Suche

Abo

Zehn Jahre Flugsicherungsreform: Reformstau oder Kompetenzgerangel am europäischen Himmel?

Schriftgrösse
100%

Die Europäische Kommission hat sich in den vergangenen zehn ­Jahren schrittweise als zentraler Akteur in der europäischen Flugsicherung etabliert. Mit der Schaffung eines einheitlichen ­europäischen Luftraumes, des Single European Sky (SES), sollen die Hindernisse auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Luftfahrtbinnenmarktes – allen voran Existenz nationaler Lufträume sowie deren Bewirtschaftung durch monopolistische Flugsicherungsorganisationen – ­ausgeräumt werden. Doch die Staaten wehren sich zunehmend gegen den Kompetenzverlust. Durch das Luftverkehrsabkommen mit der EU ist die Schweiz in den SES-Prozess eingebunden.

Führungsrolle der Europäischen Kommission im Bereich Flugsicherung


Motiviert durch die Zunahmen der Verspätungen während des Jugoslawienkonflikts hatte die Europäische Kommission Prodi unter der Führung der Vizepräsidentin und Verkehrskommissarin Loyola de Palacio im Jahr 1999 ein ambitiöses Reformprojekt ins Leben gerufen: die Schaffung eines einheit­lichen europäischen Luftraumes Single European Sky (SES).

Kasten 1

Bedeutung der Europäischen ­Kommission in der Flugsicherung


Auf völkerrechtlicher Ebene wird die Luftfahrt in allen Bereichen durch die Internationale Luftfahrtbehörde International Civil ­Aviation Organisation (ICAO) mit Sitz in Montreal sowie durch das Chicagoer Abkommen von 1944 geregelt. Die Staaten haben aber die Möglichkeit, sich von den internationalen Regeln und Vorschriften zu entfernen (Opt out) und können dies mit den jeweiligen nationalen Interessen begründen. So kann zum Beispiel ein Staat eine differenzierte Hand­habung der Luftraumklassifizierung vornehmen, um den örtlichen Gegebenheiten besser zu entsprechen. Diese Opt-out-Klausel hat die Europäische Kommission in Anspruch genommen und sich in den vergangenen zehn ­Jahren schrittweise und relativ erfolgreich als zentraler Akteur in der europäischen Flugsicherung etabliert.

). Die zunehmende Führungsrolle der Europäischen Kommission im Bereich Flugsicherung – oder genauer ihre wachsende Regulierungskompetenz – ist im Zusammenhang mit ihrer Liberalisierungsagenda zu sehen. In drei entscheidenden Schritten wurde der freie Wettbewerb unter den Fluggesellschaften geschaffen:

  • Im ersten Luftfahrtpaket 1987 wurden das sogenannte Codesharing legalisiert sowie die Intervention der Staaten bei der Preisfestsetzung von Flugtickets stark eingeschränkt.
  • Im zweiten Paket 1990 wurde die so­genannte fünfte Freiheit (auch Cabotage genannt) eingeführt. Sie bezeichnet das Recht einer Fluggesellschaft, bei einem Zwischenstopp in einem Drittland Passagiere aufzunehmen oder zu entladen.
  • Im dritten Paket 1992 wurde schliesslich die sogenannte neunte Freiheit per 1997 eingeführt. Diese erlaubt es einer Fluggesellschaft eines EU-Landes, in jedem anderen EU-Land auch innerstaatliche Linien zu bedienen. Gleichzeitig wurden eine europäische Fluglizenz eingeführt sowie die Preisfestsetzung vollständig liberalisiert. Dieser letzte Schritt der Liberalisierung des Flugverkehrs führte zum Ent­stehen der sogenannten Low-Cost- oder Low-Fare-Fluggesellschaften wie Ryanair oder Easyjet.


