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Finanzsektorentwicklung: Bedeutung für Stabilität und Wirtschaftswachstum

Finanzsektorentwicklung: Bedeutung für Stabilität und Wirtschaftswachstum

Der Finanzsektorentwicklung kommt eine wichtige Rolle zu: Sie unterstützt das Wirtschaftswachstum und trägt zur Stabilität der Finanzmärkte bei. Eine vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und dem Graduate Institute for International and Development Studies in Genf organisierte Konferenz widmete sich der Thematik der finanziellen Integration und der Finanzsektorentwicklung. Die Konferenz beleuchtete insbesondere die Frage, wie durch ­Finanzsektorentwicklung Wachstum und Krisenresistenz von ­Entwicklungs- und Schwellenländern gefördert und die internationale Finanzstabilität verbessert werden kann. Der folgende Artikel fasst die Thematik zusammen und nimmt Erkenntnisse aus der ­Konferenz zur Rolle der Finanzsektorentwicklung auf.

Chancen und Risiken der Finanz­marktliberalisierung


Die finanzielle Globalisierung hat in den letzten zwei Dekaden stark zugenommen und auch Entwicklungs- und Schwellenländer erfasst. Im Vergleich zur Globalisierung von Waren- und Dienstleistungsmärkten ist der Nutzen der finanziellen Integration – d.h. der Öffnung von Märkten für Finanzflüsse und den Austausch von Finanzdienstleistungen – stärker umstritten. Dies liegt vor allem daran, dass mit der internationalen Verknüpfung auch das Risiko von Finanzkrisen steigen kann. Höheres Wirtschaftswachstum durch den Zugang zu ausländischem Kapital und einer effizienteren Allokation der Mittel steht einer zunehmenden Exponiertheit gegenüber Kapitalflüssen entgegen, die durch starke Schwankungen gekennzeichnet sind. Der Umkehrschluss, global wenig integrierte und schwach entwickelte Finanzsys­teme seien stabiler, stimmt jedoch nur begrenzt. Gerade schwach entwickelte Finanzsektoren können ihrerseits ein Stabilitätsrisiko darstellen – sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Zudem können wenig liquide und schlecht diversifizierte Finanzmärkte die Finanzprodukte, welche Haushalte, Unternehmen und der Staat benötigen, um sich zu finanzieren und abzusichern, nur in un­genügendem Mass bereitstellen. Allerdings bedingt die Öffnung und Entwicklung von Finanzsektoren, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen den Anforderungen entsprechend angepasst werden. Wie die Finanzkrise in Erinnerung gerufen hat, kann eine fehlende oder mangelhafte Regulierung und Finanzmarktaufsicht Krisen auslösen oder verstärken. Die Frage ist deshalb, wie finanzielle Öffnung mit der Entwicklung der Finanz­infrastruktur und des regulatorischen Rahmens in Einklang gebracht werden können. Eine vom Seco und dem Graduate Institute for International and Development Studies organisierte Konferenz unter dem Titel 
«Financial Development, Stability and Growth» widmete sich dem Einfluss der Finanzsek­torentwicklung auf die wirtschaftliche Integration, die finanzielle Stabilität und das Wirtschaftswachstum. Im Vordergrund stand die Frage, wie Finanzsektorentwicklung Wachstum und Krisenresistenz von Entwicklungs- und Schwellenländern fördern und einen Beitrag zur internationalen Finanzstabilität leisten kann.

Die Rolle der Finanzsektorentwicklung


Ein gut entwickelter Finanzsektor ist eine zentrale Grundlage für ein nachhaltiges, privatwirtschaftlich getriebenes Wirtschaftswachstum. Damit der Finanzsektor jedoch die für die Realwirtschaft wichtigen Funktionen übernehmen kann, müssen verschiedene Bedingungen gegeben sein: Finanzinstitute und -märkte müssen Instrumente und Dienstleistungen für Zahlungsabwicklung, Sparen und Investitionen – auch zu längeren Laufzeiten – sowie Anlagen zur Risikodiversifikation anbieten, was entsprechende Kenntnisse bei den Finanzakteuren voraussetzt. Diese Angebote können jedoch nur 
eine Breitenwirkung entfalten, wenn sie auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zugänglich sind. Gleichzeitig muss auch die Finanzmarktaufsicht und die Regulierung gestärkt werden. Schliesslich ist eine adäquate Fiskal- und Geldpolitik für das Vertrauen von Investoren, Unternehmen und Haushalten unabdingbar. Neben seiner zentralen Rolle in einer funktionierenden Wirtschaftsordnung ist ein tiefer – d.h. liquider – und diversifizierter Finanzsektor auch wichtig, damit die Chancen der finanziellen Integra­tion genutzt und die Risiken der internationalen Verflechtung reduziert werden können.

