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Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf den Tourismus im Schweizer Alpenraum

Die von Volk und Ständen am 11. März 2012 angenommene Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen» wird die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung in den von der Initiative hauptsächlich betroffenen Regionen im Alpenraum verändern. Zwei im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) durchgeführte Analysen zeigen, dass die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative entscheidend von der Umsetzung der Initiative abhängig sind. Ausgehend von den Grundsätzen der Verordnung über Zweitwohnungen ist keine nennenswerte Veränderung der touristischen Nachfrage zu erwarten. Allerdings dürfte sich die Struktur der Tourismusnachfrage tendenziell zugunsten der bewirtschafteten Beherbergungsformen verändern.

Mit der Verordnung über Zweitwohnungen vom 22. August 2012 gibt der Bundesrat die Stossrichtung der Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative vor. Unter der Leitung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) wird zurzeit das Ausführungsgesetz ausgearbeitet, welches voraussichtlich im Zeitraum 2014/15 im Parlament beraten wird. Parallel zum Gesetzgebungsprozess hat das Seco anhand von zwei Gutachten die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative untersucht. Mit den beiden Gutachten werden die Forderungen des Postulats Vogler (12.3371 vom 3. Mai 2012) und des Postulats Fournier (12.3467 vom 11. Juni 2012) erfüllt, welche den Bundesrat beauftragen, die Folgen der Initiative auf die davon betroffenen regionalen Wirtschaften zu untersuchen:

  • Im ersten Gutachten von BAK Basel werden die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative analysiert, wobei die Effekte auf die regionale Beschäftigungs- und Wertschöpfungsentwicklung im Vordergrund stehen.
    Vgl. Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf die touristische und regionalwirtschaftliche Entwicklung – Ausgangslage, Wirkungszusammenhänge und Szenarioanalysen, BAK Basel, Februar 2013.
  • Im zweiten Gutachten von BHP Hanser und Partner werden die Auswirkungen auf die Finanzierung von Beherbergungsbetrieben und Tourismusinfrastrukturen untersucht sowie Handlungsoptionen für die Tourismusakteure und die Politik aufgezeigt.
    Vgl. Tourismusfinanzierung ohne Zweitwohnungen. Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf die Finanzierung von Beherbergungsbetrieben und Tourismusinfrastrukturen, BHP Hanser und Partner, Januar 2013.


Da die Kantone in besonderem Mass von der Zweitwohnungsinitiative betroffen sind, wurden sie vom Seco regelmässig zu den Ergebnissen der Wirkungsanalysen konsultiert. Die Konsultation erfolgte im Rahmen der im April 2012 vom Seco und der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz (VDK) eingesetzten Arbeitsgruppe für ein Mehrjahresprogramm Regionalpolitik 2016-2023.Der Fokus dieses Artikels liegt auf den Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative für den Tourismus im Schweizer Alpenraum, wobei die Ergebnisse der Wirkungsanalysen von BAK Basel sowie von BHP Hanser und Partner wiedergegeben werden.

Bedeutung der Zweitwohnungen für den Schweizer Alpenraum


Die Verordnung über Zweitwohnungen nennt die Gemeinden, in denen der Anteil der Zweitwohnungen am Wohnungsbestand mehr als 20% beträgt und der Neubau von Zweitwohnungen nicht mehr möglich ist. Wie Grafik 1 zeigt, ist der Grossteil der Gemeinden im Alpenraum von der Zweitwohnungsinitiative betroffen. Der Bau und die Nutzung von Zweitwohnungen sind ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor für den Alpenraum. Gemäss BAK Basel betrug die Anzahl Zweitwohnungen im Alpenraum im Jahr 2010 315 000; 247 000 davon befanden sich in den von der Zweitwohnungsinitiative betroffenen Gemeinden des Alpenraums. Zwischen 2000 und 2010 sind im Alpenraum jährlich schätzungsweise rund 4000 Zweitwohnungen neu erstellt worden. Das dadurch ausgelöste Investitionsvolumen belief sich auf durchschnittlich 1,9 Mrd. Franken pro Jahr, was rund 14% der gesamten Bauausgaben im Alpenraum entspricht. Das Investitionsvolumen in den Zweitwohnungsneubau der betroffenen Gemeinden entspricht 9,3% der gesamten Bauausgaben im Alpenraum. BAK Basel schätzt, dass mit Investitionen in und mit der Nutzung von Zweitwohnungen im Alpenraum im Jahr 2010 insgesamt rund 8 Mrd. Franken umgesetzt und eine Wertschöpfung von 6,4 Mrd. Franken (6,1% des Totals) generiert worden sind. Zudem sind von den Zweitwohnungen im Alpenraum rund 75 000 Arbeitsplätze abhängig (7,2% des Totals).

