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Seltene Metalle: Ist die Knappheit ein Problem für die Schweizer Industrie?

Seltene Metalle haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Da die weltweiten Reserven und Produktionstätten dieser Metalle oft nur auf wenige Länder konzentriert sind, ist die Versorgungsproblematik zunehmend brisant. Viele Länder, deren Industrie auf seltene und andere Metalle angewiesen ist, haben diese bereits als kritisch identifiziert und Strategien zur Sicherung der Rohstoffversorgung ausgearbeitet. Zur Bedeutung seltener Metalle für die Schweizer Industrie gibt es bislang nur wenige Informationen. Auch eine Definition der für die Schweiz kritischen Metalle liegt bislang nicht vor. Eine empirische Studie der Berner Fachhochschule zeigt nun, dass seltene Metalle für Schweizer Unternehmen durchaus relevant sind.



Seltene Metalle – wie Neodym, Lithium, Niob, Kobalt und Tantal – sind aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudecken. Aufgrund ihrer besonderen chemischen Eigenschaften sind sie für das Funktionieren von Mobiltelefonen, Flachbildschirmen, Elektroautos, Windkraftwerken, Photovoltaikanlagen und vielem mehr unverzichtbar. Metalle gelten als selten, wenn sie in einer Konzentration von weniger als 0,01 Gewichtsprozenten in der Erdkruste vorkommen. Zusätzlich sind die geologischen Lagerstätten und bei manchen Metallen (z.B. seltene Erden) die derzeitige Produktion auf einige wenige Staaten konzentriert. Das stellt ein Versorgungsrisiko dar, zumal diese Staaten oftmals politisch instabil sind oder ihre Wirtschaftspolitik nicht grundsätzlich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien ausrichten.
Kohl (2010), S. 22.

Preisanstieg aufgrund von natürlicher Verknappung…


Da seltene Metalle nur in wenigen Ländern gefördert werden und die Erschliessung neuer Minen mit hohen Investitionen verbunden ist, stand die erhöhte weltweite Nachfrage in den letzten Jahren einem relativ starren Angebot gegenüber. Dies hatte markante Preisanstiege zur Folge. So hat sich 
beispielsweise der Preis für Niob seit 2009 verdreifacht. Im Normalfall sind solche Preisanstiege Knappheitsindikatoren. Solange alle Marktteilnehmer von den Preisanstiegen gleichermassen betroffen sind, verzerren sie den Wettbewerb nicht.

… oder aufgrund von Marktverzerrungen


Problematisch ist hingegen, wenn die Preisanstiege eine Folge von wettbewerbsverzerrenden Massnahmen der produzierenden Länder sind. Mittels solcher Massnahmen kann beispielsweise das Angebot künstlich beschränkt oder die Nachfrage künstlich ausgedehnt werden.Bei den seltenen Erden, die eine Untergruppe der seltenen Metalle bilden, deckt China zurzeit 97% des weltweiten Jahresbedarfs ab.
USGS (2011), S. 129. Die chinesische Regierung kündigte im Jahr 2010 an, die Exportquoten für seltene Erden um einen Drittel zu reduzieren. Dasselbe galt für Wolfram und Molybdän.
Hatch (2012). Die Reduktion der Exporte begründete ­China mit «Umwelt- und Nachhaltigkeits­aspekten»
Hellmann (2012). und einem erhöhten Versorgungsbedarf des heimischen Marktes.
NZZ Online (2012). Die Reduktion der Exportquoten hatte zur ­Folge, dass sich die Preise einzelner seltener Erden im Jahr 2011 ausserhalb Chinas versechsfachten.Die USA, die EU und Japan reichten aufgrund der Senkung der Exportquoten für seltene Erden bei der WTO Klage gegen China ein. Mitte August 2012 kündigte China nun an, die Exporte wieder leicht zu erhöhen. Gleichzeitig begann das Land, seine strategischen Reserven aufzustocken und verknappte mit der dadurch erhöhten Nachfrage die seltenen Erden erneut.
AFP (2012).Aufgrund der Preissteigerungen auf dem ausserchinesischen Markt können Marktteilnehmer seltene Erden in China bis zu 50% billiger beziehen.
NDR (2012). Damit sind Unternehmen mit Produktionsstandort China bevorteilt. Da die Exportquoten für Halb- und Fertigfabrikate nicht gesenkt wurden, kann diese Bevorteilung dazu führen, dass internationale Unternehmen ihre Produktionsstandorte nach China verlagern. Das Land könnte somit zusätzliche Glieder der Wertschöpfungskette bedienen.
Bardt (2012).

