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Finanzielle Integration und Wirtschaftspolitik

Finanzielle Integration und Wirtschaftspolitik

Die finanzielle Globalisierung gehört zu den prägenden Wirtschaftstrends der vergangenen 25 Jahre. In diesem Zeitraum wuchsen die grenzüberschreitenden Vermögen wesentlich schneller als die Bruttoinlandprodukte. Neu ist diese für entwickelte Länder typische Konstellation auch in Schwellen- und Entwicklungsländern zu beobachten. Die Globalisierung schreitet dort zwar weniger schnell voran. Sie hinterlässt aber möglicherweise tiefere Spuren, weil die Wirtschaftspolitik in diesen Ländern auf einer weniger soliden Infrastruktur beruht.
Siehe Artikel Rosmarie Schlup auf S. 51 ff. der vorliegenden Ausgabe. Herzlichen Dank an Ouarda Merrouche, Ulrich Camen, Rosmarie Schlup und Marc Surchat für ihre Kommentare.

Eine vom Graduate Institute of International and Development Studies und vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gemeinsam organisierte Konferenz ermöglichte eine Bestandsaufnahme zur Entwicklung des durch die Globalisierung mitbestimmten Kapitalverkehrs und der damit verbundenen Auswirkungen. Der vorliegende Artikel befasst sich mit dem Einfluss der Globalisierung auf die Wirtschafts- und insbesondere die Geldpolitik. Ein erster Teil widmet sich den aktuellen Forschungsarbeiten zu dieser Frage. Danach folgen Vorschläge zur Unterstützung der Zentralbanken im Umgang mit dieser Problematik, namentlich im Rahmen des Programms Bilateral Assistance and Capacity Building for Central Banks (BCC). Das Graduate Institute führt dieses Programm im Auftrag des Seco durch.

Herausforderungen der Globalisierung für die Wirtschaftspolitik


Die zunehmende Mobilität des Kapitals im Zuge der Globalisierung ist in der makroökonomischen Analyse als Trilemma für die politischen Institutionen bekannt. Dieses besteht darin, dass drei Ziele erwünscht, aber nur zwei Ziele erreichbar sind. Das erste Ziel besteht in einer Geldpolitik, die den aktuellen Bedürfnissen der eigenen Volkswirtschaft angepasst ist. Das zweite Ziel ist ein stabiler Wechselkurs zur Vermeidung von Kursausschlägen, die dem Handel mit dem Ausland schaden. Drittes Ziel ist der freie Kapitalverkehr, der dafür sorgt, dass mit ausländischen Geldern lokale Bedürfnisse finanziert werden und die Anleger ihr Portefeuille diversifizieren können.Das Problem ist, dass eines dieser drei Ziele geopfert werden muss. Nehmen wir als Beispiel eine Zentralbank, die ihre Zinssätze anheben möchte, um eine Überhitzung der Volkswirtschaft zu vermeiden (erstes Ziel). Mit dem Zinsanstieg steigt die Attraktivität des Landes für Anleger und somit der Kapitalzufluss. Die Nachfrage nach der Währung des Landes nimmt zu, und diese verteuert sich auf den Devisenmärkten, was in Widerspruch zum zweiten Ziel steht. Die Zentralbank könnte den Wechselkurs stabilisieren, indem sie die Zinsschraube nur vorsichtig anzieht. Hier besteht aber ein Konflikt mit dem ersten Ziel. Beide Ziele lassen sich nur vereinbaren, wenn der Kapitalzufluss beschränkt wird, beispielsweise mit Kontrollen. Solche Massnahmen galten lange als inakzeptabel. Die Haltung von Wirtschaftsinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu dieser Frage ist aber längst nicht mehr so dezidiert.
Siehe Artikel von Marc Surchat auf S. 59 ff. der vorliegenden Ausgabe.

Unvollkommene Finanzmärkte


Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die finanzielle Globalisierung einen Einfluss auf die Geldpolitik haben kann. Mehrere Studien sind jedoch zum Schluss gekommen, dass dies nicht zwingend die Fähigkeit der Zentralbanken schmälert, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Siehe zum Beispiel Rogoff (2006). Dies gilt aber hauptsächlich für 
einen eher restriktiven Rahmen, in dem die Finanzmärkte effizient funktionieren, die Zentralbank glaubwürdig und in der Lage ist, wirtschaftliche Schwankungen klar zu interpretieren sowie angemessen darauf zu reagieren.Einen stärkeren Einfluss hat die Globalisierung auf die Geldpolitik, wenn das Umfeld nicht so eindeutig ist. Erstens funktionieren die Finanzmärkte nicht effizient – oder zumindest nicht immer. Dies hat die Krise mit einem deutlichen Rückgang der internationalen Tätigkeit der Banken klar gezeigt. Solche Bewegungen sind in der Ökonomie bekannt: Kapital strömt in Wellen (Bonanzas) in aufstrebende Märkte und versiegt ebenso plötzlich wieder (Sudden Stops).

