Auf Ende April 2013 gibt Geli Spescha die Chefredaktion der Monatszeitschrift «Die Volkswirtschaft» ab. Er blickt auf eine über dreizehnjährige Tätigkeit zurück, im Verlaufe derer er «Die Volkswirtschaft» von einem Staatsmedium zu einer wirtschaftspolitischen Plattform weiterentwickelt hat. Seine Nachfolgerinnen Susanne Blank und Nicole Tesar, welche die Stelle teilen werden, übernehmen eine profilierte Publikation.
Geli Spescha tritt in den Ruhestand. Mit seinem Rücktritt geht eine eindrückliche Etappe der seit 1920 bestehenden Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» zu Ende. Er hat dem Wirtschaftsblatt seinen Stempel aufgedrückt und dieses blasse, halb statistische, halb wissenschaftliche Magazin zu einer beachteten Publikation gemacht, in der es eine Ehre ist, publiziert zu werden.
Wer ist Geli Spescha?
Geli Spescha ist im Jahr 1948 geboren, Rumantsch ist seine Muttersprache, und er hat den engen Bezug zu seinem Heimatkanton nie verloren.
Der Aufmüpfige
1968 nahm er an der Universität Bern das Studium der Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Soziologie auf. Seine Interessen galten bereits früh den grossen gesellschaftlichen und politischen Fragen. Er war im besten Sinn des Wortes ein aktiver 68er, engagierte sich in multiplen von Reformwillen beseelten Studentenbewegungen, solidarisierte sich mit Dekanatsbesetzungen und Protesten gegen Professoren, die glaubten, ihre Lehre über Jahre hinweg unverändert ex cathedra vermitteln zu müssen. Ist Geli deswegen ein Sünder seiner Jugend? War es nicht gerade dieses Aufmüpfige, dieses Hinterfragen von Althergebrachtem, welches seinen kommenden Werdegang mitbestimmen sollte?
Der Protokollist
Sein breites Interesse am politischen Geschehen machte Geli Spescha in den 1970er-Jahren zu einem Mitarbeitenden der Parlamentsdienste als Protokollführer im Amtlichen Bulletin. Wer nun denkt, er habe sich dann wie ein trockener Beamter in einer Amtsstube gebärdet, liegt falsch. In seiner neuen Funktion hielt sich Geli Spescha manchmal in den Ratssälen auf, und zwar wie damals üblich im Nationalratssaal hinter den Bundesräten. Da sass Geli also und musste protokollieren, was Bundesrat Rudolf Gnägi sagte. Und dieser pries die «Liibli», eben die an alle Soldaten und Offiziere zu verteilenden sogenannten «Gnägi-Liibli», in allen Tönen. Dabei hob der Bundesrat den Zweck dieser wärmenden Dinger hervor. Tatsache war aber, dass es sich hauptsächlich um eine Massnahme zur Ankurbelung der darbenden Textil- und Bekleidungswirtschaft handelte. Dies missfiel Geli sichtlich. In der Tagesschau des gleichen Abends erschien Bundesrat Gnägi im Bild und dahinter der gestikulierende Geli, der ganz offensichtlich zeigte, dass er von diesem Vorhaben gar nichts hielt. Kurz nach diesen Vorkommnissen wurden die Protokollführer in eine andere Ecke des Saales verbannt, wo sie heute noch sind.
Der Kontrolleur
Dass Geli Spescha das Protokollieren nicht als Lebensaufgabe betrachtete und sein Kommunikationstalent und breites Beziehungsnetz nutzen wollte, war die Basis für die anschliessende, herausfordernde und nicht alltägliche Aufgabe als Leiter Kommunikation der schweizerischen zivilen Flugsicherung Swisscontrol, eine Arbeit die er zehn Jahre bewältigte. Swisscontrol war damals schon in den Schlagzeilen sowie mit Kompetenz- und Koordinationsproblemen mit der Flugsicherung der Nachbarländer beschäftigt. Doch auch hier hatte Geli Spescha sein eigentliches Wirkungsfeld noch nicht gefunden.
Der Chefredaktor
Die Suche nach einem neuen Chefredaktor für «Die Volkswirtschaft» im Jahre 2000 war für Geli Spescha – und auch für «Die Volkswirtschaft» – ein Glücksfall. Dort konnte er endlich persönliches Profil und Interesse in einem hohen Masse zum Beruf machen und sein fundiertes Medienwissen einbringen.
Bringt Ordnung in der Datenflut!
Die heutige Informationstechnologie ermöglicht einen raschen und gezielten Zugriff auf jede mögliche Information, seien es Statistiken, Gesetzestexte, Pressemitteilungen, Bildmaterial und elektronische Medien. Braucht es in diesem Umfeld noch eine Publikation wie «Die Volkswirtschaft»? Diese Frage ist zu bejahen, weil es dem Chefredaktor gelang, «Die Volkswirtschaft» weit über die reine Bereitstellung von nackten Informationen auszubauen. Zu berücksichtigen gilt es:
- Die Label-Funktion: Die publizierten Artikel müssen Kriterien bezüglich Qualität, Form und Aktualität erfüllen. Der Leser soll wissen, was er kriegt. Damit ist die Informationsaufnahme wesentlich einfacher als im Internet, wo man immer wieder über ungenaue und veraltete Informationen stolpert.
- Der politische Kontext: Die Einbettung ins politische Geschehen beginnt mit der Loslösung vom ausdruckslosen, einförmigen Charakter eines Bundesblattes. Die Meinungsvielfalt soll mitberücksichtigt werden.
Geli Spescha hat sehr früh und zielstrebig auf dieses tragfähige Format hingearbeitet, noch zu Zeiten, als gewisse Wirtschaftspublikationen dem Boulevardstil huldigten und breiten Absatz fanden. Die Verlockung des kurzlebigen Infotainments war gross, doch der Chefredaktor wiederstand ihr.
