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Die Rolle der Organisationsentwicklung bei Infrastrukturfinanzierung und Versorgungsunternehmen

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Die Versorgungsunternehmen sind auf spezifische Bedürfnisse ausgerichtet: Energie, Wasser, Abwasser, Abfälle und Transport. Auch wenn diese Bereiche Gegenstand staatlicher Reglementierung und oft in öffentlichem Besitz sind, handelt es sich doch um Geschäftstätigkeiten. Im Bild: Buchhalterin bei Vostokelektro, Stromversoger in Kirgisistan. Foto: Daniel Käsermann.


Gemäss der Botschaft des Bundesrates über die internationale Zusammenarbeit 2013–2016 ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) für die Entwicklung der Basisinfrastruktur in den Ländern, in denen es aktiv ist, zuständig.[1] Der Schwerpunkt liegt dabei nicht nur auf der Finanzierung von Bauten, sondern auch auf der Stärkung der Kapazitäten: Die Versorgungsunternehmen (VSU) spielen hier eine Schlüsselrolle. Damit sich eine Stadt entwickeln kann, muss sie zwingend über eine verlässliche Basisinfrastruktur verfügen. Im folgenden Artikel werden die wichtigsten Herausforderungen der VSU und die Antworten der Wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit des Seco darauf beschrieben.

 

 

Management der VSU als Spezialfall


Die Versorgungsunternehmen sind auf spezifische Bedürfnisse ausgerichtet: Energie, Wasser, Abwasser, Abfälle und Transport. Oft sind diese Bereiche Gegenstand staatlicher Reglementierung sowie in öffentlichem Besitz. Da die VSU jedoch eine Dienstleistung oder ein Produkt anbieten, bilden sie eine eigene Kategorie innerhalb der staatlichen Verwaltung. Sie können nicht ausschliesslich als Verwaltungseinheiten betrachtet werden, sind aber auch nicht als KMU einzustufen, da sie in öffentlichem Besitz und ihre Aktivitäten reglementiert sind.

Eine grosse Schwierigkeit besteht darin, ein Schlüsselvorgehen zu finden, um die VSU zu analysieren und deren finanzielle sowie operationelle Kapazitäten zu erhöhen. Während eine Vielzahl von Studien zur Gouvernanz staatlicher Verwaltungen und zu Public Management existieren, sind die VSU in der wissenschaftlichen Managementliteratur kaum ein Thema. Oft ist bei diesen die Empirie die einzige Quelle guter Praktiken. Zudem haben sich bisher auch nur wenige Beratungsunternehmen auf die VSU spezialisiert.

Die Erfahrungen des Seco


In der Vergangenheit beinhalteten die Entwicklungsprojekte des Seco im Infrastrukturbereich im Allgemeinen jeweils eine institutionelle Komponente, um die Managementkapazitäten der Dienstleistungserbringer zu stärken. Auch wenn die Finanzierung der Einrichtungen häufig Vorrang hatte, wurden die Aspekte des Managements nicht vernachlässigt. Neue Tarifsysteme wurden vorgeschlagen, strukturelle Änderungen vorgenommen oder neue Buchhaltungssysteme eingeführt. Diese Prozesse wurden von den Beratern fallweise und ohne systematischen Ansatz entwickelt.

Seit 2010 verfügt das Seco über eine Strategie mit dem Ziel, das Management von VSU in den Entwicklungs- und Transitionsländern zu verbessern. Die vorgeschlagenen Reformen setzen vor allem bei den Einnahmen der VSU an, damit diese mittelfristig in der Lage sind, ihre Ausgaben zu decken und die Infrastruktur zu erneuern. Effizienter arbeitende VSU können eine positive Rückkoppelung auslösen: besseres Management, bessere Leistung, bessere Zahlungsmoral der Kunden, höhere Einnahmen, bessere Wartung, mehr operationelle Investitionen.

