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Vision und Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung eines Gebirgskantons am Beispiel des Wallis

Als Gebirgskanton weist das Wallis einige Besonderheiten auf, die auf seine Topografie zurückzu­führen sind. Diese haben nicht nur die Besiedlung der Landschaft durch den Menschen, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung grundlegend beeinflusst. Um diesen Besonderheiten Rechnung zu tragen, hat der Kanton Wallis 2009 im Vorfeld zur Ausarbeitung seiner Wirtschaftsförderungsstrategie eine umfassende Analyse der verschiedenen sozio-ökonomischen Dimensionen seines Kantonsgebiets in Auftrag ­gegeben.

Die demografische Dynamik


Das Bevölkerungswachstum im Wallis war in den letzten 20 Jahren mit +24,5% ungefähr doppelt so hoch wie in der übrigen Schweiz. Allerdings zeigen sich erhebliche regionale Unterschiede:– Am höchsten war das Wachstum in den (peri-)urbanen Gebieten der Talebene, gefolgt von den Wintertourismuszentren in den Bergen.– Das Unterwallis verzeichnet aufgrund seiner Nähe zur Metropolregion Genf-Lausanne das höchste relative Bevölkerungswachstum. Es ist auch die einzige Region, in der die jüngeren Bevölkerung signifikant zunimmt.– Im Mittelwallis verläuft das Bevölkerungswachstum etwa im kantonalen Durchschnitt; der Wachstumsbeitrag der Jüngeren konzentriert sich hier auf die periurbanen Gemeinden. – Im eher peripheren Oberwallis steigt die Bevölkerungszahl nur langsam, und die Zahl der Jüngeren geht zurück. Hier ist eine auffallende Konzentration in der Agglomeration Brig-Visp-Naters sowie in den Touristenzentren von Saas-Fee und Zermatt zu beobachten.Trotz dieser an sich erfreulichen demografischen Entwicklung ist zu bedenken, dass sie mit einem Zuzug von Rentnern und relativ wenig qualifizierten Personen sowie einer Abwanderung der besser qualifizierten, jüngeren Bevölkerung einhergeht. Als Folge davon haben sich die Strukturunterschiede zu den Metropolitanregionen des Landes noch verstärkt.

Das Wirtschaftssystem


Hinsichtlich der Beschäftigung zeigt sich im Kanton Wallis das Phänomen einer ausgeprägten Periurbanisierung um die zwei Wachstumspole Sitten (+1555 VZÄ) und Visp (+2274 VZÄ). Weniger vorteilhaft war die Entwicklung der an der Sprachgrenze gelegenen Städte Siders (–7%/–688 VZÄ) und Leuk (–9%/–138 VZÄ). Im Gegensatz dazu profitierte das Goms als Randregion von verschiedenen politischen Massnahmen und steigerte die Zahl der Arbeitsplätze um 10%; quantitativ blieb das Wachstum aber beschränkt (+223 VZÄ).Die Entwicklung mit zwei Wachstumspolen – bzw. drei, wenn man das Chablais als interkantonale Region hinzuzählt – entsprach nicht der ursprünglichen Zielsetzung einer ausgeglichenen Entwicklung über die verschiedenen sozio-ökonomischen Regionen hinweg. Die Polarisierung der Arbeitsplatzentwicklung, wie sie auch auf nationaler Ebene sichtbar ist, hat damit auch die Randregionen des Wallis erreicht.Diese Feststellung bestätigt sich, wenn man das Verhältnis zwischen der Ansiedlung von Arbeitsplätzen und der Wohnbevölkerung betrachtet, und zwar in verschiedener Hinsicht: – Die Arbeitsmärkte von Sitten und – in geringerem Ausmass – des Mittelwallis spielen auf kantonaler Ebene eine vorrangige Rolle.– Im Oberwallis nimmt die Agglomeration Brig-Visp-Naters eine analoge Stellung ein, auch wenn hier ausserhalb dieser Zentren sekundäre Pole bestehen mit touristischem (Leukerbad, Zermatt, Saas-Fee), industriellem (Steg) oder regionalem (Fiesch) Hintergrund.– Alle Bemühungen zur Streuung der Arbeitsplätze, die seit 1985 unternommen wurden, haben nicht ausgereicht, um der Tendenz zur Konzentration der Aktivitäten in den sechs Städten des Kantons entgegenzuwirken.

