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Der Kanton Tessin zwischen den Herausforderungen des Wettbewerbs und den Spielräumen der öffentlichen Hand

Als Grenzgebiet sind im Kanton Tessin traditionell die Sektoren Tourismus und Finanzen stark vertreten. Allerdings wird zunehmend in spezialisierte Industriezweige investiert. Vorwiegend kleine Unternehmen erschliessen über wirtschaftliche Netzwerke internationale Märkte, ohne dabei auf ihre lokale Dimension zu verzichten. Die Regionalpolitik schaltet sich in diese Entwicklung ein, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördert und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung begünstigt.

Wettbewerbsfähigkeit des Kantons Tessin im Schweizer Vergleich


Im Vergleich zur Wettbewerbsfähigkeit anderer Kantone liegt der Kanton Tessin im schweizerischen Durchschnitt. In einigen Punkten hat er allerdings die Nase vorn:
IRE (2012). Bezüglich Infrastruktur und dem sogenannten Sachkapital punktet der Kanton südlich der Alpen mit seiner hervorragenden Lage entlang der strategischen Nord-Süd-Achse und mit seiner wunderschönen und vielfältigen Landschaft. Dank einer vorwiegend auf einem Netzwerk von Kleinst- und Kleinunternehmen basierenden Wirtschaftsstruktur kann der Kanton Tessin die Vorteile der wirtschaftlichen Diversifizierung und der Spezialisierung miteinander vereinen. Allerdings hat diese Struktur den Nachteil, dass grosse Forschungsinvestitionen nicht einfach zu bewerkstelligen sind. Trotzdem gelingt es der Tessiner Wirtschaft, rasch auf Veränderungen zu reagieren – eine Eigenheit, die sich insbesondere in der heutigen Zeit auszahlt. Weiter unterscheidet sich das Tessin von den anderen Kantonen durch tiefe Arbeitskosten. Das durchschnittliche Bruttogehalt ist denn auch das tiefste aller sieben Grossregionen der Schweiz. Wenn man bedenkt, wie wichtig die anderen Faktoren sind und welche Anziehungskraft tiefe Löhne in Kombination mit spezialisierten Arbeitskräften auf die Unternehmen ausüben, so darf diese Tatsache sicher als Stärke im Wettbewerb gewertet werden.
UNIDO (2003).Die Schwachstellen der Tessiner Wettbewerbsfähigkeit liegen in anderen Bereichen und werden vielleicht eher verständlich, wenn sie im Kontext betrachtet werden. Der Schlüssel zum Verständnis scheint das ungenutzte Potenzial zu sein: Auf der einen Seite ist das Bildungsniveau im nationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Viele junge Tessiner beenden ihre Ausbildung bereits nach der obligatorischen Schulzeit (auch wenn eine Zunahme der universitären Ausbildung zu verzeichnen ist). Auf der anderen Seite leidet der Kanton unter einer relativen Spezialisierung im Bereich Finanzsektor, welche die Industrie nicht genügend zu unterstützen vermag.
IRE (2012). Hintergrund dieser Faktoren bildet der typische Arbeitsmarkt einer Grenzregion mit dem tendenziell steigenden Zuwachs an ausländischen Arbeitskräften.

