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Die Schweizer Europapolitik: Wie tragfähig ist der ­Bilateralismus?

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Die bilateralen Abkommen regeln seit nunmehr über zehn Jahren das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten. Während der Bundesrat eine Weiterentwicklung des bilateralen Wegs anstrebt, möchte die EU vor dem ­Abschluss neuer Abkommen eine Reihe institutioneller Fragen ­klären. Dabei geht es um Übernahme des unionsrechtlichen ­Besitzstandes und seine Aus­legung, die Überwachung der ­Einhaltung der Abkommen sowie die Streitbeilegung. Der folgende Artikel geht der Frage nach, wie ein institutioneller Rahmen ­zwischen der Schweiz und der EU in Anbetracht der politischen ­Ausgangslage und der Charakteristika der bestehenden Abkommen aussehen könnte.

Seit dem Nein von Volk und Ständen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 6. Dezember 1992 beruhen die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union (EU) auf dem sogenannten bilateralen Ansatz. Bilateral sind sie insofern, als auf der einen Seite die Schweiz und auf der anderen die EU stehen. Im Gegensatz dazu regelt etwa der EWR die Beziehungen der Efta-Staaten ­ausser der Schweiz zur EU. Inzwischen gibt es zwei Pakete bilateraler Abkommen (siehe Kasten 1

Die zwei Pakete der bilateralen Abkommen


Die Bilateralen I wurden am 21.6.1999 unterzeichnet und sind am 1.6.2002 in Kraft getreten. Sie betreffen die Bereiche Personenfreizügigkeit, Forschung, technische Handelshemmnisse, landwirtschaftliche Produkte, Landverkehr, Luftverkehr und öffentliches Austragswesen. a

Die Bilateralen II wurden im Oktober 2004 unterzeichnet und sind inzwischen (mit der bemerkenswerten Ausnahme des Betrugsabkommens) in Kraft. Sie erfassen die Besteuerung der Ruhegehälter von in der Schweiz ansässigen EU-Beamten, verarbeitete Landwirtschaftsprodukte, die Teilnahme der Schweiz an der Europäischen Umweltagentur, Zusammenarbeit im Bereich der Statistik, die Teilnahme an verschiedenen Programmen in den Bereichen Bildung, Berufsbildung und Jugend, «Schengen» und «Dublin», Zinsbesteuerung und Betrugsbekämpfung. b

a Vgl. den Text aller Abkommen in BBl 1999, 6489 ff., ABl. 2002 L 114, 1 ff.

b Vgl. den Text aller Abkommen in BBl 2004, 5965 ff.

und Kasten 2

Zur Verwendung des Begriffs ­«bilaterale Abkommen»

Der Ausdruck «bilaterale Abkommen» ist im Wesentlichen in der Schweiz gebräuchlich und im Gegensatz zu dem als multilateral angesehenen Ansatz des EWR zu sehen. Aus rechtlicher Sicht ist er jedoch zumindest ungenau, da die Abkommen wegen der Beteiligung der Mitgliedstaaten neben der EU selbst teilweise multilaterale Abkommen darstellen. Daher trifft der Ausdruck «sektorielle Abkommen», der auf die bereichsspezifische Regelung der verschiedenen Dossiers Bezug nimmt, die Rechtslage eigentlich besser. Gleichwohl werden im Folgenden die in der Schweiz gebräuchlichen Ausdrücke «Bilate­rale I» und «Bilaterale II» verwendet.


). Sie regeln sektoriell eine Reihe von Bereichen und sehen in der Regel eine Einbindung der Schweiz in den Unionsbesitzstand vor.
Vgl. zu den bilateralen Verträgen ausführlich und m.w.N. Astrid Epiney/Beate Metz/Benedikt Pirker, Zur Parallelität der Rechtsentwicklung in der EU und in der Schweiz. Ein Beitrag zur rechtlichen Tragweite der «Bilateralen Abkommen», Zürich 2012, insbesondere 95 ff. Hinzu kommen zahlreiche weitere Verträge, wie etwa in jüngerer Zeit das sogenannte Zollsicherheitsübereinkommen.
Abkommen über die Erleichterung der Kontrollen und Formalitäten im Güterverkehr und über zollrechtliche Sicherheitsmassnahmen («24-Stunden-Regel»), vgl. den Text in BBl 2009 8953. Auf diese Weise ist die Schweiz heute rechtlich und noch mehr faktisch sehr weitgehend in die EU integriert.
Verzichtet werden soll im Folgenden auf eine (nochmalige) Skizzierung der Charakteristika der bestehenden Abkommen, vgl., m.w.N., Astrid Epiney, Zur institutionellen Struktur der Bilateralen Abkommen – Bestandsaufnahme, Perspektiven und Bewertung, in: FS Marc Amstutz, Zürich u.a. 2011, 35 ff. Derzeit werden eine Reihe weiterer Bereiche geprüft, in denen neue bilaterale Abkommen abgeschlossen werden könnten.

