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Im Gespräch mit Walter Steinmann, Direktor Bundesamt für Energie

Der Beschluss des Bundesrates vom 28. September 2012, ein erstes Massnahmenpaket für den schrittweisen Umbau der schweizerischen Energieversorgung in die Vernehmlassung zu schicken, ist Geschichte. Nun läuft die Vernehmlassung, die bis am 31. Januar 2013 dauern wird. Bereits mit der Erarbeitung der verabschiedeten Massnahmen­pakets war das verantwortliche Bundesamt für Energie (BFE) im besonderem Masse gefordert. Und die Herausforderungen werden nicht kleiner werden. Grund genug, mit dem zuständigen Direktor, Dr. Walter Steinmann, über wichtige Fragen, die sich im Kontext mit der Energiewende stellen, ein Gespräch zu führen.

Im Gespräch mit Walter Steinmann, Direktor Bundesamt für Energie



Steinmann: Nur in Ländern, wo man staatliche Garantien und Subventionen hat, können neue Kernkraftwerke gebaut werden. Das sagt die für diese Branche zuständige Nuclear Energy Agency der OECD. Foto: Hannes Saxer

Die Volkswirtschaft:Ihre Vorgesetzte, Bundesrätin Doris Leuthard, hat das Vorhaben «Energiestrategie 2050 und ihre Umsetzung» als eine «grosse Kiste» bezeichnet, die es auch wahrlich ist. Warum überhaupt diese «grosse Kiste»?

Steinmann: Bundesrat und Parlament haben entschieden, aus der Kernenergie auszusteigen. Sie haben uns den Auftrag erteilt, eine neue Energiestrategie zu ­formulieren. Nach Art. 89 der Bundesverfassung haben Bund und Kantone die Rahmenbedingungen für eine sichere, breit gefächerte, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung bereitzustellen. Für uns ist klar: Die Energiewende hat viele Herausforderungen. Es geht um Grundsatzent­scheide für Investitionen für die nächsten Jahrzehnte. Die Energiewirtschaft muss umdenken; aber auch die Gesellschaft muss einige neue Verhaltensweisen lernen.

 

Die Volkswirtschaft:Das BFE und Sie als verantwortlicher Direktor sind bei diesem Vorhaben im besonderen Masse gefordert. Wovor haben Sie den grössten Respekt?

Steinmann: Für uns ist das zentrale, dass wir Entscheide treffen, die langfristig Wirkung haben. Es geht darum, die Gesellschaft genügend einzubeziehen und der Bevölkerung plausibel dazulegen, dass dieser Weg zwar ambitiös, aber machbar ist.

 

Die Volkswirtschaft:Es gibt Kritiker, die sagen, dass dieser Entscheid von so zentraler politischer und volkswirtschaftlicher Bedeutung ist, dass man anders hätte vorgehen müssen: zuerst über den Grundsatz «Ausstieg aus der Kernenergie ja oder nein» abstimmen und erst dann über Massnahmen diskutieren. Was spricht für Sie gegen ein solches Vorgehen?

Steinmann: Wenn man sich zum Verzicht auf neue Kernkraftwerke äussern will, muss man wissen, was die Konsequenzen sind. Wir haben im Auftrag des Bundesrates in verschiedenen Studien dargelegt, welche Auswirkungen dieser Ausstieg hat und wie wir ihn volkswirtschaftlich bewältigen können.

 

Die Volkswirtschaft:Auch Deutschland hat nach Fukushima den Atomausstieg beschlossen. Allerdings beträgt der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion in Deutschland nur 20%, während es in der Schweiz 40% sind. Zudem verfügt das Land über Kohle. Wie beurteilen Sie die Herausforderungen der Schweiz im Vergleich zu Deutschland?

Steinmann: Die Schweiz und Deutschland stehen nicht alleine da. Auch Japan hat den Atomausstieg beschlossen. In der Hälfte der anderen Staaten ist es derzeit ebenfalls unmöglich, neue Kernkraftwerke zu bauen. Nur in Ländern, wo man staatliche Garan­tien und Subventionen hat, können neue Kernkraftwerke gebaut werden. Das sagt die für diese Branche zuständige Nuclear Energy Agency (NEA) der OECD. Zum Fall Deutschland: Das Land hat ein deutlich ambitiöseres Programm, weil es die Kernkraftwerke bis 2022 abschalten will. Die Schweiz will hingegen die bisherigen Kernkraftwerke , so lange sie sicher sind. So gesehen haben wir mehr Zeit und auch mehr Chancen, diesen Umstieg mit den neuen Technologien und mit den entsprechenden Massnahmen, die Schritt für Schritt geplant und umgesetzt werden, zu schaffen.

 

Die Volkswirtschaft:Wie wichtig ist in diesem Kontext der Entscheid des Bundesrates vom 17.10.2012, die Energieforschungsgelder nochmals deutlich zu erhöhen?

Steinmann: Die Formel der Energiewende heisst für uns: 1. Effizienz und Pro­duktion, 2. Neuerungen und Ausbau im Netz­bereich und 3. Forschung und Technologietransfer. Vom Letzteren erwarten wir sehr viel.