Finanzsektorentwicklung als Mittel ­gegen Finanzkrisen?


Wie eingangs erwähnt, besteht eine gewisse Güterabwägung zwischen finanzieller Integration sowie Zugang zu ausländischem Kapital, Märkten und Dienstleistungen, verbunden mit gewissen Risiken, auf der einen Seite und Schutz vor externen Schocks, verbunden mit dem Verzicht auf die Öffnung für ausländische Investitionen und Dienstleistungen, auf der anderen Seite. So haben beispielsweise im Gefolge der Finanzkrise Kapitalflüsse in die Schwellenländer stark zugenommen. Konfrontiert mit einem raschen Zuwachs an kurzfristigem Kapital, welches Währungen unter Aufwertungsdruck setzt und die Konkurrenzfähigkeit der Exportindustrie schwächt, haben zahlreiche Staaten Massnahmen zur Beschränkungen der Kapitalflüsse ergriffen. Die Vorzeichen der Kapitalflüsse kehrten jedoch wieder, als in den Industriestaaten Staatsgarantien für die Banken gesprochen wurden und deren Risiko für Anleger wieder sank. Diese Volatilität der Kapitalflüsse stellt Staaten, insbesondere Schwellenländer, vor grosse Herausforderungen.

Umstrittene Kapitalverkehrskontrollen


Der Erfolg und die Konsequenzen der Kapitalverkehrskontrollen, wie sie z.B. von Brasilien praktiziert und an der Konferenz zur Diskussion gestellt waren, wurden von den Experten kontrovers diskutiert. Rüdiger Ahrend von der OECD wies daraufhin, dass nicht das Volumen, sondern die Struktur der Kapitalflüsse für die Anfälligkeit auf eine Finanzkrise ausschlaggebend sei. Kapitalflüsse, welche ausländische Direktinvestitionen finanzierten, seien weit weniger volatil als ­etwa kurzfristige Bankkredite in ausländischer Währung. Wenig liquide und schlecht diversifizierte Zielmärkte erschweren dabei grundsätzlich den Umgang mit Kapitalflüssen. Externe Schocks können schlechter absorbiert werden, weil Risiken kaum diversi­fiziert werden können und die Flexibilität für staatliche Eingriffe beschränkt ist. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Staaten mit wenig entwickelten Finanzsystemen öfter fixe Wechselkursregime wählen, welche den makroökonomischen Spielraum einschränken. Die Entwicklung des Finanzsektors sollte deshalb mittelfristig den Spielraum zum Umgang mit volatilen Kapitalflüssen vergrössern und die Widerstandskraft stärken.

Signifikante internationale Auswirkungen


Eine Stärkung des Finanzsektors hat jedoch nicht nur Vorteile bei der Bewältigung des Umgangs mit volatilen Kapitalflüssen. Der Grad der Finanzsektorentwicklung kann auch signifikante internationale Auswirkungen haben, indem beispielsweise der Mangel an «sicheren» Anlagen im Inland die Nachfrage nach «sicheren» ausländischen Anlagen – insbesondere amerikanische Staatsanleihen – verstärkt. Das globale Ungleichgewicht zwischen Staaten mit einem hohen Handelsbilanzüberschuss (China) und einem Handelsbilanzdefizit (USA) gilt als eine Quelle grosser potenzieller Instabilität und dürfte auch eine der Ursachen der globalen Finanzkrise gewesen sein. Wie Prof. Ricardo Ca­ballero (MIT) aufzeigte, hat sich mit der ­Verschlechterung der Bonität zahlreicher staatlicher Schuldner das Missverhältnis zwischen verfügbaren «sicheren» Anlagen und der Nachfrage nach solchen noch akzentuiert. Caballero sieht darin ein substanzielles Stabilitätsrisiko. Um das Angebot nach sicheren Vermögenswerten zu steigern und Alternativen zur Abhängigkeit vom US-Dollars zu schaffen, müssen lokale Kapitalmärkte geschaffen werden, welche alternative Investitionsmöglichkeiten anbieten. Die Finanzsektorentwicklung in einem Land ist deshalb über die Landesgrenzen hinaus auch für die globale Finanzstabilität von Bedeutung. Aus nationaler Sicht viel wesentlicher ist aber, dass der Aufbau von Anleihemärkten das Risiko einer untragbaren Verschuldung in Fremdwährungen reduziert. Missverhältnisse zwischen Fremdwährungsschulden und der Kreditvergabe in einheimischer Währung waren einer der Hauptgründe für die zahlreichen Finanzkrisen in Entwicklungs- und Schwellenländern in den letzten Jahrzehnten. Hatte die einheimische Wertung aufgrund makroökonomischer Schwächen oder wegen Kapitalflucht stark an Wert verloren, nahm der Wert der Aussenschulden rasch ein untragbares Ausmass an.