Würdigt das Qualitätsmanagement und die Form!
Der Weg zu einer qualitativ hochstehenden Zeitschrift beginnt im Kleinen. Geli Spescha musste Texte akquirieren, die von der Länge und der Verständlichkeit her ins Format passen. Dies war und ist nicht immer einfach. Manch alteingesessene Autorin und Autor empfand es unter ihrer oder seiner Würde, dass sich jemand erfrecht, Vorschriften über die Länge des Artikels zu erlassen oder am Schreibstil herumzuflicken. Gar seine Vorgesetzten, die ab und zu publizierten, bekamen die Meinung des Chefredaktors zu spüren. Geli Spescha hat diese Probleme dadurch gelöst, dass er offen auf die Leute zuging, in der Sache hart, aber freundlich die Lage erklärte und Lösungen vorschlug.Jedes Pamphlet, aber auch «Die Volkswirtschaft», droht zu scheitern, wenn die Verpackung nicht stimmt; Inhalt und Form sind bekanntlich komplementär. Die typische Leserschaft des Magazins will sich mit einem Thema vertieft auseinandersetzen, ohne sich durch Texte durchackern zu müssen, die einer Dissertation ähnlich wären. Verpönt sind somit langfädige Fliesstexte mit zahlreichen Fachausdrücken, Formeln und überlangen Zitaten.Das resultierende Konzept der zurückhaltenden, fast möchte man sagen edlen Gestaltung mit der sauberen Schrift und der Auflockerung durch Fotos erlaubt heute noch ein entspanntes und konzentriertes Lesen dieser Monatszeitschrift, die dennoch wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen vermag. Besonderes Augenmerk wird auf eine einheitliche Gestaltung der Grafiken gelegt, die das Verständnis der Zusammenhänge verbessert. Anregend und für sich sprechend sind auch die Titelblätter, die bereits symbolisch treffend den eigentlichen Inhalt der Zeitung wiederspiegeln. Hat sich hier Geli Spescha von «The Economist» inspirieren lassen?
Bettet die Beiträge in den politischen Kontext ein!
Um ein Thema in einen politisch-gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen, genügt es nicht, die Artikel mit zwei oder drei Stellungnahmen von Gleichgesinnten anzureichern. Gefragt ist eine Vielfalt der Meinungen. Nicht nur die Analyse der Bundesverwaltung soll zum Zuge kommen, sondern auch andere Autoren, insbesondere solche mit Positionen abseits der allgemeinen Sichtweise. Der Schritt weg vom reinen Verwaltungsblatt war zwar bereits vor der Zeit von Geli Spescha eingeschlagen worden, aber er war es, der den breiten Rücken besass, nicht konforme Ideen aufzunehmen. Es dürfen heute auch kontradiktorische Standpunkte aus allen politischen Lagern, Interessenverbänden und Wirtschafts- und Wissenschaftskreisen geäussert werden. «Die Volkswirtschaft» als Streitschrift? Wieso nicht, wenn die Beiträge Qualitätskriterien unterstehen, sachbezogen sind und nicht in Populismus ausarten. Geli Spescha wusste dies zu verhindern.All dies scheint normal. Indes gilt es zu berücksichtigen, dass «Die Volkswirtschaft» ein Erzeugnis des Bundes ist, das die Haltung des Bundesrates zu respektieren hat. Hier ein Gleichgewicht mit abweichenden Meinungen zu finden, ist nicht a priori gegeben. Doch nur ein einziges Mal in seiner Karriere als Chefredaktor musste Geli Spescha einen Artikel zurückweisen, weil dieser das sensible Gleichgewicht umgestossen hätte.Es ist nicht zuletzt der Unparteilichkeit der Schrift «Die Volkswirtschaft» zuzuschreiben, dass es auch heute im Zeitalter der elektronischen Plattformen, Blogs, Facebook und Twitter kein Problem darstellt, illustre Autoren – Bundesräte und andere Magistratspersonen, Verbandspräsidenten, aber auch CEO und Verwaltungsratspräsidenten sowie mit multiplen Doktortiteln versehene Universitätsprofessoren – rasch und unkompliziert für einen Artikel, ein Interview oder eine Stellungnahme zu gewinnen.
Und nun?
Was passiert nach dem Abschied des Chefredaktors? Die Medienlandschaft und die Politik sind in raschem Wandel begriffen. Auch das «Kind» von Geli Spescha wird sich an neue Gegebenheiten anpassen. Die Politik tendiert dazu, den aktuellen Themen ein grosses Gewicht beizumessen. Die Suche nach Erhöhung der Auflage ebenso. «Die Volkswirtschaft» hat den Vorteil, weder der Tagesaktualität verfallen zu müssen, noch dem Auflagendruck unterstellt zu sein. Somit kann sie ihre Aufmerksamkeit weiterhin den langfristigen Fragen widmen, wie strukturellen Problemen, Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der Sozialwerke sowie den Grenzen des Wachstums. Gleichzeitig wird «Die Volkswirtschaft» aber auch ihre Artikel mit der Tagesaktualität zu verbinden wissen, dies wie bisher im exzellenten Timing mit den Monatsthemen. Zu guter Letzt: Unter Geli Speschas Leitung hat «Die Volkswirtschaft» den Ruf des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) gestärkt, ohne aber servil als Sprachrohr seiner Auftraggeber zu dienen oder die Achtung von Aussenstehenden für diese Periodika zu beeinträchtigen. Möge dies unter der neuen Führung so bleiben.Wir danken dir, Geli, und verbinden diesen Dank mit den besten Wünschen für deinen neuen Lebensabschnitt.