Strategie zur Wirtschaftsentwicklung


Ausgehend von diesen Befunden hat der Kanton Wallis 2006 beschlossen, seine Strategie zur Wirtschaftsentwicklung grundsätzlich neu auszurichten. Die Neuausrichtung trug den Veränderungen in diversen Bereichen – wie der Regional-, Tourismus- oder Agglomerationspolitik, den öffentlichen Finanzen, der Globalisierung und der Verschärfung des internationalen Wettbewerbs sowie den Anforderungen eines nachhaltigen Wachstums – Rechnung. Herrschte bis anhin eine Sichtweise vor, die sich an den institutionellen Grenzen orientierte (transversale Vision), so beruht die neue Strategie auf der Schaffung funktionaler Räume (longitudinale Vision). Die neue Vision erfasst die drei Raumtypen des Kantonsgebiets mit ihren jeweils unterschie­d­lichen Entwicklungspotenzialen: Talebene, Tourismuszentren und ländlicher Raum (siehe Grafik 1).− Die Talebene bildet das Rückgrat des ­Kanton Sie beherbergt das Pilotprojekt The Ark, die verschiedenen Industrie- und Einkaufszonen rund um die Agglomerationen sowie die Tourismuszentren. Ziels des Projekts The Ark zur Förderung von Unternehmen und Start-ups ist eine Diversifizierung der Walliser Wirtschaft. Dazu wurden in den Hauptkompetenzbereichen des Kantons – Life Sciences, Informations- und Telekommunikationstechnologien sowie industrielle Systeme im Bereich der Energiewirtschaft – Cluster und Inkubatoren aufgebaut. Der Aufbau dieser Cluster hatte zugleich den Vorteil, dass die Städte Brig, Visp, Siders, Sitten, Martinach und Monthey vernetzt werden konnten, da sie alle im Stiftungsrat von The Ark vertreten sind.− Die regionalen Zentren im Berggebiet sind bekannte Orte mit intensiver Tourismuswirtschaft wie etwa Zermatt, Saas-Fee, Montana oder Verbier.− Dagegen dominiert im ländlichen Raum kein einzelner Wirtschaftszweig. Die Täler und Gebirgsregionen haben ihr Potenzial in der Landwirtschaft, im sanften Tourismus oder im Energiebereich.Die neue kantonale Vision orientiert sich folglich an Wertschöpfungssystemen – egal ob im Rhonetal, in den Tourismuszentren oder in den ländlichen Zonen. Ziel ist die Förderung von Unternehmen in den drei Raumtypen; dabei kann es sich um bestehende, neu zu gründende oder anzusie­delnde Firmen handeln. Tabelle 1 fasst die spezifischen Schlüsselrahmenbedingungen für jeden Raumtyp sowie die vom Kanton entwickelten dazugehörigen Instrumentarien zusammen. Die Regionalpolitik und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit spielen eine besondere Rolle, da sie als trans­versale Politiken in allen Raumtypen zur ­Anwendung kommen. Um eine genaue Zuordnung der Gemeinden und Regionen zu den jeweiligen Raumtypen vorzunehmen, hat der Kanton das Projekt Raumentwicklung Wallis-Valais ins Leben gerufen.

Vision und Strategie


Das 2012 angenommene Dokument beschreibt detailliert die Strategie der kantonalen Wirtschaftsentwicklung und berücksichtigt die vom Staatsrat bei der Ausarbeitung der Rahmenvereinbarung 2008–2011 zur ­Regionalpolitik verabschiedeten Punkte. Es stützt sich auf die Vision Zukunftsland Wallis: Gemeinsam ein florierendes, offenes, dynamisches, diversifiziertes und attraktives Wallis schaffen.Die Begriffe, mit denen diese Vision beschrieben wird, sind wie folgt zu verstehen:− Gemeinsam: für die wirtschaftliche Zukunft des Wallis zusammenarbeiten. Damit ist gemeint, Kooperationen innerhalb eines Tätigkeitsfeldes oder zwischen unterschiedlichen Bereichen zu entwickeln und zu fördern. − Florierend: Effizienz anstreben, um das Wachstum zu verbessern. Dies bedeutet, Innovationen zu fördern und bestehende Produkte zu verbessern, um die Wertschöpfung und damit das kantonale BIP zu steigern. − Offen: den Kanton für die Chancen öffnen. Dieser Punkt umfasst die Schaffung eines kantonalen Bewusstseins für die bestehenden Chancen mittels einer Förderung des ausserkantonalen Austausches und mehrwertschaffender Exporte. − Dynamisch: dem kantonalen Wirtschaftsstandort Dynamik verleihen. Dazu gehört, die Anpassungs- und Antizipationsfähigkeit der wirtschaftlichen Akteure des Kantons zu stärken.− Diversifiziert: die Potenziale bestmöglich diversifizieren und ausnutzen. Dies be­inhaltet die Nutzung aller bestehenden Potenziale, die Schaffung neuer Kompetenzen und die rationelle Nutzung der Ressourcen. − Attraktiv: einen attraktiven Lebens- und Wirtschaftsraum sicherstellen. Hier geht es darum, die Walliser Firmen weiterzuentwickeln, neue Firmen anzusiedeln und eine hohe Lebensqualität zu sichern. Diese Vision entspricht dem politischen Ziel des Departements, die wirtschaftliche Entwicklung auf die Potenziale des Kantons auszurichten und die Bevölkerungsdichte im gesamten Kantonsgebiet zu bewahren. Sie unterteilt sich in drei spezifische Achsen, welche die im Gesetz über die kantonale Wirtschaftspolitik vom 11. Februar 2000 festgelegten Prioritäten übernehmen. Jede Achse besteht aus Zielsetzungen, die durch die Umsetzung konkreter, detaillierter Massnahmen erreicht werden sollen:

