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Das Raumkonzept Schweiz – eine Daueraufgabe für uns alle

Das Raumkonzept Schweiz zeichnet in groben Zügen, wie der schweizerische Raum in Zukunft aussehen soll. Für die Umsetzung sind mehrere öffentliche Akteure verantwortlich: verschiedene Bundesstellen, deren Tätigkeiten sich räumlich und wirtschaftlich auswirken, die Kantone, die Gemeinden, die Regionalverbände, die Agglomerationen sowie die Trägerschaften von funktionalen Räumen. Der folgende Artikel schildert das Raumkonzept Schweiz aus der Sicht eines Gemeindepräsidenten und Präsidenten des Rates für Raumordnung.

Der Prozess ist wichtiger als die 
Verbindlichkeit der Aussagen


Das Raumkonzept hat aufgrund der heute geltenden Gesetzgebung keinen verbindlichen Charakter. Deshalb stellt sich die Frage, wie die erwähnten Akteure dazu verpflichtet werden können, gemäss den Zielen und den Strategien des Raumkonzeptes zu handeln. Zwar hat der Bund die Kompetenz, die kantonalen Richtpläne zu genehmigen. Aber diese Befugnis kommt erst am Schluss von langen Planungsprozessen ins Spiel und hat daher einen sehr beschränkten Steuerungseffekt auf die Ansätze der Orts-, Regional- und Kantonsplanung.Nicht nur wegen den geringen Kompetenzen des Bundes, sondern auch wegen der Art des Instruments ist ein Konzept oder ein Leitbild nur sehr beschränkt durch zwingende Bestimmungen umzusetzen. Viel wichtiger für eine konsequente Umsetzung sind der Prozess und die dabei entstehende Bewusstseins- und Konsensbildung. Je mehr die Ziele und Strategien von den erwähnten Partnern vertieft, ausdiskutiert und geteilt werden, desto mehr sind alle Akteure dazu bereit, das Konzept oder das Leitbild mitzutragen und dessen Aussagen im jeweiligen Handlungsraum umzusetzen.Das ist letztlich auch der Sinn des langen Prozesses, welcher der Veröffentlichung des Raumkonzeptes Schweiz im letzten Dezember vorausging. Es wurden einleitende Workshops mit einer breiten Mitwirkung von Fachleuten, Vertreterinnen und Vertretern aus Gesellschaft und Wirtschaft sowie Lokalpolitikerinnen und -politikern in verschiedenen Landesteilen durchgeführt. Die Schlussfassung wurde gemeinsam mit politischen Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden konsolidiert. Durch stetige Bezugnahme, Thematisierung und Vertiefung der Inhalte des Raumkonzeptes müssen nun alle Akteure die Bewusstseins- und Konsensbildung weiterführen und stärken.

Ein urbanes Modell für den schweizerischen Metropolitanraum


Entscheidend für die Bewusstseinsbildung ist die Einsicht, dass die Schweiz heute ein eng und vielfältig verflochtener Metropolitanraum geworden ist. Von St. Margrethen bis Genf, von Basel bis Chiasso präsentiert sich die Schweiz als ein Gebilde von unterschiedlich grossen und voneinander abhängigen Zentren mit Wohnquartieren, Arbeitsstätten und öffentlichen Einrichtungen. Strassen und Bahnlinien vernetzen dieses Gebilde trotz natürlicher und topografischer Hindernisse, auch über die Landesgrenzen hinaus. Denken wir nur etwa daran, welche gewaltige Änderung der Gotthard-Basistunnel in ein paar wenigen Jahren in der Wahrnehmung des Raumes und der Distanzen bewirken wird. Die offenen Landschaften auf dem Land und in den Bergen sind länger schon zu Zwischenräumen geschrumpft. Sie umgeben nicht mehr die Städte, sondern liegen dazwischen.Zwar thematisiert das Raumkonzept diese epochale funktionale und räumliche Veränderung der Schweiz zu einem eng verflochtenen Netz unterschiedlicher Siedlungen. Aber eine klare Vorstellung, wie ein solcher Typ von Stadtgefüge – in Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung – konkret organisiert und gestaltet werden kann und soll, muss erst noch entwickelt werden. Sicher wäre es anachronistisch und unangebracht, Muster und Typen der historisch gewachsenen europäischen und amerikanischen Millionenstädte in der Schweiz zu reproduzieren. Die Art, wie hierzulande die Urbanisierung in der Nachkriegszeit stattgefunden hat, bringt Probleme mit sich, birgt aber auch Potenziale für ein nachhaltiges urbanes Modell:

  • Ein auf den Raum gut verteiltes Netz von voneinander abhängigen Zentren, funk­tionalen Räumen, Produktionsstätten und Dienstleistungen;
  • die Nähe von Wohnen, Arbeiten, Dienstleistungen und Erholung;
  • der Unterbruch des gebauten Kontinuums durch wertvolle Natur- und Landwirtschaftsräume, welche das Siedlungsgefüge strukturieren.


