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Stromnetzausbau und Smart Grids

Weltweit steht die Energiebranche derzeit in einer Umbruch­phase. Vertikal integrierte Unternehmen werden in einen Monopolbereich (Netze) und in einen marktbasierten Teil (Produktion, Verteilung, Endkonsum) entflochten. Zudem wird auf Grund der neuen erneuerbaren Energien die Einspeisecharakteristik der Kraftwerke grundlegend verändert. So wird das altbekannte Modell des Zusammenspiels zwischen Band- und Spitzenkraftwerken abgelöst von immer stärkerer fluktuierenden Einspeisungen, was sich auf die Volatilität der Preise auswirkt. Im Netzbereich macht diese Umbruchphase eine neue Strategie notwendig, die – neben dem Ausbau – auch den Umbau des Netzes in Richtung Smart Grids beinhaltet. Die «Strategie Stromnetze» soll im Frühjahr 2013 vom Bundesrat verabschiedet werden. Bis dann sollen auch erste Resultate der Smart Grids Roadmap vorliegen.

Die Stromnetze sind als Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch ein zentrales Element des Energieversorgungssystems. Anders als bei den Kraftwerken handelt es sich beim Stromnetz um ein natürliches und reguliertes Monopol. Im Stromnetz müssen gerade im Hinblick auf die Energiestrategie 2050 grosse Herausforderungen gemeistert werden, die wie folgt zusammengefasst werden können:

 

− Im Bereich Übertragungsnetz: Erheblicher Erneuerungsbedarf (Substanzerhaltung), da der Grossteil der schweizerischen Übertragungsleitungen vor mehr als 
40 Jahren erstellt wurde; Ausbaubedarf ­aufgrund von Engpasssituationen im heu­tigen Netz (vorhandene Transport­leistung stösst zunehmend an Grenzen); 
Optimierung der Genehmigungsverfahren; Sicherstellung der engen Anbindung an Europa.

 

− Im Bereich Verteilnetze: Integration von dezentralen Kraftwerken und fluktuierenden Einspeisern; Entwicklung der Ver­teilnetze in Richtung intelligente Netze (Smart Grids); konventioneller Ausbau der Verteilnetze.

 

Das Bundesamt für Energie (BFE) hat in diesem Zusammenhang zwei Studien[1] in Auftrag gegeben. Gemäss den Ergebnissen der Studie «Einfluss verschiedener Stromangebotsvarianten auf das Übertragungsnetz der Schweiz» ist der Einfluss des inländischen Kraftwerkparks bzw. Produktions­mixes auf die Belastungen im Schweizer Übertragungsnetz – im Verhältnis zur Angebots- und Nachfragesituation in den europäischen Nachbarländern – eher gering. Regional kann jedoch für die Einbindung neuer Kraftwerke durchaus zusätzlicher Ausbaubedarf entstehen. Ob in der Schweiz vorwiegend zentral oder dezentral eingespeist wird, hat also keine wesentlichen Auswirkungen auf die Belastungen im Übertragungsnetz. Die Studie kommt zum Schluss, dass bis 2050 über das Netz 2020 hinaus mit einem zusätzlichen Ausbaubedarf in der Grössenordnung von 300–600 km bzw. 300–700 Mio. Franken zu rechnen ist.

Gemäss den Ergebnissen der Studie zu den Auswirkungen eines verstärkten Ausbaus der dezentralen Erzeugung auf die Schweizer Verteilnetze ist der Investitionsbedarf in den Verteilnetzen aufgrund der Integration von dezentralen Einspeisungen höher als derjenige im Übertragungsnetz. Er bewegt sich – je nach Szenario und Variante – zwischen 3,9 Mrd. und 12,6 Mrd. Franken. In den Verteilnetzen kann der Investitionsbedarf durch innovative Massnahmen (Smart Grid) – wie z.B. eine Spannungsregelung in den unteren Netzebenen – signifikant gedämpft werden. Insgesamt rechnet der Bundesrat für den Ausbau und die Erneuerung im Übertragungsnetz sowie den Ausbau im Verteilnetz bis 2050 mit Kosten von rund 18 Mrd. Franken.

Um die anstehenden Herausforderungen bewältigen und den nötigen Aus- und Umbau des Netzes zeitgerecht und effizient realisieren zu können, werden auf Basis der Resultate dieser Studien vom BFE folgende Arbeiten ausgeführt:

Strategie Stromnetze: Damit der Netzausbau und Netzumbau zeit- und bedarfsgerecht vorangetrieben werden kann, wird eine Strategie Stromnetze erarbeitet. Diese umfasst auch eine Optimierung der Genehmigungsverfahren.

