service public. Warum die Schweizer Infrastrukturversorgung weniger Staat und mehr Wettbewerb braucht; Verlag Neue Zürcher Zeitung. Diese ordnungspolitischen Überlegungen hängen interessanterweise eng mit der Frage des Risikomanagements zusammen. Auch aus der Optik des Risikomanagements der öffentlichen Haushalte ist es zweckmässig, die Beteiligungen in erster Linie dort abzubauen, wo die Märkte für den Wettbewerb geöffnet wurden. Denn mit der Intensität der Konkurrenz steigen auch die unternehmerischen Risiken. Die Reduktion der Beteiligungsquoten stellt letztlich die einfachste und direkteste Strategie zur Risikominimierung dar. Mit den Erträgen aus der Veräusserung können alternativ sicherere Anleihen ins Portfolio aufgenommen oder eigene Schulden abgebaut werden. Möglich wäre auch eine stärkere Diversifizierung des staatlichen Beteiligungsportfolios. Doch dürfte es in vielen Kantonen schwierig sein, Mehrheiten in der Politik und der Bevölkerung für den Verkauf staatlicher Unternehmen – wie Stromproduzenten, Kantonalbanken oder Spitäler – zu gewinnen. Dies stellt das Risikomanagement der Kantone vor grosse Herausforderungen. Anstelle von Umschichtungen im Beteiligungsportfolio könnten die Kantone versuchen, die Unternehmensstrategien direkt zu beeinflussen, um besonders risikoreiche Investitionen oder Geschäftsmodelle zu verhindern. Damit sind aber andere Schwierigkeiten verbunden:− Dies stellt hohe unternehmerische Anforderungen an das Know-how und die Ressourcen des Kantons, der eigene Kompetenzen für die Beurteilung der Strategien benötigt.− Es besteht die Gefahr, dass der Kanton die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen gefährdet. Wird durch risikominimierende Interventionen das Wachstum systematisch gebremst, verlieren die Unternehmen Möglichkeiten zur Nutzung kostensenkender Skalen- und Verbundeffekte. − Ein vom Kanton verordneter unternehmerischer Fokus auf das eigene Territorium oder das Inland kann zusätzliche Risiken schaffen. Denn die risikomindernden Effekte einer geografischen Diversifizierung würden dadurch verlorengehen. − Letztlich ist zu bezweifeln, dass es dem Kanton gelingt, die Unternehmensstrategien effektiv zu beeinflussen. Einerseits besteht die Gefahr, dass die strategischen Vorgaben des Kantons durch divergierende politische Interessen verwässert werden. Anderseits wird es dem Unternehmen in vielen Fällen gelingen, die Einflussnahme mit dem Hinweis auf die Marktsituation abzuwehren. So zeigen Beispiele aus Deutschland, dass Elektrizitätswerke mit dem Verweis auf den schärferen Wettbewerb ihren Handlungsspielraum erhöhen und politische Erwartungen zurückweisen konnten.
Vgl. Edeling, Thomas, Erhard Stölting und Dieter Wagner (2004): Öffentliche Unternehmen zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Kapitalerhöhungen als Grund für weitere Privatisierungen
Bislang profitieren viele staatliche Unternehmen von ihrer historisch begründeten starken Marktposition, von halbherzigen Marktöffnungen sowie von der Ertragskraft bestehender Produktionsanlagen, die noch unter dem Monopolregime erstellt worden sind. Doch das kann sich in den kommenden Jahren ändern. So illustriert gerade der Strommarkt, dass – etwa im Hinblick auf den Atomausstieg – bedeutende Investitionen im In- und Ausland getätigt werden müssen. Nicht in allen Fällen werden die öffentlichen Unternehmen derart grosse Investitionen ausschliesslich mit eigenen finanziellen Mitteln oder mit zusätzlichem Fremdkapital finanzieren können. Das bedeutet, dass sich die Kantone plötzlich dazu gezwungen sehen könnten, zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Dies gilt auch im Zusammenhang mit dem sogenannten «Heimfall» von Wasserkraftwerken: Gebirgskantone und -gemeinden erhalten in den kommenden Jahren vermehrt die Möglichkeit, sich durch die Übernahme der Anlagen direkt im Energiegeschäft zu engagieren. Dies garantiert jedoch keine sicheren Erträge. Häufig müssen die Anlagen erneuert werden, wodurch ein entsprechender Finanzierungsbedarf entsteht. Dies könnte die politische Wahrnehmung staatlicher Beteiligungen verändern: Nun geht es nicht um den Verkauf des vermeintlichen Tafelsilbers, sondern eher um einen Zukauf.
