Perspektiven des Industriestandortes Schweiz
Die Ausgangslage und die Perspektiven für die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) sind grundsätzlich gut. Das garantiert allerdings noch keinen künftigen Erfolg. Die Branche steht in einem globalen Wettbewerb, und der starke Franken drückt massiv auf die Margen. Wer in diesem Spiel nicht sorgsam mit seinen Trümpfen umgeht, verliert. Im Interesse einer Industrie, die auch künftig in der Schweiz Wertschöpfung erbringen, Arbeitsplätze schaffen und erfolgreich exportieren soll, dürfen die bestehenden Rahmenbedingungen nicht verschlechtert werden.
Im Gegensatz zu vielen traditionellen Industrieländern, in denen der sekundäre Sektor einen teilweise signifikanten Rückgang erlitt, hat sich die MEM-Industrie in der Schweiz in den letzten 10 Jahren gut behauptet. Der trotz Untergrenze von 1,20 CHF/ Euro immer noch überbewertete Franken hat der hohen Wettbewerbsfähigkeit der MEM-Industrie allerdings temporär einen Dämpfer versetzt.
Die vier Trümpfe der Schweiz
Dieser Erfolg hat viele Väter. Die Trümpfe der MEM-Industrie, welche den Nährboden für die künftigen Erfolge bilden, lassen sich in vier Stichworten zusammenfassen: − Unternehmertum: Die guten Perspektiven für die überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bestehende MEM-Industrie liegen vor allem in den Unternehmen selbst begründet. Die Branche ist gut aufgestellt und in zukunftsträchtigen Bereichen tätig. Viele Unternehmen sind Weltmarktführer in ihren Marktsegmenten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die starke Überbewertung des Schweizer Frankens haben jedoch ihre Spuren hinterlassen. Aber der traditionell innovationsstarke unternehmerische Geist in dieser Branche wird – das zeigt die Erfahrung – dazu führen, dass die MEM-Industrie gestärkt aus der aktuell schwierigen Situation hervorgeht: Es wird aus heutiger Sicht nicht zu einer Deindustrialisierung kommen.− Bildung und Innovation: Ein wichtiger Trumpf ist die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Fachkräften. Sie gründet auf einem hervorragenden dualen Bildungssystem, das die Wirtschaft auf allen Stufen bedarfsgerecht mit Nachwuchs versorgt. Die technischen Hochschulen und die Forschungsinstitute in der Schweiz gehören zu den besten der Welt. Sie sind der Katalysator, der die herausragenden Innovationen der Industrie ermöglicht. Nicht von ungefähr belegt die Schweiz in den einschlägigen Innovationsrankings weltweit Spitzenpositionen. Um an der Spitze zu bleiben, sind verstärkte Anstrengungen bei der Ausbildungs- und Forschungstätigkeit unerlässlich. − Flexibilität: In einer Welt mit ausgeprägten Konjunkturzyklen brauchen die Unternehmen Rahmenbedingungen, die ein rasches Handeln ermöglichen. Der flexible Arbeitsmarkt, gepaart mit der gut funktionierenden Sozialpartnerschaft, ist dabei ein entscheidender Faktor, der für den Produktionsstandort Schweiz spricht. Diese Qualität darf nicht durch neue Regulierungen und Einschränkungen aufs Spiel gesetzt werden.− Offenheit: Die mentale Offenheit ermöglicht den Blick auf Neues, was eine Grundvoraussetzung für die Innovationskraft der Schweiz ist. Und die institutionelle Offenheit in Form von Freihandelsabkommen mit der EU und anderen Ländern ist für die stark exportorientierte MEM-Industrie existenziell. Der Abschluss neuer Freihandelsabkommen – insbesondere mit den Bric-Staaten – würde die Perspektiven der Exportindustrie weiter verbessern. Ein zentrales Element der Offenheit bildet auch die Personenfreizügigkeit mit der EU. Sie ermöglicht es den Unternehmen, im gesamten europäischen Arbeitsmarkt Spitzenkräfte zu rekrutieren. Der kleine Arbeitsmarkt in der Schweiz kann den Bedarf nur zum Teil decken. Angesichts dieser beiden Gegebenheiten sind die aktuellen Angriffe auf die Personenfreizügigkeit schlicht unverantwortlich. Richtig ist es aber, die flankierenden Massnahmen durchzusetzen.
Den Rahmenbedingungen Sorge tragen
In der Legislatur 2012–2015 kommt es zu einer Vielzahl politischer Entscheide, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer MEM-Industrie direkt oder indirekt beeinflussen werden. Um die guten Perspektiven für die MEM-Industrie nicht zu gefährden, müssen neue Regulierungen und Kostenbelastungen für die Industrie zwingend vermieden werden. Aber auch den Phantasien einer aktiven Industriepolitik muss eine Absage erteilt werden. Sie führen nur zu teuren volkswirtschaftlichen Verzerrungen und nützen der Industrie langfristig nichts. Das belegen zahlreiche ausländische Beispiele.
Zitiervorschlag: Hess, Hans (2012). Perspektiven des Industriestandortes Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.