In der Folge erliess die Kommission noch weitere Direktiven, die der Liberalisierung des EU-Flugbinnenmarktes dienen sollten, so zum Beispiel die teilweise Öffnung des Flughafenslotzuteilungssystems (EC 93/1995) sowie die Liberalisierung des Groundhandlings (EC 67/1996) und des Buchungssystem (EC 89/1999). Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraumes ist nun der letzte, aber auch der entscheidendste Teil der Liberalisierungsagenda der Kommission. Diese Agenda ist durchaus vergleichbar mit den Bestrebungen der Kommission zur Schaffung eines Europäischen Strom-, Bahn-, Telekom- oder Post-Binnenmarktes. Die Kommission geht dabei immer gleich vor: Einerseits gibt sie sich die Kompetenz, einen (Binnen-)Markt zu schaffen (schrittweises Ausräumen der Wettbewerbshindernisse und -verzerrungen, d.h. Deregulierung); andererseits präzisiert sie schrittweise die Regeln für das Funktionieren dieses Marktes (Reregulierung). Die Defini­tion dieser Regeln führt dazu, dass die Europäische Kommission zunehmend zu einem europäischen (Super-)Regulator mutiert.

Das Programm Single European Sky


Die Existenz nationaler Lufträume sowie deren Bewirtschaftung durch monopolis­tische nationale Flugsicherungsorganisationen scheint seit 2002 das entscheidende ­Hindernis bei der Schaffung eines europäischen Luftfahrtbinnenmarktes zu sein. Das Programm Single European Sky (SES) zielt auf das Ausräumen dieses Hindernisses ab.Der SES stützt sich auf fünf zentrale Pfeiler, nämlich Performance, Safety, Airports, Human Factor und Technology.
Baumgartner M., Wipf H.: Der Single European Sky in turbulenten Zonen, NZZ 23.12.2008. Das entsprechende Regelwerk, das Single Europan Sky Package I (SES I), wurde im Jahre 2004 von der EU verabschiedet. Es hat sich aber unter den verschiedenen Kommissaren (de Palacio, Barrot und Kallas) und Kommissionen (Prodi und Barroso) signifikant weiterentwickelt. Im Jahr 2010 wurde SES II von der Kommission verabschiedet; im Moment wird bereits SES II+ aufgegleist. Darin sollte der Einfluss der Kommission soweit gefestigt werden, dass die Arbeiten der nächsten Kommission (ab 2015) darauf basieren kann. Die fünf Pfeiler werden von einem umfangreichen Massnahmen- und Regulationswerk begleitet. Institutionell wurde parallel zum SES-Prozess der European Aviation ­Safety Agency (Easa)
Etabliert seit September 2003. die Kompetenz in Sicherheitsfragen erteilt. Ebenfalls wurde ein sogenanntes Joint Undertaking Sesar (Single European Sky ATM Research) gegründet und mit rund 358 Mio. Euro pro Jahr an Forschungsgeldern ausgestattet. Schliesslich wurde 2010 ein unabhängiger Performance Review Body aus der Taufe gehoben. Ab 2013 liegt die die Kompetenz im Flughafenbereich (Slot-Regulierung, Groundhandling u. a. m.) bei der Kommission. Die Industriepartner wurden in einen Industriekonsultationsgremium
Industrial Consultation Body (ICB). zusammengefasst; auch die Sozialpartner sowie die Berufsverbände sind mit Konsultationsgremien ausgestattet, die weiter gehen als der klassische EU-Sozialdialog.

Die zentrale Herausforderung von SES II


Eine der wichtigsten Herausforderungen, welche SES II zu bewältigen versucht, liegt darin, die Fragmentierung der Flugsicherungsbetreiber in Europa zu reduzieren. Gegenwärtig besteht der europäische Luftraum aus 60 Luftraumblöcken (aufgeteilt in rund 1350 Sektoren), die von 37 Flugsicherungsbetreibern kontrolliert werden. Dies ist ökonomisch und ökologisch ineffizient und stellt laut Kommission ein Hindernis für das zukünftige Wachstum des Flugverkehrs dar. Zudem bestehen unnötig komplexe Schnittstellen zwischen den Flugsicherungsanbietern.