Herkömmliche und neue Industriezweige


Studien zu neuen Wirtschaftsstrukturen auf internationaler Ebene
UNIDO (2003). weisen darauf hin, dass die herkömmliche statistische Aufteilung der Branchen bzw. die traditionelle Darstellung der spezialisierten Industriezweige einer Region nicht mehr ausreicht, um die integrierten Wertschöpfungsketten darzustellen. Neu wird dazu eine übergreifende Analyse der regionalen Wirtschaftszweige vorgenommen, anhand derer die kantonalen Spezialisierungen mithilfe von Standortquotienten auf sehr spezifischen Branchenebenen analysiert werden können. Mit dieser Methode können diejenigen Bereiche ausgemacht werden, in denen der Kanton überdurchschnittlich spezialisiert ist. Das Tessin weist in der Herstellung von Textilien sowie bei Leder- und lederähnlichen Waren eine hohe Produktionsdichte mit zunehmende Tendenz auf.
IRE (2012). Basierend auf diesen Ergebnissen bestätigt eine laufende IRE-Studie die Existenz einer Ansammlung von Unternehmen der Modeindustrie zwischen Lugano und Mendrisio – bekannt unter dem Namen Fashion Valley – sowie einen industriellen Wandlungsprozess hin zu Spezialdienstleistungen wie etwa der modebranchespezifischen Logistik, durch den die Produktionskette erweitert wird. Dabei handelt es sich um bedeutende Unternehmen mit internationalem Profil, die im Laufe der Jahre nicht nur solide Betriebe, sondern auch ein wettbewerbsfähiges Umfeld geschaffen haben. Mit der gleichen Analysemethode kann eine Unterscheidung territorialer Spezialisierungen innerhalb des Kantons vorgenommen und eine Art Produktionsprofil für jede einzelne der vier ermittelten funktionalen Regionen erstellt werden. Ermittelt wird die Anzahl Unternehmen aus Wirtschaftszweigen, die in den Regionen häufiger vertreten sind als im kantonalen Durchschnitt.
Dabei haben wir uns auf die Beschäftigung und auf die wichtigsten Wirtschaftszweige beschränkt. Die Region Bellinzona Valli ist vor allem im Dienstleistungssektor stark: Der Standortquotient ist dort besonders hoch in den Bereichen Telekommunikation, Forschung, öffentliche Verwaltung und Logistik. Im Industriesektor gibt es eine beträchtliche Anzahl an Betrieben im Bergbau (Steinbrüche). Die Region Locarno Vallemaggia verfügt über einen hohen Standortquotienten in der Hotellerie und dem Gastgewerbe, der auf eine starke Ausrichtung auf den Tourismus hindeutet. Die Region Lugano weist einen hohen Spezialisierungsgrad im Bereich Programmgestaltung und Übertragung (Radio, TV), in der Filmbranche, in der Erbringung von Finanzdienstleistungen, in juristischen und buchhalterischen Belangen sowie in weiteren unternehmensbezogenen Dienstleistungen (EDV-Beratung, Marktforschung, Administration) auf. Bei der industriellen Spezialisierung nimmt Lugano aufgrund der hohen Standortquotienten für pharmazeutische Produkte und Lederwaren eine Spitzenstellung ein. Die Region Mendrisiotto zeichnet sich insbesondere durch hohe Standortquotienten im Industriesektor aus. Herausragend sind hier die Metallindustrie, Textilindustrie (starke Zunahme zwischen 2001 und 2008), Elektrogeräteherstellung, Lebensmittelindustrie sowie Gummi- und Plastikartikelproduktion. Bei den Dienstleistungen ist vor allem die Logistik zu erwähnen.

Neue Entwicklungen auf lokaler Ebene


Besonders interessant ist die Entwicklung der Spezialisierungen auf lokaler Ebene. Es stellt sich die Frage, ob in einigen Bereichen eine Clusterbildung stattfindet und sich dadurch eine neue Dynamik in den entsprechenden Sektoren entwickelt. Auf diese Art könnten in Zukunft Gebiete mit Entwicklungspotenzial entstehen, wo die innovative Kapazität der Unternehmen durch ihre Nähe zueinander begünstigt wird.
Capello (2004). Tatsächlich entstand ein Grossteil des Tessiner Industrienetzwerks aus lokal konzentrierten Produktionseinheiten. Die Mehrheit dieser Industriekonzentrationen scheint jedoch eher von gemeinsamen Standortfaktoren – d.h. günstigen Rahmenbedingungen – bestimmt zu sein als von der Präsenz industrieller Cluster. Dennoch sind einige wirtschaftliche Aktivitäten immer enger miteinander verbunden, insbesondere die Personalpolitik, die Konzessionierung (Licensing) und die Patentierung (Patenting). Zudem entstehen bemerkenswerte räumliche Konzentrationen von Industrieunternehmen und Zulieferern.
Torricelli und Garlandini (2012).Das in der Region Lugano gelegene Valle del Vedeggio ist diesbezüglich eines der aufschlussreichsten Gebiete. In diesem Tal wird die zunehmende Konzentration von industriellen Unternehmen (v.a. aus den Bereichen Pharmaindustrie, Maschinenbau und medizinische Geräte) unterstützt von lokalen Clusterbildungen im Transport- und Logistikbereich, von Zulieferern (Hauptsitze von Unternehmen, Unternehmen aus den Bereichen Immobilien, Werbung und Marketing) sowie von Bildungsunternehmen. Dank der geografischen Nähe zu Lugano, der hervorragenden Infrastruktur, der Nähe zu Forschungspools (Università della Svizzera italiana und Fachhochschule Supsi) sowie der guten verkehrstechnischen Anbindung ist das Vedeggio-Tal eines der Tessiner Industriegebiete mit dem grössten Entwicklungspotenzial. Die Tessiner Region Mendrisio (Industriedreieck Chiasso-Mendrisio-Stabio) ist die zweitwichtigste Industriezone des Kantons Tessin und diejenige, die im letzten Jahrzehnt die grösste Entwicklung durchgemacht hat. Auch hier geht die Konzentration von Industriezweigen – insbesondere aus der Bekleidungs- und Edelmetallverarbeitungsbranche – mit lokalen Clusterbildungen von Transport- und Logistikunternehmen einher. Allerdings sind im Mendrisiotto Dienstleistungsbetriebe mit grösserer strategischer Bedeutung – wie Hauptsitze von Unternehmen, Werbung und Marketing oder Forschungs- und Entwicklungszentren – weniger präsent als in der Region Lugano. Die Bündelung von Betrieben des Industrie- und Dienstleistungssektors scheint in diesem Fall eher mit den Vorteilen der Grenznähe verknüpft zu sein (traditioneller Standortfaktor) als mit dem Vorhandensein von Zulieferbetrieben. In den übrigen Teilen des Kantons – insbesondere im Sopraceneri – entstehen zurzeit keine Industriekonzentrationen. Eine Ausnahme bildet die Region Locarno, wo sich ein kleiner Cluster spezialisierter Industriebetriebe zu bilden beginnt, und zwar im kantonalen Entwicklungsschwerpunkt Riazzino.