Lieferengpässe und verlängerte Lieferfristen aufgrund von Marktverzerrungen


Eine Folge wettbewerbsverzerrender Massnahmen können – neben Preissteigerungen – auch verlängerte Lieferfristen sein. So kann die Senkung der Exportquoten bei konstant bleibender Produktion die Industrie des exportierenden Landes nicht nur durch tiefere Preise, sondern auch durch kürzere Lieferfristen bevorteilen. Im Extremfall können Länder mit einem Produktionsmonopol den Marktmechanismus gänzlich ausser Kraft setzen, indem sie ihre Exporte ganz stoppen. In einem solchen Fall könnten ausländische Unternehmen unabhängig von ihrer Zahlungsbereitschaft die Metalle auf dem Markt nicht mehr beschaffen. Die industrielle Wertschöpfung der betroffenen Staaten wäre dadurch grundsätzlich in Frage gestellt.
Kohl (2010), S. 22.Die Nichtbelieferung von Japan durch China im Rahmen eines Territorialstreits im Jahr 2010
Mildner (2011), S. 54. zeigt auf, über welche Macht Länder mit einem Quasimonopol verfügen. Ein Quasimonopol besteht gleich bei mehreren seltenen Metallen. In Tabelle 1 sind alle Metalle aufgeführt, bei denen sich die geschätzte Weltreserve und/oder die aktuelle Weltproduktion stark (zu mindestens 75%) auf ein einziges Land konzentriert. Aufgrund dieser grossen Abhängigkeit von jeweils einem einzigen Land handelt es sich um besonders kritische Metalle. In der Tabelle ist weiter angegeben, in welchen Branchen diese kritischen Metalle am häufigsten eingesetzt werden.

Relevanz für die Schweizer Industrie


Die Betroffenheit der Schweizer Industrie von Verknappungen bei seltenen Metallen wurde bisher einzig vom Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) in einer Umfrage bei seinen Verbandsmitgliedern erhoben. Diese zeigt auf, dass 75% der antwortenden Unternehmen mindestens ein seltenes Metall in ihren Produkten einsetzen. Swissmem schliesst daraus, dass die Schweizer MEM-Industrie in hohem Masse von der Problematik betroffen ist. Die Tabelle bestätigt diesen Befund: Alle acht aufgeführten Metalle werden in Branchen verwendet, in welchen auch viele Schweizer Unternehmen tätig sind. Seltene Metalle sind folglich für Schweizer Unternehmen durchaus von Bedeutung.

Empirische Untersuchung


In einer empirischen Studie der Berner Fachhochschule wurde untersucht, welche Bedeutung seltene Metalle für die befragten Unternehmen haben. Insbesondere wurde analysiert, ob die Verknappung des Angebots, der Preisanstieg und die wettbewerbsverzerrenden Massnahmen der letzten Jahre die Wettbewerbsfähigkeit der befragten Unternehmen beeinträchtigt haben. Weiter wurde untersucht, wie die Unternehmen die Gefahr einer künftigen Beeinträchtigung einschätzen.Im Rahmen der Untersuchung wurden vier Unternehmen aus der deutschsprachigen Schweiz in qualitativen Interviews befragt. Da alle Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen stammen, wird der nicht repräsentativen Untersuchung eine erhöhte Aussagekraft beigemessen.