Finanzsektorentwicklung unterstützt das Wirtschaftswachstum


Der Ausbau und die Stärkung des ­Finanzsektors ist eine entscheidende Grundvor­aussetzung für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Der Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu Finanzdienst­leistungen wie Krediten, Versicherungen und Vorsorgeinstrumenten ist für die Reduktion von Armut zentral. Ebenso benötigen Unternehmen – insbesondere KMU – Zugang zu Krediten, um ihre Rolle als Triebfeder für Wirtschaftswachstum in einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Ordnung wahrzunehmen. Dank der Öffnung der Grenzen für Kapitalflüsse und Finanzdienstleistungen steigt das Angebot, und die ­Effizienz des Kapitaleinsatzes wird gestärkt. Vermehrte Sparmöglichkeiten für private Haushalte ermöglichen es, eine grössere Masse von Ersparnissen für produktive Investitionen zu nutzen. Das Vertiefen des Finanzsektors trägt deshalb zu nachhaltigem Wachstum bei, welches seinerseits die Stabilitätsrisiken verringert. Dem Aufbau lokaler Kapitalmärkte für staatliche und private Schuldpapiere kommt dabei nicht nur aus Stabilitätsgründen eine wichtige Rolle zu. Vielmehr werden damit neue Investitionsmöglichkeiten für In- und Ausländer geschaffen. Der Staat erhält Finanzierungsmöglichkeiten, ohne sich in Fremdwährungen verschulden zu müssen. Durch die Öffnung des einheimischen Markts für ausländische Finanzdienstleister entsteht zudem ein Konkurrenzdruck, welcher das Angebot vergrössert und eine effizientere Allokation der Mittel bewirkt. In diesem Kontext wurde diskutiert, ob damit nicht auch das Risiko für Gaststaaten zunehme, dass ausländische Finanzinstitute im Krisenfall Kredite verknappen und Geld repatriieren würden. Tatsächlich haben etwa in Osteuropa internationale Finanzinstitute als Folge hoher Abschreibungen und wegen der Notwendigkeit, ihre Kapitalbasis – nicht zuletzt wegen neuer regulatorischer Anforderungen – zu stärken, Mittel aus den peripheren Staaten abgezogen. Wie Martin Brown (HSG) dargelegt hat, haben internationale Finanzinstitute die Verfügbarkeit der Kredite in den Peripheriestaaten zwar in gewissen Bereichen eingeschränkt, was jedoch vor allem auf die schlechtere Bonität der Schuldner zurückzuführen war. Er schätzt deshalb den volkswirtschaftlichen Nutzen, welcher die Öffnung des Marktes für ausländische Unternehmen mit sich bringt, in der Summe positiv ein.

