Too big to fail – internationaler Stand und Ausblick
Die praktischen Folgen der Too-big-to-fail-Problematik (TBTF) wurden uns seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 mehrfach deutlich vor Augen geführt. Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und internationale Gremien haben in den letzten Jahren an Regulierungs- und Aufsichtskonzepten gearbeitet, um die nochmalige Rettung von systemrelevanten Institutionen des Privatsektors mit öffentlichen Geldern zu verhindern. In der Schweiz traten die TBTF-Vorschriften im Bankengesetz (BankG) per 1. März 2012 in Kraft; im September wurden nun auch die Anpassungen der entsprechenden Verordnungen (Bankenverordnung und Eigenmittelverordnung) durch die eidgenössischen Räte verabschiedet.
Der Autor ist für den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Fragen des Finanzsektor-Krisenmanagements tätig und Lehrbeauftragter der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. In seiner früheren Rolle als Leiter der Abteilung für Strategische Grundlagen und Internationales der Finma war er massgeblich am schweizerischen TBTF-Paket sowie entsprechender Initiativen des Financial Stability Board beteiligt. Der Artikel gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.
Mehr Kapital für systemrelevante Banken
Auf internationaler Ebene verfolgen die Arbeiten im Bereich TBTF zwei Zielsetzungen. Zunächst werden den systemrelevanten Banken höhere Kapitalanforderungen auferlegt. Ziel ist es, die Banken durch zusätzliche Puffer in die Lage zu versetzen, auch schwerere Verwerfungen zu überstehen. Die Puffer wirken somit präventiv, sollen sie doch verhindern, dass eine Bank überhaupt in eine Schieflage gerät. Die Grösse der Puffer orientiert sich dabei an der Systemrelevanz der Bank (siehe Kasten 1
Systemrelevanz von Banken
Zur Ermittlung der Systemrelevanz von global tätigen Banken wurde ein Indikatorensystem entwickelt.a Dieses System berücksichtigt die Faktoren Bilanzgrösse, ihre Vernetzung mit anderen Finanzintermediären, ihre Substituierbarkeit (d.h. die Möglichkeit, dass im Krisenfalle ein anderer Anbieter gewisse Leistungen erbringt), das Ausmass der grenzüberschreitenden Tätigkeit der Bank sowie ihre Komplexität. Je nach Intensität der auf Basis dieser Faktoren ermittelten Systemrelevanz werden die Banken in Kategorien eingeteilt, welche die zusätzlichen Kapitalanforderungen bestimmen.Da sich die Positionierung einer Bank im Indikatorensystem über die Zeit ändert, werden die Berechnungen periodisch neu durchgeführt und damit auch die zusätzlichen Anforderungen neu bestimmt. Eine Bank, welche nicht mehr oder weniger systemrelevant ist, wird folglich weniger oder keine zusätzlichen Anforderungen mehr zu erfüllen haben. Im Gegenzug muss eine Bank, die systemrelevant(er) geworden ist, höhere zusätzliche Anforderungen erfüllen – auch um einen Anreiz zu setzen, die Systemrelevanz zu vermeiden. Eine solche Revision läuft zum aktuellen Zeitpunkt. Dabei muss nicht nur die Positionierung der Banken periodisch neu beurteilt, sondern auch das Indikatorensystem angepasst werden. In der Praxis hängt die Systemrelevanz einer Bank nur mittelbar von ihrer Grösse ab. Viel wichtiger ist die Systemrelevanz der Funktionen, die sie erbringt. Der schweizerische Ansatz stellt hier folgerichtig auf die Marktanteile in den Bereichen Einlagen- und Kreditgeschäft sowie den Zahlungsverkehr ab. Für grenzüberschreitend tätige Banken ist es wichtig, diese systemrelevanten Funktionen sowohl auf Ebene aller betroffenen Staaten wie auch global festzustellen. Das FSB erarbeitet hierfür zur Zeit eine Methodologie.
a Basel Committee on Banking Supervision (2011), Global Systemically Important Banks: Assessment Methodology and the Additional Loss Absorbency Requirement, http://www.bis.org/publ/bcbs207.pdf.). In einem umfangreichen Verfahren wurden im Ergebnis 29 Banken ermittelt, die als global systemrelevant betrachtet werden, darunter die CS und die UBS.
FSB (2011), Policy Measures to Address Systemically Important Financial Institutions, http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_111104bb.pdf.
