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Hochpreisinsel Schweiz: Die Rolle des Kartellrechts

Nicht nur Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern wirken preistreibend, sondern auch bestimmte Absprachen in der Lieferkette sowie Missbräuche marktbeherrschender Unternehmen. In der Vergangenheit wurde in einseitiger Interpretation industrieökonomischer Erkenntnisse versucht, die Reichweite des Kartellrechts zurückzufahren. Eine Gegenbewegung bemüht sich nun um eine hochpreisorientierte Aufrüstung der kartellrechtlichen Tatbestände. Eine systemkonforme Verbesserung der existierenden Regeln wäre dieser Entwicklung vorzuziehen.
Der Verfasser bringt seine persönliche Auffassung zum Ausdruck.

Ausgangslage


Bereits die Revision des Kartellgesetzes (KG) im Jahr 2003 verfolgte das Ziel, die Bedeutung des Kartellrechts im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz zu stärken. Der damals eingefügte Artikel 5 Absatz 4 KG stellt die Vermutung auf, dass Abreden über vertikale Preisbindung und absoluten Gebietsschutz den wirksamen Wettbewerb beseitigen. Verstösse sind mit direkten Sanktionen bedroht. Preistreibende Abschottungen des Schweizer Markts sollen hierdurch unterbunden werden.Der preisbedingte Leidensdruck nahm in den Folgejahren allerdings so stark ab, dass im Rahmen der 2009 abgeschlossenen Evaluation des Kartellgesetzes die Forderung erhoben wurde, Artikel 5 Absatz 4 KG zu streichen. Erst die Diskussion um die 2011 kulminierende Frankenstärke und die zögerliche Weitergabe von Währungsvorteilen an Schweizer Kunden führte zu einem Umdenken. In der Botschaft des Bundesrats zur KG-Revision vom Februar 2012 ist von einer Abschaffung der Vorschrift nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Die Vermutungstatbestände in Artikel 5 KG sollen zu Teilkartellverboten verschärft werden.Vor diesem Hintergrund ist der Beitrag des Kartellrechts zur Herstellung eines fairen Preisniveaus in der Schweiz zu klären. Zur Veranschaulichung der Problematik sei folgendes Beispiel angeführt: Ein Schweizer Unternehmen bestellt ein Markenprodukt bei einem Lieferanten im Ausland. Die Lieferung wird ihm unter Hinweis darauf verweigert, dass die Bestellung beim Generalimporteur für die Schweiz erfolgen solle. Der Preis des Generalimporteurs liegt 40% über dem Preis des ausländischen Lieferanten. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass dieser Vorgang nur unter bestimmten Voraussetzungen kartellrechtswidrig ist. Überdies bestehen erhebliche Beweisprobleme. Die rechtspolitischen Konsequenzen werden zu ziehen sein. Allerdings zeigt sich auch, dass die Rolle des Kartellrechts in der Hochpreisproblematik beschränkt ist.

Horizontalabreden


Sprechen Konkurrenten die Preise ab oder schotten sie den Schweizer Markt vom Ausland ab, liegen Kernbeschränkungen vor, gegen die auf der Grundlage des Kartellverbots vorgegangen werden kann. Neben den klassischen Preiskartellen sei aus der Praxis der Wettbewerbskommission der Fall IFPI Schweiz (2012) hervorgehoben. Der Dachverband der Ton- und Tonbildträgerhersteller in der Schweiz und seine Mitglieder ­verpflichteten sich im Rahmen einer einvernehmlichen Regelung, Parallelimporte weder zu unterbinden noch zu erschweren. Liegen Horizontalabreden vor und kann deren Existenz auch bewiesen werden, steht dem Einsatz des Kartellrechts gegen preistreibende Absprachen nichts im Wege.