Wettbewerbsindikatoren und Monitoringmodell


Jede Beschreibung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit eines Gebiets (sei dies ein Kanton, eine Region oder ein Land) muss einen direkten Vergleich mit den Mitbewerbern umfassen. Wettbewerbsfähig zu sein, bedeutet in diesem Kontext, dass man in der Lage ist, Güter und Dienstleistungen anzubieten, die den Bedürfnissen der internationalen Märkte entsprechen, und gleichzeitig im Inland ein gutes Beschäftigungs- und Wohlstandsniveau beibehalten kann.
Europäische Kommission (1999; 2003). Auch wenn einige Konzepte bei dieser Beurteilung sehr komplex sind, kann dadurch die Positionierung im Wettbewerb bezüglich verschiedener Faktoren aufgezeigt werden. Der Kanton Tessin hat ein Observatorium für Wirtschaftspolitik (Osservatorio delle politiche economiche) eingerichtet, um die Entwicklung der kantonalen und regionalen Wettbewerbsfähigkeit überwachen zu können (siehe Kasten 1

Das Observatorium für Wirtschaftspolitik


Am 1. Januar 2008 trat das Bundesgesetz über Regionalpolitik in Kraft. Mit dem Gesetz über die kantonale Umsetzung wollte das Tessin betonen, wie wichtig eine eigene Regionalpolitik ist, die sich nicht nur auf die Umsetzung der Bundesgesetzgebung beschränkt. Zwar spielt in diesem Bereich der Kanton weiterhin eine zentrale Rolle. Allerdings wird versucht, vermehrte Synergien zwischen Kantonen, Gemeinden, Regionen sowie öffentlichen und privaten Institutionen zu schaffen, indem sektorale Ansätze überwunden und Projektvorhaben von der Basis her realisiert werden.Dieser massgebende Wandel bringt nicht nur neue Verfahren mit sich, sondern auch eine neue Auslegung der regionalen Wirtschaftspolitik auf kantonaler Ebene. Aus dieser Situation heraus entstand die Notwendigkeit, den öffentlichen Institutionen ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit erfasst sowie die Mittel für das Monitoring und die Bewertung der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik bereitgestellt werden können. Vor diesem Hintergrund wurde zwischen Ende 2009 und 2010 das dem Institut für Wirtschaftsforschung (IRE) der Tessiner Universität angesiedelte Observatorium für Wirtschaftspolitik (O-Pol) ins Leben gerufen.Das Observatorium ist mit der Erforschung, Analyse und Informationsverbreitung zur aktuellen wirtschaftlichen Verfassung sowie der Wirtschaftspolitik des Kantons Tessin betraut. Auf der Basis dieser Informationen kann die aktuelle Wirtschaftslage kontinuierlich überwacht und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Kantons wissenschaftlich ermittelt und ausgewertet werden. Es bildet ein nützliches Instrument zur Überprüfung bzw. Untersuchung getroffener oder noch zu treffender wirtschaftlicher Massnahmen und stellt damit eine solide wissenschaftliche Grundlage für die Entscheidungsprozesse der kantonalen Behörden dar.