Krisenfeste Abwicklungsverfahren …
Nicht auszuschliessen ist jedoch der Fall, dass auch die Puffer nicht ausreichen, um eine Existenzkrise einer Bank zu vermeiden. Daher muss es möglich sein, Banken unabhängig von ihrer Grösse abzuwickeln und geordnet aus dem Markt ausscheiden zu lassen. Im Wirtschaftssystem greift das Sanierungs- und Insolvenzrecht. Sowohl in der Schweiz (z.B. im Falle der Spar- und Leihkasse Thun) als auch im Ausland hat sich gezeigt, dass das «normale» Insolvenzrecht sowohl hinsichtlich Prozessen wie auch Instrumenten zur Abwicklung von Bankenkonkursen nicht uneingeschränkt geeignet ist. Daher bestanden bereits vor der Krise in vielen Ländern spezielle, auf Banken ausgerichtete Sanierungs- und Konkursverfahren. Sie unterscheiden sich vom normalen Konkurs in den zur Verfügung stehenden Instrumenten, aber auch in den Zuständigkeiten auf der Seite der Behörden. Das Sonderkonkursrecht kann dabei auf spezielle Eigenschaften des Bankensystems Rücksicht nehmen, wie die besondere Struktur der Aktiven und Passiven einer Bank, die Notwendigkeit einer schnellen und mit wenig Unsicherheiten behafteten Abwicklung oder die Rolle von Institutionen wie der Einlagensicherung. Die Krisenerfahrung lehrte jedoch drei wichtige Punkte: − Auch dieses erweiterte Instrumentarium ist nicht geeignet für die Abwicklung von systemrelevanten Banken, und zwar nicht nur wegen ihrer Grösse und Kompexität. − Gerade systemrelevante Banken sind grenzüberschreitend tätig, während die Sanierungs- und Konkursverfahren national ausgerichtet sind. Dabei unterscheiden sich die nationalen Verfahren und ihre Instrumente teils nur im Detail, teils aber auch fundamental. Dies behinderte eine grenzüberschreitende Abwicklung von global tätigen Banken bzw. führte zu erheblichen wirtschaftlichen Kollateralschäden. − Die heutigen Strukturen von systemrelevanten Banken weisen inhärente Hindernisse für eine Abwicklung auf, insbesondere wenn die Bank im Zuge des Verfahrens aufgespalten werden soll. Daher muss bereits vor einer Krise sehr genau beurteilt werden, inwieweit eine Abwicklung unter Berücksichtigung des in den massgeblichen Ländern geltenden Rechts möglich ist, um allenfalls Korrektur- bzw. Vorbereitungsmassnahmen zu ergreifen.
… mit dem Fernziel eines internationalen Abwicklungsrechts
Das Financial Stability Board (FSB) hat sich zum Ziel gesetzt, eine gemeinsame Basis für die Abwicklung von Finanzinstitutionen zu schaffen. Im Oktober 2011 hat das FSB die Key Attributes of Effective Resolution Systems for Financial Institutions
FSB (2011), Key Attributes of Effective Resolution Systems for Financial Institutions, http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_111104cc.pdf. publiziert. Während die Arbeiten aus der Problematik der systemrelevanten Institute motiviert waren, sind die Empfehlungen des FSB auf das gesamte Finanzsystem – jedoch mit einem Schwerpunkt auf Banken – anwendbar. Daran zeigt sich auch, dass inzwischen die Staatsschuldenkrise und die damit einhergehenden Probleme in ganzen Banksektoren auf der internationalen Agenda standen.Übergeordnete Zielsetzung der Empfehlungen ist es, den geordneten Marktaustritt grosser Finanzintermediäre zu ermöglichen, ohne volkswirtschaftlichen Schaden anzurichten und allfällige Verluste nicht auf die Öffentlichkeit – d.h. den Steuerzahler – abzuwälzen. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus vorangegangenen Krisen fordern die Key Attributes klare behördliche Zuständigkeiten für die Abwicklung von Finanzinstituten und definieren weitgehende Kompetenzen und Eingriffsrechte, die den involvierten Behörden zur Verfügung stehen sollen. Zudem verlangen sie für systemrelevante Institute eine ex ante Planung einer allfälligen Sanierung und Abwicklung (Recovery and Resolution Planning). Schliesslich setzen sie sich mit der Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Kooperation zwischen Behörden auseinander und definieren Rechte und Pflichten für eine solche Zusammenarbeit. Insbesondere sollen die zuständigen Behörden ihre Interventionen untereinander absprechen und darauf verzichten, unilateral zu handeln. Denn eine koordinierte Abwicklung einer global agierenden Bank wird geregelter und mit weniger Kollateralschaden durchzuführen sein als mehrere, unter Umständen gegeneinander laufende Verfahren in verschiedenen Ländern.Im Grunde stellen die Key Attributes einen Paradigmawechsel dar. Während im «normalen» Schuld- und Konkursrecht der Schutz der Gläubiger im Vordergrund steht, wird nun anerkannt, dass einige Funktionen des Finanzsystems für die gesamte Volkswirtschaft ein öffentliches Gut darstellen, hinter dem die Interessen der einzelnen Gläubiger – zumindest zeitweise – zurückstehen müssen. Entsprechend wird den Gläubigern auch die Möglichkeit genommen, Entscheide der Abwicklungsbehörden anzufechten und damit zu blockieren. Vielmehr erfolgt ein allfälliger Interessensausgleich ex-post in Form einer Kompensation.
