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Business-Initiativen und freiwillige Standards

Freier Handel braucht Spielregeln, um Sozial- und Umweltdumping zu vermeiden. Die Wirtschaft ist bereit, Verantwortung zu übernehmen und sich diese Spielregeln selber zu geben. Dies bedingt eine glaubwürdige Umsetzung, eine transparente Überprüfung sowie einen aktiven Politikdialog. Am Beispiel der Business Social Compliance Initiative (BSCI) soll gezeigt werden, wie 1000 Unternehmen zusammen an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Lieferketten arbeiten.

Gegen die billigen Importe aus China und anderen Fernostländern setzte in den 1990er-Jahren vielseitiger Widerstand ein. Gewerkschaften sahen durch Sozialdumping ihre Errungenschaften bezüglich Lohn und Arbeitszeiten gefährdet; Unternehmen wollten sich vor dem unlauteren Wettbewerb aus Fernost schützen; und Nichtregierungsorganisationen wiesen auf ausbeuterische Arbeitsbedingungen hin und riefen zum Boykott auf. Ein obligatorisches «Made in China»-Label sollte Arbeitnehmende und Konsumenten im Westen schützen.

Gründung der BSCI


Ver­schiedene Unternehmen haben auf den ­wachsenden Druck reagiert und eigene Verhaltenskodizes verabschiedet. 2003 haben ein Dutzend europäischer Handelsunternehmen die BSCI unter dem Dach der Foreign Trade Association (FTA) gestartet, mit dem Ziel, gemeinsam mehr Effizienz und Glaubwürdigkeit zu erzielen. Basis war ein gemeinsamer Code of Conduct – basierend auf den Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – sowie eine gemeinsame Datenbank. Mit der gegenseitigen Anerkennung von Auditberichten können Mehr­fachaudits reduziert werden. Von Anfang an war Continous Improvement ein wichtiger Grundsatz: Produktionsbetriebe, die gegen die Kriterien verstossen, werden nicht fallengelassen, sondern müssen einen Verbesserungsprozess durchlaufen. Sie werden mit Kursen und Beratungsangeboten unterstützt. Heute zählt die BSCI rund 1000 Mitglieder – darunter auch viele kleine Unternehmen und Importeure – und ist eine der grössten freiwilligen Initiativen. In der Datenbank stehen über 20 000 Auditberichte von Produktionsbetrieben in Risikoländern. Die BSCI kommt in allen Bereichen der Konsumgüterindustrie, in der Lebensmittelverarbeitung und in der Landwirtschaft zum Einsatz.

Glaubwürdigkeit und Wirkung als 
Zielgrössen


Das grösste Kapital der BSCI ist ihre Glaubwürdigkeit. Diese ergibt sich erstens durch die Transparenz der Instrumente und die professionelle Durchführung der Audits. Nebst der externen Ausbildung und Akkreditierung der Auditoren hat die BSCI schon früh mit Massnahmen zur Absicherung der Auditqualität begonnen – mit der Durchführung von begleiteten Audits und nachträglichen Überprüfungsaudits, der stichprobemässigen Überprüfung von Auditberichten sowie der Überprüfung der Kontrollmechanismen der Zertifizierungsfirmen. Ein Integrity-Ausschuss legt Sanktionen gegen fehlbare Auditfirmen fest. Ab 2013 wird die BSCI bei einem Drittel der als «gut» eingestuften Produktionsbetriebe unangemeldete Audits durchführen. Die zweite Komponente der Glaubwürdigkeit betrifft die tatsächliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Lieferländern. Die teilnehmenden Firmen verpflichten sich, Transparenz in ihre Lieferketten zu bringen. Nach dreieinhalb Jahren muss ein Drittel der Lieferanten mit «gut» oder «Verbesserung notwendig» gewertet werden, nach fünfeinhalb Jahren zwei Drittel. BSCI ist also kein Feigenblatt, sondern muss möglichst die ganzen Handelsaktivitäten abdecken. Wer das Committment nicht erfüllt, wird zuerst verwarnt und dann ausgeschlossen. Grösste Herausforderungen sind die Einhaltung der maximal zulässigen Arbeitszeiten sowie die Sicherstellung der korrekten Entlöhnung. In verschiedenen Ländern stellt aus politischen Gründen auch das Recht, sich in freien Gewerkschaften zu organisieren, eine grosse Herausforderung dar. Bei Fragen wie Mindestlöhnen, Höchstarbeitszeiten, Familiennachzug, Schulpflicht oder Unfall- und Krankenversicherung für Arbeitnehmende braucht es den Dialog am Runden Tisch mit Vertretern der Arbeitgeber, der Politik, der Gewerkschaften und der Menschenrechtsbewegungen. Das gilt für die Arbeitgeber in den Produktionsländern ebenso wie für die Handelsunternehmen in Europa. Es braucht das Zusammenspiel von Internationalen Organisationen, Politik und Wirtschaft. Mit einem Umsatz von inzwischen 417 Mrd. Euro hat die BSCI als Vertretung der Wirtschaft eine wichtige Stimme. Ihre Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit, die Anerkennung der Geschäfts- und Marktrealitäten, der Wille, Verantwortung auch von den nationalen Akteuren einzufordern, und nicht zuletzt die Bereitschaft, mit Trainings und Ausbildung aktiv zu Verbesserungen beizutragen, haben BSCI als klar positionierte Business-Initiative in vielen Produktionsländern Respekt und offene Türen für einen konstruktiven und lösungsorientierten Politikdialog gebracht.