Wer trägt das unternehmerische Risiko?
Dadurch stellt sich noch offensichtlicher die Frage, ob unternehmerische Risiken durch den Staat bzw. den Steuerzahler getragen werden sollten. Letztlich wird auch die Politik feststellen müssen, dass sich die Kantonshaushalte nicht für die Finanzierung von Investitionen in wettbewerblichen Märkten eignen. Schliesslich gehen damit bedeutende Gefahren für die Kantonsfinanzen einher – vor allem wenn öffentliche Unternehmen wegen vorteilhafter Finanzierungsbedingungen risikoreiche Strategien verfolgen. Nötig ist daher ein Umdenken: Für die Kantone wäre es sinnvoller, via Steuern und anderer Abgaben – wie Konzessionsgebühren – am Erfolg der Unternehmen zu partizipieren. Das unternehmerische Risiko sollte dagegen von privaten, diversifizierten Investoren getragen werden.
Grafik 1: «Entwicklung der Börsenkurse schweizerischer Verbundunternehmen (BKW und Alpiq) im Vergleich zum Swiss Market Index (SMI)»
Grafik 2: «Verhältnis der Bilanzsummen der Kantonalbanken (sowie der beiden Grossbanken) und der konsolidierten Ausgaben ihres Heimatkantons (des Bundes) in %, 2010»
Kasten 1: Risikohafte Kantonalbankengagements der Kantone
Risikohafte Kantonalbankengagements der Kantone
Die 24 Schweizer Kantonalbanken gehören zu den finanziell bedeutsamsten Beteiligungen der Kantone. 2010 vereinten sie Bilanzwerte von 440 Mrd. Franken und erwirtschafteten Bruttogewinne von insgesamt 4 Mrd. Franken.a Auch wenn sie weiterhin lokal und regional verankert sind, haben viele Institute auf internationale Märkte expandiert.b Dabei sind sie – wie ihre privaten Konkurrenten – volatilen Zinsen und Wechselkursen ausgesetzt. Auch vor internationalen Rechtsstreitigkeiten sind sie nicht gefeit, was die potenziellen US-Klagen gegen Kantonalbanken im Zusammenhang mit der vermuteten Beihilfe zur Steuerhinterziehung von amerikanischen Bürgern illustrieren. Daneben bestehen auch lokale Unwägbarkeiten. Beispielsweise könnte sich im Falle einer Überhitzung am Immobilienmarkt das traditionell starke Hypothekar-Engagement für inlandorientierte Kantonalbanken als Klumpenrisiko erweisen.cWeil die Kantone die Werte ihrer Beteiligungen bisher meist sehr tief auf Basis der Nominalwerte ausgewiesen haben, scheinen die wirtschaftlichen Gefahren für die Steuerzahler auf den ersten Blick begrenzt. Tatsächlich aber müssten zur Bestimmung des finanziellen Risikos die weit höheren Marktwerte zugrunde gelegt werden. Zudem haften die Kantone (ausser Genf, Waadt und Bern) spätestens im Liquidationsfall explizit für alle offenen Verbindlichkeiten ihrer Kantonalbanken. Ein Blick auf das Verhältnis zwischen Bilanzsumme der Banken und den jährlichen Ausgaben der Kantone zeigt, dass dieses Haftungsrisiko signifikant ist und die Kantonsfinanzen stark strapazieren könnte (vgl. Grafik 2).Faktisch entfalten diese Haftungsverpflichtungen zudem die Wirkung von Bestandesgarantien.d Kostspielige Hilfsaktionen zu Gunsten einzelner Kantonalbanken – teils in Milliardenhöhe – sind in den