Zum Stand der Verhandlungen in Bezug auf die institutionellen Fragen

Ob und wann weitere Abkommen abgeschlossen werden, ist derzeit allerdings offen, da sich die EU und die Schweiz über eine Reihe institutioneller Fragen sowie über die  konkrete Verhandlungsführung bei den derzeit anstehenden Dossiers
Es geht hier im Wesentlichen um folgende Bereiche: Agrar- und Lebensmittelbereich, Produktsicherheit und öffentliche Gesundheit, Elektrizität, Emissionshandel, Chemikalienrecht, Satellitennavigation, Friedensförderung sowie Zusammenarbeit mit der Europäischen Verteidigungsagentur, vgl. zum jeweiligen Stand www.europa.admin.ch – und damit über das weitere Vorgehen – nicht einigen konnten.Im Zentrum dieser institutionellen Fragen, welche die EU vor dem Abschluss neuer Abkommen klären möchte,
Vgl. NZZ v. 3.2.2011, 15. stehen die Übernahme des unionsrechtlichen Besitzstandes und seine Auslegung, die Überwachung der Einhaltung der Abkommen in der und durch die Schweiz sowie die Streitbeilegung. Der Bundesrat hat hierzu relativ konkrete Vorschläge unterbreitet, die – in dieser Deutlichkeit wohl erstmals – die Zielsetzung der ­Homogenität der Rechtsentwicklung betonen. In Bezug auf die Überwachung und die Gerichtsbarkeit skizziert der Bundesrat ein Modell, wonach die homogene Rechtsanwendung in der Schweiz durch eine unabhängige nationale Behörde überwacht werden sollte, die ihrerseits gegebenenfalls ein gerichtliches Verfahren (auf nationaler Ebene) einleiten könnte. Meinungsverschiedenheiten zur Auslegung und Anwendung der Abkommen sollen in erster Linie im Gemischten Ausschuss beigelegt werden. Darüber hinaus werden Ausgleichsmassnahmen in Betracht gezogen, deren Umfang, Dauer und Verhältnismässigkeit durch ein Schiedsgericht überprüft werden könnte.
Vgl. etwa NZZ vom 21.11.2012. S. ansonsten die Informationen auf www.admin.chDie EU reagierte im Dezember 2012 offiziell auf diese Vorschläge:
Vgl. NZZ vom 21.12.2012. Sie betonte insbesondere, dass weitere bilaterale Abkommen nach dem bisherigen «Muster» aus EU-Sicht nicht mehr abgeschlossen werden sollen, ohne dass ein geeigneter institutioneller Rahmen gefunden wird, der für alle bestehenden und künftigen Abkommen Anwendung findet. Dieser müsse insbesondere einen rechtlich verbindlichen Mechanismus für die ­dynamische Anpassung der Abkommen an den sich fortentwickelnden EU-Rechtsbestand ermöglichen und «internationale Mechanismen» für die Überwachung und die Gerichtsbarkeit enthalten. In Bezug auf letztere wird die Gleichwertigkeit mit den Mechanismen des EWR-Abkommens bzw. der Efta-Säule des EWR für notwendig erachtet. Damit wird einmal mehr die Frage auf­geworfen, ob der bilaterale Weg tatsächlich zukunftsträchtig ist. Dennoch erscheint es verfrüht, nach der Stellungnahme des Europäischen Rates von einem «Ende des Bilateralismus» zu sprechen. Denn der Europäische Rat hat gerade nicht dem bilateralen Weg als solchem eine Absage erteilt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass dieser aus institutioneller Sicht einen neuen Rahmen benötige. Aufgeworfen wird damit die Frage, ob ein solcher Rahmen in Anbetracht der politischen Ausgangslage und der derzeitigen Charakteristika der Abkommen vorstellbar ist und wie dieser realistischer- und sinnvollerweise aussehen könnte.