Schwerpunkt 1: Verbesserung der Rahmen­bedingungen.


− Anpassung des regulatorischen Rahmens zur Stärkung der wirtschaftlichen Attraktivität des Kantons;− Weiterentwicklung von Kompetenzen und Know-how;− Steigerung der Lebensqualität und Förderung einer dezentralen Besiedelung;− Förderung eines nachhaltigen Umgangs mit den Ressourcen;− Raumplanung unter Berücksichtigung 
der Interessen aller wirtschaftlichen Akteure.

Schwerpunkt 2: Wirtschaftsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit.


− Diversifizierung des Wirtschaftsgefüges durch endogene und exogene Wirtschaftsförderungsmassnahmen;− Steigerung der Wertschöpfung im Tourismus;− Branchenübergreifende Vermarktung des Wallis (siehe Kasten 1

Das Projekt Tourismus 2015 und Valais/Wallis Promotion


Der Tourismus und die branchenbergreifende Vermarktung nehmen eine besondere Stellung ein. Für den im Kanton Wallis enorm wichtigen Tourismus hat die Regierung das Projekt Tourismus 2015 erarbeitet. Mit diesem Projekt sollen die notwendigen Reformen durchgeführt werden, um die Stellung des Wallis als eine der weltweit führenden alpinen Tourismusdestinationen zu festigen.

Auf Vorschlag des Departements für Volkswirtschaft will die Walliser Regierung ausserdem ein Instrumentarium für die koordinierte, professionelle und qualitative Vermarktung aller Walliser Wirtschaftszweige zugunsten des Tourismus und der Wirtschaft schaffen. Diese Struktur einer gemeinsamen branchenübergreifenden Vermarktung unter der Bezeichnung Valais/Wallis Promotion mit einem Jahresbudget von ca. 10 Mio. Franken wird alle Marketingkompetenzen der Dachverbände von Tourismus, Landwirtschaft, Handel und Industrie unter einem Dach vereinen, um das «Produkt Wallis» integral zu verkaufen. Diese Zusammenführung der Kräfte ist eine Schlüsseletappe für die kantonale Vermarktung. Sie wird von rund 200 Akteuren der Walliser Wirtschaft unterstützt, die beim Tourismusgipfel 2011 zusammengekommen sind.

).

Schwerpunkt 3: Bessere Koordination in wirtschaftlichen Belangen.


− Information zuhanden der Bevölkerung;− Stärkung der intra- und interkantonalen Beziehungen;− Belebung des kantonalen Wirtschaftsgefüges.Die Umsetzung dieser Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung beruht auf folgenden transversalen Richtlinien:− Koordination der verschiedenen Politikbereiche: Die Strategie der Wirtschaftsentwicklung konkretisiert die Vision des Staatsrats zur Entwicklung der Walliser Wirtschaft. Ihre Anwendung setzt die Kohärenz der vom Kanton angenommenen und umgesetzten Sachpolitiken voraus. Dabei schliesst sie alle Departemente und Dienststellen des Kantons mit ein.− Nachhaltige Entwicklung unter Einhaltung der Agenda 21: Bei der Realisierung der Vision müssen die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung und der Agenda 21 eingehalten werden. Diese Prinzipien betreffen alle Schwerpunkte und strategischen Ziele (Transversalität). Ziel ist die konstante Verbesserung der kantonalen Ökobilanz, d.h. der Auswirkungen der wirtschaftlichen Aktivität der Walliser Unternehmen auf die Umwelt.− Intra- und interkantonale Kooperation: Die kantonale Wirtschaftsentwicklung muss sich auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Kantonen stützen. Um sich als starker interkantonaler Partner präsentieren zu können, braucht es einen starken inneren Zusammenhalt. Dieser Zusammenhalt kann nur mit einer vertieften Zusammenarbeit aller Leistungserbringer der verschiedenen Sprachteile des Kantons erreicht werden.