Initiativen auf nationaler Ebene
Schweiz
Die Schweiz hat im Rahmen der Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission TBTF ein regulatorisches Umfeld geschaffen, das mit den internationalen Richtlinien kongruent steht. Kurz vor Inkraftsetzung befindet sich zudem die Bankinsolvenzverordnung, welche ihrerseits die Empfehlungen der FSB Key Attributes umsetzt.
Für Details sei auf die entsprechenden Rechtstexte und Erläuterungsberichte verwiesen.
USA
Der Dodd Frank Act gibt in den USA die massgeblichen Stossrichtungen vor. Die zuständigen Behörden erarbeiten zur Zeit die zugehörigen Rules des Gesetzes, das alleine aus 541 Artikeln besteht. Im Ergebnis erwartet man mehrere zehntausend Seiten sehr detaillierter, regelbasierter Vorschriften. Auch die USA haben die Umsetzung der zusätzlichen Puffer sowie der Prinzipien betreffend verbesserter Abwicklung zugesagt. Das US-amerikanische Regelwerk, das grösstenteils vor den internationalen Leitlinien entstand, weist aber zwei interessante Eigenschaften auf:− Zum einen soll ein Konkurs von systemrelevanten Banken von vornherein verhindert werden. Man setzt dabei zentral auf das Konzept des Bail-in (vgl. Kasten 2
Bail-in
Als Bail-in bezeichnet man die Wandlung von Fremdkapital (z.B. Obligationen) zu Eigenkapital (z.B. Aktien) im Krisenfalle. Dies kann entweder durch behördliche Anordnung (Statutory Bail-in) oder bei Eintritt vertraglich fixierter Ereignisse (Contractual Bail-in) erfolgen. Theoretisch kann die Eigenkapitalquote einer Problembank damit beliebig verbessert werden. Für die Wirksamkeit des Bail-in ist u.a. die Struktur der Bank massgeblich. Liegt z.B. eine Holding-Struktur vor und wurden die Fremdkapitalinstrumente von der Holding begeben, kann durch Wandlung auf Ebene der Holdung eine Konkursgefahr von den untergeordneten Tochtergesellschaften ferngehalten werden. Die ganze Gruppe bleibt damit im Going Concern, was die Weiterführung ihrer Funktionen deutlich vereinfacht. Das Konzept hat jedoch einige Nachteile. Zuerst stellt sich die Frage, ob es auf internationaler Ebene funktioniert, d.h. ein nationaler Beschluss zur Wandlung im Ausland akzeptiert wird. Zweitens stehen verschiedene Verbindlichkeiten einer Bank – wie Depositen oder besicherte Obligationen – für ein Bail-in nicht zur Verfügung. Es muss also sichergestellt werden, dass genügend Verbindlichkeiten existieren, die für ein Bail-in geeignet sind. Ausserdem ist offen, ob ein Bail-in ohne erhebliche Nebeneffekte – wie ein Vertrauensverlust im Finanzsystem – in der Praxis durchführbar ist. So stellte sich bereits in der letzten Krise heraus, dass Kapitalinstrumente, welche als «verlustabsorbierend» gesehen wurden, dies am Ende nicht waren.