). Das Monitoringmodell, das dabei zur Anwendung kommt, entspricht dem Bedürfnis, den analytischen Ansatz mit der Reflexion über die gegenwärtigen oder künftigen politischen Entscheidungen zu verknüpfen. Die Zusammensetzung des Modells ermöglicht nicht nur die Berücksichtigung quantitativer und qualitativer Informationen, die insbesondere für kleine geografische Einheiten wichtig ist, sondern auch die Ermittlung der Bereiche, auf die sich politische Entscheidungen auswirken. Mit seiner Spannbreite von einer Interpretation der gegenwärtigen wirtschaftlichen Gegebenheiten bis hin zur expliziten und klaren Beschreibung der Bewertung einer Massnahme erweist sich dieses Instrument als nützliches Hilfsmittel für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik.

Kantonale Entwicklungsstrategie und Rolle der Regionalpolitik


Die Politik kommt dann ins Spiel, wenn die erkannten wirtschaftlichen Entwicklungen strategisch so gesteuert werden sollen, dass die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig verbessert wird. Zu diesem Zweck verfügt der Kanton Tessin über ein Modell für eine integrierte Wirtschaftsentwicklung. Neben dem Mix verschiedener politischer Massnahmen und Interventionen – z.B. in den Bereichen Tourismus, Innovation oder Landwirtschaft – wird der Regionalpolitik die Funktion eines Instruments zur Koordination wirtschaftspolitischer Massnahmen übertragen.Mit dem neuen Tätigkeitsprogramm 2012–2015 (siehe Kasten 2

Die Regionalpolitik des Kantons Tessin in den Jahren 2012–2015


Die fünf Ziele der regionalen Wirtschaftspolitik des Kantons Tessin für die nächsten vier Jahre (2012–2015) sind:

1. Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten KMU

– Unterstützung der prioritären Wirtschaftsbranchen für die kantonale Wirtschaftsförderung (audiovisuelle Industrie, Life Sciences, nachhaltige Mobilität);– Wissenstransfer und Unterstützung übergreifender Initiativen für KMU (Stiftung Agire, Casa dell’innovazione, Entwicklungsschwerpunkte);– Optimierung des Nutzungsgrads der natürlichen Ressourcen (Holz- und Forstwirtschaft, agroalimentäre Industrie).

2. Neupositionierung und Stärkung des kantonalen Tourismus

– Qualitätsverbesserung des Angebots, Förderung von Innovation und Zusammenarbeit;– Optimierung der Organisationsstruktur des Tourismussektors;– Aufwertung von kantonalen Tourismusrouten und Unterstützung von touristischen Schlüsselbranchen (Bereiche Gesundheit und Wellness).

3. Förderung des Knowhows und Überwachung der Wirtschaftsförderungspolitik

– Optimierung der Datenqualität und Studien zur territorialen Wettbewerbsfähigkeit;– Verstärkung des Monitorings und der Tätigkeit der Observatorien.

4. Ausbau der interkantonalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit

– Programm Gotthard 2020;– Grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Interreg).

5. Restrukturierung der regionalen Politik

– Unterstützung des regionalen Managements;– spezifische Hilfsmassnahmen für Gebiete mit schwachem Potenzial.

Weiterführende Informationen

Amt für Wirtschaftsförderung (http://www.ti.ch/ sviluppo-economico).