Neue Energiepolitik


Das Wallis als Hauptproduzent von Energie aus Wasserkraft in der Schweiz will sich – speziell im Hinblick auf den Heimfall der Konzessionen und den Ausbau der erneuerbaren Energien – den neuen Herausforderungen der Energie- und Wirtschaftspolitik stellen. Die Regierung hat daher im Juli 2011 eine Strategie Wasserkraft Kanton Wallis aufgestellt, deren Ziel es ist, das diesbezügliche Entwicklungspotenzial auszubauen. Dies kommt nicht nur der einheimischen, sondern auch der Schweizer Wirtschaft insgesamt zugute. Im Zusammenhang mit der Neuausrichtung seiner Energiepolitik hat der Kanton vor kurzem eine Strategie für die erneuerbaren Energien aufgestellt. Auch mit Blick auf die Energiestrategie 2050 des Bundes muss der traditionsreiche Energieproduzent Wallis einen einheitlichen Kurs fahren, um weiterhin eine tragende Rolle in diesem Bereich spielen zu können.

Fazit


Mit der Annahme der Strategie zur ­kantonalen Wirtschaftsentwicklung hat der Staatsrat alle betroffenen Departemente damit beauftragt, in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Schwerpunkte dieser Strategie und ihre Massnahmen koordiniert einzuführen. Diese Übernahme der Vorgehensweise durch alle Dienststellen der Kantonsverwaltung stärkt die Beteiligung aller betroffenen Einheiten und stellt die Kohärenz mit den Sektoralstrategien sicher. Das Departement für Volkswirtschaft wird in Zusammenarbeit mit anderen Departementen eine regelmässige Überprüfung im Zweijahresrhythmus durchführen. Die integrierte Wirtschaftsstrategie verbindet im Rahmen des Raumplanungsprojekts Valais-Wallis auch die Einzelstrategien in den Bereichen Energie, Tourismus sowie Landwirtschaft und Weinbau miteinander. Durch diesen Willen zur Kohärenz will das Wallis die Grundlagen zur Schaffung eines nachhaltigen Wohlstands im Sinne seiner Zielsetzung als «Zukunftsland Wallis» sicherstellen.

Grafik 1: «Unternehmensentwicklung im Wallis»

Tabelle 1: «Aktionsfelder der Regionalpolitik»

Kasten 1: Das Projekt Tourismus 2015 und Valais/Wallis Promotion

Das Projekt Tourismus 2015 und Valais/Wallis Promotion


Der Tourismus und die branchenbergreifende Vermarktung nehmen eine besondere Stellung ein. Für den im Kanton Wallis enorm wichtigen Tourismus hat die Regierung das Projekt Tourismus 2015 erarbeitet. Mit diesem Projekt sollen die notwendigen Reformen durchgeführt werden, um die Stellung des Wallis als eine der weltweit führenden alpinen Tourismusdestinationen zu festigen.

Auf Vorschlag des Departements für Volkswirtschaft will die Walliser Regierung ausserdem ein Instrumentarium für die koordinierte, professionelle und qualitative Vermarktung aller Walliser Wirtschaftszweige zugunsten des Tourismus und der Wirtschaft schaffen. Diese Struktur einer gemeinsamen branchenübergreifenden Vermarktung unter der Bezeichnung Valais/Wallis Promotion mit einem Jahresbudget von ca. 10 Mio. Franken wird alle Marketingkompetenzen der Dachverbände von Tourismus, Landwirtschaft, Handel und Industrie unter einem Dach vereinen, um das «Produkt Wallis» integral zu verkaufen. Diese Zusammenführung der Kräfte ist eine Schlüsseletappe für die kantonale Vermarktung. Sie wird von rund 200 Akteuren der Walliser Wirtschaft unterstützt, die beim Tourismusgipfel 2011 zusammengekommen sind.

Zitiervorschlag: Jean-Michel Cina (2012). Vision und Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung eines Gebirgskantons am Beispiel des Wallis. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.