). − Zum anderen sieht das US-amerikanische Verfahren vor, dass der Entscheid, ob eine Bank unter Einsatz des Spezialverfahrens für systemrelevante Institute behandelt werden soll, vom US-Finanzministerium (Treasury) unter Beizug des Präsidenten getroffen wird. Der Entscheid fällt damit – im Gegensatz zur Schweiz – erst in der Krise und nicht bereits vorher, und er ist politischer Natur. Es ist offen, ob ein solches Verfahren dem Anspruch gerecht wird, die notwendige Klarheit zu schaffen und kein Moral Hazard zu begründen.Wichtig ist auch die Rolle der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), welche im Rahmen eines Verfahrens einer Krisenbank Gelder zur Verfügung stellen kann und damit ein Mandat erhält, das über die Sicherung der Einleger hinaus geht. Sofern der Fonds nicht ausreicht, kann sich das FDIC beim Treasury refinanzieren. Zwar müssen die versicherten Banken sowohl den Fonds ex-ante äufnen, als auch allfällige Leistungen des Treasury zurückzahlen. Allerdings ist das System sehr nahe an der eigentlich zu vermeidenden Unterstützung durch den Steuerzahler, der Verlustrisiken ausgesetzt wird.
Grossbritannien
In Grossbritannien hat eine Kommission unter Vorsitz des Ökonomen John Vickers im September 2011 Vorschläge zum Umgang des TBTF-Problems in Grossbritannien vorgelegt. Diese befinden sich zur Zeit im politischen Prozess. Kernelement der Empfehlungen ist die Einrichtung eines Retail Ring Fence, durch welche volkswirtschaftlich relevante Dienstleistungen für Privatkunden sowie kleine und mittlere Unternehmungen von risikoreicheren Aktivitäten – z.B. das Investmentbanking-Geschäft – abgeschirmt werden sollen. Die so abgegrenzten Retail-Arme der Banken sollen zudem höhere Kapitalanforderungen erfüllen. Gleiches gilt für die Teile der als systemrelevant bezeichneten Banken, die nicht innerhalb des Ring Fence liegen.
Europäische Union
Die EU legte im Juni 2012 ihren Vorschlag für das Finanzsektor-Krisenmanagement in Form eines Richtlinienentwurfs vor. Der Ansatz unterscheidet sich von den vorgenannten in zwei wichtigen Aspekten, welche sich direkt aus den aktuellen Herausforderungen in der EU ergeben. Erstens sind die Vorschläge nicht alleine auf systemrelevante Banken fixiert, sondern betreffen alle Bankinstitute. Zweitens setzt sich der Entwurf intensiv mit den institutionellen Rahmenbedinungen auseinander, insbesondere der Kompetenzverteilung zwischen der nationalen und der EU-Ebene. Auch geht die Richtlinie die Frage zur Sicherstellung von Solvenz und Liquidität in Krisenfällen an. So enthält der EU-Vorschlag das Element des Bail-in und sieht die Äufnung von Abwicklungsfonds vor, die aber selbst nach einer langen Aufbauphase im Vergleich zu den zu tragenden Risiken äusserst klein wären und damit im Ernstfall wohl durch staatliche Mittel ergänzt werden müssten. Die bestehenden Einlagesicherungsfonds sollen mit erweitertem Mandat national ausgerichtet bleiben, im grenzüberschreitenden Krisenfall jedoch füreinander einstehen. Dieser typische Kompromiss zwischen EU-Ebene und den Mitgliedsländern ist zwischenzeitlich von den ökonomischen und politischen Entwicklungen überholt worden. Inzwischen bespricht man sehr konkret Vorschläge für eine Bankenunion, welche nationale Kompetenzen und Institutionen auf die europäische Ebene verlagern würde. Der Ausgang der Diskussionen ist zwar noch offen; allerdings ist die Frage sicher gerechtfertigt, ob formelle Institutionen am Ende nicht glaubhafter sind als eine faktische Vergemeinschaftung von Risiken und Verantwortlichkeiten durch die Hintertür.