Individuelle und nationale Interessen


Die finanzielle Globalisierung in einem Umfeld unvollkommener Märkte ruft zudem Verhaltensweisen hervor, die zwar für die Betroffenen, nicht aber für das ganze Land optimal sind. Ein Beispiel dafür ist ein Kreditboom.
Korinek (2010), Mendoza (2010). Wie einschneidend die Folgen sind, wenn die Märkte den Finanzierungsbedarf eines Staates plötzlich nicht mehr decken, ist von der Verschuldung des Landes abhängig. Dass das Land das Verschuldungsvolumen beschränkten sollte, wird von den einzelnen Kreditnehmern jedoch nicht berücksichtigt, da sie nur einen minimalen Einfluss auf 
die Verschuldung des gesamten Landes haben. Mit der Globalisierung ist es einfacher geworden, Kredite aufzunehmen, was die Überschuldung gewisser Länder – und die damit verbundenen Folgen – verstärken kann. Die Gefahr, dass die Finanzströme austrocknen, bewegen die Länder auch dazu, flüssige Reserven in Form von ausländischen Devisen zu bilden. Wenn das Volumen an sicheren und liquiden Vermögenswerten beschränkt und auf gewisse Länder konzentriert wird, kann dieses Sicherheitsstreben die Zahlungsbilanz aus dem Gleichgewicht bringen.
Auf diesen Punkt machte Ricardo Caballero an der Konferenz aufmerksam.Die Globalisierung hat zudem nur dann einen beschränkten Einfluss auf die Wirksamkeit der Geldpolitik, wenn die Zentralbanken sowohl die Ursachen von Konjunkturschwankungen kennen als auch die Kanäle, durch welche die verschiedenen Faktoren auf die Wirtschaft einwirken. Schliesslich trifft diese Analyse in der Regel auf reifere Volkswirtschaften zu; für die Schwellen- oder Entwicklungsländer sind aber Vorbehalte anzubringen. Denn in diesen Ländern sind die Statistiken häufig lückenhaft oder ungenau und die wirtschaftlichen Wechselwirkungen weniger gut untersucht. Ein solches Umfeld verkompliziert die Wirtschaftsanalyse und die Festlegung einer geeigneten Politik. Die finanzielle Globalisierung kann zusätzlich zur Komplexität der Situation beitragen, indem sie die Fluktuationen auf den Weltmärkten vergrössert.

Wirtschaftspolitik auf solide ­Basis ­stellen


Das Trilemma zeigt, dass es im Falle einer Öffnung für den Kapitalverkehr nicht möglich ist, gleichzeitig den Wechselkurs stabil zu halten und eine Geldpolitik zu verfolgen, die den Bedürfnissen des Landes dient. Kapitalkontrollen könnten dieses Problem beschränken; sie werden aber nur in bestimmten Situationen als vertretbar angesehen, zum Beispiel wenn eine Welle von Kapital ins Land strömt. Überdies ist die Umsetzung solcher Massnahmen alles andere als einfach.

Stärkung der Statistikinstrumente und des Know-hows über die Wirtschaftsmechanismen


Es ist deshalb wichtig, die Kapazitäten der Zentralbanken in Schwellen- und Entwicklungsländern mit mehreren, sich ergänzenden Ansätzen zu stärken. In einem ersten Schritt muss die Qualität der statistischen Daten gewährleistet werden; andernfalls ist kaum eine aussagekräftige Wirtschaftsanalyse möglich. Neben den Zahlen zum «realen» Wirtschaftssektor (Beschäftigung, Produktion) sollten auch die Finanzbewegungen – so etwa mit Statistiken zum Kapitalverkehr mit der übrigen Welt – betrachtet werden. Aber auch die Preisentwicklung und die Infla­tionserwartungen der Bevölkerung sind zu beachten.Wichtig sind auch vertiefte Kenntnisse über die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Damit lässt sich einerseits abschätzen, wie stark sich einzelne Volatilitätsfaktoren – wie z.B. die Rohstoffpreise oder die Weltkonjunktur – auswirken. Andererseits können die Mechanismen ermittelt werden, mit denen die Geldpolitik das Wachstum und die Inflation beeinflusst. Diese Aufgabe ist deshalb besonders anspruchsvoll, weil sich diese Mechanismen mit der Struktur der Wirtschaft verändern: Eine Liberalisierung des Bankensektors etwa kann bewirken, dass die Zinssätze, die Unternehmen und Haushalte bezahlen, stärker auf geldpolitische Massnahmen reagieren.