vergangenen 20 Jahren denn auch keine Seltenheit geblieben. Die Kantone Bern (1993), Jura (1996), Genf (2000), Wallis (2000), Waadt (2001/2002) und Glarus (2008) sahen sich dazu gezwungen, die Finanzen ihrer Kantonalbanken zu sanieren. Die Kantonalbanken Solothurns (1995) und Appenzell-Ausserrhodens (1996) konnten gar nur durch Vollprivatisierungen «gerettet» werden.e Mit Genf und der Waadt mussten auch zwei Kantone ihre Banken stützen, die über keine vollumfängliche Staatsgarantie verfügten. Es besteht sogar die Gefahr, dass die Verankerung expliziter Staatsgarantien die Risikoneigung der Kantonalbanken erhöht. Denn diese verbessern die Bonitätsratings der Banken und ermöglichen es ihnen, am Interbanken- und Obligationenmarkt zu besseren Konditionen Geld aufzunehmen. Tatsächlich bewertete Moody’s 2011 die intrinsische Finanzkraft der Zürcher und der St. Galler Kantonalbanken – d.h. deren Bonität unter Ausblendung der Staatsgarantie – lediglich mit einem C+, und stuft sie damit nur leicht höher als die UBS (C) und tiefer als die CS (B) ein. Dank expliziter Staatsgarantie erhalten die beiden Kantonalbanken aber effektiv um vier- bis fünf Stufen höhere Ratings (Aaa und Aa1). Interessant dabei ist, dass die expliziten Staatsgarantien für ZKB und SGKB zu höheren Bonitätsaufwertungen führen als die impliziten Staatsgarantien für UBS und CS – und damit auch zu potenziell höherem Moral Hazard.f
a Vgl. Verband Schweizerischer Kantonalbanken (2011): Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Kantonalbanken. Stand 31. Dezember 2010.b Gemäss Angaben der ZKB weist beispielsweise rund ein Drittel ihrer Wertschöpfung einen «Auslandbezug» auf. Vgl. Zürcher Kantonalbank (2012): Geschäftsbericht 2011, S.29.c Vgl. Schweizerische Nationalbank (2011): Stabilitätsreport 2011, S.27.d Die Staatsgarantien der Kantonalbanken können in beschränkte und unbeschränkte unterschieden werden. In den meisten Fällen haftet der Kanton nach der Liquidation subsidiär für die Verbindlichkeiten seiner Bank. Faktisch wirkt aber auch die subsidiäre Haftung als Bestandesgarantie, da die Kantone durch Interventionen Konkurse zu verhindern versuchen. Vgl. Geiger, Hans und Beat Kräuchi (2003): Umstrittene Staatsgarantie der Kantonalbanken. Moral-Hazard-Risiken und hohe Kosten sowie Gut, Ursula (2009): Hat die Staatsgarantie eine neue Bedeutung erhalten? Referat beim Bankkaderverein vom 19. März 2009.e Vgl. Rodrigues, Michel und Manfred Büchler (2008): Kantonalbanken: Nicht jede Staatsgarantie bietet gleiche Sicherheit. Vontobel Credit Report. 10. März 2008, S.7 f.f Vgl. Schweizerische Nationalbank (2011): Stabilitätsreport 2011, S.39. Würden die jeweiligen expliziten und impliziten Staatsgarantien wegfallen, verschlechterten sich die Moody’s Ratings der ZKB um fünf, der SGKB um vier, der UBS um drei und der CS um zwei Stufen.
Zitiervorschlag: Meister, Urs; Scherrer, Ivo (2012). Kantone als Konzerne: Herausforderung Risikomanagement. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.