Smart Grids Roadmap: Zur vertieften Analyse der Potenziale im Bereich Smart Metering und Smart Grids führte das BFE gemeinsam mit den schweizerischen Interessensvertretern ein Impact Assessment für die Schweiz durch. Es wird diese 
Resultate nun im Rahmen der Erarbeitung einer Smart Grids Roadmap konkretisieren.

Die 50-Hz-Stromnetze der Schweiz


Die 50-Hz-Stromnetze in der Schweiz sind gemäss ihren Spannungsniveaus in verschiedene Netzebenen gegliedert (siehe 
Grafik 1). Bis anhin waren die grossen Produktionskapazitäten vorwiegend in den ­Netzebenen 1 und 3 angeschlossen. Mit dem verstärkten Einsatz von kleineren Einheiten (v.a. auf Basis von neuen erneuerbaren En­er­gien) wird im Rahmen der Energiestrategie die Anschlussleistung auf den unteren Netz­ebenen (7 und 5) massiv zunehmen. Grafik 2 zeigt das Schweizer Übertragungsnetz (Netz­ebene 1, Stand 1.1.2011). Deutlich ist dabei die enge Anbindung an das umliegende ­Ausland erkennbar. Das am 1. Januar 2008 
in Kraft getretene Stromversorgungsgesetz (StromVG, SR 734.1) sieht vor, dass spätestens am 1. Januar 2013 Swissgrid Eigentü­merin des 6700 Kilometer langen Schweizer Übertragungsnetzes wird.

Die Netzebenen in der Schweiz

Schweizer Übertragungsnetz, Stand 1.1.2011

Strategie Stromnetze

Zielsetzung


Mit der Strategie Stromnetze werden die Stossrichtungen, die durch den Infrastrukturbericht des Bundes vorgegeben wurden, konkretisiert. Grundlegendes Ziel der Strategie ist die nachhaltige Beschleunigung der bedarfsgerechten Netzentwicklung, die den oben genannten Herausforderungen Rechnung trägt. Dies soll erreicht werden durch eine erhöhte Planungssicherheit (grundsätzliche Vorgaben aus den Leitlinien), klarere Rahmenbedingungen (energiewirtschaftlicher Szenariorahmen), erhöhte Akzeptanz (transparente Bedarfsermittlung mit Ein­bindung aller beteiligten Akteure und der Öffentlichkeit), erhöhte Investitionssicherheit (Vorab-Bestätigung des grundsätzlichen Bedarfs) und optimierte räumliche Koordi­nation durch frühzeitigem Einbezug der Kantone sowie durch eine Optimierung der Bewilligungsverfahren.

Grundsätze und Leitlinien


Die Strategie Stromnetze beschreibt die angestrebte zukünftige Ausgestaltung von Rahmenbedingungen und Abläufen für eine bedarfs- und zeitgerechte Netzentwicklung. Mit der Umsetzung der Strategie sind keine Verlagerung der Planungskompetenz der Netze vorgesehen, sondern eine effiziente Netzplanung nach klar definierten Vorgaben. Die Netzbetreiber müssen bei der Bedarfsermittlung im Rahmen der Erstellung ihrer Mehrjahrespläne die gesetzlich verankerten Leitlinien und den energiewirtschaftlichen Szenariorahmen für den Aus- und Umbau der Stromnetz berücksichtigen. Eine Vorabüberprüfung des Bedarfs durch die ElCom soll zu einer höheren Investitionssicherheit für die Netzbetreiber führen. Die räumliche Koordination soll strategischer ausgerichtet werden. Der Sachplan Übertragungsleitungen (SÜL) soll dabei zu einem Sachplan Energienetze (SEN) ausgeweitet werden. Der Fokus liegt zu Beginn auf den Stromnetzen, der SEN soll aber später auf alle leitungsgebundenen Energien – auch Gas und Öl – Anwendung finden. Folgende gesetzlich verankerte Leitlinien sollen für die Netzbetreiber verbindliche Vorgaben zu den erforderlichen Funktionalitäten der Stromnetze machen:

Inländische Versorgung: Die Netzbetreiber stellen mit ihrer Planung sicher, dass das schweizerische Stromnetz die Versorgung der inländischen Endverbraucher und den Abtransport der in der Schweiz produzierten Elektrizität jederzeit ausreichend und sicher gewährleistet.