Diese Potenziale müssen die Regional- und Ortsplanungen wahrnehmen, welche neue Modelle des Wohnens, eine verbesserte Organisation der verstädterten Siedlungen und bessere öffentliche Räume schaffen sollen. Die qualitative Verdichtung muss vermehrt von der Bevölkerung verlangt, von der Immobilienwirtschaft angeboten und von den kommunalen Bauvorschriften ermöglicht und gefördert werden.

Zukunft für den ländlichen Raum


Mehr Bewusstsein für die aktuellen Herausforderungen und entsprechend neue Ideen und Entwicklungsmodelle braucht es auch im ländlichen Räum. Die sozio-ökonomische Kluft zu schliessen, die sich um die Mitte des letzten Jahrhunderts zwischen urbanen und suburbanen Entwicklungsgebiete auf der einen sowie ländlichen und alpinen Räumen auf der anderen Seite auftat, ist heute und in der nächsten Zukunft undenkbar. Da helfen auch die massivsten Subventionen, die grosszügigsten öffentlichen Ausgaben und die beste Verkehrserschliessung nicht. Die Zeiten des Entstehens prestigeträchtiger alpiner Zentren – wie St. Moritz, Davos oder Zermatt – sind lange vorbei. Die intensive Urbanisierung der Berge durch Zweitwohnungen, wie sie vor allem in einigen Ortschaften im Wallis, im Berner Oberland und im Bündnerland in den letzten Jahrzehnten praktiziert wurde, ist klar an ihre Grenzen gestossen. Sawiris’ Andermatt ist eher ein Einzelfall als ein reproduzierbares Modell.In Zukunft werden Natur- und Erholungsräume, intakte und gepflegte Landschaften sowie eine extensive, eng mit den natürlichen und landschaftlichen Gegebenheiten verbundene Landwirtschaft zunehmend das eigentliche Potenzial der ländlichen Gebiete ausmachen. Die fortschreitende Verstädterung der schweizerischen und europäischen Bevölkerung schafft eine grosse Nachfrage. Diese intelligent und nachhaltig zu befriedigen, ohne Ressourcen zu zerstören, ist die wahre Chance.Dabei stellt sich eine regional- und staatspolitische Frage. Wenn diese Ressource für die Bevölkerung der Städte, wo mehrheitlich das Bruttoeinkommen produziert wird, so wertvoll ist, sollte ein geeigneter Mechanismus für nicht unmittelbar bezahlbare Leistungen wie Natur, Landschaft und Erholung, welche die ländlichen Gebiete erbringen, entwickelt werden. Damit könnten die mit knappen Mitteln konfrontierten öffentlichen Körperschaften und wirtschaftlichen Akteure der ländlichen Gebiete die nötigen Gelder einnehmen, die es braucht, um die nachgefragte Ressource zu pflegen, zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Handlungsräume und Schwerpunkt­aufgaben von nationaler Bedeutung


Das Raumkonzept will die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz im internationalen Kontext steigern. Demzufolge stellt sich die Frage, wie der Bund die Planungen und Entscheidungsabläufe bei national bedeutenden Aufgaben und Handlungsräumen beeinflussen kann, damit die nationalen Interessen der Schweiz gewahrt bleiben. Handlungsräume und Schwerpunktaufgaben von nationaler Bedeutung sind:

  • Die im Raumkonzept definierten Metropolitanräume (Zürich, Basel, Arc Lémanique, Hauptstadtregion Bern mit dem Mittelland) und deren Einbindung in das Netz der europäischen Metropolen;
  • die grenzüberschreitenden Räume (Basler Rheinknie, Bodensee- und Genferseeregion, Tessin);
  • die Durchgangsräume (die durch die Neat zwar beeinträchtigt, in ihrer Standortgunst aber auch aufwertet werden);
  • die Flughäfen als notwendige Infrastruktur für die Ansiedlung von «Global Players»;
  • nationale Bildungseinrichtungen;
  • Produktionsstätten für strategisch wichtige exportorientierte Wirtschaftsbranchen;
  • nicht zuletzt die für den Tourismusstandort wichtigen alpinen Räume und Wahrzeichen.


Ziel ist es, dass in Räumen und Themengebieten von nationaler Bedeutung die Konflikte problemorientiert, zielgerichtet und rasch gelöst sowie die Weichen für die zukünftige Entwicklung der gesamten Schweiz richtig gestellt werden. Die geeigneten Lösungen dürfen nicht durch lokale Interessen und Sichtweisen verhindert werden. Die Handlungsmöglichkeiten des Bundes liegen darin, seine Kompetenzen in national bedeutenden Räumen besser wahrzunehmen, hochquali­fizierte Fachleute einzuspannen und Testplanungen gezielt durchzuführen.

Zitiervorschlag: Fabio Giacomazzi (2013). Das Raumkonzept Schweiz – eine Daueraufgabe für uns alle. Die Volkswirtschaft, 01. April.