Suche

Abo

Die neuen Entdecker: Wie Gäste aus Asien dem Schweizer Tourismus neuen Schub verleihen

Die neuen Entdecker: Wie Gäste aus Asien dem Schweizer Tourismus neuen Schub verleihen

Die Asiaten kommen in Scharen. Sie entdecken das kleine Land im Herzen Europas – fast wie einst die Briten, die uns den Tourismus gebracht haben. Besonders zahlreich besuchen uns die Chinesen. Auch in Indien rangiert die Schweiz als Prestige-Destination zuoberst auf der Wunschliste. Wer sind diese Gäste aus dem fernen Osten? Was erwarten sie von ihren Gastgebern? Und werden sie dereinst unsere Stammgäste aus Europa ablösen? Schweiz Tourismus verfolgt klare Wachstumspläne in Asien, nicht zuletzt, um weltweite Schwankungen aufzufangen.

Kürzlich sagte mir ein hochrangiges chinesisches Delegationsmitglied, das bei uns zu Besuch war, völlig «unasiatisch» euphorisch: «Switzerland is the world’s garden!» Es sind die Natürlichkeit, Echtheit, aber auch Überschaubarkeit der Schweiz, die wie ein Magnet auf Gäste aus China, Indien, Korea und Südostasien wirken. Und sie staunen: In der Schweiz kann man Wasser aus dem See trinken; Robidogs und Wegweiser sind Standard auf unseren Wanderwegen; Recycling ist Bürgerpflicht, ja Ehrensache. In einer Stunde gelangen sie von lieblichen Städten mit Top-Shoppingangebot hinauf in die Berge – wo sie ein Naturspektakel erwartet. Goldgräberstimmung im Schweizer Tourismus also? Nicht ganz, denn realistischerweise muss gesagt sein, dass Asiaten bislang nur 7% aller Übernachtungen in der Schweizer Hotellerie ausmachen. Das entspricht einer Steigerung um 17% gegenüber dem Vorjahr. Unsere Branche lebt nach wie vor stark von den Stammgästen aus dem Euro-Raum, der aktuell unter einer Baisse leidet. Umso willkommener sind die Newcomer aus Asien.

Asien ist nicht gleich Asien


Schweiz Tourismus hat grosse Asienerfahrung. So waren wir unter den ersten Fremdenverkehrsämtern, die in den 1970er-Jahren in Japan mit einem eigenen Büro aktiv wurden. Und bald schon kamen die Japaner – vornehmlich in Gruppen – und erkundeten Klassiker wie das Jungfraujoch, Luzern oder den Glacier-Express, immer in Premium-Hotels und mit einem Flair für Brands. Heute stagniert das Geschäft aus Japan (rund 275 000 Ankünfte im 2011). Dies hängt unter anderem mit der schwierigen Wirtschaftslage, aber auch mit den tragischen Vorfällen in Fukushima zusammen. Ein erfreulicher Trend ist, dass Japanerinnen und Japaner die Schweiz vermehrt individuell bereisen – zumeist junge Frauen. Diese machen einen Anteil von 60% bei den Ankünften aus Japan aus.Nicht so die Gäste aus China, dem aktuell am schnellsten wachsenden Markt. Chinesische Gäste reisen in Gruppen und besuchen die Schweiz auf Rundreisen durch ganz Europa. Entsprechend kurz ist (noch) ihr Aufenthalt vor Ort. Dass wir hier noch ganz am Anfang eines Reiseentwicklungszyklus stehen, zeigt auch das Beispiel Indonesien, wo die Absatzkanäle erst sehr rudimentär ausgebaut sind: Die Schweiz ist dort als Reiseland wenig etabliert und in den Auslagen und Broschüren der Tour Operators kaum existent. Aber die Wachstumsraten sind beeindruckend: Im Jahr 2011 hatten Ankünfte aus Indonesien ein Plus von 46% zu verzeichnen, jene aus China ein Plus von 42%.

Alles blickt nach China


Der grösste Markt für Schweiz Tourismus ist seit 2011 nicht mehr Japan, sondern China. 700 000 Übernachtungen verzeichnen wir aus dem Reich der Mitte; dies entspricht rund 350 000 Reisenden. Im Jahr 2020 peilen wir die Grenze von 2 Mio. Hotelübernachtungen an. Damit wäre China bedeutsamer als unser Nachbarmarkt Italien. Reiseweltmeister Deutschland wird auch künftig unangefochten die Rangliste anführen. Chinesen sind Big Spender: Sie geben im Durchschnitt 350 Franken pro Tag aus (ohne Anreise). Das ist weit mehr als der Median aller Märkte von 180 Franken pro Reisende/r. Aber sie investieren ihr Budget vor allem in Shopping, und dort vor allem in Luxusgüter (Uhren). Die Hotellerie muss sich mit Zimmerpreisen zwischen 60 und 90 Franken pro Person im Doppelzimmer begnügen, weil Chinesen primär über Reiseveranstalter mit Volumenverträgen buchen. Meistens nächtigen sie (anders als die Japaner) in 3-Stern-Hotels. Einmal mehr zeigt sich, dass der Tourismus eine Querschnittsbranche ist. Jeder zusätzliche Gast ist ein Portemonnaie mehr im Land. Alle profitieren: Hotellerie, Gastronomie, Transport, Kultur, Konsumgütermarkt.