Stand der Umsetzung
Die vielen Initiativen und Projekte auf regulatorischer Ebene dürfen nicht davon ablenken, dass sie nur wirken, wenn sie letztlich auch praktisch umgesetzt werden. Für den Aufbau der zusätzlichen Kapitalpuffer hat der Basler Ausschuss einen verbindlichen Fahrplan vorgegeben. Ganz unabhängig von der Diskussion über einzelne Banken liegen weltweit die betroffenen systemrelevanten Institute auf oder leicht über dem vorgegebenen Pfad, haben aber das Endziel noch nicht erreicht. Erschwerend wirkt hier die durch die fortgesetzte Finanzkrise schlechte Ertragslage des Bankensektors, was sowohl die Möglichkeit der internen Kapitalgenerierung durch Gewinne, aber auch die Attraktivität für Investoren beeinträchtigt. Die von den systemrelevanten Banken zusätzlich zu erfüllenden Puffer sind zudem letztlich abhängig von den für alle Banken geltenden Kapitalanforderungen. Hier hat der Basler Ausschuss mit Basel III zwar ein Regelwerk aufgestellt, zu dessen Umsetzung sich alle Mitgliedsländer verpflichtet haben. Während die Schweiz die Richtlinien bereits in Kraft gesetzt und ohne massgebliche Abweichungen implementiert hat, stimmt der Fortschritt im Ausland weniger optimistisch. Insbesondere Länder und Regionen mit weniger guten Wirtschaftsaussichten und mit problembeladenen Bankensektoren arbeiten hart an einer Verwässerung der ursprünglichen Vereinbarungen. So übertragen sich allfällige Schwächen des Basel-III-Regelwerks und seiner Umsetzung direkt auf das TBTF-Regime. Im Bereich der Abwicklung zeigt sich, dass die Materie von real- und wirtschaftspolitischen Faktoren überlagert wird. Letztlich ist es sowohl die Wirtschaftskraft eines Landes wie auch die Schwere einer Bankenkrise , die bestimmen, wie mit dieser umgegangen wird. Während die Schweiz Massnahmen wie – auch nur temporären – öffentlichen Solvenzinterventionen sehr kritisch gegenübersteht, möchte man sich andernorts alle Optionen offenhalten. Dies zeigt sich auch an der Verpflichtung zur internationalen Koordination. Die Bereitschaft, seinen Handlungsspielraum zugunsten eines anderen Landes einzuschränken, wird bestimmt durch die eigene wirtschaftliche Position und ist daher sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zuletzt zeigt sich an der institusspezifischen Planung von Sanierungs- und Abwicklungsmassnahmen die Komplexität der Materie. Die Arbeiten sind bei weitem noch nicht abgeschlossen. Zudem ist die Beurteilung der Effektivität solcher Massnahmen schwierig – sowohl für die Institute als auch für die Behörden.
Folgerungen für die Schweiz
Die Zielsetzung der Expertenkommission «Too big to fail», die Haftung des Steuerzahlers für systemrelevante Unternehmungen des Privatsektors zu beseitigen, ist unvermindert gültig. Wie viele andere Länder hat auch die Schweiz ein Massnahmenpaket geschnürt und auf Gesetzes- und Verordnungsebene umgesetzt, das diesem Auftrag unter Berücksichtigung der konkreten Umstände in der Schweiz gerecht werden kann. Mindestens solange die neuen Regeln international nicht vollständig umgesetzt sind, besteht die Haftung des Steuerzahlers weiterhin, auch wenn sie durch Massnahmen auf Seiten der Behörden sowie der systemrelevanten Banken inzwischen reduziert wurde. Am Ziel angelangt ist man somit noch nicht. Die Umsetzungsarbeiten im Bereich der Sanierungs- und Abwicklungsplanung stehen noch eher am Anfang. Der Vergleich mit dem Ausland zeigt zudem, dass trotz der gemeinsamen Basis die nationalen Ansätze stark von den nationalen Gegebenheiten beeinflusst werden. Umso schwieriger ist die Etablierung einer verbindlichen und wirksamen Kooperation auf internationaler Ebene, die gerade für die Schweiz besonders wichtig ist. Ob diese in zufriedenstellendem Umfang zustande kommt, ist momentan noch offen. Es wäre nicht auszuschliessen, dass Länder mit einem international ausgerichteten Bankensystem und global systemrelevanten Banken eine Resthaftung auf fiskalischer oder monetärer Ebene tragen müssen. Dies ist jedoch kein Grund, nicht unvermindert und in eigenem Interesse an der Reduktion dieser Haftung zu arbeiten.