) will die Tessiner Regionalpolitik in den kommenden Jahren vor allen Dingen die Konkurrenzfähigkeit und das Innovationsvermögen der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stärken. Wie viele andere Kantone hat das Tessin im Jahr 2011 ein regionales Büro für Innovation (Stiftung Agire) eingerichtet. Dieses Büro ist heute in der Lage, Innovationsvorhaben und Start-up-Unternehmen im Bereich Life Sciences, erneuerbare Energien, Elektronik, Logistik, Informationstechnologie und Kommunikation zu unterstützen. Aufgrund der bereits bestehenden Spezialisierungen strebt das Tessin in den nächsten Jahren die Errichtung eines umfassenden Life-Sciences-Sektors an. Dasselbe gilt für die audiovisuelle Kommunikation sowie die Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Gleichzeitig prüft der Kanton die Durchführbarkeit eines Projekts namens Casa dell’innovazione, das die innovativen Start-up-Unternehmen, die bestehenden Forschungszentren und die Stiftung Agire umfassen soll. Zudem versucht der Kanton, mit regionalpolitischen Massnahmen qualitativ hochstehende Industriebetriebe zu fördern und brachliegende Regionen wieder in Schwung zu bringen, indem sie zu wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkten erklärt werden.Die Tessiner Regionalpolitik unterstützt zudem spezifische Massnahmen für den Tourismus. Im neuen Tätigkeitsprogramm 2012–2015 fallen hier vor allem folgende Projekte auf: die Förderung des Sektors Gesundheit und Wellness, die Schaffung einer Filmkommission, die Entwicklung neuer und innovativer touristischer Angebote sowie eine vermehrte Förderung der Unesco-Weltkulturgüter (Burgen von Bellinzona und Monte San Giorgio). Auch die Aufwertung der Alp- und Berghütten sowie der historisch-kulturellen Routen sind Teil dieses Vorhabens. Schliesslich sind die Beteiligungen des Kantons an interkantonalen und internationalen Programmen zu erwähnen (Gotthard 2020 und Interreg Italien–Schweiz). Insgesamt verfügt der Kanton Tessin heute dank dem erwähnten Observatorium für Wirtschaftspolitik und dem Observatorium für Tourismus, das von der Regionalpolitik direkt unterstützt wird, über zwei Stellen, die nützliche Informationen zur kontinuierlichen Optimierung der Instrumente für Wirtschafts- und Fremdenverkehrspolitik liefern. Auf deren Basis können die Gesetze zur Wirtschaftsförderung laufend angepasst, massgeschneiderte Programme (beispielsweise für Gebiete mit schwachem wirtschaftlichem Potenzial) entwickelt sowie wertvolle Informationen zuhanden der regionalen Manager und Projektträger bereitgestellt werden.

Fazit und Ausblick


Das Tessin ist und bleibt ein Grenzkanton, der heute aufgrund des Zustroms von Arbeitskräften und Kapital aus dem Ausland mehr denn je unter Druck steht. Die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen zeigen, dass die – nicht nur für das Tessin charakteristische – Diversifizierung der Aktivitäten dazu beiträgt, die Wettbewerbsfähigkeit in einem globalen und immer besser gerüsteten Markt zu stärken.In Zukunft gilt es, die Entwicklungen, die zu den beobachteten grossen Veränderungen geführt haben, besser zu verstehen und sie handhaben zu lernen. Angesichts der immer spezialisierteren Industrie und der zahlreichen Unternehmen aus nicht konventionellen Sektoren, die über einen eigenen lokalen, engagierten Dienstleistungssektor verfügen, wird der Finanzplatz nicht umhin kommen, sein ursprünglich auf das Private Banking ausgerichtetes Business-Modell zu überdenken. Doch die Zukunft wird auch neue Chancen und Probleme zutage fördern. So wird die Eröffnung der Neat die innerkantonalen Verkehrsflüsse und die externe Anbindung völlig neu ausrichten und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Kantons erheblich verbessern. Andererseits werden die Landreserven schneller aufgebraucht, unter anderem als Folge der Ansiedlung neuer Betriebe mit grossem Bodenverbrauch wie etwa Logistikbetrieben. Dies wird das Tessin dazu zwingen, seine Wohn- und Gewerbeflächen neu zu strukturieren bzw. zu verdichten.Die Politik ist gefordert, diese Impulse zum Auslösen eines Entwicklungsschubs zu nutzen, diesen zu überwachen und dort einzugreifen, wo negative Auswirkungen und mögliche Verzerrungen – insbesondere auf dem Arbeitsmarkt – auftreten. Trotz der begrenzten Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung können die im Kanton Tessin entwickelten Instrumente wichtige Hinweise zum Verständnis der laufenden Veränderungen liefern. Sie zeigen auch auf, wie den künftigen Herausforderungen begegnet werden kann und wie die Entwicklungschancen optimal genutzt werden können.

