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Wettbewerbs- und Marktsituation des Schweizer Tourismus

Der Schweizer Tourismus hat schwierige Zeiten mit deutlichen Rückgängen der Hotellogiernächte hinter sich. Die Ursachen hinter dieser Nachfrageschwäche sind primär konjunktureller Art. Neben der schwachen wirtschaftlichen Lage in vielen wichtigen Herkunftsländern hat insbesondere der starke Franken die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Tourismus verschlechtert. Gleichzeitig steht der Schweizer Tourismus vor bedeutenden strukturellen Herausforderungen. Diese wurden durch die Annahme der Zweitwohnungsinitiative sogar noch vergrössert.

Hohes touristisches Potenzial der Schweiz


Seit der ersten Veröffentlichung 2007
belegt die Schweiz im «Travel & Tourism Competitiveness Report» des World Economic Forum (WEF) ununterbrochen den Spitzenplatz. Die Kernzahl des Reports ist der «Travel & Tourism Competitiveness Index», welcher die Wettbewerbsfähigkeit und das Potenzial von Tourismusstandorten erfasst. Damit ist die Schweiz gemäss WEF in Bezug auf den Tourismus weltweit das Land mit dem höchsten Potenzial. Dieses basiert auf verschiedenen Faktoren. Der Schweizer Tourismus hat seine Ursprünge in der intakten Natur und der Erschliessung der Alpen Ende des 19. Jahrhunderts. Diese sind auch heute noch wichtige Trümpfe des Schweizer Tourismus. Die Vielfalt an touristischen Attraktionen auf kleinem Raum ist im Zeitalter der Erlebnisorientierung ein weiteres Schlüsselkriterium für den Erfolg. Daneben kommen der Schweiz ihre Lage im Herzen Europas und die gute Anbindung ans europäische Autobahn- und Schienennetz entgegen. Diese Nähe zu den nachfragestarken Quellmärkten des Tourismus ist ein Vorteil, der sich massgeblich auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt.Die steigende Reiseerfahrung sowie die zunehmend stärker divergierenden kulturellen Hintergründe der Reisenden stellen 
immer höhere Anforderungen an das Humankapital. Dank einer Vielzahl gastge­werblicher und touristischer Aus- und Weiterbildungslehrgänge mit internationaler Ausstrahlung verfügt der Schweizer Tourismus über eine bedeutende Schlüsselkompetenz im internationalen Wettbewerb. Nicht zuletzt profitiert er auch vom Ruf der Schweiz als stabile Demokratie mit funktionierenden Institutionen. Damit schafft die Dachmarke «Schweiz» Vertrauen – sowohl bei Touristen wie auch bei Investoren. Das ist ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil insbesondere gegenüber neu auf den Markt eintretenden Konkurrenzstandorten.

Touristische Entwicklung der Schweiz 1990-2012


Eine Betrachtung der Entwicklung der Hotellogiernächte (siehe Grafik 1) zeigt, dass der Schweizer Tourismus bewegte zwei Jahrzehnte hinter sich hat. Zu Beginn der 1990er-Jahre befand sich der Schweizer Tourismus auf einem hohen Niveau. Mit 35,6 Mio. Hotellogiernächten wurde 1990 ein historischer Höchststand erreicht, der bis heute lediglich 2008 übertroffen wurde. Allerdings drehte in den Folgejahren der Wind. Ausgelöst durch die Globalisierung des Tourismus sowie ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen verlor der Schweizer Tourismus bis 1996 kontinuierlich Gäste; die Zahl der Hotellogiernächte reduzierte sich auf unter 30 Millionen. Danach erholte sich die Zahl der Hotellogiernächte bis 2001 allmählich, ohne allerdings das Niveau von 1990 zu erreichen. Gründe hinter dieser positiven Entwicklung waren unter anderem eine gute Binnen- und Weltkonjunktur sowie eine leichte Abwertung des Schweizerfrankens. Ausgelöst durch eine schwache Weltwirtschaft und eine Aufwertung des Frankens – sowie akzentuiert durch 9/11 und Sars – folgte zwischen 2001 und 2004 ein erneuter Rückgang der Hotelübernachtungen in der Schweiz, wobei insbesondere die ausländischen Gäste der Schweiz fernblieben. 2004 wurde eine erfolgreiche Periode eingeläutet: Bis 2008 stiegen die Hotellogiernächte auf knapp 37 Millionen an, womit die Branche die Rekordwerte aus den späten 1980er-Jahre übertrumpfen konnte. Dieser hohe Wert konnte jedoch in den Folgejahren nicht bestätigt werden. Vielmehr sah sich der Schweizer Tourismus aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise und des starken Frankens seit 2008 in der Tendenz einer sinkenden Nachfrage gegenüber. Wie bereits in der Schwächeperiode 2002/03 liegt auch der jüngsten Krise ein deutlicher Nachfrageeinbruch der ausländischen Gäste zu Grunde, während der Binnentourismus stabilisierend wirkte.