Internationale Anbindung: Die nationale Netzgesellschaft stellt sicher, dass das schweizerische Übertragungsnetz grenzüberschreitend so dimensioniert ist, dass mit ausreichenden Import- und Exportkapazitäten die Versorgungssicherheit gewährleistet wird und Ausgleichsmöglichkeiten auf europäischer Ebene bestehen.

Electricity Highways (Supergrid): Die nationale Netzgesellschaft stellt – unterstützt durch den Bund – sicher, dass die Interessen der Schweiz in die Planung für die paneuropäischen Electricity Highways eingebracht werden, um langfristig eine möglichst effiziente Anbindung an das europäische Verbundnetz zu gewährleisten. − Koordination bei der Bedarfsermittlung: Die nationale Netzgesellschaft koordiniert die Planung des Übertragungsnetzes und die damit zusammenhängende Bedarfsermittlung mit der Planung der Verteilnetzbetreiber sowie der SBB und den Produzenten.

Langfristige und überörtliche Koordination von Stromnetzen und Raum: Die schweizerische Planung der Stromnetze muss langfristig ausgerichtet sein und frühzeitig zwischen Bund, den Netzbetreibern, angrenzenden Übertragungsnetzbetreibern im Ausland, SBB, Kraftwerksbetreibern und Kantonen koordiniert werden.

Nationale Bedeutung der Übertragungsnetze: Vorhaben, die als Teil des Mehrjahresplans der nationalen Netzgesellschaft oder der Bedarfsplanung der SBB in einen Sachplan nach dem Raumplanungsgesetz aufgenommen wurden, stellen ein Interesse von nationaler Bedeutung dar.

Interessenabwägung Projekte Übertragungsnetz (Netzebene 1): Bei der Beurteilung 
von Korridorvarianten für Übertra­gungsleitungen erfolgt eine umfassende ­Interessenabwägung, welche die Auswirkungen auf Raum und Umwelt, technische Aspekte sowie betriebs- und volkswirtschaftliche Überlegungen berücksichtigt.

Verkabelung auf der Hochspannungsebene (Netzebene 3): Hochspannungsleitungen auf neuen Trassen der Netzebene 3 und tiefer sind, sofern technisch möglich, grundsätzlich als Erdkabel auszuführen, wenn die Gesamtkosten für Errichtung und Betrieb des Erdkabels die Gesamtkosten einer technisch gleichwertigen Freileitungsvariante nicht um einen bestimmten Faktor überschreiten.

Spannungsebenen übergreifende Kompensation von Freileitungen: Als Kompensa­tion für die Erstellung von neuen Freileitungen auf der Höchstspannungsebene (Netzebene 1) können

– sofern technisch machbar – in der gleichen Region Freileitungen auf niedrigeren Spannungsebenen verkabelt werden. − Anrechenbare Zusatzkosten von Netzprojekten: Die Kosten für Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen, Dienstbarkeiten und ergänzende Abgeltungen für den Ausgleich von Nachteilen, die durch die Realisierung von Projekten im Übertragungsnetz entstehen, gelten als anrechenbare Kosten im Sinne des Bundesgesetzes vom 23. März 2007 über die Stromversorgung (StromVG; SR 734.7).

Forschung, Entwicklung und Demonstration (FE&D) im Netzbereich (inkl. Smart Grid): Die Netzbetreiber (Swissgrid und Verteilnetzbetreiber) können Ausgaben für FE&D in einer noch zu bestimmenden Höhe

– z.B. einem gewissen Anteil der Einnahmen durch Netznutzungsentgelte – als anrechenbare Kosten geltend machen. Die Netzbetreiber müssen den Nachweis erbringen, dass sich die entsprechenden Ausgaben auf FE&D beziehen.

Mitwirkung und Kommunikation: Bei der Planung der schweizerischen Stromnetze ist der Einbezug der Öffentlichkeit und eine umfassende Kommunikation durch alle Akteurinnen und Akteure im Verfahren sicherzustellen. Die erforderlichen Prozesse und Anforderungen werden dokumentiert und transparent kommuniziert.