Operationelle Ebene


Anstatt eine Konsolidierung des Luftraumes zu verordnen, überliess es die Kommission den Staaten, sich bis Ende 2012 in einem Bottom-up-Approach in sogenannten Funktionellen Luftraumblöcken (Functional Airspace Blocks, FAB) zusammenzuschliessen. In diesem Prozess haben sich neun solche FAB herausgebildet (siehe
). Es ist angedacht, dass das Betreiben dieser FAB in Zukunft für den Wettbewerb geöffnet wird, d.h. dass sie ausgeschrieben werden könnten.Mit der Institutionalisierung eines Leistungsschemas (Performance Scheme) mit europaweiten, nationalen und teilweise lokalen Zielvorgaben hat die Kommission (EC 691/2010) einen weiteren politischen Schritt in Richtung Verbesserung der Dienstleistung Flugsicherung unternommen. Zu diesem Zweck wurde 2010 die Performance Review Commission von Eurocontrol als sogenannter Performance Review Body (PRB) designiert (siehe Seite 57). Zudem wurden Zielvorgaben in vier Hauptbereichen – Sicherheit, Kosteneffizienz, Kapazität und CO2-Emissionen – formuliert und in zwei Zeitrahmen gepackt (Referenzperiode 1 von 2012 bis 2014; Referenzperiode 2 von 2015 bis 2019). Konkret sollen bis 2020 eine Verdreifachung der Kapazität des Jahres 2000 bei gleichbleibender Sicherheit, eine Reduktion der Emissionen um 10% im Vergleich zu 2005, sowie die Halbierung des durchschnittlichen Preises für einen Flug (von 800 auf 400 Euro) erreicht werden. Für die Referenzperiode 1 werden folgende europaweite Zielvorgaben gemacht:

  • eine durchschnittliche Unit Rate (Kilometer pro Tonne) von 53,92 Euro im Jahre 2014;
  • eine durchschnittliche Verspätung von 0,5 Minuten pro Flug;
  • eine Reduktion der durchschnittlichen horizontalen Flugdistanz um 0,75% (Basis 2009), d.h. kürzere Flüge.


Bezüglich Sicherheit werden in der Referenzperiode 1 keine Zielvorgaben gemacht. Hingegen werden verschiedene systemische Maturitätsmessungen von sicherheitsrelevanten Massnahmen vorgenommen, so z. B. die Einführung eines Sicherheitsmanagementsystems.

Institutionelle Ebene


Auf institutioneller Ebene versucht die Kommission, dem komplexen technischen und operationellen Puzzle der europäischen Flugsicherung mit Liberalisierungsmechanismen und flankierenden Massnahmen Herr zu werden. So soll dank der Trennung von Dienstleistung (Operation) und Aufsicht (Regulation) Ausschreibungswettbewerb unter den einzelnen Flugsicherungsanbietern möglich werden. Dazu soll auch ein Zertifizierungsmechanismus
Skyguide wurde im 2006 und 2012 vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) zertifiziert. beitragen, der es den Flugsicherungsbetreibern ermöglicht, im geografischen Raum des SES für einen FAB bieten zu können. Die Fachaufsicht im Bereich Sicherheit wird der europäischen Sicherheitsbehörde Easa in Köln übertragen. Das bedeutet, dass die nationalen Aufsichtsbehörden je länger je mehr zu reinen ökonomischen Regulatoren und Umsetzern der europäischen Normen werden. Zudem werden nun auch die (nationalen) militärischen Benutzer des Luftraumes in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Zu diesem Zweck wurde – wie schon in anderen In­frastruktursektoren, so etwa der Elektrizität – ein sogenannter Komitologie-Prozess eingeführt. Dieser Prozess bezeichnet die Schaffung von Verwaltungs- und Expertenausschüssen zur rascheren Umsetzung der EU-Richtlinien. Eurocontrol
Eurocontrol ist eine 1962 gegründete internationale Organisation von 40 Mitgliedländern, die sich der Harmonisierung der Flugsicherung verschrieben hat. wurde im 2010 mit der neuen Funktion eines Netzwerkmanagers beauftragt; zudem wurden die rechtlichen Grundlagen erarbeitet, die es dem Netzwerkmanager erlauben, das Netzwerk auf strategischer sowie taktischer Ebene zum Vorteil aller Beteiligter zu bewirtschaften. 2011 wurde ebenfalls eine einheitliche Flugverkehrsleiterlizenz eingeführt, was wiederum den in Zukunft im Wettbewerb tätigen Flugsicherungsunternehmen erlauben soll, ihr Personal über die Grenzen hinweg einsetzen zu können.

