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Ein globales System zur Identifikation der Rechtspersönlichkeit an Finanzmärkten

Derzeit verfügt der Finanzsektor über kein einheitliches, weltweit gültiges System für die Identifikation der Parteien von Finanzgeschäften – im Gegensatz zu anderen Branchen wie Konsumgüter, Medizin/Pharma oder Unterhaltung, die bereits erfolgreich einheitliche Identifikationssysteme eingeführt haben. Die Marktteilnehmer im Finanzsektor verwenden hingegen eine Reihe von Ansätzen, die sich je nach Land und Marktsektor unterscheiden. Dies führt zu einer Fragmentierung der Informationen und erschwert ihre Aggrega­tion. Die globale Legal Entity Identifier Initiative verfolgt das Ziel, ein weltweit anerkanntes Identifikationssystem zu schaffen.
Dieser Beitrag gibt die Meinung der Autoren wieder, die sich nicht unbedingt mit dem Standpunkt des Financial Stability Board deckt.



Eine Transaktionspartei kann heute in verschiedenen Systemen unterschiedlich registriert sein, so etwa J.P. Morgan unter den Namen «Morgan», «JP Morgan», «JPM» oder «J.P. Morgan». Ein automatisiertes System ordnet diese Varianten womöglich verschiedenen Firmen zu, was die Datenaggregation und -validierung sehr schwierig macht. Darüber hinaus können grosse Finanzinstitute unter Umständen mehrere Identifikationssysteme betreiben – z.B. je nach Geschäftssparte und Land. Um diese Probleme zu korrigieren, geben die einzelnen Unternehmen viel Geld zur Datenbereinigung sowie für die Entwicklung und den Betrieb interner Systeme für Datenabgleich und -aggregierung aus. Solche Systeme sind teuer und können nicht auf andere Firmen übertragen werden. Die Qualität der Daten, die Marktteilnehmern und Regulierungsinstanzen zur Verfügung stehen, ist in der Regel mangelhaft, was Risikomanagement, Aufsicht und Massnahmen zur Förderung der Finanzstabilität erschwert. Die Kosten der mangelhaften Finanzdaten sind über die gesamte Weltwirtschaft betrachtet hoch.

Aufbau eines globalen LEI-Systems


Die internationalen Finanzregulierungsgremien arbeiten aktiv an der Förderung und Umsetzung eines neuen Systems, das sämtliche an Finanzgeschäften Beteiligten auf unverwechselbare Weise identifiziert. Dieses System wird ein zentraler Grundstein für eine robuste weltweite Finanzdateninfrastruktur sein. Federführend bei der Entwicklung eines globalen Systems zur Identifikation von Rechtspersönlichkeiten, des globalen Legal Entity Identifier System (LEI), ist das 
in Basel angesiedelte Financial Stability Board (FSB). Dieses setzt sich zusammen aus hochrangigen Vertretern von Finanzministerien, Zentralbanken, Aufsichtsinstanzen der wichtigsten Finanzplätze, internationaler normgebender Instanzen – wie dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden und der International Organization of Securities Commissions (Iosco) – sowie internationaler Finanzorganisationen wie IWF, OECD und BIZ. Als globales Gremium, das für die Koordinierung und Förderung der Arbeit nationaler Finanzaufsichtsinstanzen und internationaler normgebender Instanzen verantwortlich ist, wurde das FSB beauftragt, die Entwicklung eines gemeinsamen, weltweit gültigen Identifikationssystems für alle Marktteilnehmer zu koordinieren und zu fördern. Fachleute für globale Regulierung arbeiten dabei eng mit Spezialisten des privaten Sektors zusammen.
Um diese Zusammenarbeit zu erleichtern, schuf das FSB die Private Sector Preparatory Group (PSPG), die sich aus Branchenvertretern aus über 25 Ländern zusammensetzt (http://www.financialstabilityboard.org, 3. August 2012: FSB announces formation and launch of the LEI Private Sector Preparatory Group).