Kasten 1: Systemrelevanz von Banken
Systemrelevanz von Banken
Zur Ermittlung der Systemrelevanz von global tätigen Banken wurde ein Indikatorensystem entwickelt.a Dieses System berücksichtigt die Faktoren Bilanzgrösse, ihre Vernetzung mit anderen Finanzintermediären, ihre Substituierbarkeit (d.h. die Möglichkeit, dass im Krisenfalle ein anderer Anbieter gewisse Leistungen erbringt), das Ausmass der grenzüberschreitenden Tätigkeit der Bank sowie ihre Komplexität. Je nach Intensität der auf Basis dieser Faktoren ermittelten Systemrelevanz werden die Banken in Kategorien eingeteilt, welche die zusätzlichen Kapitalanforderungen bestimmen.Da sich die Positionierung einer Bank im Indikatorensystem über die Zeit ändert, werden die Berechnungen periodisch neu durchgeführt und damit auch die zusätzlichen Anforderungen neu bestimmt. Eine Bank, welche nicht mehr oder weniger systemrelevant ist, wird folglich weniger oder keine zusätzlichen Anforderungen mehr zu erfüllen haben. Im Gegenzug muss eine Bank, die systemrelevant(er) geworden ist, höhere zusätzliche Anforderungen erfüllen – auch um einen Anreiz zu setzen, die Systemrelevanz zu vermeiden. Eine solche Revision läuft zum aktuellen Zeitpunkt. Dabei muss nicht nur die Positionierung der Banken periodisch neu beurteilt, sondern auch das Indikatorensystem angepasst werden. In der Praxis hängt die Systemrelevanz einer Bank nur mittelbar von ihrer Grösse ab. Viel wichtiger ist die Systemrelevanz der Funktionen, die sie erbringt. Der schweizerische Ansatz stellt hier folgerichtig auf die Marktanteile in den Bereichen Einlagen- und Kreditgeschäft sowie den Zahlungsverkehr ab. Für grenzüberschreitend tätige Banken ist es wichtig, diese systemrelevanten Funktionen sowohl auf Ebene aller betroffenen Staaten wie auch global festzustellen. Das FSB erarbeitet hierfür zur Zeit eine Methodologie.
a Basel Committee on Banking Supervision (2011), Global Systemically Important Banks: Assessment Methodology and the Additional Loss Absorbency Requirement, http://www.bis.org/publ/bcbs207.pdf.
Kasten 2: Bail-in
Bail-in
Als Bail-in bezeichnet man die Wandlung von Fremdkapital (z.B. Obligationen) zu Eigenkapital (z.B. Aktien) im Krisenfalle. Dies kann entweder durch behördliche Anordnung (Statutory Bail-in) oder bei Eintritt vertraglich fixierter Ereignisse (Contractual Bail-in) erfolgen. Theoretisch kann die Eigenkapitalquote einer Problembank damit beliebig verbessert werden. Für die Wirksamkeit des Bail-in ist u.a. die Struktur der Bank massgeblich. Liegt z.B. eine Holding-Struktur vor und wurden die Fremdkapitalinstrumente von der Holding begeben, kann durch Wandlung auf Ebene der Holdung eine Konkursgefahr von den untergeordneten Tochtergesellschaften ferngehalten werden. Die ganze Gruppe bleibt damit im Going Concern, was die Weiterführung ihrer Funktionen deutlich vereinfacht. Das Konzept hat jedoch einige Nachteile. Zuerst stellt sich die Frage, ob es auf internationaler Ebene funktioniert, d.h. ein nationaler Beschluss zur Wandlung im Ausland akzeptiert wird. Zweitens stehen verschiedene Verbindlichkeiten einer Bank – wie Depositen oder besicherte Obligationen – für ein Bail-in nicht zur Verfügung. Es muss also sichergestellt werden, dass genügend Verbindlichkeiten existieren, die für ein Bail-in geeignet sind. Ausserdem ist offen, ob ein Bail-in ohne erhebliche Nebeneffekte – wie ein Vertrauensverlust im Finanzsystem – in der Praxis durchführbar ist. So stellte sich bereits in der letzten Krise heraus, dass Kapitalinstrumente, welche als «verlustabsorbierend» gesehen wurden, dies am Ende nicht waren.
Zitiervorschlag: Wuensch, Oliver (2012). Too big to fail – internationaler Stand und Ausblick. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.