 

Die Volkswirtschaft:Ein grosses Thema der Energiewende sind die Kosten, die anfallen dürften: Der Verband Schweizerischer Elek­trizitätsunternehmen (VSE) rechnet in seiner Studie «Wege in die neue Stromzukunft» mit volkswirtschaftlichen Kosten von bis zu 150 Mrd. Franken. Der Bundesrat ist optimistischer und rechnet mit deutlich tieferen Kosten von 30 bis 40 Mrd. Franken. Wie erklären Sie die doch sehr unterschiedlichen Kosten­einschätzungen für die Energiewende?

Steinmann: Wir rechnen ganz anders als der VSE. Dieser berechnet die Kosten bis 2050 für Unterhalt und Ausbau des Stromsystems. Wir hingegen berücksichtigen die volkswirtschaftlichen Kosten des gesamten Energiesystems. Dazu gehören Investitionen in Energieeffizienz und in erneuerbare Energien. Auf der anderen Seite ergeben sich auch Einsparungen, weil insbesondere weniger fossile Energie importiert werden muss. Wir kommen damit auf ungefähr 30 bis 40 Mrd. Franken. Wenn die diskontierten Gesamtkosten der Stromerzeugung – Investitionen und Brennstoffe variieren – betrachtet werden, dann kommt man je nach Szenario auf Kosten von 180 bis 200 Mrd. Franken. Hier gilt es aber zu beachten, dass der Grossteil davon – wie beim VSE – für den bestehenden Kraftwerkpark aufgewendet werden muss. Dieser muss unabhängig von der Energiestrategie erneuert und mit den neusten Technologien ausgestattet werden.

 

Die Volkswirtschaft:2050 werden mit dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion auf 24 Terawattstunden rund ein Drittel des gesamten Strommixes staatlich geplant und gefördert. Damit kommt dem Staat eine grosse Rolle als Förderagentur zu. Ist der Staat als zentraler Energieplaner überhaupt dafür geeignet?

Steinmann: In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat der Markt insbesondere im Strombereich kaum gespielt. Wir wollen den Markt möglichst spielen lassen. Wir stehen also vor der Einführung des Marktes. Wir haben den Strommarkt in einer ersten Etappe liberalisiert und müssen nun für ­eine zweite Marktöffnung im Monopolbereich sorgen. Zudem müssen geeignete Rahmenbedingungen für den Produktionssektor gesetzt werden, damit sich innerhalb des staatlichen Rahmens der Wettbewerb entwickeln und neue Technologien auch durchsetzen können. In der gesamten Energiewirtschaft ist ein gewaltiger Umbruch im Gang. Die Interna­tionale Energie-Agentur (IEA) spricht von ­einer technologischen Revolution. Von dem her tun wir gut daran, die alten Monopole und Strukturen zu hinterfragen und mit ­guten Rahmenbedingungen frischen Wind in den Energiesektor reinzubringen.

 

Die Volkswirtschaft:Verschiedene Untersuchungen gelangen zum Schluss, dass die ­Effizienzorientierung im internationalen Vergleich in der Schweiz sehr gering ist. Wird Ihrer Ansicht nach die Effizienzorientierung mit der neuen Ausrichtung grösser?

Steinmann: Die Effizienzorientierung wird ganz klar zunehmen. Wir haben in den einzelnen Bereichen wie Mobilität, Gebäude, Industrie und Gewerbe noch grosse Poten­ziale. Diese wollen wir nun abholen und möglichst marktnah umsetzen.

 

Die Volkswirtschaft:Dennoch: Wie können Sie sicherstellen, dass die heutige För­derpolitik nach 2020 tatsächlich durch eine ­Energielenkungsabgabe abgelöst wird?

Steinmann: Ich bin überzeugt, dass die erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren kostengünstiger werden und somit der Markt mit seinen Preisen genügen wird. Schliesslich hat der Bundesrat beschlossen, dass ab 2020 ein Übergang stattfindet, nämlich von der Förderpolitik zur Lenkungspo­litik. Das BFE ist in Zusammenarbeit mit dem Eidg. Finanzdepartement (EFD) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) daran zu konkretisieren, wie das geschehen soll.

 

Die Volkswirtschaft:In Deutschland wird derzeit wegen der massiven Förderpolitik für erneuerbare Energien über ein weiteres Fördersystem für sog. Back-up-Technologien – wie z.B. Gaskraftwerke – beraten. Diese sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Macht es unter diesen Umständen überhaupt Sinn, für die Übergangsphase in der Schweiz Gaskraftwerke ­vorzusehen?

Steinmann: Wir gehen davon aus, dass die Gaskraftwerke in den nächsten Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen werden. Derzeit rechnet sich der Bau neuer Kraftwerke aller Technologien aufgrund der tiefen Marktpreise aber kaum. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Marktpreise für Strom nach 2017 steigen werden. Ab dann bestehen wieder klare ­Investitionsanreize für den Bau neuer Gaskraftwerke.

 

Die Volkswirtschaft:Warum Gaskraftwerke?