Denkbare institutionelle Strukturen ­bilateraler Abkommen

Ausgangspunkt für die Überlegungen zu den zukünftigen institutionellen Strukturen der bilateralen Abkommen ist der Umstand, dass in eventuellen neuen Abkommen in materiell-rechtlicher Hinsicht eine sehr enge Anlehnung an den unionsrechtlichen Besitzstand erfolgen dürfte. Die Erstreckung des Anwendungsbereichs einer horizontalen institutionellen Vereinbarung auf bereits bestehende Abkommen wirft dabei besondere Probleme auf.In Bezug auf die Form der Übernahme des Unionsrechts in den Abkommen ist zu erwarten, dass verstärkt mit direkten Be­zugnahmen auf bestehendes Unionsrecht – also insbesondere auf Richtlinien und Verordnungen – gearbeitet wird. Auf diese Weise kann eine möglichst weitgehende Verbindlichkeit der unionsrechtlichen Vorgaben auch für die Schweiz erreicht und zudem die Weiterentwicklung der Abkommen erleichtert werden, was dem beiderseits betonten Ziel der Homogenität der Rechtsentwicklung Vorschub leistet. Es ist denn auch bezeichnend, dass gerade in der in dieser Beziehung weitgehenden Schengen-Assoziierung, die von der EU als eine Art Mindeststandard für weitere Abkommen angesehen wird,
Vgl. NZZ vom 9.12.2008, 16. ausschliesslich diese Technik zur Anwendung kommt.


Zur Homogenität in der Rechtsentwicklung

Im Hinblick auf die Sicherstellung der Homogenität der Rechtsentwicklung erscheint es denkbar, in zukünftigen Ab­kommen eine grundsätzliche Pflicht der Schweiz zur Übernahme der Weiterentwicklungen des unionsrechtlichen Besitzstands zu ver­ankern. Bislang ist eine solche Pflicht in der Schengen/Dublin-Assoziierung vor­gesehen. Dort wird auch betont, dass es der Schweiz unbenommen bleibt, die ­Weiter­entwicklungen mittels ordentlicher Gesetzgebungs­verfahren umzusetzen. Werden jedoch bestimmte Weiterentwicklungen nicht übernommen, wird das Abkommen nach Ablauf einer bestimmten Frist be­endigt. Damit geht dieses Modell zwar nicht von einer eigentlichen «automatischen» Übernahmepflicht der einschlägigen Weiterentwicklungen des Unionsrechts aus; im Falle des Scheiterns einer solchen Übernahme droht jedoch eine «Sanktion» in Form der Beendigung des Abkommens. Somit lässt dieser Mechanismus der Schweiz im Ergebnis kaum einen Spielraum bei der Übernahme der entsprechenden Weiterentwicklungen, da im Falle einer Ablehnung das gesamte Abkommen in Frage gestellt wird. Die Zielsetzung der Homogenität der Rechtsentwicklung dürfte durch dieses Modell verwirklicht werden können. Besondere Fragen stellen sich im Falle der Erstreckung einer solchen Übernahmepflicht auf bestehende Abkommen, die keine grundsätzliche Übernahme der Weiterentwicklungen kennen. Soweit diese Abkommen in Anhängen auf Sekundärrecht verweisen, dürfte eine entsprechende Modifikation des Mechanismus durchaus möglich sein, zumal Modifikationen des Sekundärrechts grundsätzlich durch die Gemischten Ausschüsse übernommen werden können. Wenn jedoch in den Abkommen selbst entsprechende Pflichten der Vertragsparteien in Anlehnung an das EU-Recht formuliert werden (wie z. B. in ­Anhang I des Personenfreizügigkeitsabkommens, aber auch in zahlreichen anderen Bestimmungen der Abkommen), müssten die Abkommen entsprechend modifiziert werden. Das würde auch Fragen ihres materiellen Geltungsbereichs aufwerfen, erfolgt doch mitunter nur eine teilweise Anlehnung an EU-Recht. Das Personenfreizügigkeitsabkommen etwa kennt gegenüber dem EU-Recht gewisse Abweichungen, so z. B. bei der Niederlassungs- oder der Dienstleistungsfreiheit, aber auch bei der Frage nach der Unionsbürgerschaft.