Klaviatur der Geldpolitik beherrschen


Verlässliche Statistiken und solide Kenntnisse über die wirtschaftlichen Zusammenhänge ermöglichen es, einen plausibleren Rahmen für die Geldpolitik zu entwickeln, dies sowohl auf strategischer als auch auf ope­rativer Ebene. Strategisch muss die Zen­tralbank entscheiden, wie stark sie einen ­stabilen Wechselkurs gegenüber den anderen Bedürfnissen des Landes gewichten will. Falls die Wechselkursschwankungen die Wirtschaftstätigkeit direkt und ausgeprägt beeinflussen, weil das Land z.B. ein hohes Importvolumen aufweist, ist dieser Frage besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In operativer Hinsicht sind detaillierte Kenntnisse über die geldpolitischen Mechanismen eine unabdingbare Voraussetzung für eine wirkungsvolle Politik. Konkret müssen die Zentralbanken bestimmen, welche Instrumente am besten für ihre Geldpolitik geeignet sind (Zinssätze, Reservesätze der Banken, in Umlauf befindliche Geldmenge): Eine solche Auswahl ist schwierig und bedingt die Fähigkeit zur Einschätzung der Wirkung dieser Instrumente. Wenn die Zentralbank die 
Mechanismen versteht, kann sie ihre Entscheidungen auch besser kommunizieren. Die Wirkung der Geldpolitik beruht teilweise auf Annahmen, welche die Wirtschaftsakteure zur Entwicklung der Wirtschaftslage und zur Reaktion der Zentralbank treffen. Deshalb ist eine klare Kommunikation ein Schlüsselelement zum Erreichen von Inflationszielen. In den meisten Industrieländern gehören dazu regelmässige Berichte der Zentralbank zur Wirtschaftslage, Pressekonferenzen sowie Erklärungen von Mitgliedern des Direktoriums. Die Geldpolitik wird dadurch für die Öffentlichkeit und die Märkte verständlicher, was zu stabileren Inflationserwartungen beiträgt und die Glaubwürdigkeit der Wirtschaftspolitik erhöht.

Schwankungen der Finanzinstitute einbeziehen


Die finanzielle Globalisierung hat auch die Notwendigkeit verstärkt, die Schwankungen in der Geschäftstätigkeit der Finanzins­titute in die Geldpolitik einzubeziehen. Dies gilt nicht nur für entwickelte Länder, in ­denen die Zentralbanken an Aufbau und Umsetzung sogenannter makroprudenzieller Massnahmen arbeiten, sondern auch für Schwellen- und Entwicklungsländer, die ihre Finanzmärkte für die übrige Welt öffnen. Ein konkretes Beispiel ist die Problematik der ineffizienten Kreditbooms.
Korinek (2010), Mendoza (2010). Zwar wurden in Analysen Reaktionsmöglichkeiten ermittelt, etwa in Form von Steuern auf Darlehen. Solche Strategien sind jedoch sehr schwierig umzusetzen, weil sie bedingen, dass sich spekulative Booms von solchen unterscheiden lassen, die eine dynamische Entwicklung der Wirtschaft eines Landes widerspiegeln, beispielsweise dank Produktivitätssteigerungen. Allfällige Massnahmen müssen deshalb äusserst sorgfältig vorbereitet werden.