Kostenvorgaben für die Flugsicherungsunternehmen


Mit der Schaffung des PRB sowie dessen Beauftragung mit der Überwachung der Leistungsziele der Referenzperioden 1 und 2 hat die EU-Kommission einen kraftvollen politischen Hebel erhalten. Dies ist zum Beispiel daraus ersichtlich, dass die europäischen Zielvorgaben, die durch das PRB erarbeitet wurden und nun von den FAB sowie von den Mitgliedstaaten befolgt werden müssen, mit einem Bonus/Malus-System auf nationaler Ebene ausgestattet wurden. Parallel dazu wurde nun auch vom bis anhin heiligen Prinzip der Kostendeckung durch die Benützer – d.h. durch die Fluggesellschaften – abgerückt. Bis und mit 2011 wurde nämlich die bodenseitige Flugsicherungsinfrastruktur inklusive Betriebskosten via Unit Rate vollumfänglich von denfinanziert. Mit einer neuen Finanzierungsregulierung (EC 1190/2010) ist seit 2012 ein Risikoteilungsmechanismus eingeführt worden. Entsprechend müssen in Zukunft die Tarife der Flugsicherungsunternehmen der 27 EU-Mitgliedstaaten (plus Kroatien ab 2013) sowie von Norwegen und der Schweiz gewissen Zielvorgaben entsprechen. In Anbetracht der Verkehrsstagnation der letzten Monate sowie der hohen Personalkosten (im Durchschnitt über 64%) bringt dies einige Flugsicherungsunter­nehmen bereits ab 2012 unter finanziellen Druck.

Und die Schweiz?