Resultate der qualitativen Interviews


Die Untersuchung zeigt, dass seltene Metalle für Schweizer Unternehmen von grosser Bedeutung sind. Diese werden mehrheitlich indirekt über Zulieferteile, teilweise aber auch direkt – z.B. als Teil einer Metall-Legierung – verarbeitet. Zwar werden die Metalle oftmals nur in sehr kleinen Mengen benötigt; dennoch sind sie häufig für das Funktionieren des Produkts unverzichtbar. So ist es beispielsweise derzeit nur mit Magneten aus einer Neodym-Fer-Bor- oder aus einer Samarium-Kobalt-Mischung möglich, sehr kleine Motoren mit hohem Wirkungsgrad herzustellen.Aus der Untersuchung geht weiter hervor, dass die Verknappungen der letzten Jahre auch für Schweizer Unternehmen spürbar waren. Aufgrund geeigneter Absicherungsmassnahmen – wie z.B. langfristiger Lieferverträge oder Erweiterung des Lagerbestandes – wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen bislang jedoch nicht beeinträchtigt. Zudem befinden sich Schweizer Unternehmen in den Wertschöpfungsketten meist relativ weit hinten (siehe Grafiken 1–4), sodass der Preiseffekt – auch aufgrund von Absicherungsmassnahmen vorgelagerter Unternehmen – abgedämpft ist.
Stähli (2012), S. 66.Mit ihren qualitativ hochstehenden, hoch präzisen und innovativen Produkten können sich die untersuchten Schweizer Unternehmen im Wettbewerb mit anderen, ebenfalls von Preisanstiegen bei seltenen Metallen betroffenen Unternehmen durchsetzen. Qualität, Präzision und Innovation erlauben der Schweizer Industrie zum Teil auch hohe Margen, mit denen Preisanstiege aufgefangen werden können. Auch der in der Schweiz im Vergleich zum Ausland relativ tiefe Materialkostenanteil
Kunz (2012), S. 8. erweist sich diesbezüglich als Vorteil. Preisanstiege bei seltenen Metallen waren daher für die Endkunden der Schweizer Unternehmen bisher kaum spürbar.

Schweizer Industrie gelassen


Da es in jenen Ländern, die über Quasimonopole von seltenen Metallen verfügen, derzeit keine ebenbürtige Konkurrenz gibt, sehen Schweizer Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit auch künftig nicht gefährdet.Weitreichendere Folgen als Wettbewerbsverzerrungen hätten für Schweizer Unternehmen Exportembargos. Diese könnten im schlimmsten Fall dazu führen, dass Schweizer Unternehmen ihre Produkte nicht mehr herstellen können. Gemäss Kohl (2010) wäre in diesem Fall die hiesige industrielle Wertschöpfung grundsätzlich in Frage gestellt.
Kohl (2010), S. 22. Da es bislang keine derartigen Anzeichen gab, schätzen die Unternehmen dieses Risiko jedoch als klein ein.

Handlungsoptionen für Schweizer Unternehmen


Die Untersuchung zeigt, dass Schweizer Unternehmen in den Wertschöpfungsketten relativ weit hinten liegen und seltene Metalle hauptsächlich indirekt verwenden. Daher sind für sie Massnahmen wie eine Verkürzung der Wertschöpfungskette mit einer Beteiligung an rohstoffproduzierenden Unternehmen ungeeignet. Da seltene Metalle für die Funktionalität von Schweizer Produkten oftmals unverzichtbar sind, ist es für die Unternehmen wichtig, über einen Lagerbestand zu verfügen, der die Zeit bis zur Realisierung von Handlungsalternativen zu überbrücken vermag. Des Weiteren könnten Schweizer Unternehmen auf den Recyclingkreislauf setzen und für die Kunden Anreize schaffen, die Produkte zu retournieren.Die Handlungsoptionen der Schweizer Unternehmen sind aber häufig beschränkt. Damit gewinnt eine sichere Rohstoffversorgung zusätzlich an Bedeutung. Letztlich wird die Abhängigkeit von seltenen Metallen daher zu einer Abhängigkeit von der Rohstoffstrategie der Lieferanten.

Handlungsoptionen für die Schweiz


Für Schweizer Unternehmen ist wichtig, dass der Staat die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen schafft, die ausserhalb ihres unternehmerischen Gestaltungsspielraums liegen.
Kohl (2010), S. 23. Wenn diese Rahmenbedingungen verhindern, dass wettbewerbsverzerrende Massnahmen implementiert werden können, sind auch die Schweizer Unternehmen vor Benachteiligungen auf dem internationalen Markt geschützt, und die Versorgung mit den Vorprodukten und den Metallen ist gewährleistet. Konkret bedeutet dies, dass sich die Schweiz bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und bei der WTO für einen offenen und diskriminierungsfreien Zugang zu den Rohstoffmärkten einsetzen sollte.
Seco (2011), S. 9.Aufgrund der indirekten Betroffenheit sind finanzielle Garantien für Explorationsvorhaben, wie sie andere Staaten sprechen, für die Schweiz nicht sinnvoll.
Seco (2011), S. 7. Es gilt aber zu bedenken, dass letztlich auch Schweizer Unternehmen von Massnahmen profitieren, die von vorgelagerten Unternehmen implementiert wurden. Wenn diese Massnahmen aufgrund staatlicher Absicherung ergriffen wurden, könnte es sich als fair erweisen, wenn sich die Schweiz an den Strategien anderer Länder beteiligt.Da die Schweiz die Mehrheit ihrer Rohstoffe aus der EU importiert, besteht gemäss Seco (2011) eine hohe Abhängigkeit vom Vorhandensein der Rohstoffe in der EU und damit von der Rohstoffstrategie der EU. Deshalb sollte eine «Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen der Schweizer Rohstoffstrategie» geprüft werden.
Seco (2011), S.10. Des Weiteren sollte die Schweiz durch geeignete Massnahmen das Recycling seltener Metalle unterstützen. Als internationaler Forschungsstandort könnte die Schweiz zudem die Forschung für die Substitution von seltenen Metallen und für deren effizienteren Einsatz vorantreiben.