Ziele des LEI-Systems


Hauptziel des globalen LEI-Systems ist es, eine gemeinsame, standardisierte Identifikation für jeden Finanzmarktteilnehmer einzuführen. Angesichts der Globalisierung der Finanzmärkte soll ein einheitliches, weltweit gültiges Identifikationssystem geschaffen werden. Steht das System erst einmal, werden Benutzer in Baltimore, Beijing und Bern denselben Code verwenden, um Transaktionen mit einer gemeinsamen Gegenpartei zu identifizieren. Ein solches System wird mehrere Ziele der Finanzstabilität unterstützen: besseres Risikomanagement in den einzelnen Unternehmen, bessere Einschätzung firmenspezifischer und systemweiter Risiken, Erleichterung einer geordneten Liquidierung, Eindämmung von Marktmissbräuchen und Finanzbetrug sowie höhere Qualität und Genauigkeit von Finanzdaten insgesamt. Das System wird die operationellen Risiken in den einzelnen Firmen reduzieren, da interne Systeme für den Datenabgleich hinfällig werden. Zudem wird es die durchgängige automatisierte Bearbeitung erleichtern, wodurch operationelle Risiken und Betriebskosten erheblich sinken.Das globale LEI-System soll bis spätestens im März 2013 lanciert werden. In Folgenden wird dargelegt, wie der jetzige Ansatz die Herausforderungen meistert, an denen frühere Versuche, ein solches System einzuführen, gescheitert sind. Anschliessend wird der Stand der Dinge skizziert.

Weshalb hinkt der Finanzsektor 
hinterher?


Angesichts der vielfältigen Vorteile eines solchen gemeinsamen Identifikationssystems stellt sich die Frage: Warum hat die Finanzbranche nicht schon längst ein solches System entwickelt? Und warum sollte der jetzige Ansatz von Erfolg gekrönt sein, wenn doch frühere Versuche scheiterten? Die Antwort findet sich in der ökonomischen Theorie der öffentlichen Güter. Der Begriff der öffentlichen Güter wurde von Paul Samuelson in seinem Klassiker von 1954, The Pure Theory of Public Expenditure, eingeführt. Er definierte öffentliche Güter (kollektive Konsumgüter) als Güter, die von allen gemeinsam genossen werden können. Der Konsum des Gutes durch eine Person beeinträchtigt den Konsum desselben Gutes durch eine andere Person nicht.Zwei Hindernisse stehen der Schaffung eines öffentlichen Gutes oft im Wege:

  • Koordinationsprobleme, wenn Wirtschaftsakteure von kollektivem Handeln profitieren, ein einzelner Akteur jedoch aufgrund der ihm erwachsenden Kosten nicht von sich aus tätig wird;
  • Netzwerkprobleme, wenn der Erwerb eines bestimmten Gutes für einen Einzelnen umso vorteilhafter ist, je mehr andere es ebenfalls nutzen (bekanntestes Beispiel hierfür ist das Telefonnetz).

Klassisches Beispiel für ein öffentliches Gut


Das globale LEI-System ist ein klassisches Beispiel für ein öffentliches Gut. Ein gemeinsamer Ansatz für die Identifikation von Rechtspersönlichkeiten wäre für alle Beteiligten vorteilhaft. Einerseits ist jedoch für ein einzelnes Unternehmen der Anreiz zur einseitigen Einführung eines solchen Systems gering. Unternehmen A möchte, dass auch andere das firmeneigene System A für die Identifikation verwenden, da es dann keinerlei Kosten für Systemänderungen tragen müsste. Und ebenso würde Unternehmen B bevorzugen, dass auch andere das firmeneigene System B verwenden. In der Praxis besteht ein Problem des gemeinsamen Vorgehens und der Koordination, um Einigkeit darüber zu erzielen, dass ein bestimmtes Identifikationssystem das Beste wäre. Andererseits stellt sich bei jedem Identifikationssystem das Problem, dass ein erfolgreiches Netzwerk erst einmal lanciert werden muss. Ob es für die Unternehmen A und B interessant ist, ein gemeinsames System zu übernehmen, hängt vom Vorgehen der Unternehmen C, D etc. ab, da der Nutzen umso grösser ist, je mehr Parteien den gemeinsamen Identifikator einführen und je breiter seine Akzeptanz national und international ist. In der Lancierungsphase sind jedoch 
– wie bei anderen Netzwerkgütern auch – 
die Anreize für potenzielle Pioniere, ein 
gemeinsames Identifikationssystem wie LEI zu übernehmen, gering. Einige Branchen haben solche Koordinations- und Netzwerkprobleme erfolgreich gelöst – das Strichcode-System, das soeben sein 60-jähriges Bestehen feierte, ist ein klassisches Beispiel. Der 
Finanzsektor jedoch war bisher nicht in der Lage, die Hindernisse zu überwinden, sondern verliess sich allein auf freiwillige Übernahme und Marktanreize.

