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Regulierung ist kein Naturgesetz

Regulierung ist kein Naturgesetz

Regeln ordnen ein Spiel. Ähnlich sollte es sich mit den Regeln für die Wirtschaft verhalten. Politisch entschiedene Regeln sollten Freiheit, Verlässlichkeit und Flexibilität für das Wirtschaften gewährleisten. Regulierung ist (auch) das Ergebnis der Politikmechanismen: Es passiert etwas. Darauf reagiert die Politik mit neuen Regeln, üblicherweise Einengungen. Dahinter steckt der Glaube und die Hoffnung, Probleme, wie sie in der Zukunft auftauchen, würden mit alten Rezepten zu lösen sein. Mit allergrösster Wahrscheinlichkeit halten sich neue Bedrohungen aber nicht an Krisenregulierungsmechanismen, wie sie Politik, Finma, SNB oder Finanzunternehmen in ihren Szenarien vorsehen. Künftige Probleme werden neue Probleme sein.

Trifft diese Analyse zu, so wäre (politische) Flexibilität notwendig, um auf neue Probleme und Krisen mit adäquaten Massnahmen zu reagieren. Freiheit und Flexibilität aber kann die Politik, welche die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft festlegt, nur zugestehen, wenn gegenseitiges Vertrauen besteht. Da haben wir in der Schweiz mit dem verbreiteten Misstrauen gegenüber der Bankenbranche ein Problem. Doch mehr Regulierungen sind kein tauglicher Lösungsansatz. Sie bringen verlorenes Vertrauen nicht zurück. Die zahlreichen laufenden Regulierungsprojekte bringen Banken schon heute an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Das Branchenblatt «Schweizer Bank» schreibt in der September-Ausgabe 2012, Seite 12: «Sie [die Banken] sind (…) gut beraten, wenn sie den Umgang mit Regulierungen künftig als Kernkompetenz wahrnehmen.» Bei Raiffeisen sind wir noch immer davon überzeugt, dass die Kernkompetenz einer Bank anderswo liegt. 80% unseres Geschäfts sind nach wie vor simpel: Wir nehmen Einlagen entgegen, gewähren Kredite und stellen den Zahlungsverkehr sicher. Das ist für das Volk nachvollziehbar.

Agieren statt Reagieren


Krisen und Regulierungen gehören zusammen, wie Huhn und Ei. Wobei nicht definitiv geklärt ist, wer zuerst da war. Bei Raiffeisen führte die zunehmende Regulierung dazu, dass sich die Compliance-Aufwendungen seit 2007 zumindest verdoppelt haben. Seit 2002 sind die Kosten für den Ausbau der Kernkompetenz Regulierung um mindestens 400% gestiegen. Dieser Kostenanstieg – verursacht durch die Huhn-EiKrisen-Regulierungs-Problematik – ist aber kein Naturgesetz. Hier können und müssen wir vom Modus des Reagierens sofort umschalten auf politisches Agieren. Dabei heisst die erste und zentrale Frage: Welchen Finanzplatz wollen wir?Gemeinsam müssen wir – Bürger, Bankkunden, Banken, Realwirtschaft, Interessenverbände, Parlamentarier, Bundesrat – die richtige Antwort finden. Speziell gefordert sind die Vertreter der Banken. Wir müssen mit den Leuten – dem Souverän – reden, und zwar direkt. Wenn die Bankenbranche sich gegenüber den politischen Entscheidungsträgern ernsthaft zeigt, und wenn sie bereit ist, Zugeständnisse zu machen, stehen ihr viele Möglichkeiten offen. Der Schweizer Politik und den Bürgern ist die Bedeutung des Sektors für den Wohlstand des Landes bewusst. Es liegt an den Banken, ihre politische Verantwortung im offenen Dialog wahrzunehmen.

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser


Die Banken haben wieder ein Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung und zu den politischen Entscheidungsträgern herzustellen. Das ist die Hauptherausforderung der nächsten Jahre, wenn wir den Finanzplatz stärken wollen. Zudem gilt es, unsere Position in Bezug auf Europa zu definieren. Der Schweizer Finanzplatz will und soll sich nicht isolieren. Daher ist es sinnvoll, in Zukunft bei der Gesetzgebung und Regulierung grundsätzlich auf den sogenannten «Swiss Finish» zu verzichten. Die Schweiz und ihr Finanzplatz sollen sich an die internationalen Standards halten. Die Entstehung und Konkretisierung dieser Regeln in den Internationalen Organisationen wollen und müssen wir aber intensiv mitgestalten. Wenn die Regeln demokratisch beschlossen sind, setzen wir sie um. Das ist ein wichtiger Grundsatz, dem wir bei der Entwicklung unserer neuen Finanzmarktstrategie nachleben sollten. Er trägt dazu bei, die Flut der hausgemachten Regulierungen einzudämmen. Regulierung ist nicht Selbstzweck. Finanzmarktregulierung ist dann gut, wenn sie im beidseitigen Interesse realisiert werden kann: Kunden und Banken, Wirtschaft und Banken, Schweizer Institutionen und Banken. Die Grundhaltung des beidseitigen Nutzens ist zu verteidigen – auch gegen den internationalen Regulierungsdruck und sein altes Diktum: Vertrauen ist gut, Regulierung und Kontrolle sind besser. Die politische Regulierungsrichtlinie einer selbstbewussten Schweiz muss lauten: Kontrolle ist wichtig, Vertrauen ist besser. Für eine souveräne Schweiz ist dies eine Selbstverständlichkeit, auch wenn dafür einige Banken und Regulierer noch Hausaufgaben zu machen haben.

Zitiervorschlag: Pierin Vincenz (2012). Regulierung ist kein Naturgesetz. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.