Auswirkungen der Initiative auf die Wirtschaftsentwicklung


Aufgrund der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative werden deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Schweizer Alpenraum in Form von Szenarien (Top-Down-Ansatz) ermittelt. Im Ankerszenario wird die langfristige wirtschaftliche Entwicklung im Alpenraum unter der Annahme prognostiziert, dass es die Zweitwohnungsinitiative nie gegeben hätte. Im Basisszenario wird von einer ­Umsetzung der Initiative gemäss der Verordnung über Zweitwohnungen ausgegangen. 
In Abhängigkeit der möglichen Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative werden zudem ein mildes, ein strenges sowie ein extremes Szenario gerechnet. Für jedes Szenario werden – neben der Regulierung – auch die ­Reaktionen der Wirtschaftsakteure (Spillover-Effekte) auf die veränderten Rahmenbedingungen berücksichtigt. BAK Basel erwartet im Basisszenario, dass sich die Zweitwohnungsinitiative nach Vorholeffekten im Jahr 2013 ab 2014 negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Regionen auswirken wird. Bis 2015 dürfte die Zahl der Erwerbstätigen im Basisszenario im Vergleich zum Ankerszenario um 8600 (0,8% des Totals) und das BIP um 0,7% zurückgehen. Im Anschluss wird im Basisszenario jedoch wieder mit einer Annäherung an den Wachstumspfad des Ankerszenarios und ab 2023 mit einem parallelen Verlauf auf einem tieferen Niveau gerechnet. Im Jahr 2025 dürfte die Differenz zwischen den beiden Szenarien bei der Zahl der Erwerbstätigen 4800 und beim BIP 0,4% betragen.Betroffen dürfte in erster Linie die Baubranche sein. BAK Basel erwartet, dass die Bauinvestitionen im Basisszenario im Alpenraum im Jahr 2015 um rund 1 Mrd. Franken (5,6% des Totals) tiefer liegen werden als im Ankerszenario. Vom Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen dürfte deshalb primär die Baubranche betroffen sein: Rund 55% des gesamten erwarteten Rückgangs der Zahl der Erwerbstätigen bis 2015 wird in der Baubranche erfolgen.Wie Grafik 2 zeigt, dürfte die Zahl der Erwerbstätigen gemäss den Szenarioschätzungen von BAK Basel im Jahr 2025 zwischen 1600 (mildes Szenario) und 15 100 (extremes Szenario) tiefer liegen als im Ankerszenario. Beim BIP dürfte die Differenz zwischen –0,2 und –1,2% liegen. Bei den Steuern wird im Vergleich zum Ankerszenario mit Mindereinnahmen zwischen 28 und 214 Mio. Franken gerechnet. In Bezug auf den Tourismus im Alpenraum prognostiziert BAK Basel im Ankerszenario im langfristigen Trend eine leichte ­Erhöhung der Tourismusnachfrage. Im Basisszenario ist insgesamt mit einer vergleichbaren Nachfrageentwicklung zu rechnen; allerdings dürfte es langfristig zu spürbaren strukturellen Veränderungen kommen. Bis 2025 dürfte die touristische Nachfrage der Eigenheimbesitzer (nicht kommerziell genutzte Zweitwohnungen) tiefer liegen als im Ankerszenario. Im Gegenzug wird voraussichtlich ein grösserer Teil der Nachfrage auf die Hotels und die kommerziell genutzten Zweitwohnungen entfallen. Die bewirtschafteten Beherbergungsformen dürften demnach langfristig zu den Gewinnern zählen.

Auswirkungen auf die Finanzierung von Beherbergungsbetrieben


Mit dem zweiten Gutachten von BHP Hanser und Partner werden die Analysen zu den Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf den Tourismus im Schweizer Alpenraum vertieft. Im Vordergrund stehen Fragen zur Finanzierung des Tourismus.