Aufsicht und Regulierung: Ein Kernelement der Finanzsektorentwicklung


Die Frage, ob die finanzielle Integration und der Ausbau des Finanzsektors mehr Chancen als Risiken bergen, hängt wesentlich von den regulatorischen Rahmenbe­dingungen und der Qualität der Finanzmarktaufsicht ab. Enrique Mendoza (University of Maryland) hat darauf hin­gewiesen, dass Individuen in ihren Entscheidungen das Risiko eine Kreditverknappung, welche aus einer Finanzkrise entstehen kann, nicht antizipieren. Kommt es zu einem externen Schock, ist der volkswirtschaftliche Schaden in Abwesenheit einer staatlichen Regulierung substanziell höher als in einem Modell, welches den Spielraum (und damit Verschuldungsmöglichkeiten) der Individuen beschneidet. Dies spricht für einen (ex ­ante) regulatorischen Eingriff durch den Staat. Mendoza konzedierte allerdings, dass es in der Praxis unmöglich sei, die optimale Höhe des reglementarischen Eingriffs (in Form von Steuern) zu bestimmen. Neben dieser Informationsasymmetrie ist die regulatorische Aufgabe von einer weiteren Schwierigkeit geprägt: der Güterabwägung zwischen der Wahrung der für die Innovation unabdingbaren Wirtschaftsfreiheit und einer Eindämmung des Risikos einer Finanzkrise oder der Kosten im Ereignisfall. Konkret stehen Regulationsbehörden vor der Herausforderung, das richtige Mass der Regulierung zu finden, die Anreize richtig zu setzen und mit den Innovationen in der Finanzbranche Schritt zu halten. Letzteres hat sich gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern als zentrale Herausforderung erwiesen. Dank der raschen Ver­breitung innovativer Finanzinstrumente konnte der Zugang ärmerer Bevölkerungsschichten zu Finanzdienstleistungen stark verbessert werden. Unzureichende Finanzmarktaufsicht und ­regulatorische Rahmenbedingungen haben jedoch in verschiedenen Staaten – so z.B. in Peru, Indien oder Bangladesch – zu ­Verschuldungskrisen geführt, welche das ­Finanzsystem ernsthaft destabilisieren können. Wie die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat, sind angemessene regulatorische Rahmenbedingungen und der Schutz der Konsumenten von Finanzprodukten universelle Anliegen. Auch die zahlreichen Nichtbankenfinanzinstitute, welche teilweise ausserhalb der staat­lichen Aufsicht operieren, müssen hierbei berücksichtigt werden. Was selbst in Industriestaaten eine grosse Herausforderung darstellt, gilt umso mehr für Entwicklungs- und Schwellenländer mit begrenzten Mitteln und einem Mangel an qualifiziertem Personal. Die richtige Reihenfolge und Prioritätensetzung von Öffnungs- und Regulierungsschritten ist deshalb zentral.

Fazit


Entscheidungen über die Geschwindigkeit und Reihenfolge der Finanzsektorliberalisierung können nicht losgelöst von den regulatorischen Rahmenbedingungen und den institutionellen Möglichkeiten getroffen werden. Auch wenn Finanzsektorentwicklung zu mehr Stabilität und Wachstum beitragen und den Spielraum der Behörden vergrössern kann, dürfen die Risiken einer unausgewogenen Entwicklung nicht vernachlässigt werden. Diese Erkenntnisse ­unterstreichen die Relevanz eines gesamtheitlichen Ansatzes bei der Finanzsektorentwicklung, wie ihn das Seco im Rahmen seiner wirtschaftlichen Zusammenarbeit – in Kooperation mit multilateralen Partnern wie der Weltbankgruppe, dem IWF und den regionalen Entwicklungsbanken – seit Jahren verfolgt.

Kasten 1: Literaturhinweise

Literaturhinweise

  • Bianchi Javier, Boz Emine und Mendoza Enrique C. (2012): Macro-Prudential Policy in a Fisherian Model of Financial Innovation, NBER Working Papers 18036, National Bureau of Economic Research, Inc.
  • Caballero Ricardo und Krishnatmurthy Arvind (2009): Global Imbalances and Financial Fragility, NBER Working Papers 14688, National Bureau of Economic Research, Inc.
  • Ahrendt Rüdiger, Goujard Antoine und Schwellnus Cyrille (2012): International Capital Mobility: Which Structural Policies Reduce Financial Fragility?, OECD Economic Policy Papers 2, OECD Publishing.
  • Graduate Institute, Oktober 2012, Conference Financial Sector Development, Growth and Stability, In Zusammenarbeit mit dem SECO, Genf, http://graduateinstitute.ch/ctei/events/events_2012/fdsg.html

Zitiervorschlag: Rosmarie Schlup (2013). Finanzsektorentwicklung: Bedeutung für Stabilität und Wirtschaftswachstum. Die Volkswirtschaft, 01. März.