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Der Schweizer Tourismus im Bann der Multioptionsgesellschaft

Eine Milliarde Touristen reisten im Jahr 2012 weltweit – ein neuer Rekord, der Anlass zum Feiern gibt. Diese Entwicklung zeigt mit aller Deutlichkeit die Auswirkungen der fortschreitenden Globa­lisierung auf. Damit verbunden ist eine Verschärfung des Wett­bewerbs und das Auftauchen neuer Mitbewerber, aber auch neuer Nachfragemärkte. Entstanden ist ein weltweiter Marktplatz mit egalitären Spielregeln, die vor der Beständigkeit der touristischen Vergangenheit und Werthaftigkeit der Schweiz kaum Halt machen.

Strukturen auf das Minimum reduzieren


Die Gewinner der Globalisierung sind ­jene, welche die sich schnell ändernden ­Rahmenbedingungen zu ihrem Vorteil auszunutzen vermögen. Die regelmässig wiederkehrenden Aufrufe zu Strukturwandel, ­Kooperation und Innovation sollten uns eigentlich dazu veranlassen, die Zukunftsperspektiven für den Schweizer Tourismus neu zu beurteilen und zu gewichten. Stattdessen bleiben sie zu oft leere Floskeln. Doch die Tourismuslandschaft Schweiz ist von historisch gewachsenen Strukturen durchdrungen – fast wie ein unüberschaubares Wurzelgewächs, das stetig neuen Nährböden findet. Kappt man einige der Wurzeln, wachsen sie in neuer Form nach. Fällt man den Baum, sterben die Wurzeln. Beides ist wenig wünschenswert und hilfreich. Gleichwohl scheint es an der Zeit, die Wurzeln effektvoll und fachgemäss zu schneiden, ohne die Standfestigkeit des Baumes zu gefährden.

Konzeptionelle Innovation und neue ­Geschäftsmodelle


Im Zentrum der Bestrebungen steht nach wie vor der Gast, der durch die gesellschaftlichen, technologischen und ökologischen Umwälzungen beeinflusst und geprägt wird. Fragen und gesellschaftliche Tendenzen – wie Klimawandel, Individualisierung und Technologisierung – konfrontieren uns mit neuen Herausforderungen, um die touristischen Angebote attraktiv zu halten und mit der Nachfrageentwicklung in Einklang zu bringen. Auf der anderen Seite eröffnen sich eine Vielzahl neuer Chancen, welche eigentlich einen Anlass zu einer Repositionierung und Differenzierung des Schweizer Tourismus bieten würden. Zur Wahrung der Perspektiven ist entscheidend, dass die Marktteilnehmer es mittelfristig schaffen, sich über bestehende Strukturen und Territorien hinwegzusetzen und die Gesamtheit der Tourismuswirtschaft als veritablen Konsumentenmarkt zu verstehen. In diesem Kontext sollten die Präferenzen der Gäste aus den unterschiedlichen Nachfragemärkten für unsere touristischen Produkte in den Fokus gemeinsamer Überlegungen gestellt werden. Ein möglicher Ansatz besteht darin, bestehende und bewährte Konzepte zu kombinieren und daraus neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, welche auf die veränderte Nachfrage und die sich daraus ergebenden Tendenzen reagieren können. Das tönt zwar einfach, ist aber schwierig, solange ein wenig nachhaltiger Opportunismus die neu entstanden Allianzen, Synergien und Skaleneffekte überschattet.

Zukunft braucht Herkunft


Ein Leitmotiv, auf das der Schweizer Tourismus bauen kann, ist die Einzigartigkeit der Schweiz mit ihrer reichhaltigen Tra­ditionskultur, dem Höchstmass an Lebensqualität und einer Fülle an bezaubernden und geschützten Naturlandschaften. Allerdings reicht diese Einzigartigkeit als durchschlagendes Reisemotiv nicht mehr aus. Das erklärt denn auch die in den letzten Jahren – trotz einer weltweiten positiven Tourismusentwicklung – rückläufige Nachfrage. Der Preis bleibt ein unbestrittener und mitentscheidender Faktor beim Konsumentscheid. Ungeachtet der aktuellen Frankenstärke sowie des schwierigen konjunkturellen Umfeldes in Europa müssen wir uns eine Reihe von Fragen stellen: Welche weiteren Faktoren haben einen Einfluss auf die Wahl des Reiseziels Schweiz? Haben sich die Reisemotive und Bedürfnisse unserer Gäste womöglich grundlegend und unmerklich verändert? Sind unsere touristischen Angebote im Umfeld der wachsenden Konkurrenz zu austauschbaren Gütern geworden? Hat sich die Einstellung unserer Gäste – insbesondere im Zeitalter der Informationsüberflutung und der eher selektiven und medienkritischen Wahrnehmung der Schweiz – zu unseren Ungunsten verändert? Diese Fragen sollten bei der Beurteilung der Zukunftsaussichten sowie der langfristigen Positionierung und Differenzierung des Tourismusstandorts Schweiz Beachtung finden. Gefordert ist die Rückbesinnung auf die wahren Werte der Schweiz: eine Authentizität, die nicht nur kommuniziert, sondern auch vorgelebt wird, sowie ein Preis, der die erwartete Qualität und Gastlichkeit nicht nur verspricht, sondern auch rechtfertigt.

Zitiervorschlag: Andreas Banholzer (2013). Der Schweizer Tourismus im Bann der Multioptionsgesellschaft. Die Volkswirtschaft, 01. April.