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Energiewende des Bundesrates: Eine von vier 
Anforderungen erfüllt

Die Energiewende hat vier Hauptziele: den Übergang in die postfossile Zeit, den Übergang in die postnukleare Zeit, Umweltverträglichkeit und ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Der Vorschlag des Bundesrats erfüllt nur das letzte dieser Ziele. Die Energiewende führt in eine Sackgasse, wenn sie nicht postfossil, postnuklear sowie umwelt- und wirtschaftsverträglich ist. Wie eine 100% erneuerbare und effiziente Stromversorgung ohne teure und umweltbelastende Umwege machbar ist, zeigen die Umweltorganisationen in ihrem Szenario auf. 1 Die Schweiz hat dank Voraussicht und Pioniergeist manchen tiefgreifenden Strukturwandel gemeistert. Mit den richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen wird sie aus der Energiewende als Gewinnerin hervorgehen.

1. siehe www.umweltalianz.ch/stromzukunft

 

An der Klimakonferenz von 2010 in Cancun wurde die weltweite Energiewende beschlossen: der Übergang in ein postfossiles Energiesystem, mit dem sich die globale Erwärmung unter 2 Grad halten lässt. Die Schweiz trägt dieses Ziel mit und hat es im neuen CO2-Gesetz verankert. Mit der Atomkatastrophe von Fukushima ist daraus zusätzlich eine postnukleare Energiewende geworden. Dieser Umbau ist überfällig und unausweichlich. Doch er darf nicht auf Kosten der Umwelt geschehen oder ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen.

Wohlfahrtsgewinne


Die Vorlage des Bundesrates befriedigt einzig im letzten Punkt, der Wirtschaftlichkeit. Die offizielle volkswirtschaftliche Analyse der Energiestrategie 2050 ist zwar lückenhaft: Sie ignoriert nukleare Risiken, die Folgen des Klimawandels und weitere Effekte, die für die Energiewende sprechen. Aber selbst unter diesen restriktiven Annahmen zeigt die Analyse Wohlfahrtsgewinne gegenüber dem «Weiter wie bisher» (um 0,1% bis 2050 im Szenario «Politische Massnahmen»). Als wirtschaftlich untragbar bezeichnen die Energiewende nur noch Kreise, welche für ihre Partikularinteressen besonders grosse Vorteile erkämpfen wollen. Die Analyse zeigt auch: Der Stromsektor ist mit 1,5% des BIP zu klein, um die Gesamtwirtschaft wesentlich zu beeinflussen, solange die Versorgung funktioniert. Gross kann die wirtschaftliche Bedeutung der Energiewende hingegen für heute noch strukturschwache künftige Energieregionen sein oder für die Exportwirtschaft, welche durch innovative Beiträge eine Nische im Weltmarkt erobern kann.

Planungssicherheit fehlt


Damit endet die positive Einschätzung. Bei den drei weiteren Zielen ist die Vorlage zu stark von Interessengruppen beeinflusst:− Postnuklear: Die neue Energiestrategie sagt nicht, wann welches Atomkraftwerk abgeschaltet werden muss. Damit fehlt jede Planungssicherheit. Die Eigentümer eines abgeschriebenen AKW machen gerne kleinere Sicherheitsnachrüstungen, um die ursprüngliche Laufzeit von 30 Jahren auf 50, 60 oder mehr Jahre zu verlängern. So hat die Branche keine hinreichenden Anreize, sich ernsthaft auf die postnuk­leare Zeit vorzubereiten. Deshalb fordert der WWF eine Befristung der Laufzeit auf 40 Jahre.− Postfossil: Die Schweiz hat sich verpflichtet, ihren CO2-Ausstoss rasch zu reduzieren. International kämpft sie mit den Friends of Fossil Fuel Subsidy Reform gegen Subventionen für fossile Energieträger. Doch weder der üppige Förderstrauss für fossile Wärme-Kraft-Koppelung (WKK) noch die Abschaffung der inländischen Kompensationspflicht für Gaskraftwerke sind kompatibel mit einem Übergang in die postfossile Zeit und somit in aller Deutlichkeit abzulehnen. Bis 2050 darf die Schweiz noch rund 600 Mio. Tonnen CO2 ausstossen, wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll. Die Hälfte davon wird alleine der Flugverkehr produzieren. Mit den Szenarien «Politische Massnahmen» oder «Neue Energiepolitik» kommen bis zu 1100 bzw. 900 Mio. Tonnen CO2 aus dem Energiesektor dazu. Die Politik des Bundesrates ist also völlig inkonsistent.− Umweltverträglich: Auch im Bereich Gewässer fehlt das Augenmass. Bei der Wasserkraft wird ein Zubau-Potenzial von netto 3,2 TWh vorgegaukelt. Weniger als 10% der Schweizer Fliessgewässer sind jedoch heute noch in einem naturnahen Zustand. Der WWF schätzt das halbwegs gewässerverträgliche Nettoausbaupotenzial auf 1 bis 1,5 TWh. Das vorliegende Paket zielt zwar in die richtige Richtung, doch es reicht bei weitem nicht aus. Immerhin lassen sich viele Verbesserungen einfach und mit Gewinn realisieren. Klare Abschaltzeiten und ein Verzicht auf die Subventionierung fossiler Stromerzeugung etwa werden eine Dynamik im Bereich der Effizienz und der erneuerbaren Energien auslösen. Die eidgenössische Stromeffizienz-
Initiative leistet hier Sukkurs. Statt beschämend tiefe Jahreskontingente für Photovol­taik brauchen wir Standorteignungskriterien, welche genug Rücksicht auf unsere stark belasteten Ökosysteme nehmen.

Zitiervorschlag: Thomas Vellacott (2012). Energiewende des Bundesrates: Eine von vier 
Anforderungen erfüllt. Die Volkswirtschaft, 01. November.