Zur Homogenität in der Rechtsauslegung und Rechtsanwendung

Besteht das Ziel eines völkerrechtlichen Abkommens darin, einen Teil des definierten Unionsbesitzstands auf die Beziehungen zu einem Drittstaat auszudehnen (wie dies bei zahlreichen der bestehenden bilateralen Abkommen der Fall ist und sowohl von der EU als auch der Schweiz auch in Bezug auf künftige Abkommen wohl in noch stärkerem Mass angestrebt wird), so genügt ein paralleler Rechtsbestand nicht. Vielmehr muss dieser auch «homogen» ausgelegt und angewendet werden, was auch eine entsprechende Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH impliziert. In den bestehenden Abkommen sind diese Fragen – wenn überhaupt – nur rudimentär geregelt, sieht man einmal von der Schengen/Dublin-Assoziierung ab. Es erstaunt deshalb nicht, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung wie auch diejenige des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Bezug auf die bislang in der Rechtsprechung relevant ge­wordene Auslegung des Personenfreizügigkeitsabkommens durchaus unterschiedliche Tendenzen aufweisen. Dabei ist es interessant festzustellen, dass das Bundesgericht sich bei der Auslegung des Abkommens offenbar viel enger an die Rechtslage in der EU – unter Einschluss der neuen Rechtsprechung des EuGH – anlehnt als der EuGH. Allerdings kann die Rechtsprechung des EuGH noch nicht als gefestigt bezeichnet werden.
Vgl. ausführlich zur Auslegung der Bilateralen Abkommen, m.w.N., Epiney/Metz/Pirker (Fn. 1), passim.Vor diesem Hintergrund impliziert eine homogene Rechtsanwendung und Rechtsauslegung zuallererst eine klare Formulierung der Abkommen in dem Sinn, dass ausdrücklich und im Umfang genau auf die «übernommenen» Teile des Unionsrechtsbesitzstands hingewiesen und die Parallelität der Zielsetzungen und – daran anschliessend – der Auslegung unterstrichen wird. Gerade in Bezug auf bereits bestehende Abkommen dürfte dies mitunter nicht ganz einfach sein, wurden hier doch teilweise sehr differenzierte Lösungen gefunden, wie etwa einige Bestimmungen im Anhang I des Personenfreizügigkeitsabkommens illustrieren.


Überwachung und Gerichtsbarkeit: Nationale oder internationale Mechanismen?

Darüber hinaus muss – insoweit besteht durchaus Einigkeit – sichergestellt werden, dass die Anwendung der Abkommen auch in der Schweiz (in der EU sind hierfür Kommission und Gerichtshof zuständig) von einer unabhängigen Stelle überwacht wird und ein gerichtlicher Rechtsschutz zu gewährleisten ist. Obwohl die Vorschläge des Bundes­rates diese Zielsetzungen wohl hätten er­reichen können, ist davon auszugehen, dass sowohl für die Überwachungsbehörde als auch für die gerichtliche Kontrolle rein nationale Mechanismen von der EU nicht akzeptiert würden und daher «internationale Mechanismen» notwendig sind. Ein internationales gerichtliches Organ dürfte auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH (nur) für die Anwendung und Auslegung der Abkommen in der Schweiz – bzw. allenfalls darüber hinaus anderen Drittstaaten – zuständig sein, da der EuGH es als mit den ­EU-Verträgen unvereinbar ansieht, dass internationale Gerichte in Bezug auf Völkervertragsbestimmungen, die sich an EU-Recht anlehnen, auch mit Bindungswirkung für die EU entscheiden können.
Gutachten 1/91 (EWR I), Slg. 1991, I-6079; s. auch ­Gutachten 1/92 (EWR II), Slg. 1992, I-2821.Eine bereits seit einiger Zeit in diesem Zusammenhang diskutierte Erweiterung der Zuständigkeiten des für die Auslegung des EWR-Rechts in den Efta-Staaten zuständigen Efta-Gerichtshofs sowie der Efta-Überwachungsbehörde kommt zwar grundsätzlich auch in Betracht und ist aus rechtlicher Sicht realisierbar. So könnte man diesen Gerichtshof – gegebenenfalls unter Beteiligung eines Schweizer Vertreters – auch mit gewissen Zuständigkeiten für die Auslegung und Streitbeilegung im Zusammenhang mit den bilateralen Abkommen ausstatten und die Befugnisse der Efta-Überwachungsbehörde entsprechend erweitern. Allerdings sind die Rechtsbestände des EWR-Rechts und des bilateralen Rechts nicht parallel. Und auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, warum Richter aus Norwegen, Island und Liechtenstein über die Auslegung der bilateralen Abkommen in der Schweiz entscheiden sollen (entsprechendes gälte für die Efta-Überwachungsbehörde). Ohne grössere institutionelle Modifikationen – etwa im Sinne einer Art de facto (Teil-)EWR-Mitgliedschaft der Schweiz, was die Komplexität der Struktur der bilateralen Abkommen wohl nicht wirklich reduzierte – könnten daher die EWR-/Efta-Institutionen wohl keine Zuständigkeiten in Bezug auf Nicht-EWR-Staaten übernehmen, ohne dass hier nicht gewisse in­stitutionelle Inkohärenzen zu gewärtigen wären.