Vertikale Preisbindung


Absprachen zwischen Wettbewerbern bilden aber nur einen kleinen Ausschnitt aus der Hochpreisproblematik. Im Vordergrund stehen die Regeln über Vertikalabreden. Die erste der von Artikel 5 Absatz 4 KG erfassten Verhaltensweisen ist die vertikale Preisbindung, also die Vorgabe von festen oder minimalen Endverkaufspreisen. Der Gesetzgeber hat mit diesem Vermutungstatbestand klargestellt, dass die Händler bei der Bestimmung der Endverkaufspreise im Prinzip frei sein sollen. Wegen Verletzung dieser Vorgabe hat die Wettbewerbskommission Geldbussen in den Fällen Baum- und Gartenscheren (2009), Hors-Liste-Medikamente (2009) und Altimum (2012) verhängt. In letzterem Fall, in dem es um Bergsportartikel ging, hat sie besonders darauf hingewiesen, dass vertikale Preisbindung zum Phänomen der Hochpreisinsel Schweiz beiträgt.

Absoluter Gebietsschutz


Im Eingangsbeispiel geht es nicht um die Festlegung der Endverkaufspreise. Das Schweizer Unternehmen wird schlichtweg nicht aus dem (billigeren) Ausland beliefert. Einschlägig für solche Fallkonstella­tionen ist die zweite Alternative in Artikel 5 Absatz 4 KG: Es wird vermutet, dass wirksamer Wettbewerb beseitigt wird, wenn Gebietsschutzklauseln in Vertriebsverträgen so weit gehen, dass Verkäufe in die zugewiesenen Gebiete durch gebietsfremde Vertriebspartner ausgeschlossen werden. Die etwas gewundene Formu­lierung greift Entwicklungen im europäischen Kartellrecht auf und bringt zum Ausdruck, dass die exklusive Zuweisung von Gebieten an einen Händler durchaus zulässig sein kann. Die rote Linie wird erst dann überschritten, wenn der Gebietsschutz verab­solutiert wird: nämlich wenn das Vertragswerk einem Händler verbietet, auf unaufgeforderte Lieferanfragen zu reagieren, die von Interessenten aus fremden Exklusivgebieten stammen (sogenannte passive Verkäufe). Die Kunden sollen also die Möglichkeit behalten, Ausschau nach den besten Konditionen zu halten und dort einzukaufen, wo ihnen diese am günstigsten erscheinen.Die Wettbewerbskommission büsste einschlägige Verstösse in den Fällen Gaba (2009), Nikon (2011) und BMW (2012). Die Fälle haben die Gemeinsamkeit, dass Lieferungen von Markenprodukten aus dem Ausland in die Schweiz ausgeschlossen wurden (zur EWR-Klausel siehe Kasten 1

EWR-Klauseln


Die Wettbewerbskommission hat mehrere Verfahren mit Bezug zum Thema Hochpreis­insel durchgeführt. Ein Beispiel ist der Fall 
Nikon (2011). Nach den Feststellungen der Wettbewerbskommission hat Nikon den Schweizer Markt durch Exportverbote in ausländischen Vertriebsverträgen und Bezugsverbote in inländischen Vertriebsverträgen abgeschottet. In ausländischen Vertriebsverträgen fanden sich sogenannte «EWR-Klauseln», die den ausländischen Händler dazu verpflichten, die Vertragsprodukte nicht ausserhalb des EWR zu verkaufen. Ein Weitervertrieb in die Schweiz ist demnach ausgeschlossen, selbst wenn die Lieferanfrage aus der Schweiz auf eigener Initiative beruht.

Ähnlich gelagert ist der Fall BMW (2012). Auch hier enthielten die Verträge mit den zugelassenen Händlern im EWR Klauseln, die es den Händlern verbieten, Neufahrzeuge der Marken BMW und Mini an Kunden ausserhalb des EWR zu verkaufen. Parallelimporte in die Schweiz wurden also vertraglich untersagt. In beiden Fällen verhängte die Wettbewerbskommission direkte Sanktionen in Millionenhöhe. Beschwerden vor dem Bundesverwaltungsgericht sind hängig.