Fazit


Die empirische Untersuchung der Berner Fachhochschule zeigt, dass wettbewerbsverzerrende Massnahmen und Exportembargos für Schweizer Unternehmen gravierende Folgen (Produktionsstopp) hätten. Dennoch schätzen Schweizer Unternehmen das Risiko, durch wettbewerbsverzerrende Massnahmen oder durch Exportembargos benachteiligt zu werden, als klein ein. Da die Metalle für die Produkte von zentraler Bedeutung sind und valable Alternativen derzeit fehlen, sind Schweizer Unternehmen auf eine sichere Versorgung mit seltenen Metallen zu fairen Preisen angewiesen
Kohl (2010), S. 21. und damit in hohem Masse von wirtschaftspolitischen Entscheidungen der produzierenden Länder abhängig.

Grafik 1: «Magnetstäbe für Transversalflussmotoren»

Grafik 2: «Wolframcarbid-Messer»

Grafik 3: «Permanentmagnete aus Samarium-Kobalt»

Grafik 4: «Kobalt-Chrom-Legierung für Implantate»

Tabelle 1: «Seltene Metalle im Überblick»

Kasten 1: Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis


− Achzet, Benjamin et al. (2011b): Unternehmensstrategien zur Sicherung von Rohstoffen, in: Pusch Thema Umwelt, 2011 (2), S. 10-11.

− AFP (2012): Seltene Erden: China will Reserven aufstocken, 24.8.2012.

− Bardt, Hubertus (2010): Rohstoffe für die Industrie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.12.2010.

− Hatch, Gareth (2012): The WTO Rare Earths Trade Dispute: An Initial Analysis.

− Hellmann, Norbert (2012): Seltene Erdmetalle vor der WTO. Die USA, Europa und Japan gehen gegen Exportbeschränkungen Chinas vor, in: NZZ Online, 23.3.2012.

− Kohl, Jean-Philippe (2010): Eine Rohstoffstrategie für den Werkplatz Schweiz, in: Die Volkswirtschaft 11-2010, S. 21-23.

− Kunz, Andreas (2012): Die Relevanz seltener Metalle für die Optikindustrie, Präsentation am Technology Briefing Seltene Metalle für Zukunftstechnologien der Empa, Dübendorf, 9.1.2012.

− Mildner, Stormy-Annika et al. (2011): Machtressource Metalle. Achilles der alten Wirtschaftsnationen, in: IP, Mai/Juni 2011, S. 53-59.

− NZZ Online (2012): Streit um Hightech-Rohstoffe spitzt sich zu. USA und EU klagen gegen die Exportbeschränkungen Chinas, 13.3.2012.

− NDR-Hörfunkstudio Brüssel (NDR) (2012): Seltene Erden: EU klagt gegen China, 13.3.2012.

− Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) (2011): Rohstoffstrategie des EVD im Bereich der kritischen Rohstoffe. Version vom 11. August 2011 zu Handen der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, Bern.

− Stähli, Bettina (2012): Die Bedeutung seltener Metalle für Schweizer Unternehmen. Bachelorarbeit, Bern: Fachbereich Wirtschaft der Berner Fachhochschule.

− U.S. Geological Survey (USGS) (2011): Mineral Commodity Summaries 2011, U.S. Geological Survey.

Zitiervorschlag: Bettina Staehli, Marie Brechbühler Pešková, Christina Seyler, (2012). Seltene Metalle: Ist die Knappheit ein Problem für die Schweizer Industrie. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.