Das Seco versteht unter Organisationsentwicklung (Corporate Development) einen Prozess, in dem die VSU gute Praktiken in den finanziellen, organisationellen, operationellen und strategischen Bereichen übernehmen. Dieser Prozess ermöglicht es ihnen, effizienter und autonomer zu arbeiten und dabei gleichzeitig dauerhafte und zuverlässige Leistungen zu erbringen. Dies führt letztlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Verbraucher und des regionalen Wirtschaftsklimas.

Herausforderungen der VSU


Die Probleme eines VSU in Kolumbien sind nicht unbedingt die gleichen wie jene eines VSU in Kirgisistan. Das Seco hat die wichtigsten Herausforderungen in fünf Kategorien zusammengefasst (siehe Grafik). Die Liste ist nicht abschliessend; sie zeigt jedoch die grosse Komplexität des Umfelds, in welchem diese Unternehmen operieren.

Die grossen Herausforderungen der Versorgungsunternehmen


Operationelle Herausforderungen


Viele VSU sind in einer prekären finanziellen Lage. Dies hat verschiedene Gründe: Einerseits haben sie technische und geschäftliche Verluste[2] bei gleichzeitiger schwacher Recovery Rate – d.h. der Zahlungsmoral der Kunden – zu beklagen; andererseits ist ihre Infrastruktur im Feld oder im Office veraltet. Zudem ist die kurz- und mittelfristige Vorhersehbarkeit der Einnahmen häufig eingeschränkt, da die Höhe der Produktion (z.B. die Wasser- oder Strommenge) unbekannt ist. Deshalb ist es schwierig, Budgets zusammenzustellen und die Kapitalausgaben sowie die präventiven und korrektiven Unterhaltskosten zu prognostizieren.

Herausforderungen des Finanzmanagements


Es kann vorkommen, dass ein VSU über gar kein Informatik-Tool für Finanzmanagement oder Buchhaltung verfügt oder dass das vorhandene Programm nicht funktioniert. Die Kundenverzeichnisse sind oft veraltet oder lückenhaft, was zur Folge hat, dass die Fakturierung nicht mit der Produktion und mit dem Konsum übereinstimmt. Die Buchhaltungsstandards – sofern überhaupt vorhanden – werden nicht eingehalten. Schliesslich lässt auch das Ausbildungsniveau der Teams zu wünschen übrig und bedarf einer umfassenden Auffrischung.

Herausforderungen im Bereich Personal und Organisation


Viele VSU leiden unter Überbesetzung. Die Angestellten haben ein zu wenig detailliertes oder ein überholtes Pflichtenheft, was eine unregulierte Personalentwicklung und unklare Organigramme zur Folge hat. Zudem ist der Brain Drain in den Schwerpunktländern aufgrund der wirtschaftlichen Situation und dem tiefen Lohnniveau ein akutes Problem.

Auf Führungsebene der VSU sind die Entscheidungen – etwa unter dem Einfluss der lokalen politischen Hierarchie – zuweilen von kurzfristigen Überlegungen geleitet und basieren nicht auf bestehenden Fakten. Die Einführung eines Systems zur Überprüfung der Zielerreichung – wie z.B. die Balanced Scorecards – kann diesen Effekt abschwächen.

Herausforderungen im Bereich der Kundenbeziehungen


VSU haben in der Bevölkerung oft ein schlechtes Image. Es fehlt das Verständnis, dass ein Gut etwas kosten soll, das erst nach dem Konsum anfällt und oft unsichtbar ist (wie zum Beispiel die Abwasserentsorgung). Oft fehlt ein Instrument, um Kundenbeziehungen herzustellen, wie zum Beispiel Kundenzentren, wo die Bevölkerung Rechnungen bezahlen oder Informationen einholen kann. Gerade diese Zentren helfen, den Zweck der Dienstleistung zu verbreiten und die Bevölkerung für die Bedeutung ihrer Existenz zu sensibilisieren. Diese Annäherung zwischen Kunden und VSU ist eine wichtige Voraussetzung, um die Zahlungsmoral zu verbessern oder die Akzeptanz für eine Tarifanpassung zu erhöhen.