). Die Fälle zeigen, dass eine wichtige Funktion von Artikel 5 Absatz 4 KG darin besteht, die Möglichkeit von Parallelimporten in die Schweiz zu gewährleisten. Dieses Ziel wird vom Gesetzgeber so hoch gewertet, dass er im Zug der KG-Revision 2003 eine Spezialregelung ins Gesetz aufgenommen hat (Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 KG), nach der Einfuhrbeschränkungen immer kartellrechtlicher Kontrolle unterliegen, auch wenn sie sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen.Der Bezug zur Hochpreisproblematik ist offensichtlich: Parallelimporte schaffen Preisdruck nach unten. Es besteht zwar immer die Möglichkeit, Wettbewerbsbeeinträchtigungen durch Gründe wirtschaftlicher Effizienz zu rechtfertigen, wie z.B. Innovationsförderung oder die Einführung neuer Produkte (zur ökonomischen Beurteilung vertikaler Beschränkungen siehe Kasten 2

Ökonomische Bewertung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen


Die Anwendung des Kartellrechts auf Wettbewerbsbeschränkungen in Vertriebsverträgen wird häufig mit dem Argument kritisiert, dass vertikale Beschränkungen unschädlich seien, soweit wirksamer Wettbewerb zwischen konkurrierenden Marken existiere. Wenn den Konsumenten der Preis für das eine Produkt zu hoch sei, könnten sie ja auf ein anderes ausweichen. Für die praktisch einschlägigen Fallkonstellationen ist das Argument allerdings zu grob. So ist der Interbrand-Wettbewerb häufig eingeschränkt, weil die Unternehmen kraft Markentreue über Marktmacht verfügen. Das speziell für vertikale Preisbindung einschlägige Argument, dass hierdurch «doppelte Marginalisierung» verhindert werde, würde eine Fixierung der Endverkaufspreise auf niedrigem Niveau rechtfertigen, während es in der einschlägigen Fallpraxis 
regelmässig um das Anliegen der Unternehmen geht, den Wiederverkaufspreis relativ hoch anzusetzen. Wenn reflexartig auf das Ziel verwiesen wird, dass Trittbrettfahrer ausgeschaltet werden sollen, ist dem zu entgegnen, dass hierfür die Einrichtung eines selektiven Vertriebssystems das geeignete Mittel ist. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass vertikale Preisbindung ein Signal an die Konkurrenz sein kann, das zur «Ruhe im Markt» und damit zur Kollusion aufruft.

). Rechtfertigungsgründe sind aber auf ihre Verhältnismässigkeit zu prüfen. Zudem ist darauf zu achten, dass die geltend gemachten Effizienzen auch in der Schweiz anfallen. Auf dieses Erfordernis ist bei Preisdifferenzierung zum Nachteil Schweizer Kunden besonders zu achten.

Anwendungsprobleme


Was bedeuten diese Vorgaben nun für den eingangs erwähnte Beispielsfall? Das Schweizer Unternehmen, dem die Belieferung aus dem Ausland verweigert wurde, hat keine Kenntnis der Abmachungen, die hinter der Lieferverweigerung stehen. Die Feststellung eines Kartellrechtsverstosses würde u.a. den Beweis voraussetzen, dass zwischen Produzent und Händlern nicht lediglich Exklusivität, sondern absoluter Gebietsschutz vereinbart wurde. Um diese Frage aufzuklären, bedarf es in der Regel des Eingreifens der Kartellbehörde, die über hoheitliche Ermittlungsbefugnisse verfügt.Der Nachweis absoluten Gebietsschutzes reicht allerdings nicht aus. Hierdurch wird lediglich die Vermutung aufgestellt, dass wirksamer Wettbewerb beseitigt wird. Die Vermutung kann umgestossen werden, wenn sich ergibt, dass auf dem Markt noch ausreichender Wettbewerb besteht. Ist dies der Fall (was in den bisher entschiedenen Fällen die Regel war), muss eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs nachgewiesen werden, was eine umfassende wettbewerbliche Wirkungsanalyse erfordert. Möchte der Schweizer Händler sein Recht selbst in die Hand nehmen und zivilrechtlich gegen die Lieferverweigerung vorgehen, würde er nach derzeit geltendem Recht wohl scheitern. Nur die Wettbewerbskommission kann den Sachverhalt zufriedenstellend aufklären. Hinzuweisen ist auch auf die grosse Bedeutung des Preisüberwachers, der die Preisentwicklung beobachtet und gegen die missbräuchliche Erhöhung und Beibehaltung von Preisen einschreitet.