Durch das Luftverkehrsabkommen mit der EU ist die Schweiz in den SES-Prozess eingebunden und übernimmt daher die Leistungszielvorgaben der EU und die Sicherheitsregulierung der Easa vollumfänglich. Die Anpassung an die neuen Herausforderungen der schweizerischen Luftfahrtpolitik
Gade S., Suhr M.: Die Luftfahrtpolitik der Schweiz. In: Die Volkswirtschaft 6-2007. hat im Rahmen der Luftfahrtgesetzesrevi­sion (I & II) einen gangbaren Weg eingeschlagen, der es erlaubt, dass sich die schweizerische Flugsicherung auch in Zukunft den EU-Vorgaben anpassen kann. Dies widerspiegelt sich zum Bespiel in der verstärkten Zusammenarbeit mit den Nachbarn ab. Die Schweiz ist am grössten Flugsicherungsblock, dem Functional Airspace Block Europe Central (Fabec), aktiv beteiligt.
Weder D.: Über die künftige Rolle der Schweizer Flugsicherung in Europa. In: Die Volkswirtschaft, 4-2012 Der nationale Leistungsplan
Swiss National Supervisory Authority, National Performance Plan for Switzerland, Juni 2011. der Schweiz wurde dem PRB 2011 übermittelt und aufgrund von dessen Analyse angepasst. Der schweizerische Flugsicherungsbetreiber Skyguide gehört, was den Verkehr angeht, zu den mittleren Flugsicherungsbetreibern Europas. Die Kosten des Betreibens des Schweizer Luftraums machen 3,1% der Gesamtkosten der EU-29 aus. Durch ihre geografische Lage beherbergt die Schweiz zwei der meistbeflogenen «Luftverkehrskreisel» und gilt als einer der komplexesten Lufträume Europas. Von den drei gemessenen Key Performance Areas (Kapazität in Verspätungsminuten, Kosteneffi­zienz und Umweltverschmutzung in Form der horizontalen Streckenausdehnung) wurde der vorgeschlagene Schweizer Beitrag von der PRB als zweimal genügend und einmal ungenügend (Kapazität) taxiert.
Vgl. www.eurocontrol.int/sites/default/files/content/documents/single-sky/pru/performance-plans/fabec-ch-switzerland-revised-pp-2012-2014.pdf Die überwachten Sicherheitsbeiträge der Schweiz werden als genügend eingestuft. Diese Analyse basiert auf einem Verkehrsaufkommen, das sich nicht eingestellt hat. Daher wird die Situation für die Schweiz – und vor allem für den Flugsicherungsbetreiber Skyguide – nicht einfacher. Strategisch kommt die Schweiz nicht umhin, sich auf den durch das SES-Reformprogramm der EU ausgelösten verschärften Wettbewerb im Markt einzustellen. Der obere Luftraum wird sich nur in einer multinationalen Initiative weiter von der Schweiz aus bewirtschaften lassen. Neue, auf innovative Technologien basierende Geschäftsmodelle werden dies ermöglichen. Der untere Luftraum – und vor allem die Regional und ­Lokalflugplätze – werden sich ab 2016 einer Marktöffnung stellen müssen. Dies nachhaltig für die Zukunft der schweizerischen Aviatik zu gestalten, ist sicherlich eine grosse ­Herausforderung. Aufgrund ihrer bedeutenden Lage in der europäischen Flugsicherungslandschaft muss sich die Schweiz als verantwortungsvoller Teamplayer hervortun; ansonsten werden sich die Nachbarländer die besten Filets aus dem schweizerischen Flugsicherungsmarkt herausschneiden. Daher ist eine weitsichtige und vor allem nachhaltige Strategie für den Erhalt des Know-hows und der Qualität der schweizerischen Flugsicherung wichtig. Das fehlerfreie Erreichen der Leistungsvorgaben gehört dazu.

Wie geht es weiter?


Im Rahmen des Performance Scheme hat nun die Phase des Überwachens der Referenzperiode 1 begonnen. Die im Jahre 2012 erzielten Resultate werden in Kürze publik gemacht. Bei der Kosteneffizienz wird die Stagnation oder Rückläufigkeit der Flugbewegungen mit dem neuen Risikoteilungs­mechanismus zu drastischen Massnahmen führen, die von allen Beteiligten eine wirtschaftliche Flexibilität (Entlassungen, Reorganisation und Reduktion der Leistungen) voraussetzt, was in der Flugsicherung bis jetzt nicht bekannt war. Die Auswirkungen dieser Massnahmen auf die Qualität der Dienstleistung wird sich wohl erst in etwa 5–7 Jahren messen lassen.
Trotz fast täglicher Wechsel im Arbeitsumfeld gilt ein ­Lebenszyklus von 7 Jahren für neue Systeme oder ­Arbeitsabläufe in der Flugsicherung. Dies ist auf die hohen internationalen ­Sicherheitsstandards zurückzuführen sowie darauf, dass bei allen Änderungen der Normalbetrieb weiter­geführt werden muss. Gleichzeitig bereitet die EU-Kommission die zweite Referenzperiode (2015-2019) vor, in der die sogenannte Leistungsregulation (Performance Regulation) sowie Kostenregulation (Charging Regulation) vorgesehen ist. Die PRB ist am erarbeiten der Zielvorgaben der Referenzperiode 2 und wird diese im nächsten Sommer zur Konsultation freigeben.