Veränderte Machtverhältnisse bedingen partnerschaftliche Ansätze


China und andere asiatische Volkswirtschaften wachsen rasch. Zunehmend steht die Befriedigung der Konsumbedürfnisse der wachsenden Mittelschichten im Zentrum. Dies hat einen Einfluss auf die Verhandlungsmacht der Einkäufer aus dem Westen. Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanforderungen werden verstärkt hinterfragt, wenn es nicht gelingt, diese auch im Interesse der Produktionsbetriebe darzustellen. Dazu tragen die Verschärfung der nationalen Gesetzgebung, vermehrte staatliche Kontrollen und Sanktionen bei Verstössen ebenso wie wirtschaftliche Realitäten bei. Eine hohe Fluktuation wegen unzufriedenen Arbeitnehmenden führt zu Produktivitätseinbussen und verhindert die Weiterentwicklung in höherwertige Produktgruppe. Mit ganzheitlichen Ansätzen im Ausbildungs- und Beratungsbereich wird versucht, die Steigerung der Produktivität und der Lieferbereitschaft mit einer Verbesserung des Umgangs mit den Arbeitnehmenden sowie mit einer Reduktion des Ressourceneinsatzes zu verbinden. Erste Pilotprojekte – u.a. mit dem Programmen Score und Better Work der ILO – zeigen ermutigende Resultate und werden innerhalb der BSCI weiterverfolgt. Die vermehrte Investition in die Entwicklung und Förderung von guten und strategisch wichtigen Lieferanten führt zu einer offensichtlichen Veränderung des Einkaufsverhaltens: Es werden weniger, dafür vermehrt langfristige und partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen gepflegt. Speziell bei Produkten mit tiefer Wertschöpfung wird aus Kostengründen aber auch in neue Produktionsgebiete ausgewichen, wo der Dialog mit den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und der Politik oft noch am Anfang steht und erst eine Sensibilisierung auf allen Ebenen erfolgen muss. In einigen dieser Länder sind die Voraussetzungen für glaubwürdige Audits nicht gegeben.