Ablauf und Zuständigkeiten


Eine Übersicht über die Teilschritte, Abläufe und involvierten Institutionen bei der zukünftigen Netzplanung gemäss der Strategie Stromnetze ist in Grafik 3 dargestellt. Entlang der Zeitachse von oben nach unten wird der Netzplanungsprozess kontinuierlich konkreter. An den Erlass von gesetzlichen Grundlagen und Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung der Leitlinien schliesst sich der periodische Prozess der Anpassung der Ausführungsbestimmungen (Verordnungen, Sachplan, energiewirtschaftlicher Szenariorahmen), der Bedarfsermittlung und der räumlichen Koordination. Darauf folgen die Bewilligung und Ausführung konkreter Projekte und die schlussendliche Überprüfung der Kosteneffizienz. Neue 
Elemente im zukünftigen Ablauf ergeben sich in den ersten drei Teilschritten gesetzliche Grundlagen, Ausführungsbestimmungen und Bedarfsermittlung. Weiter sind Anpassungen im Bereich der räumlichen Koordination vorgesehen. Die Bewilligung der Projekte sowie die Ausführung und Überprüfung der Kosteneffizienz erfolgt wie bisher. Das schrittweise und transparente Vorgehen sowie eine klare Rollenverteilung sollen dazu beitragen, dass die vorhandene Komplexität beherrschbar bleibt und die 
erforderliche Koordination zwischen den 
beteiligten Akteuren effizient stattfinden kann.Übersicht über die Abläufe und involvierten Institutionen bei der Netzplanung und Projektrealisierung

Smart Grids Roadmap


Durch die in einem Smart Grid vorhandene bidirektionale Kommunikation kann eine direkte Interaktion zwischen Verbrauchern, anderen Netznutzern und Energie­versorgern hergestellt werden. Je nach 
Aus­gestaltung und Einsatz können das unmittelbare Feedback zum Verbrauch und die Möglichkeit der Verbrauchssteuerung beim Endkunden Anreize für einen effizienteren Umgang mit Energie schaffen. Smart Grids ermöglichen zudem eine gezieltere Netzbewirtschaftung, was sich in einem sichereren Netz niederschlägt und zu erhöhter Kosteneffizienz beitragen kann. Vor allem bei der Integration von erneuerbaren Energien und Elektroautos ins Stromsystem kommt Smart Grids eine entscheidende Rolle zu hin­sichtlich des Ausgleichs des fluktuierenden Strom­angebots aus Wind- und Solarstrom und damit der Stabilisierung und Optimierung der Netze. Zusätzlich zur Steuerung von flexiblen Erzeugungsanlagen (z.B. WKK oder GuD) und von verschiebbaren Lasten (Demand Side Management) sind Speicher eine Option, diesen Ausgleich zu bewerkstelligen. Mit zunehmendem Anteil der angebotsabhängigen (fluktuierenden) Erzeugung durch Wind- und Photovoltaikanlagen steigt auch die Bedeutung der Speicherung. Neben der Pumpspeicherung, die heute die einzige wirtschaftliche Speichertechnologie in grosstechnischem Massstab darstellt, werden weitere Technologien – wie z.B. Power-to-Gas, Druckluft oder dezentrale Batterien – einen Beitrag zur Deckung des zukünftigen Anforderungsspektrums bezüglich Speicherung leisten müssen. Dabei können bestehende Geschäftsmodelle – wie z.B. die Lieferung von Reserveenergie durch Endverbraucher – weiterentwickelt werden, und neue Geschäftsmodelle können zusätzlich entstehen. Nicht zuletzt können auf der Plattform Smart Grids innovative Energiedienstleistungen angeboten werden, was einen positiven Einfluss auf den Wettbewerb im Endkundenbereich hat.

Ausblick


Das BFE ist derzeit dabei, im Rahmen der Erarbeitung der Strategie Stromnetze gemeinsam mit den schweizerischen Interessensvertretern eine Smart Grids Roadmap zu entwickeln. Dabei soll analysiert werden, zu welchem Zweck und wie Smart Grids in der Schweiz funktionell ausgestaltet werden müssen, um zielgerichtet und effizient betrieben werden zu können. Anhand verschiedener Szenarien wird der Zielzustand eines Schweizer Smart Grids definiert werden, um die notwendigen Schritte zur Umsetzung abzuleiten.

  1. Verfügbar online unter www.bfe.admin.ch/dokumentation/publikationenund www.energiestrategie2050.ch. []

Zitiervorschlag: Christian Schaffner (2012). Stromnetzausbau und Smart Grids. Die Volkswirtschaft, 01. November.