Steinmann: Gaskraftwerke sind innerhalb der fossilen Energieerzeugung die sauberste Lösung. Es geht darum, die Rahmenbedingungen für die CO2-Kompensation zu schaffen, sodass sich die besten Technologien durchsetzen können. Gaskraftwerke haben 60% weniger CO2-Emissionen als Kohlekraftwerke. Das sollte sich auch im Preis des Stroms aus Kraftwerken dieser Kategorie ­widerspiegeln. Deshalb ist ein adäquates ­europäisches CO2-Einpreisungssystem unab­dingbar.

 

Die Volkswirtschaft:Der Bundesrat geht mittelfristig von einer sog. Stromlücke aus und will diese Lücke aus Gründen der Versorgungs­sicherheit durch energiepolitische Massnahmen schliessen. Sprechen die hohen standortspezifischen Kosten nicht gegen einen forcierten Ausbau neuer erneuerbarer Energien im Inland? Und wäre es unter diesen Umständen nicht sinnvoller, diesen Strom künftig aus Regionen zu importieren, die ihn aufgrund ihrer günstigen Lage zu Marktpreisen pro­duzieren können?

Steinmann: Aus unserer Sicht liegt in der Schweiz am meisten Potenzial im Bereich der Photovoltaik. Einiges versprechen wir uns auch vom Bereich Biomasse. Weniger Potenzial hat bei uns die Windenergie. Investi­tionen sollten auch im Bereich Geothermie getätigt werden.

 

Die Volkswirtschaft:Wie wichtig wird künftig der europäische Energiemarkt für die Schweiz sein?

Steinmann: Wir gehen davon aus, dass sich mittelfristig europäische Märkte bilden werden. Und die Schweiz tut gut daran, sich daran zu beteiligen. Wir glauben, dass Versorgungssicherheit im Strom- und Gasbereich immer mehr zu einem europäischen Issue wird. Die Schweiz hat bereits heute eine wichtige Funktion in einem europäischen Strom- und Gasmarkt. Wir sollten dort auch künftig unsere Trümpfe ausspielen. Und wir sollten uns dafür einsetzen, dass die Strom- und Gasversorgung europäisch optimiert wird.

 

Die Volkswirtschaft:Was muss auf poli­tischer Ebene geschehen, damit wir in Zukunft möglichst offene Märkte im Energiebereich ­haben werden?

Steinmann: Für uns ist klar: Die Schweiz muss mit der EU ein Abkommen in möglichst vielen Bereichen der Energie haben und bei den Krisenmanagementmechanismen der EU dabei sein. Die Schweiz ist keine Insel und eben nicht autark. Unsere Stromversorgung würde für sich alleine nur wenige Tage funktionieren.

 

Die Volkswirtschaft:Der Bund geht davon aus, dass sämtliche Ausbau- und Effi­zienzpotenziale erschlossen werden können. Plant er da nicht etwas ehrgeizig mit dem ­Risiko, dass laufend nachgebessert werden muss?

Steinmann: Die Potenziale wurden wissenschaftlich untersucht, insbesondere durch das Paul Scherrer Institut (PSI). Wir gehen davon aus, dass die Potenziale erschliessbar sind. Bundesrätin Doris Leuthard hat ein Monitoring-System gefordert, mit dem alle paar Jahre überprüft wird, ob wir auf Kurs sind und wenn nötig nachgebessert wird. 
Es wird einfacher, die Ziele zu erreichen, wenn wir technologische Fortschritte machen, und insbesondere wenn im Effizienzbereich die EU und grosse Staaten ebenfalls in dieselbe Richtung Aktivitäten entfalten, was vor allem in der EU auch der Fall ist.

 

Die Volkswirtschaft:Wie nützlich oder wie schädlich wird die Energiestrategie 2050 für den Wirtschaftsstandort Schweiz sein?

Steinmann: Für uns ist es wichtig, dass wir den Wirtschaftsstandort Schweiz mit diesen Massnahmen stärken und nicht schwächen. Deshalb werden wir immer 
darauf bedacht sein, für energieintensive 
Unternehmen Lösungen zu finden, welche massgeschneidert sind und mit welchen 
die Effizienzpotenziale erschlossen werden können. Auf der anderen Seite sehen wir, dass sich die Schweiz mit der entsprechenden Energiestrategie als Cleantech-Nation profilieren kann und damit mittelfristig inter­national an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen wird.

 

Die Volkswirtschaft:Sie gehören also allen Skeptikern zum Trotz zu den Optimisten…

Steinmann: Ich bin überzeugt, dass wir hier langfristig mit der Energiewende Vor­teile haben werden. Die Schweizer sind ein Volk von Erfindern und Tüftlern. Sie sehen, wo sich Chancen ergeben, und sie nehmen die Chance meistens wahr. Wir haben heute an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich eine Aufbruchsstimmung. Wenn vor 10 Jahren noch Institute geschlossen wurden, sind es nun jährlich Hunderte neuer Absolventen, die das Studium aufnehmen.

Die Volkswirtschaft: Herr Steinmann, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Zitiervorschlag: Geli Spescha (2012). Im Gespräch mit Walter Steinmann, Direktor Bundesamt für Energie. Die Volkswirtschaft, 01. November.