Fazit


Der Vizepräsident der Kommission, Siim Kallas, hat den Staaten mit juristischen Massnahmen gedroht,
Single European Sky: 10 years on and still not delivering, SES II Konferenz Limassol, Oktober 2012, IP12/1089. da er die Fortschritte im SES-Rahmenpaket als ungenügend einstuft. Er wird vor Ende seiner Amtszeit (2015) mit erhöhten Druck daran arbeiten, der EU weitergehende Kompetenzen im Bereich der Flugsicherung zu verschaffen. Die EU-Mitgliedsländer haben begonnen, sich gegen diesen nationalstaatlichen Kompetenzverlust zu stemmen. Die kommenden sechs Monate politischer Verhandlungen werden spannend sein. Das Kompetenzgerangel zwischen EU-Staaten und der Kommission wird jedoch der Verbesserung der Leistungsfähigkeit der europäischen Flugsicherung nicht unbedingt dienlich sein und könnte einen weiteren Reformstau provozieren.

 

Kasten 1: Bedeutung der Europäischen ­Kommission in der Flugsicherung

Bedeutung der Europäischen ­Kommission in der Flugsicherung


Auf völkerrechtlicher Ebene wird die Luftfahrt in allen Bereichen durch die Internationale Luftfahrtbehörde International Civil ­Aviation Organisation (ICAO) mit Sitz in Montreal sowie durch das Chicagoer Abkommen von 1944 geregelt. Die Staaten haben aber die Möglichkeit, sich von den internationalen Regeln und Vorschriften zu entfernen (Opt out) und können dies mit den jeweiligen nationalen Interessen begründen. So kann zum Beispiel ein Staat eine differenzierte Hand­habung der Luftraumklassifizierung vornehmen, um den örtlichen Gegebenheiten besser zu entsprechen. Diese Opt-out-Klausel hat die Europäische Kommission in Anspruch genommen und sich in den vergangenen zehn ­Jahren schrittweise und relativ erfolgreich als zentraler Akteur in der europäischen Flugsicherung etabliert.

Kasten 2: Basisinformationen

Basisinformationen

  • Europäischer Luftraum: 10,8 Mio. km2 und 60 Flugverkehrsleitzentralen.
  • Das Europäische Flugsicherungssystem besteht aus 37 Flugsicherungsunternehmen. Deren Jahresumsatz beläuft sich auf 8,6 Mrd. Euro. Sie beschäftigen rund 57 000 Personen, davon 16 900 Flugverkehrsleiter (zum Vergleich: Die USA beschäftigen 13 000 Flugverkehrsleiter).
  • Im Jahr 2010 hat das europäische Flugsicherungssystem über 9,5 Mio. Flüge kontrolliert; an verkehrsstarken Tagen sind es 33 000 Flüge. Für 2020 erwartet man 17 Mio. Flüge mit 50 000 Flügen an verkehrsstarken Tagen.
  • Im Jahr 2010 resultierten etwa 19,4 Mio. Minuten Verspätungen für die Überflüge und im Durchschnitt pro Flug eine um 49 km längere Strecke als der ideale (direkte) Flug.
  • Die geschätzten Kosten der «Fragmentierung» belaufen sich auf rund 4 Mrd. Euro jährlich.
  • Die 5 grössten Flugsicherungsunternehmen (AENA-ES, DSNA-FR, NATS-UK, DFS-DE, ENAV- IT) generieren rund 60% der Gesamtkosten und kontrollieren 54% des Flugverkehrs.
  • Die restlichen 40% der Gesamtkosten werden von 32 übrigen Flugsicherungsunternehmen generiert.
  • Die Bandbreite der Kosteneffizienz der Flugsicherungsunternehmen (zusammengesetzt aus Unit Cost und Verspätungskosten pro Composite Flugstunde) ist relativ gross und erstreckt sich von 837 Euro für Belgocontrol (BE) bis 163 Euro für den estnischen Flugsicherungsbetreiber. Der europäische Durchschnitt liegt bei 544 Euro (Skyguide: 711 Euro).


Quelle: http://ec.europa.eu/transport/modes/air/single_european_sky.

Zitiervorschlag: Baumgartner, Marc (2013). Zehn Jahre Flugsicherungsreform: Reformstau oder Kompetenzgerangel am europäischen Himmel? Die Volkswirtschaft, 01. Januar.