Gemeinsames Interesse der Akteure


Für die Finanzstabilität zuständige Instanzen und Nutzer von Finanzdaten im privaten Sektor haben ein gemeinsames Interesse daran, dieses Marktversagen zu überwinden. Daher hat das FSB als Koordinator der globalen Regulierungsinstanzen Anstoss für die LEI-Initiative gegeben mit dem Ziel, das Koordinationsproblem zu lösen und eine Einigung auf einen gemeinsamen Standard und dessen einheitliche Umsetzung zu ermöglichen. Nicht nur wird ein umfassendes regulatorisches Mandat allgemein als notwendige Voraussetzung für die Lancierung und Übernahme eines globalen Datenstandards angesehen, sondern es ist auch wesentlich, dass das System den Nutzern und Datenlieferanten klare Vorteile bietet, wenn es sich durchsetzen und langfristig Bestand haben soll. Wichtig ist, dafür zu sorgen, dass die ­gemeinsamen Standards für das LEI-System den Anforderungen der Nutzer sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors entsprechen. Die internationalen normgebenden Instanzen spielen beim Erreichen dieses Ziels eine wichtige Rolle. Insbesondere hat die Internationale Organisation für 
Normung (ISO) mit Sitz in Genf einen Standard für den LEI-Code entwickelt (ISO 17442:2012), der als grundlegender Identifikationsstandard für das globale LEI-System übernommen wird.

Organisations- und Betriebsstruktur


Der Erfolg des globalen LEI-Systems wird letztlich von seiner Offenheit, seiner Fairness und der Qualität der vom System gelieferten Daten abhängen. Dies sind wesentliche Voraussetzungen, um das Vertrauen aller Teilnehmer zu gewinnen. Aus diesem Grund ist die Organisationsstruktur des globalen LEI-Systems von zentraler Bedeutung. Um eine breit abgestützte, weltweite Übernahme sicherzustellen, muss das System den Teilnehmern Anreize bieten, kostenlose, korrekte und offene Identifikationsinformationen zu liefern, die für alle von Nutzen sind. Das FSB hat eine dreistufige Struktur für das globale LEI-System entworfen (siehe Grafik 1).
Siehe: http://www.financialstabilityboard.org, 8. Juni 2012: A Global Legal Entity Identifier for Financial MarketsAuf der obersten Stufe stehen öffentliche Instanzen aus aller Welt wie Zentralbanken, Finanzministerien, Markt- und Finanzaufseher sowie internationale Finanzorganisationen. Sie bilden zusammen das Regulatory Oversight Committee (ROC), das regulatorische Führungs- und Aufsichtsorgan. Aufgabe des ROC ist es, im allgemeinen öffentlichen Interesse für die Einhaltung der Führungsgrundsätze des globalen LEI-Systems zu sorgen und das System zu überwachen.
Siehe: http://www.financialstabilityboard.org, 5. November 2012: Charter of the Regulatory Oversight Committee for the Global Legal Entity Identifier (LEI) System. Jede öffentliche Instanz, welche die in der Charta aufgeführten Zulassungskriterien erfüllt, kann Mitglied des ROC werden, unabhängig davon, ob sie im FSB oder in der G20 vertreten ist.Eine der ersten Entscheidungen, die das ROC treffen muss, ist diejenige über Standort und Rechtsform der Global LEI Foundation. Diese wird die zweite Stufe des globalen LEI-Systems, die Central Operating Unit (COU), betreiben. Diese nicht gewinnorientierte Stiftung (oder gleichwertige Rechtsform) wird für die zentralen Funktionen des föderativen globalen LEI-Systems entsprechend den übergeordneten Standards des ROC verantwortlich sein. Standort und genaue Rechtsform der Global LEI Foundation werden einen wesentlichen Einfluss auf die gesamte Organisationsstruktur haben. Bei der Bestimmung des Standorts ist zu berücksichtigen, inwiefern das Recht des Sitzlandes die in der ROC-Charta beschriebene Organisationsstruktur unterstützt, um den Schutz des allgemeinen öffentlichen Interesses zu gewährleisten, und ob es unterschiedliche Standorte für die Stiftung und ihre operativen Tätigkeiten zulässt. Ein wesentliches Ziel der Global LEI Foundation wird sein, die Pflege einer ­«logisch» zentralisierten Datenbank der Identifikationen und entsprechenden Referenzdaten zu unterstützen. Wie beim Internet werden die Nutzer den Eindruck haben, die globale Datenbank entspreche einem einzigen nahtlosen System. Doch wie beim ­Internet werden die Daten physisch in ­verschiedenen lokalen Systemen rund um die Welt gespeichert sein. Auf der dritten Stufe finden sich somit die lokalen Systeme, die Local Operating Units (LOU). Um eine breite Akzeptanz der LEI-Initiative zu erreichen, ist es wichtig, lokale Dateninfrastruktur, Landessprachen und lokale Alphabete sowie lokale Rechtssysteme zu nutzen. Ein zentrales Ziel ist dabei, die Datenvalidierung auf lokaler Ebene durchzuführen, um die Korrektheit der Daten zu fördern. So werden z.B. japanische Gesellschaften in der Regel in Japan registriert und die Daten werden von japanischen Spezialisten auf Japanisch validiert. Die LOU werden vereinbarte gemeinsame Standards für das globale System einhalten müssen. Das System lässt jedoch den lokalen Instanzen einen gewissen Spielraum, ob sie ihre LOU selbst überwachen oder die Strukturen des ROC und der Global LEI Foundation in Anspruch nehmen wollen (siehe Grafik 2).