Kasten 1: Das Observatorium für Wirtschaftspolitik

Das Observatorium für Wirtschaftspolitik


Am 1. Januar 2008 trat das Bundesgesetz über Regionalpolitik in Kraft. Mit dem Gesetz über die kantonale Umsetzung wollte das Tessin betonen, wie wichtig eine eigene Regionalpolitik ist, die sich nicht nur auf die Umsetzung der Bundesgesetzgebung beschränkt. Zwar spielt in diesem Bereich der Kanton weiterhin eine zentrale Rolle. Allerdings wird versucht, vermehrte Synergien zwischen Kantonen, Gemeinden, Regionen sowie öffentlichen und privaten Institutionen zu schaffen, indem sektorale Ansätze überwunden und Projektvorhaben von der Basis her realisiert werden.Dieser massgebende Wandel bringt nicht nur neue Verfahren mit sich, sondern auch eine neue Auslegung der regionalen Wirtschaftspolitik auf kantonaler Ebene. Aus dieser Situation heraus entstand die Notwendigkeit, den öffentlichen Institutionen ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit erfasst sowie die Mittel für das Monitoring und die Bewertung der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik bereitgestellt werden können. Vor diesem Hintergrund wurde zwischen Ende 2009 und 2010 das dem Institut für Wirtschaftsforschung (IRE) der Tessiner Universität angesiedelte Observatorium für Wirtschaftspolitik (O-Pol) ins Leben gerufen.Das Observatorium ist mit der Erforschung, Analyse und Informationsverbreitung zur aktuellen wirtschaftlichen Verfassung sowie der Wirtschaftspolitik des Kantons Tessin betraut. Auf der Basis dieser Informationen kann die aktuelle Wirtschaftslage kontinuierlich überwacht und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Kantons wissenschaftlich ermittelt und ausgewertet werden. Es bildet ein nützliches Instrument zur Überprüfung bzw. Untersuchung getroffener oder noch zu treffender wirtschaftlicher Massnahmen und stellt damit eine solide wissenschaftliche Grundlage für die Entscheidungsprozesse der kantonalen Behörden dar.

Kasten 2: Die Regionalpolitik des Kantons Tessin in den Jahren 2012–2015

Die Regionalpolitik des Kantons Tessin in den Jahren 2012–2015


Die fünf Ziele der regionalen Wirtschaftspolitik des Kantons Tessin für die nächsten vier Jahre (2012–2015) sind:

1. Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten KMU

– Unterstützung der prioritären Wirtschaftsbranchen für die kantonale Wirtschaftsförderung (audiovisuelle Industrie, Life Sciences, nachhaltige Mobilität);– Wissenstransfer und Unterstützung übergreifender Initiativen für KMU (Stiftung Agire, Casa dell’innovazione, Entwicklungsschwerpunkte);– Optimierung des Nutzungsgrads der natürlichen Ressourcen (Holz- und Forstwirtschaft, agroalimentäre Industrie).

2. Neupositionierung und Stärkung des kantonalen Tourismus

– Qualitätsverbesserung des Angebots, Förderung von Innovation und Zusammenarbeit;– Optimierung der Organisationsstruktur des Tourismussektors;– Aufwertung von kantonalen Tourismusrouten und Unterstützung von touristischen Schlüsselbranchen (Bereiche Gesundheit und Wellness).

3. Förderung des Knowhows und Überwachung der Wirtschaftsförderungspolitik

– Optimierung der Datenqualität und Studien zur territorialen Wettbewerbsfähigkeit;– Verstärkung des Monitorings und der Tätigkeit der Observatorien.

4. Ausbau der interkantonalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit

– Programm Gotthard 2020;– Grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Interreg).

5. Restrukturierung der regionalen Politik

– Unterstützung des regionalen Managements;– spezifische Hilfsmassnahmen für Gebiete mit schwachem Potenzial.

Weiterführende Informationen

Amt für Wirtschaftsförderung (http://www.ti.ch/ sviluppo-economico).

Kasten 3: Bibliografie

Bibliografie


− Capello R. (2004): Economia Regionale. il Mulino: Bologna.− European Commission (1999): Annual European Competitiveness Report. European Commission, Directorate General for Enterprise and Industry. − IRE (2012): Competitività economica 2011: rapporto sulla struttura economica ticinese. Istituto di Ricerche Economiche, USI: Lugano. − Lengyel, I. (2004): The Pyramid Model: Enhancing Regional Competitiveness in Hungary. Acta Oeconomica, vol. 54, S. 323-342.− Torricelli G.P., Garlandini S. (2012): Attività economiche e uso del suolo nel Cantone Ticino 2000-2010. Sezione dello sviluppo territoriale, Dipartimento del territorio, Repubblica e Cantone Ticino e Osservatorio dello sviluppo territoriale, USI: Mendrisio.− UNIDO (2003). Annual Report. United Nations Industrial Development Organization: Vienna.

Zitiervorschlag: Giuliano Guerra, Valentina Mini, (2012). Der Kanton Tessin zwischen den Herausforderungen des Wettbewerbs und den Spielräumen der öffentlichen Hand. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.