Mögliche Lösung: Zwei neue 
unabhängige Organe

Es erscheint allerdings durchaus denkbar, internationale Mechanismen sowohl in Bezug auf eine Überwachungsbehörde als auch in Bezug auf eine Gerichtsinstanz vorzusehen. «International» dürfte wohl so zu verstehen sein, dass keine eigentliche Einbettung in die bestehenden, rein nationalen Strukturen erfolgte. Vor diesem Hintergrund könnte man sich (letztlich parallel zum Ansatz im EWR-Recht bzw. in Bezug auf die Efta-Institutionen) vorstellen, zwei neue (unabhängige) Organe zu schaffen, die in einem Abkommen – eben naheliegenderweise dem zu schaffenden Rahmenabkommen – vorgesehen sind und welche die Aufgaben der Überwachung und der gerichtlichen Kontrolle im Wesentlichen nach dem Vorbild der für die Überwachung und Auslegung des EWR-Rechts zuständigen Efta-Organe übernähmen. International wären solche neuen Gremien schon deshalb, weil sie aufgrund eines Abkommens zwischen der EU und der Schweiz einzurichten wären. Darüber hinaus wäre auch ihre Zusammensetzung international auszurichten. So wäre es etwa vorstellbar, eine gleiche Zahl an aus der Schweiz und aus dem (EU-)Ausland in der Behörde und im Gericht plus einen Präsidenten/eine Präsidentin vorzusehen (Dreier- oder Fünfergremium). Die Zuständigkeiten würden sich an diejenigen der entsprechenden Efta-Organe anlehnen. Auf diese Weise gäbe es für die Schweiz eine im Ergebnis parallele Struktur (wie im Rahmen der Efta für die Efta-Säule des EWR, ebenfalls mit einer Zwei-Säulen-Struktur), die jedoch auf die bilateralen Abkommen zugeschnitten wäre. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass der Aufbau einer solchen neuen Struktur einigen Aufwand mit sich brächte. Im Übrigen ist es keineswegs sicher, dass sie die mit ihr verfolgten Zielsetzungen wirklich im Ergebnis besser zu erreichen vermöge als die Vorschläge des Bundesrates. Eine andere Möglichkeit wäre die Betrauung des EuGH mit der Kompetenz, auch mit Wirkung für die Schweiz über die Auslegung der bilateralen Abkommen zu entscheiden. Solchen Urteilen des EuGH müsste wohl verbindliche Wirkung zukommen. Der Europäischen Kommission könnte die Überwachung der Abkommen übertragen werden. Diese Lösung lehnt sich an den im Luftverkehrsabkommen gefundenen Mechanismus an, stiesse aber in der Schweiz wohl auf Akzeptanzprobleme.