Ausblick auf neue Entwicklungen


Während sich die betriebswirtschaftlichen Vorteile einer korrekten Einhaltung der Arbeitsgesetze meist erst längerfristig zeigen, sind die Vorteile bei der Verbesserung im Umweltbereich oft schneller zu realisieren. Je mehr sich die negativen Auswirkungen der industriellen Entwicklung zeigen, desto lauter wird die Forderung, die Einhaltung der nationalen Gesetze auch im Umweltbereich zu überprüfen und sicherzustellen. Unter dem Dach der FTA wird zur Zeit eine Business Environmental Performance Initiative (BEPI) entwickelt, die parallel zu BSCI wirken soll. Das Dach für die neue Initiative bildet das Umweltmodul des Global Social Compliance Project (GSCP). Diese wurde von global tätigen Unternehmen gegründet, welche heute teilweise mit Business-Initiativen wie BSCI arbeiten oder mit firmeninternen Programmen ihre Beschaffungsketten nachhaltiger machen. Sie alle sind mit der Forderung der Lieferanten konfrontiert, die Anforderungen zu harmonisieren und die Zahl der Audits weiter zu reduzieren. So wichtig der Wettbewerb zwischen verschiedenen Standards und Systemen ist, so richtig ist die Forderung, angesichts des steigenden Preisdrucks weitere Schritte in Richtung gegenseitiger Anerkennung zu machen. Dies bedingt einen transparenten Prozess, in dem nicht nur die Kriterienkataloge, sondern auch die Qualität und Glaubwürdigkeit der Umsetzung verglichen werden. Denn am Schluss zählt nur, ob es gelingt, in den Produktionsstätten weltweit die Situation der Arbeitnehmenden zu verbessern und die Umweltbelastung deutlich zu reduzieren. Daran müssen sich freiwillige Standards messen lassen.

Tabelle 1: «Kennziffern der BSCI»

Kasten 1: BSCI reagiert auf Gesundheits- und 
Sicherheitsstandards in Bangladesch

BSCI reagiert auf Gesundheits- und 
Sicherheitsstandards in Bangladesch


Am 24. November 2012 sind bei einem tragischen Feuer in der Fabrik Tazreen Fashion in Bangladesch hunderte Arbeitnehmende ums Leben gekommen. BSCI wurde informiert, dass am 26. und 28. November zwei weitere Feuer in anderen Fabriken in Bangladesh ausgebrochen sind. Die neue BSCI-Plattform, 
die im September 2012 online gegangen ist, ­bietet Transparenz bezüglich Audithistorie. So konnte BSCI feststellen, dass im Dezember 2011 ein Audit in der Tazreen Fashions Fabrik durch einen BSCI-Teilnehmer initiert wurde. Der Auditbericht zeigt, dass es erhebliche Mängel im Bereich Gesundheit und Sicherheit in dieser Fabrik gegeben hat. Gemäss BSCI-Regularien hätten bis Dezember 2012 gefundene Mängel behoben werden müssen. Da allerdings gegenwärtig kein BSCI-Teilnehmer mit dieser Fabrik Geschäftsbeziehungen pflegt, fehlt es an Hebelkraft und der Verantwortung, Massnahmen zur Verbesserung in der Fabrik herbeizuführen.

BSCI wird sich weiterhin dafür einsetzen, Fabrikmanager und Einkäufer im Bereich Gesundheit und Sicherheit zu schulen. Durch BSCI-Trainings konnten in der Vergangenheit mehr als 1000 Fachmitarbeitende in Bangladesch geschult werden. BSCI wird diesen Weg weiterhin verfolgen und die Möglichkeit der Einbindung von lokalen Ausbildungsprogrammen zum Brandschutz evaluieren. BSCI weist aber auch auf die Mitverantwortung der Regierung, Verbände, Gewerkschaften und lokalen NGO hin, auf deren Zusammenarbeit man bei diesem Thema zwingend angewiesen ist. BSCI wird auf den regelmässig stattfindenen BSCI Stakeholder Round Tables in Bangladesch noch verstärkt das Thema Sicherheit und Gesundheit auf der politischen Ebene ansprechen. Da Bangladesch zunehmend zur «Nähkammer» Asiens geworden ist, genügt das Shaming and Blaming von westlichen Modelabels nicht mehr. Die Regierung in Bangladesch muss unabhängig vom Bestimmungsmarkt der Produkte sicherstellen, dass die gesetzlichen Anforderungen im Bereich Sicherheit von Bauten und Anlagen sowie Arbeitnehmerschutz eingehalten und fehlbare Manager gebüsst werden.

Zitiervorschlag: Sibyl Anwander Phan-huy (2012). Business-Initiativen und freiwillige Standards. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.