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Finanzmarktregulierung ist kein Selbstzweck

Finanzmarktregulierung ist kein Selbstzweck

Die Finanzindustrie ist ein Kernelement unserer Volkswirtschaft, und ein funktionierendes Finanzsystem ist unabdingbar für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum. Damit die Banken ihre unterstützende Rolle für Privat- und Firmenkunden effektiv wahrnehmen können und das Funktionieren des Finanzsystems sichergestellt ist, bedarf es einer sinn- und massvollen Regulierung der Finanzdienstleister. Für ein optimales Zusammenspiel von Finanzplatz und Wirtschaft, so die nachfolgend ausgeführten zwei Thesen, muss daher einerseits die Balance zwischen Systemstabilität und Wirtschaftswachstum stimmen. Andererseits müssen für Banken die gleichen Marktmechanismen gelten wie für jedes andere Unternehmen auch.

Balance von Stabilität und Wirtschaftswachstum


Regulierungsfolgeabschätzungen untersuchen regelmässig die Auswirkungen von neuen Vorlagen auf die Volkswirtschaft. Im Falle der Finanzindustrie werden die hohen Regulierungskosten jeweils den gravierenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen der ungeordneten Abwicklung eines grossen Finanzinstituts gegenübergestellt. Um die Regulierungskosten möglichst tief und gleichzeitig die volkswirtschaftlichen Auswirkungen möglichst gering zu halten, ist es unabdingbar, die Summe aller Änderungen der Finanzmarktregulierung in der Kostenbestimmung zu berücksichtigen. Einzelne Regulierungsvorhaben – wie die neuen Bestimmungen für die systemrelevanten Banken – wurden untersucht und deren Kosten-Nutzen-Abwägung positiv beurteilt. Demgegenüber blieben andere Aspekte der Finanzmarktregulierung – wie zum Beispiel die zahlreichen Änderungen zur Berechnung der Kapitalunterlegung – nicht genügend berücksichtigt. So nachvollziehbar die Gründe für die einzelnen Regeländerungen auch sein mögen: Ihr Nutzen muss die Kosten mindestens ausgleichen können, soll damit kein nachhaltiger Wettbewerbsnachteil für die heimischen Finanzdienstleister geschaffen werden. Dies ist umso wichtiger, als sich die Finanzmarktregulierung in den einzelnen Ländern ungleich entwickelt. Die für alle Akteure verbindlichen Vorgaben des Basler Ausschusses werden unterschiedlich interpretiert, und die nationale Umsetzung erfolgt unterschiedlich schnell. Entsprechend wichtig ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Banken zu erhalten. Diese leisten einen bedeutenden Beitrag an die Schweizer Volkswirtschaft und tragen zur Attraktivität des Wirtschaftsstandortes bei. Die globale Ausrichtung der Schweizer Wirtschaft ist zudem auf international tätige Banken angewiesen. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Finanzsektors in der Schweiz sind von der Branche auch über die Basler Mindestanforderungen hinausgehende Regulierungen zu akzeptieren, solange diese die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht nachhaltig beeinträchtigen. Der Wirtschaftsstandort Schweiz würde zweifellos darunter leiden, wenn einige zentrale Bankdienstleistungen für international tätige Schweizer Unternehmen nur noch von Auslandsbanken ausserhalb der Schweiz angeboten werden könnten.

Gleiche Marktmechanismen für alle Unternehmen


Unter der Federführung des Financial Stability Board (FSB) haben die grossen Finanzplätze der Welt – darunter die Schweiz – im Zusammenhang mit der Too-big-to-fail-Problematik (TBTF) Standards entwickelt, welche detailliert die Planung der Abwicklung von Grossbanken regeln (sog. Recovery and Resolution Plans). Dieser von den Banken mit grossem Aufwand mitgetragene Prozess schafft Transparenz und die notwendigen Instrumente für eine geordnete Abwicklung der Finanzinstitute. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Recovery and Resolution Plans ist die internationale Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden und der für die Abwicklung zuständigen Behörden. Kooperation ist auch eine entscheidende Voraussetzung, um auf globaler Ebene eine volkswirtschaftlich ineffiziente Duplizierung von Vorschriften und die damit verbundenen Kosten zu vermeiden. Auf der Grundlage der Standards des FSB und den Vorgaben für die internationale Zusammenarbeit der zuständigen Behörden ist eine geordnete globale Abwicklung der Grossbanken möglich. Entsprechend wird die Bewertung der Regulierungsfolgekosten auf eine neue Stufe gestellt: Regulierungskosten sollten primär mit den Kosten eines geordneten Marktaustritts einer Bank verglichen werden und nicht mit den Kosten einer ungeordneten Insolvenz.Die Finanzmarktregulierung entwickelt sich weiter – im Bereich der Banken, der Versicherungen und auch der Schattenbanken. Das schwierige wirtschaftliche Umfeld verlangsamt das Tempo in einigen Ländern, und wir beobachten, dass Standards unterschiedlich interpretiert werden. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Schweiz neue – d.h. über die bereits beschlossenen und von den Banken mitgetragenen Vorschriften zu TBTF hinausgehende – Regulierungen an diesen beiden Thesen messen.

Zitiervorschlag: Urs Rohner (2012). Finanzmarktregulierung ist kein Selbstzweck. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.