Fazit

Die Zukunft wird zeigen, ob sich die EU und die Schweiz auf für beide Seiten zufriedenstellende Lösungen einigen können, insbesondere was die institutionellen Fragen betrifft. Die bisherigen Ausführungen konnten aufzeigen, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass die Schweiz und die EU trotz der derzeit bestehenden Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die im Vordergrund stehenden institutionellen Fragen zu einer Einigung kommen. Insofern dürfte der bilaterale Weg keineswegs am Ende sein. Nicht zu verkennen ist im Übrigen, dass ein EU-, aber auch ein EWR-Beitritt zwar aus institutioneller Sicht möglicherweise vorteilhafter wäre und in materieller Hinsicht – je nach Umfang neuer bilateraler ­Abkommen und des «autonomen Nach­vollzugs» – gar nicht so weit hinter den bilateralen Abkommen zurückbliebe, wenn man auch über die Wünschbarkeit dieser Optionen insgesamt unterschiedlicher Meinung sein kann. Allerdings dürften sich derzeit jedoch keine politischen Mehrheiten für die eine oder andere dieser Optionen finden lassen. Damit bleibt beim derzeitigen Stand der Dinge aus realpolitischer Sicht nur die Fortführung des bilateralen Weges. Dies ändert aber nichts daran, dass die Diskussion über alle europapolitischen Optionen geführt werden sollte. Insbesondere sollte auf die bereits bestehende ausgesprochen enge Einbindung der Schweiz in das Unionsrecht hingewiesen und die – aus institutioneller Sicht negativen – Implikationen einer Ausweitung der Teilnahme der Schweiz am europäischen Binnenmarkt und an weiteren Unionspolitiken auf dem Weg der bilateralen Abkommen verdeutlicht werden.


Kasten 1: Die zwei Pakete der bilateralen Abkommen

Die zwei Pakete der bilateralen Abkommen

Die Bilateralen I wurden am 21.6.1999 unterzeichnet und sind am 1.6.2002 in Kraft getreten. Sie betreffen die Bereiche Personenfreizügigkeit, Forschung, technische Handelshemmnisse, landwirtschaftliche Produkte, Landverkehr, Luftverkehr und öffentliches Austragswesen. a

Die Bilateralen II wurden im Oktober 2004 unterzeichnet und sind inzwischen (mit der bemerkenswerten Ausnahme des Betrugsabkommens) in Kraft. Sie erfassen die Besteuerung der Ruhegehälter von in der Schweiz ansässigen EU-Beamten, verarbeitete Landwirtschaftsprodukte, die Teilnahme der Schweiz an der Europäischen Umweltagentur, Zusammenarbeit im Bereich der Statistik, die Teilnahme an verschiedenen Programmen in den Bereichen Bildung, Berufsbildung und Jugend, «Schengen» und «Dublin», Zinsbesteuerung und Betrugsbekämpfung. b

a Vgl. den Text aller Abkommen in BBl 1999, 6489 ff., ABl. 2002 L 114, 1 ff.

b Vgl. den Text aller Abkommen in BBl 2004, 5965 ff.


Kasten 2: Zur Verwendung des Begriffs ­«bilaterale Abkommen»

Zur Verwendung des Begriffs ­«bilaterale Abkommen»

Der Ausdruck «bilaterale Abkommen» ist im Wesentlichen in der Schweiz gebräuchlich und im Gegensatz zu dem als multilateral angesehenen Ansatz des EWR zu sehen. Aus rechtlicher Sicht ist er jedoch zumindest ungenau, da die Abkommen wegen der Beteiligung der Mitgliedstaaten neben der EU selbst teilweise multilaterale Abkommen darstellen. Daher trifft der Ausdruck «sektorielle Abkommen», der auf die bereichsspezifische Regelung der verschiedenen Dossiers Bezug nimmt, die Rechtslage eigentlich besser. Gleichwohl werden im Folgenden die in der Schweiz gebräuchlichen Ausdrücke «Bilate­rale I» und «Bilaterale II» verwendet.

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Leserreaktion: Prof. Christa Tobler, Europainstitut Universität Basel (PDF, 1600KB)

Prof. Dr. Astrid Epiney

Geschäftsführende ­Direktorin des Instituts für Europarecht, ­Universität Fribourg

Zitiervorschlag: Epiney, Astrid (2013). Die Schweizer Europapolitik: Wie tragfähig ist der ­Bilateralismus? Die Volkswirtschaft, 01. Januar.