Rechtliche Besonderheiten


Es existieren nicht nur praktische Anwendungsprobleme, sondern auch rechtliche Vorbehalte. Keine kontrollfähigen Wettbewerbsabreden liegen vor, wenn der Vertrieb direkt organisiert ist, z.B. beim Direktverkauf des Herstellers über das Internet, oder aber wenn die Absatzmittler zwar rechtlich, nicht aber wirtschaftlich selbständig sind. Auch auf konzerninterne Verhältnisse sind die Regeln über Wettbewerbsabreden zumeist nicht anwendbar. Hat ein Hersteller die Distribution ganz oder teilweise integriert, kann er die Vertriebswege und Endverkaufspreise also (kartellrechts-)frei gestalten.

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung


Aufgrund der genannten Schwierigkeiten ist das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a KG sind Lieferverweigerungen kartellrechtswidrig, wenn sie von einem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung ausgehen, und wenn keine objektiven Gründe hierfür bestehen. Die Vorschrift hilft dann weiter, wenn der Hersteller, dessen Produkte das Schweizer Unternehmen aus dem Ausland beziehen möchte, marktbeherrschend ist. Dies ist aber – auch bei Markenartikeln – nur ausnahmsweise der Fall. Etwas anderes würde gelten, wenn mit einem Teil der Literatur Abhängigkeit – d.h. relative Marktmacht – ausreichen würde. Diese Frage ist aber ungeklärt. Auch bei einer weiten Auslegung des Marktbeherrschungsbegriffs wären die Fälle der Abhängigkeit typischerweise der zivilrechtlichen und nicht der behördlichen Durchsetzung des Kartellrechts zuzuweisen. Auch der in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte Fall Rossignol (1975) aus Deutschland, in dem Kontrahierungszwang zu Lasten eines Skiproduzenten mit 8% Marktanteil angeordnet wurde, gehört zum Private Enforcement.