Externe Herausforderungen


Eine Vielzahl von externen Faktoren beeinflussen die VSU in positiver oder negativer Weise. Schwierigkeiten können auftreten, wenn die Tarife aufgrund einer politischen Entscheidung angepasst werden müssen, oder wenn beispielsweise der Bürgermeister einige Monate vor der Wahl entscheidet, plötzlich eine Anzahl neuer Stellen in einem VSU zu schaffen. Auch nationale politische Entscheide können einen Einfluss haben, wie zum Beispiel eine Revision der Umweltregulierung.

Die Antworten der schweizerischen Zusammenarbeit


Das Seco hat im Jahr 2010 eine Strategie zur Führung von VSU angenommen. Seither ist die Organisationsentwicklung (OE) Bestandteil aller zusammen mit VSU durchgeführter Infrastrukturprojekte. Die VSU werden einer streng nach unternehmerischen Grundsätzen durchgeführten Prüfung unterzogen, wobei die dafür benützten Instrumente im Bereich der Unternehmensberatung entwickelt wurden.

Das Seco hat sich dazu entschlossen, die Rolle der Berater mit betriebswirtschaftlichem Profil zu stärken und sie vermehrt in die Vorbereitung und Umsetzung der Projekte zu integrieren. Der Zusammenarbeit mit lokalen Experten kommt dabei eine unverändert grosse Bedeutung zu, um den Wissenstransfer, die Verbreitung von erfolgreichen Projekten und den Austausch unter den Städten zu erleichtern. Die Experten sind angehalten, die vom Seco finanzierten Projekte zu analysieren und zu strukturieren. Dabei stehen Fragen im Mittelpunkt wie:

− Wie sieht die Strategie eines bestimmten VSU aus?

− Welche Einnahmequellen gibt es und weshalb?

− Ist das VSU in der Lage, seine Produktion und den Konsum genau zu beziffern?

− Gibt es ein Strategie der Kundenbeziehungen?

Zur Beantwortung dieser Fragen verlangt das Seco einen detaillierten Businessplan auf der Grundlage von operationellen, finanziellen und organisatorischen Analysen. Damit die Infrastrukturinvestitionen langfristig gesichert sind und der Zugang zu Finanzierungen gewährleistet ist, muss das VSU auf einer gesunden Basis stehen.

Seit der Einführung dieser Strategie sind verschiedene Projekte mit starken institutionellen Komponenten in unterschiedlichen Sektoren lanciert worden. So finanziert das Seco etwa in Indonesien gemeinsam mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein Programm zur Abfallverwertung, in dem 10% des Budgets für die Entwicklung des VSU – auf Gemeinde- sowie nationaler Ebene – vorgesehen sind. Auch bei einem Fernwärmeprojekt in der Ukraine wird grosser Wert gelegt auf die Stärkung des lokalen VSU-Managements.

Um die Nachhaltigkeit seiner Investitionen sicherzustellen, hat das Seco ein Pilotprojekt entwickelt zur Unterstützung der VSU, welche von ihm vorgängig finanzielle Beiträge erhalten haben. Dies ist unter anderem in Mazedonien und Kirgisistan der Fall, wo die Partnerunternehmen während einiger Jahre bei Bedarf Unterstützung erhalten werden. Die Unternehmen können sich an einen lokalen Berater wenden, wenn sie Unterstützung benötigen, um beispielsweise ihre Buchhaltung abzuschliessen oder ein neues Investitionsprogramm zu beginnen. Die Übernahme dieses Programms verpflichtet sie indes dazu, einen Teil dieser Leistungen selber zu finanzieren.