Schlüsselfragen: Visum und Fluglösungen


Noch bewegen sich die chinesischen Gäste auf wenigen Hauptrouten durch unser Land. Gefragt sind Spektakel und Toperlebnisse. Mittelfristig muss es uns gelingen, ergänzende Routen und Angebote zu (er-)finden, so dass breitere Kreise des Tourismus am Wachstum partizipieren können. Ich denke hier an die zahlreichen Panorama-Expresszüge oder an andere spektakuläre Bergbahnen. Auch fördern wir ganz gezielt Individualreisen, weil wir Ertrag und Preisniveau steigern wollen. Entscheidend für das Gelingen dieser Strategie ist die Entwicklung der Schengen-Reisevisa Regelungen. Bislang gelten für chinesische Gruppen ab fünf Personen vereinfachte Visabedingungen. Ein weiterer Schlüsselfaktor sind die Flugkapazitäten: Direktflüge nach Zürich sind nur ab Hong Kong, Peking und Shanghai möglich. Direktflüge steigern unmittelbar die Attraktivität einer Destination.

Potenzial im Geschäftstourismus


Grössere Volumina erhofft sich der Schweizer Tourismus auch im Mice-Segment
Mice = Meetings, Incentives, Conventions, Events. Zu Deutsch etwa «Tagungstourismus». – vor allem aus China und Indien. Besonders beliebt ist die Schweiz für Incentive-Reisen, mit denen Unternehmen ihre Mitarbeitenden oder Kunden für besondere Leistungen belohnen. Ein Ausflug in die Schweiz gilt als prestigeträchtig und motivierend. So genossen beispielsweise kürzlich 3500 Mitarbeitende einer indischen Grossfirma einen Lern- und Verwöhn-Aufenthalt in und um Zürich. Ähnliche Anfragen für Grossanlässe und Kongresse verzeichnen wir auch aus anderen Wachstumsmärkten wie Singapur, Indonesien und Malaysia. Die perfekte Erschliessung unseres Landes – mitten in Europa gelegen, mit einem der weltbesten Flughäfen und einem einzigartigen öffentlichen Verkehrsnetz – macht die Schweiz doppelt attraktiv.

Anpassungen beim Angebot erforderlich


Doch ohne Fleiss kein Preis. Asiatische Besucher haben bestimmte Erwartungen an ihre Gastgeber. Damit es nicht zu einem «Kulturschock» kommt, sind Hoteliers, Gastronomen und Branchenverbände gefordert, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Es sind die Details, die zählen. Koreaner etwa wünschen sich warmes statt kaltes Wasser zum Essen. Chinesische und japanische Gäste wiederum bevorzugen warme Speisen auf dem Frühstücksbüffet inklusive Nudeln, Reis oder Miso-Suppe. Gleiches gilt auch für die indischen Besucher, die Spezialitätenrestaurants mit ihnen vertrauten Speisen – oft auch Halal und vegetarisch zubereitet – nachfragen. Nebst einem breiteren Food & Beverage-Angebot gehört auch das systematische Training in interkultureller Kompetenz zum Pflichtenheft. In der Heimat von Cäsar Ritz und Co. sind wir per se gut aufgestellt. Nach wie vor gelten unsere Hotelfachschulen als führend – und ziehen mehr und mehr Lernende aus Indien und Asien an. Im Know-how-Transfer orte ich erhebliches Potenzial. Dies belegt auch der kürzlich angekündigte Markteintritt der chinesischen Hotelkette «Jin Jiang», die sich an Kundschaft aus dem Reich der Mitte richtet – basierend auf europäischer Gastgeber-Tradition (CEO der Gruppe ist ein Schweizer Hotelier).

Authentisch bleiben: Swissness sells


Trotz Asien-Euphorie und rasant wachsenden Volumina aus diesen Aufbaumärkten dürfen wir nicht in die «Mallorca-Falle» der 1970er-Jahre tappen. Wir müssen unsere Produkte auf die neuen Zielgruppen ausrichten und mit spektakulären Zusatzelementen anreichern, ohne dabei unsere Authentizität und Identität zu verlieren. Ballermann und billiger Massentourismus haben bei uns nichts zu suchen. Vielmehr gilt es, auf Bewährtes, Traditionsreiches und Prestigeträchtiges zu setzen. Gerade weil wir anders sind, sind wir interessant. Dieses klare Profil, wie wir es seitens Schweiz Tourismus auf allen Kanälen seit Jahrzehnten erfolgreich mitprägen, ist ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb um die Gunst der neuen Worldwide Travellers.

Tabelle 1: «Ankünfte in Schweizer Hotels und Kurbetrieben, 2010–2011»

Tabelle 2: «Ankünfte in Schweizer Hotels und Kurbetrieben, 2011–2012»

Zitiervorschlag: Juerg Schmid (2012). Die neuen Entdecker: Wie Gäste aus Asien dem Schweizer Tourismus neuen Schub verleihen. Die Volkswirtschaft, 01. September.