Motion Birrer-Heimo


Um alle genannten Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen und Schweizer Kunden einen Anspruch auf Belieferung aus dem Ausland zu ausländischen Konditionen zu verschaffen, wurde die Motion Birrer-Heimo auf den Weg gebracht. Hiernach soll es kartellrechtlich unzulässig werden, wenn Unternehmen, welche Markenprodukte im Ausland billiger als in der Schweiz verkaufen, sich weigern, Schweizer Kunden aus dem Ausland zu den dort geltenden Konditionen zu beliefern, wobei eine Rechtfertigung durch Legitimate Business Reasons vorbehalten bleibt. Somit müssten nicht mehr die Existenz einer Abrede und die anderen Voraussetzungen von Artikel 5 KG nachgewiesen werden. Es käme auch nicht auf das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung an. Entscheidend wäre, dass ein Preisunterschied zwischen Ausland und Inland beststeht und dass die Belieferung zu ausländischen Preisen und Geschäftsbedingungen verweigert wird. Der Beweis wäre leicht zu führen.Die Wirkung einer solchen Regel auf die Hochpreisproblematik wäre offenbar maximal, jedenfalls in statischer Betrachtungsweise: Schweizer Kunden könnten Belieferung im Ausland zu den dort geltenden Konditionen verlangen. Die Kaufkraft der Konsumenten würde hierdurch steigen. Unternehmen könnten billiger beschaffen, was absatzseitig ihre Wettbewerbsfähigkeit – gerade auch im Verhältnis zu ausländischen Konkurrenten – stärken würde. Allgemein würde sich etwas ändern an der unguten Situation, dass der Preis steigt, sobald der Kunde als Schweizer identifiziert wird.Die Nachteile der Motion ergeben sich aus einer dynamischen Betrachtungsweise: Die Lieferanten würden sich überlegen, ob sie sich dem Risiko der neuen Regel aussetzen möchten. Eine Ausweichmöglichkeit würde im Verzicht auf inländische Verteilstätten bestehen. Dann könnte keine unzulässige Preisdifferenzierung mehr vorliegen. Die Versorgung des Schweizer Marktes würde vollständig vom Ausland her erfolgen – mit allen Nachteilen, die hiermit verbunden sind.Wenn der Vertrieb im Inland dagegen aufrechterhalten bleibt, ergibt sich folgende radikale Änderung: Bisher ist der Grundsatz anerkannt, dass im Prinzip Vertragsfreiheit besteht, die nur ausnahmsweise und unter besonderen Voraussetzungen durchbrochen wird. Kommt es zur Annahme der Neuregelung, kehrt sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis um: Da die meisten Markenartikel im Ausland billiger zu haben sind als in der Schweiz und die Belieferungspflicht an das Merkmal der Preisdifferenzierung anknüpft (nicht an das Merkmal der Abhängigkeit, wie es die Rechtslage in Deutschland und Frankreich ist), würde der Kontrahierungszwang zur Regel und die Vertragsfreiheit zur Ausnahme. Es stellt sich die Frage, ob der ordnungspolitische Preis, der für ein durchaus berechtigtes Anliegen zu zahlen wäre, nicht zu hoch ist.

Lösungsmöglichkeiten


Systemkonform wäre es hingegen, den bestehenden Rechtsrahmen auszubauen. Wie in der Botschaft zur KG-Revision vom Februar 2012 vorgeschlagen, sind die Vermutungstatbestände des Artikels 5 KG in Teilkartellverbote umzuwandeln. Die Pflicht zur aufwändigen Wirkungsanalyse nach Umstossung der Vermutung entfiele. Der Nachweis des tatbestandsmässigen Verhaltens – also z.B. der Praktizierung vertikaler Preisbindung oder absoluten Gebietsschutzes – würde ausreichen. Die betroffenen Unternehmen hätten die Möglichkeit, eine Effizienzrechtfertigung vorzubringen, wofür sie – wie bereits nach geltendem Recht – letztlich die Beweislast tragen. Wünschenswert wäre auch eine Stärkung der privaten Kartellrechtsklagen. Die erwähnte Beweisnot eines Opfers absoluten Gebietsschutzes sollte durch einen besonderen kartellrechtlichen Auskunftsanspruch behoben werden.

Fazit


Dem Kartellrecht kommt eine wichtige Rolle im Kontext der Hochpreisinsel Schweiz zu. Beruhen die hohen Preise auf Absprachen unter Wettbewerbern oder auf illegaler Preisbindung in der Lieferkette, kann das Kartellrecht einschreiten. Gleiches gilt bei der Abschottung des Schweizer Markts aufgrund absoluten Gebietsschutzes in Vertikalabreden und bei der missbräuchlichen Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen. Sind die Preisunterschiede zum Ausland anderen Faktoren – z.B. den höheren Kosten und Löhnen in der Schweiz oder nach­frageseitig der höheren Kaufkraft – zuzuschreiben, ist nicht das Kartellrecht gefragt. Auch für die verzögerte Weitergabe von Währungsvorteilen sind viele Faktoren ­verantwortlich, von denen nur einige kar­tellrechtsrelevant sind. Um den Beitrag des Kartellrechts zu stärken, sind Gesetzesänderungen angezeigt. Die Vermutungstatbestände in Artikel 5 KG sind in Teilkartellverbote umzuwandeln. Ausserdem sollten die privaten Kartellrechtsklagen gefördert werden. Die genannten Reformen sind unumgänglich, wenn man den Beitrag des Kartellrechts zur Lösung der Hochpreisproblematik systemkonform optimieren möchte.