Das BCC-Programm


Das BCC-Programm im Auftrag des Seco trägt mit verschiedenen Unterstützungsmassnahmen dazu bei, dass die Zentralbanken in den Partnerländern die notwendigen Kapazitäten erwerben können. Ein erster Ansatz besteht darin, gemeinsam mit den Zentralbanken den Bedarf zu ermitteln und mit gezielter fachlicher Unterstützung kohärente Kapazitäten aufzubauen. Diese fachliche ­Begleitung gewährleisten Experten mit vielfältigen Fachrichtungen bei Besuchen in den Partnerländern. Das abgedeckte Themenspektrum ist breit und umfasst bei­spiels­weise den Aufbau und die regelmässige Aktualisierung von Datenbanken nach internationalen Standards, Kurse für die Mitarbeitenden der Zentralbank zur Vermittlung eines soliden Know-hows über Wirtschaftsanalyen und Statistikmethoden sowie die Stärkung der operativen Kapazitäten in den Zentralbanken der Partnerländer, wie etwa bei Marktinterventionen.Ergänzt wird die fachliche Unterstützung im Rahmen des BCC-Programms durch eine Förderung der Forschungstätigkeit. Ziel ist dabei, die Analysekapazitäten der Zentralbanken aufzuwerten. Angewandte Forschung ist kein Luxus, sondern entscheidend für ein solides Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge und für die Erarbeitung einer geldpolitischen Strategie. Die Forschungsarbeit soll sich nicht darauf beschränken, die Wirtschaftsentwicklung zu kommentieren. Die Analysen sollen die zentralen Mechanismen der Wirtschaft ergründen und der Zentralbank so Erkenntnisse liefern, die über die kurze Frist hinausgehen. Gegenüber akademischen Einrichtungen haben die Ökonomen der Zentralbanken den Vorteil, dass sie mit detaillierteren (und häufig vertraulichen) Daten arbeiten können. Ausserdem stehen sie in engem Kontakt mit den Personen, welche die Geldpolitik in die Praxis umsetzen. Das BCC-Programm berücksichtigt, dass die Durchführung von Forschungsarbeiten andere Anforderungen stellt als die Analyse des wirtschaftlichen Tagesgeschehens. Insbesondere beinhaltet das Programm folgende Elemente:

  • eine Frage formulieren (und den mittelfristigen Bedarf der Institution ermitteln);
  • geeignete Analyse- und Statistikinstrumente bestimmen und dabei berücksichtigen, dass die verfügbaren Daten nicht vollkommen sind;
  • die Ergebnisse zusammenfassen und präsentieren.


Diese Kapazitäten werden beim Durchführen von Forschungsarbeiten erworben. Deshalb steht das Professorenteam des Graduate Institute den Experten der Partner-Zentralbanken bei Forschungsarbeiten mit seiner ganzen Erfahrung unterstützend zur Seite. Diese Unterstützung beinhaltet die Begleitung bei den Forschungsarbeiten und beim Verfassen eines Forschungsberichts im Partnerland sowie Aufenthalte der Forschenden während eines Semesters in Genf.Das BCC-Programm setzt darauf, dass die Mitarbeitenden der Zentralbanken vom ­Austausch mit den Experten stark profitieren. Künftig erfolgen diese Kontakte im Rahmen einer jährlich stattfindenden Konferenz in Genf sowie bei speziellen Workshops in den Zentralbanken der Partnerländer. Diese Konferenzen bieten den Forschenden der Institutionen eine Plattform, mit der sie ihre Arbeiten besprechen und ein Netzwerk aufzubauen können. Auch wirtschaftspolitische Entscheidungsträger können dort ihre Erfahrungen austauschen.

Fazit


Die finanzielle Globalisierung konfrontiert die wirtschaftspolitischen Institutionen mit neuen Chancen und Herausforderun-gen und verstärkt die Notwendigkeit einer ­zuverlässigen Infrastruktur als Basis der Wirtschaftspolitik. Das BCC-Programm unterstützt die Zentralbanken in den Partnerländern bei der Stärkung ihrer operativen und analytischen Kapazitäten. Dafür steht ein umfangreiches Expertenteam sowie ein Professorenteam mit solider Erfahrung in der Wirtschaftspolitik zur Verfügung.Im vorliegenden Artikel wurde der Schwerpunkt auf die Geldpolitik gelegt. ­Diese ist aber nicht das einzige Instrument, das den Behörden zur Verfügung steht. Sie können den Herausforderungen der finan­ziellen Globalisierung auch mit haushalts- oder strukturpolitischen Massnahmen begegnen, etwa durch den Ausbau der Infrastruktur zur Überwachung der Finanzmärkte.

Kasten 1: Literatur

Literatur

  • Korinek Anton: Regulating Capital Flows to Emerging Markets: An Externality View, mimeo, 2010.
  • Mendoza Enrique: Sudden Stops, Financial Crises and Leverage, in: American Economic Review, 2010, 100(5), S. 1941–66.
  • Rogoff Kenneth: Impact of globalization on monetary policy, in: Proceedings, Federal Reserve Bank of Kansas City, 2006, S. 265–305.

Zitiervorschlag: Cédric Tille (2013). Finanzielle Integration und Wirtschaftspolitik. Die Volkswirtschaft, 01. März.