Finanzierungslücke in der Hotellerie


Gemäss dem Gutachten von BHP Hanser und Partner steht die alpine Ferienhotellerie – unabhängig von der Zweitwohnungsinitiative – vor der Herausforderung, dass der Ertragswert der Hotelbetriebe auch bei optimistischen Annahmen regelmässig unter den Anlagekosten liegt. Das bedeutet, dass ein Teil des investierten Kapitals nicht rentabilisierbar ist. Gemäss den vorliegenden Schätzungen beträgt diese Finanzierungslücke durchschnittlich 25% bis 35%. Internationale Vergleiche deuten darauf hin, dass Finanzierungslücken in der alpinen Ferienhotellerie aufgrund der ausgeprägten Saisonalität, der geringen Betriebsgrössen und der im weltweiten Vergleich hohen Kosten verbreitet sind. Allerdings verschärft sich die Herausforderung der Finanzierungslücke in der Schweiz im Vergleich zum restlichen Alpenraum aufgrund höherer Baulandpreise und überdurchschnittlicher Erstellungs- und Betriebskosten.In der gehobenen Hotellerie des Schweizer Alpenraums – insbesondere in den 4- und 5-Stern-Hotels – ist die Finanzierungslücke seit Anfang der 2000er-Jahre vermehrt über Querfinanzierungen durch den Bau und Verkauf von Zweitwohnungen geschlossen worden. In den Jahren 2007 bis 2011 lagen die jährlichen Hotelbauinvestitionen (Um- und Neubau) bei rund 400 bis 450 Mio. Franken. BHP Hanser und Partner schätzt, dass das Querfinanzierungsvolumen durch den Bau und Verkauf von Zweitwohnungen in diesem Zeitraum pro Jahr 60 bis 120 Mio. Franken betragen hat, also rund 15% bis 30% der gesamten Bauinvestitionen. Von Bedeutung ist auch, dass zahlreiche der grösseren Investitionsprojekte der letzten zwei Jahre nur dank Querfinanzierungen durch den Bau und Verkauf von Zweitwohnungen überhaupt zustande gekommen sind.

Rückgang bei den Hotelbauinvestitionen


Die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf die Hotelbauinvestitionen werden ebenfalls anhand von Szenarien untersucht. Dabei wird vom zurzeit bekannten Projektvolumen ausgegangen (Bottom-Up-Ansatz). Ausgehend von einer Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative gemäss der aktuellen Verordnung (Basisszenario) erwartet BHP Hanser und Partner, dass die Hotelbauinvestitionen zeitverzögert spürbar zurückgehen werden. Insgesamt dürften die Hotelbauinvestitionen im Basisszenario im Jahr 2016 um bis zu 200 Mio. Franken tiefer liegen als in einem theoretischen Szenario ohne Zweitwohnungsinitiative. In den Folgejahren dürfte sich diese Differenz wieder verringern, da die langfristige Entwicklung der Hotelbauinvestitionen insbesondere vom Markt­umfeld abhängen wird und sich die Marktteilnehmer schrittweise an die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen anpassen werden.

Effekte der Querfinanzierung


In der allgemeinen Diskussion zur Zweitwohnungspolitik wird immer wieder postuliert, dass die Zweitwohnungen die Hotellerie verdrängen. BHP Hanser und Partner hat die Entwicklung der Hotellerie in den Destinationen mit einem margenstarken Zweitwohnungsgeschäft, die primär von diesen Verdrängungseffekten betroffen sein müssten, näher analysiert. Gemäss BHP Hanser und Partner trifft die oben formulierte These nur auf rund 50% der untersuchten Fälle zu. In den übrigen Fällen konnten die Hotelkapazitäten netto sogar erhöht werden. Allerdings scheinen insbesondere die Top-Destinationen, welche bereits bisher über eher geringe Bettenkapazitäten in der Hotellerie verfügt haben, weitere Hotelbetriebe und -betten verloren zu haben. Dies kann einerseits so interpretiert werden, dass die Aussicht auf Gewinne aus dem Zweitwohnungsgeschäft dazu führen kann, dass Hotels aufgegeben und umgewandelt werden. ­Andererseits ermöglicht das Zweitwohnungsgeschäft in Destinationen mit einem margenstarken Zweitwohnungsgeschäft die Querfinanzierung von Hotels und führt so zu höheren Investitionen in die Hotellerie. Beide Kräfte haben sich gemäss BHP Hanser und Partner in den letzten zehn Jahren in etwa die Waage gehalten. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Zweitwohnungsinitiative zu einem Umnutzungsdruck führen kann, da die bestehenden Hotelbetriebe die einzigen Objekte sind, welche für grössere Zweitwohnungsprojekte nutzbar sein dürften. Dieser Umnutzungsdruck kann zurzeit allerdings nicht quantifiziert werden.