Ausblick


Die Thematik der Organisationsentwicklung ist sehr weit gefasst und komplex. Sie ist allerdings unabdingbar in Projekten zur Infrastrukturfinanzierung. Da die Strategie noch in der Einführungsphase steckt, ist ihre Wirkung noch nicht vollständig sichtbar. Die Zeichen sind jedoch ermutigend, und ergänzende Projekte werden zurzeit realisiert. In Ägypten beabsichtigt das Seco, im Rahmen eines mit der KfW durchgeführten, grossen Infrastrukturprojekts im Wassersektor den Teilbereich Organisationsentwicklung allein zu bestreiten; dieser Teil beläuft sich auf 10% des Gesamtbudgets. Ein ähnliches Projekt wird gegenwärtig für drei Städte in Bosnien-Herzegowina entwickelt.

Das Seco wertet seine gesammelten Erfahrungen kontinuierlich aus. Gleichzeitig wird die Strategie der Organisationsentwicklung auf alle Partnerländer ausgeweitet, um eine hohe Qualität des Service Public sicherzustellen.

Parallel dazu organisiert das Seco laufend interne Seminare, um den Wissensstand zu dieser neuen Thematik zu verbessern. Dadurch wird der interinstitutionelle Austausch wie auch derjenige zwischen den spezialisierten Beratern und den akademischen Kreisen erleichtert.

  1. Vgl. Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2013–2016, 15. Februar 2012, S. 142: «Eine verlässliche und erschwingliche Versorgung mit Energie, Wasser, Verkehr und die Entsorgung von Abwasser und Abfall ist eine Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und Armutsreduktion. Das Seco unterstützt die Bereitstellung der dazu notwendigen Basisinfrastrukturen und hilft, die betrieblichen und finanziellen Kapazitäten von Versorgungsbetrieben zu stärken.» []
  2. Ein Beispiel ist das Wasser: Ein Teil des geförderten Wassers erreicht gar nie die Konsumenten und kann somit auch keine Einnahmen generieren. Die Verluste sind oft technisch bedingt oder auf Diebstahl zurückzuführen. Technische und administrative Massnahmen können dazu beitragen, diese Verluste zu reduzieren, und mit dem zusätzlich gewonnenen Wasser kann die Nachfrage befriedigt werden. []

Zitiervorschlag: Wieser, Jerome (2012). Die Rolle der Organisationsentwicklung bei Infrastrukturfinanzierung und Versorgungsunternehmen. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.

Projektbeispiel aus Tadschikistan: Die Wasserversorgung der Stadt Khujand

Das Seco und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) haben gemeinsam mit der tadschikischen Regierung ein erstes Projekt für die Wasserversorgung der Stadt Khujand erarbeitet. Das Ziel des Projekts war die Finanzierung der notwendigen Infrastrukturarbeiten sowie Massnahmen zur Stärkung der Managementkapazitäten des VSU Khujand Water Company. Vordinglich waren die Revision der operationellen Führung sowie der Unterhalt der Trinkwasserinfrastruktur. Es ging um die Verbesserung der grundlegenden Rahmenbedingungen, zumal die Trinkwasserversorgung für die Mehrzahl der Bevölkerung auf wenige Stunden pro Tag beschränkt war.

Nebst der Finanzierung von Arbeiten wurde ein Programm zur Verbesserung der Buchhaltung und des Finanzmanagements sowie der operationellen und administrativen Führung des VSU aufgegleist. Dabei wurde der Ankauf von Informatik-Ausrüstung finanziert, ein Fakturierungssystem eingeführt, eine Kundendatenbank erstellt und die tadschikischen sowie internationalen Rechnungslegungsstandards etabliert. Alle diese Neuerungen haben dazu beigetragen, die interne Kontrolle, die finanzielle Disziplin, die Transparenz sowie die Verantwortung zu stärken.

Also Folge davon konnte die Recovery Rate trotz substanziellen Tariferhöhungen innerhalb von 7 Jahren von 60% auf 94% gesteigert werden. Nachdem das VSU im Jahr 2004 noch einen Verlust von 752 000 Euro hinnehmen musste, resultierte 2006 ein Gewinn von 53 100 Euro. Seither ist die Lage der Khujand Water Company stabil. Die ersten von der EBRD im Rahmen des Projekts gewährten Kredite konnten zurückbezahlt werden.