Kasten 1: EWR-Klauseln

EWR-Klauseln


Die Wettbewerbskommission hat mehrere Verfahren mit Bezug zum Thema Hochpreis­insel durchgeführt. Ein Beispiel ist der Fall 
Nikon (2011). Nach den Feststellungen der Wettbewerbskommission hat Nikon den Schweizer Markt durch Exportverbote in ausländischen Vertriebsverträgen und Bezugsverbote in inländischen Vertriebsverträgen abgeschottet. In ausländischen Vertriebsverträgen fanden sich sogenannte «EWR-Klauseln», die den ausländischen Händler dazu verpflichten, die Vertragsprodukte nicht ausserhalb des EWR zu verkaufen. Ein Weitervertrieb in die Schweiz ist demnach ausgeschlossen, selbst wenn die Lieferanfrage aus der Schweiz auf eigener Initiative beruht.

Ähnlich gelagert ist der Fall BMW (2012). Auch hier enthielten die Verträge mit den zugelassenen Händlern im EWR Klauseln, die es den Händlern verbieten, Neufahrzeuge der Marken BMW und Mini an Kunden ausserhalb des EWR zu verkaufen. Parallelimporte in die Schweiz wurden also vertraglich untersagt. In beiden Fällen verhängte die Wettbewerbskommission direkte Sanktionen in Millionenhöhe. Beschwerden vor dem Bundesverwaltungsgericht sind hängig.

Kasten 2: Ökonomische Bewertung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen

Ökonomische Bewertung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen


Die Anwendung des Kartellrechts auf Wettbewerbsbeschränkungen in Vertriebsverträgen wird häufig mit dem Argument kritisiert, dass vertikale Beschränkungen unschädlich seien, soweit wirksamer Wettbewerb zwischen konkurrierenden Marken existiere. Wenn den Konsumenten der Preis für das eine Produkt zu hoch sei, könnten sie ja auf ein anderes ausweichen. Für die praktisch einschlägigen Fallkonstellationen ist das Argument allerdings zu grob. So ist der Interbrand-Wettbewerb häufig eingeschränkt, weil die Unternehmen kraft Markentreue über Marktmacht verfügen. Das speziell für vertikale Preisbindung einschlägige Argument, dass hierdurch «doppelte Marginalisierung» verhindert werde, würde eine Fixierung der Endverkaufspreise auf niedrigem Niveau rechtfertigen, während es in der einschlägigen Fallpraxis 
regelmässig um das Anliegen der Unternehmen geht, den Wiederverkaufspreis relativ hoch anzusetzen. Wenn reflexartig auf das Ziel verwiesen wird, dass Trittbrettfahrer ausgeschaltet werden sollen, ist dem zu entgegnen, dass hierfür die Einrichtung eines selektiven Vertriebssystems das geeignete Mittel ist. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass vertikale Preisbindung ein Signal an die Konkurrenz sein kann, das zur «Ruhe im Markt» und damit zur Kollusion aufruft.

Kasten 3: Literaturhinweis

Literaturhinweis

  • Zäch/Weber/Heinemann (Hrsg.): Revision des Kartellgesetzes – Kritische Würdigung der Botschaft 2012 durch Zürcher Kartellrechtler, Zürich, St. Gallen 2012.

Zitiervorschlag: Andreas Heinemann (2013). Hochpreisinsel Schweiz: Die Rolle des Kartellrechts. Die Volkswirtschaft, 01. März.