Auswirkungen auf die Infrastruktur­investitionen


Neben den Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf die Finanzierung von Beherbergungsbetrieben hat BHP Hanser und Partner zusätzlich die Auswirkungen auf die Bergbahnbetriebe und die Tourismusinfrastrukturen untersucht. Eine Umfrage bei Bergbahnbetrieben zeigt, dass die Bergbahnbetriebe in den letzten Jahren vermehrt selber in Beherbergungskapazitäten investiert haben und deshalb ebenfalls – wenn auch in geringerem Ausmass als die Beherbergungswirtschaft – von der Zweitwohnungsinitiative betroffen sind. Rund ein Viertel der Bergbahnbetriebe hatte am 11. März 2012 ein Beherbergungsprojekt in Planung. Aufgrund der Zweitwohnungsinitiative ist davon auszugehen, dass rund 40% dieser Projekte angepasst werden müssen. Bei den Tourismusinfrastrukturen stehen die vom Staat oder von Privaten erstellten Einrichtungen im Vordergrund, welche ­neben der attraktiven Landschaft und 
dem Beherbergungsangebot das touristische ­Produkt einer Destination abrunden (Bergbahnen inklusive Pisten und Beschneiungsanlagen, Hallen- und Thermalbäder, Golfplätze, Langlaufloipen, Kongresszentren, Museen, Wanderwegnetze, lokale Transportangebote, usw.). Übereinstimmend mit den Ergebnissen von BAK Basel kommt BHP Hanser und Partner zum Ergebnis, dass langfristig sowohl bei den Grundstückgewinnsteuern als auch bei den Handänderungssteuern ein Rückgang erwartet werden muss. Die Zweitwohnungsinitiative dürfte somit in der Beurteilung von BHP Hanser und Partner auch die Finanzierung der touristischen Infrastrukturen auf Gemeinde- und Destinationsebene tangieren.

Fazit und Ausblick


Die Wirkungsanalysen zeigen, dass die Ausgestaltung der Ausführungsgesetzgebung einen entscheidenden Einfluss auf die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative hat. Das Seco setzt sich deshalb weiterhin und prioritär für eine tourismusfreundliche Ausführungsgesetzgebung ein. Dabei stehen insbesondere die Voraussetzungen im Vordergrund, unter denen zukünftig bewirtschaftete Beherbergungsinfrastrukturen neu gebaut werden können. Die von den Wirkungsanalysen aufgezeigten Handlungsoptionen verdeutlichen, dass alle Akteure gefordert sind, allfällige negative Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative zu minimieren. Das Seco wird die Handlungsoptionen der Standortpolitik des Bundes vertieft überprüfen. Hinsichtlich der tourismuspolitischen Förderinstrumente wird sich der Bundesrat in dem für Juni 2013 vorgesehenen Tourismusbericht zu möglichen flankierenden Massnahmen äussern.Ferner prüft das Seco zurzeit – basierend auf den Ergebnissen der vorliegenden ­Wir­
kungsanalysen – allfällige flankierende Massnahmen, welche im Rahmen der Standortförderung ab 2016 umgesetzt werden könnten. Diese Massnahmen sollen sich an den bestehenden bewährten Förderinstrumenten ausrichten. Im Vordergrund ­könnten die subsidiäre Begleitung des beschleunigten Strukturwandels in der Tourismuswirtschaft sowie die Unterstützung der Transformation der Tourismuswirtschaft hin zu neuen Wachstumsmodellen für die Destinationen im Alpenraum stehen, d.h. weniger Siedlungsexpansion, mehr Attraktivität durch Erneuerung und bessere Auslastung vorhandener Infrastrukturen.

Grafik 1: «Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil über 20%»

Grafik 2: «Schätzungen zur Entwicklung der Erwerbstätigenzahl für die vier Szenarien im Vergleich mit dem Ankerszenario»

Zitiervorschlag: Ueli Grob, Davide Codoni, (2013). Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf den Tourismus im Schweizer Alpenraum. Die Volkswirtschaft, 01. April.