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Für einen klugen Mix von freiwilligen Massnahmen und rechtlich bindenden Verpflichtungen

Für einen klugen Mix von freiwilligen Massnahmen und rechtlich bindenden Verpflichtungen

Die Unternehmen pochen auf hartes Recht, wenn es um Marktzugang, Investitions- oder Patentschutz – also um ihre wirtschaftlichen Interessen – geht. Hingegen bevorzugen sie «Soft Law» und Freiwilligkeit, wo ihr Wirken die Interessen anderer (Konsumenten, Arbeitskräfte, Umwelt) ­beeinträchtigt. Das gilt vor allem für transnationale Konzerne, die auch in Staaten operieren, die Menschenrechte und Umweltstandards missachten. Dort versprechen sie im Rahmen freiwilliger Vereinbarungen wie dem Global Compact, Verbesserungen in ­ihrem Einflussbereich anzustreben. Gleichzeitig wehren sich ihre Verbände aber gegen verbindliche Regeln zur Einhaltung von ­Menschenrechten und Umweltstandards.

Das massive Trittbrettfahrerproblem freiwilliger Initiativen


Nur eine Minderheit von Unternehmen hat sich freiwilligen Vereinbarungen angeschlossen. Es besteht ein massives Trittbrettfahrerproblem. Der Global Compact umfasst mit 7000 Mitglied-Unternehmen knapp ein Zehntel aller transnationalen Konzerne. Das Business and Human Rights Ressource Centre listet zudem 300 Konzerne auf, die über ein weitergehendes Human Rights Policy Statement verfügen. Zehntausende Unternehmen vermeiden aber die Kosten, die denjenigen entstehen, die z. B. wegen der Menschenrechtsverpflichtung existenzsichernde Löhne einführen, Umweltkosten internalisieren und Entsprechendes auch von ihren Lieferanten einfordern.Allfällige Reputationsgewinne sind durch die Trittbrettfahrer gefährdet. Deren Verstösse gegen Menschenrechte und Umweltstandards färben auf alle anderen Unternehmen ab. Für die Schweiz gilt das im besonderen Mass, seit sie als Sitzstaat zahlreicher Bergbauunternehmen und als international führende Drehscheibe im Rohstoffhandel 
fungiert. Damit sind Dutzende von «neo-schweizerischen» Unternehmen in Branchen tätig, in denen Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen besonders häufig aktenkundig werden. Zudem lehnen jene Unternehmen, die freiwillige Massnahmen einführen, ein unabhängiges, öffentlich zugängliches Monitoring ab. Niemand kann überprüfen, was Fakt und was PR ist. Die Besten – sie können an ein paar Händen abgezählt werden – lassen ihre Bemühungen unabhängig evaluieren, behandeln die Resultate aber vertraulich, aus Angst, NGO und Medien würden sich nur auf die Negativpunkte stürzen. Schliesslich bleiben Interpretation und Anwendung der freiwilligen Vereinbarungen den Unternehmen vorbehalten. Das gilt etwa für die Konsequenzen, die sie aus den sozialen Menschenrechten für ihre Lohnpolitik ziehen, aber auch für Managementfragen: Die Unternehmen können ihre Menschenrechtspolitik in die lohn- und aufstiegswirksame Kaderbeurteilung aufnehmen oder eben nicht. Oder bei Führungswechseln: Kürzlich sagten uns CSR-Verantwortliche, sie würden gesetzliche Auflagen begrüssen, weil damit firmeninterne CSR-Politiken bei einem CEO-Wechsel nicht einfach umge­stossen werden könnten. Die freiwilligen Vereinbarungen haben also durchaus Fortschritte gebracht. Aber sie genügen nicht. Es braucht mehr Verbindlichkeit und gleich lange Spiesse für alle. Von der Problemlage aus gesehen wären verbindliche internationale Regeln das Beste. Solche sind 2004 dem Uno Menschenrechtsrat unterbreitet worden; doch die internationalen Unternehmerverbände liefen Sturm. Der UNO-Sonderbeauftragte für Menschenrechte und Unternehmen, John Ruggie, legte in der Folge Leitprinzipien vor, die der Menschenrechtsrat 2011 einstimmig annahm. Sie stipulieren (1) die Pflicht des Staates, die Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen, auch durch Unternehmen, zu schützen, (2) die Verantwortung aller Unternehmen, bei allen ihren Tätigkeiten überall auf der Welt die Menschenrechte zu respektieren, (3) den Zugang von Opfern zu Rechtsmitteln für Wiedergutmachung. Die Ruggie-Leitlinien verschieben die Lösung auf die nationale Ebene. Nun hören wir von Wirtschaftsvertretern, verbindliche Regeln müssten – wenn überhaupt – international erlassen werden.

Die Kampagne «Recht ohne Grenzen»


Alle Regierungen, auch die schweizerische, sind Ruggie zufolge aufgefordert, die Leitprinzipien umzusetzen. Diese postulieren es als Aufgabe des Staates, im Rahmen seiner Schutzpflicht proaktiv dafür zu sorgen, dass multinationale Unternehmen die Menschenrechte respektieren. Die Leitprinzipien enthalten ein System von Massnahmen, um negativen Auswirkungen von Unternehmenstätigkeiten vorzubeugen (Due Diligence). Ergänzend postulieren sie eine Kombination (Smart Mix) von freiwilligen und verbindlichen Massnahmen. Die Staaten sollen dazu die bestehenden Gesetze auf Lücken hin überprüfen und diese schliessen. Das fordern über 50 zivilgesellschaftliche Organisationen mit der Kampagne «Recht ohne Grenzen» von der Schweiz. Die Wirtschaftsverbände interpretieren hingegen Ruggies Smart Mix als alleinige Bekräftigung freiwilliger Massnahmen, so auch der Bundesrat.

Zitiervorschlag: Peter Niggli (2012). Für einen klugen Mix von freiwilligen Massnahmen und rechtlich bindenden Verpflichtungen. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.