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Denk- und Importverbote

Der Schweizer Detailhandel braucht sich nicht zu verstecken. Er ist im internationalen Vergleich sehr effizient. Dank enger Partnerschaft mit den Bauern bieten wir Label-Produkte mit hohem Mehrwert. Und die Konsumentinnen und Konsumenten sind ­erfreulicherweise bereit, für solche Nahrungsmittel entsprechend mehr zu bezahlen. Zusammen mit Grossbritannien und den Niederlanden sind wir bei der nachhaltigen Beschaffung von Non-Food-Artikeln europaweit führend. Die Kehrseite der Medaille: Letztes Jahr wurde für rund 8 Mrd. Franken im Ausland eingekauft, nicht zuletzt im EU-Tiefpreisland Deutschland. ­Migros hat die Preise 2011 um 4% und 2012 um 1,4% gesenkt. Doch die Preisdifferenz – insbesondere zu Deutschland – bleibt zu hoch, und dies ist nicht zuletzt politisch gewollt. Der Reformschub, den sich Experten als positiven Effekt des boomenden Einkaufstourismus erhofft haben, ist ausgeblieben. Was ist zu tun?

An vier Stellschrauben drehen


Ein wichtiger Treiber des Einkaufstourismus sind die Körperpflege- und Hygieneprodukte. Im Rahmen der Kartellgesetzrevision kommt es demnächst zur Nagelprobe. Sollen internationale Konsumgüterhersteller Gewerbe und Handel hierzulande weiterhin zwingen können, ihre Topprodukte über ­ihren Alleinvertreiber in der Schweiz in Schweizer Franken zu beziehen? Oder soll die Wettbewerbskommission einschreiten können, wenn Schweizer Firmen diese im Ausland beschaffen möchten, der Hersteller es ihnen jedoch untersagt? Die Preisunterschiede sind gemäss einer Erhebung vom Dezember 2012 nach wie vor frappant: Nivea Styling Spray wird in deutschen Läden für umgerechnet 1,49 Franken angeboten, während der Einstandspreis in der Schweiz 3,30 Franken beträgt. Milupa Babymilch wird in Deutschland für 1,67 Franken verkauft – Einstandspreis Schweiz: 4,54 Franken. Auch das Ravensburger Spiel Xoomy Maxi ist im Einstand Schweiz (38,61 Fr.) weit höher, als es in Deutschland über den Ladentisch geht (28,46 Fr.).Ökonomen innerhalb und ausserhalb der Verwaltung verkünden mantrahaft den angeblich funktionierenden Interbrandwettbewerb. Will heissen: Wem Nivea in der Schweiz zu teuer sei, der könne ja auf ein anderes Produkt ausweichen. Doch weil andere Konsumgüterhersteller die höhere Schweizer Kaufkraft genauso abschöpfen, funktioniert dies nicht. Die Kunden bleiben dem Markenprodukt treu und kaufen es im Ausland ein. Die anschwellenden grenzüberschreitenden Einkaufsströme sind der empirische Beweis, dass die Interbrand-These überholt ist. Nivea-Kunden wechseln nicht die Marke, sondern das Einkaufsland – zum Schaden der Schweiz. Denn die Welt hat sich gewandelt. Heute herrscht dank Internet totale Preistransparenz, und die Mobilität ist hoch. Ausgerechnet Economiesuisse bekämpft als Gralshüterin des Freihandels den freien Import von Konsumgütern genauso wie weiland die Einführung von Parallelimporten patentgeschützter Güter. Die Grenzen für die Landwirtschaft öffnen, jedoch internationale Grosskonzerne gegen Preiswettbewerb in Schutz nehmen? Das ist keine konsistente Politik. Leider verweigert sich das Departement von Bundesrat Schneider-Ammann ebenfalls einer konstruktiven Lösung, als herrschte bezüglich überhöhter Importpreise ein Denkverbot.Massiv überhöht sind in der Schweiz auch die OTC-Produkte, also die freiverkäuflichen Heilmittel. In diesem Bereich ist die Schweiz im internationalen Vergleich sehr restriktiv. Nur relativ wenig Produkte können im Supermarkt gekauft werden, weshalb der Preiswettbewerb nur bedingt spielt. Der Bundesrat handelt nun, indem er das Abgaberegime lockern will. Nach langer Vorlaufzeit nimmt das Parlament die Revision des Heilmittelgesetzes in Angriff.Und bei den Lebensmitteln? Langfristig brauchen wir ein umfassendes Agrarabkommen mit der EU, auch um unsere hochwertigen Produkte hindernisfrei exportieren zu können. Doch die Zeichen stehen auf Abschottung. Es gilt in der Zwischenzeit zu prüfen, ob nach dem Käsemarkt auch der Fleischmarkt geöffnet werden könnte. Denn auch beim Fleisch ist die Preisdifferenz zum Ausland zu hoch. Der Preis ist jedoch nicht alles. In einem andern Bereich haben die Nachbarstaaten die Schweiz ebenfalls überrundet, nämlich bei den Ladenöffnungszeiten. Die deutschen Einkaufszentren an der Grenze zur Schweiz sind heute bis 22 Uhr geöffnet. In Italien hat die Regierung Monti tabula rasa gemacht. Selbst sonntags darf eingekauft werden. 
Im Vergleich dazu sind die Forderungen des Schweizer Detailhandels bescheiden. Wir plädieren für eine pragmatische Teilharmonisierung: Montag bis Freitag bis 20 Uhr 
und am Samstag bis 18 oder 19 Uhr. 
Entgegen ­gewissen Unkenrufen wollen wir kein 24-Stunden-Shopping. Gleichwohl bekämpft die Unia jede noch so kleine kunden­freundliche Verlängerung.

Fazit


Es ist an der Zeit, Import- und Denkverbote aufzuheben. ­Zudem müssen nach den Reformversprechen, die 2011 am Runden Tisch zur Frankenhausse abgegeben wurden, endlich Taten folgen.

Zitiervorschlag: Martin Schlaepfer (2013). Denk- und Importverbote. Die Volkswirtschaft, 01. März.