Stand der globalen LEI-Initiative


Nachdem die G20 die Charta des Regulatory Oversight Committee genehmigt hat, ist ein wichtiger Meilenstein des LEI-Projekts erreicht: Das ROC wird derzeit als ständiges, autonomes Führungs- und Aufsichtsorgan des globalen LEI-Systems eingerichtet.
Die Liste der LEI-ROC-Teilnehmer (per 28. Januar 2013) findet sich unter: http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_130111.pdf Anlässlich der Eröffnungssitzung des ROC, die Ende Januar 2013 in Toronto stattfand, übernahm das ROC vom FSB die volle Verantwortung für die Führung und Umsetzung der globalen LEI-Initiative. Bis zum 10. Januar 2013 hatten 45 Instanzen aus aller Welt der Charta zugestimmt; sie nahmen auch an der Eröffnungssitzung teil.Die nächsten Umsetzungsschritte sind die Bestimmung des Standorts der Global LEI Foundation und deren Einrichtung. Bis März 2013 soll dieses Organ gegründet sein. Gleichzeitig sollen die Ernennung des ersten Stiftungsrats und die Prozesse für die Integration der LOU und der COU vorbereitet werden. Damit entsteht eine solide Plattform für die Lancierung und Übernahme des LEI-Systems als Grundstein für die notwendige Entwicklung einer robusten weltweiten Finanzdatenarchitektur.

Grafik 1: «Dreistufige Struktur des globalen LEI-Systems»

Grafik 2: «Zusammenspiel zwischen globaler und lokaler Stufe des LEI-Systems»

Kasten 1: LEI und die Rolle der Schweiz

LEI und die Rolle der Schweiz


Als Mitglied des FSB ist die Schweiz an der Entwicklung des globalen LEI-Systems beteiligt und unterstützt das Ziel der Initiative, ein weltweit einheitliches und effizientes Identifikationssystem für Finanzmarktteilnehmer zu schaffen. Die Schweiz, vertreten durch das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF), wird als Beobachter am ROC teilnehmen. Auch Experten aus dem schweizerischen Privatsektor waren an der Entwicklung des globalen LEI-Systems beteiligt.

Auf nationaler Ebene ist bisher noch keine Entscheidung über die Umsetzung des LEI-Systems und die Einrichtung einer LOU 
getroffen worden. Die Identifikation von Finanz­instituten, die an Derivativgeschäften beteiligt sind, wird im Zuge der derzeitigen Reformen der Finanzmarktinfrastruktur und des Handels mit ausserbörslichen Derivaten angegangen, die vom Bundesrat im August 2012 angekündigt wurden.a

Angesichts der soliden und flexiblen Rechtsgrundlagen für nicht gewinnorientierte Stiftungen und ähnliche Einrichtungen wurde die Schweiz als Standort für die Global LEI Foundation gewählt.

a Siehe http://www.efd.admin.ch, Dokumentation, Medieninformationen, 29.08.2012: Bundesrat will ausserbörslichen Handel mit Derivaten und Finanzmarktinfrastruktur besser regeln.

Zitiervorschlag: Nigel Jenkinson, Irina Leonova, (2013). Ein globales System zur Identifikation der Rechtspersönlichkeit an Finanzmärkten. Die Volkswirtschaft, 01. März.