Entwicklung des Schweizer Tourismus im internationalen Vergleich


Die Entwicklung des Schweizer Tourismus in den letzten Jahren nicht mit der internationalen Entwicklung mithalten. Dies ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Schweiz eine etablierte Tourismusdestination ist, welche mit neuen, aufstrebenden Tourismusorten in Konkurrenz steht. Allerdings fällt auch der Vergleich mit den vier Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich – allesamt traditionelle Tourismusdestinationen – deutlich zu Ungunsten der Schweiz aus (siehe Grafik 2). Während in Deutschland (+26%), Österreich (+19), Frankreich (+12%) und Italien (+4%) die Hotelübernachtungen seit der Jahrtausendwende teilweise massiv zugenommen haben, stagnierten diese in der Schweiz über den Zeitraum 2000 bis 2012.

Aktuelle Situation


Der Schweizer Tourismus ist infolge der beschriebenen Entwicklung aktuell in einer herausfordernden Lage. Seit 2008 ist die touristische Nachfrage – gemessen an den Hotelübernachtungen – um knapp 7% zurückgegangen. Davon war insbesondere der alpine Ferientourismus stark betroffen. Während die grossen Städte trotz Finanzkrise und Frankenstärke 2012 ungefähr gleich viele Hotellogiernächte verzeichnen konnten wie 2008, resultierte im Alpenraum ein Minus von 13%. Viele kleinere Hotels in den alpinen Feriendestinationen weisen daher aktuell eine angespannte Ertragslage aus. So liegt das Bruttobetriebsergebnis, welches den Bruttobetriebsgewinn in Relation zum Gesamtumsatz setzt, in alpinen Drei- und Viersternehotels häufig unter der Schwelle, welche gemäss Experten nötig ist, um den Liegenschafts- und Versicherungsaufwand, die Mieten und Leasingkosten, die Abschreibungen und die Finanzierungskosten sowie die Steuern decken zu können. In der Folge hat sich seit 2008 auch die Verschuldungssituation in der Hotellerie verschlechtert, sodass in Hotels – insbesondere der Dreisternhotellerie – der Ertragswert teilweise tiefer liegt als die aufgenommenen Bankkredite. Weitere wesentlich mit Fremdkapital finanzierte Investitionen werden unter diesen Voraussetzungen für diese Hotels in absehbarer Zeit nicht möglich sein. Dies wirkt sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit dieser Häuser aus, können sie ihre Dienstleistung aufgrund der fehlenden Mittel doch zu wenig auf die Marktbedürfnisse ausrichten. Die Finanzierung von Hotelprojekten dürfte durch die Annahme der Zweitwohnungsinitiative weiter erschwert werden. Gerade die gehobene Hotellerie, welche Hotelprojekte bis anhin mit dem Verkauf oder der Vermietung von Zweitwohnungen quersubventioniert hat, dürfte zunehmend vor Finanzierungslücken stehen.
Vgl. dazu den Artikel von Davide Codoni und Ueli Grob auf S. 17 in dieser Ausgabe.

Aussichten und Herausforderungen


Die aktuell schwierige Lage dürfte sich in den kommenden Monaten etwas entspannen, zumal die konjunkturelle Situation seit dem vergangenen Herbst allmählich besser wird. Für die Monate Oktober bis Dezember 2012 weist das Bundesamt für Statistik (BFS) ein Wachstum der Hotelübernachtungen von 2,9% gegenüber Vorjahr aus. Auch für die restliche Wintersaison 2012/13 ist aufgrund von Rückmeldungen aus den Tourismusregionen auf einen befriedigenden Geschäftsverlauf der Hotellerie zu schliessen. Zudem dürfte sich der negative Einfluss des starken Frankens aufgrund der jüngsten Abwertungstendenzen und insbesondere der höheren erwarteten Teuerung im Euroraum etwas verringern.

Hohes Preisniveau


Dennoch stehen dem Schweizer Tourismus unvermindert grosse Herausforderungen ins Haus, um in Zukunft das touristische Potenzial, welches offensichtlich in den letzten Jahren nicht immer genutzt werden konnte, besser auszuschöpfen. Die grösste Herausforderung dürfte dabei das strukturell bedingte höhere Preisniveau im Schweizer Tourismus sein. Gemäss BAK Basel lagen die Preise in der Tourismuswirtschaft der umliegenden Länder Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich 2010 um durchschnittlich 20% unter jenen der Schweiz.
Vgl. BAK Basel (2012). Ein internationaler Vergleich von Hotelpreisen zeigte, dass 2006 diese in Österreich und Südtirol um 20% bis 30% tiefer lagen als in der Schweiz; in Frankreich lagen sie hingegen um 20% höher.
Vgl. BHP – Hanser und Partner (2009).Die Ursachen des höheren Preisniveaus liegen zum einen in höheren Vorleistungskosten des Schweizer Tourismus. BAK Basel schätzt, dass die Tourismuswirtschaft der vier umliegenden Länder ihre Vorleistungen im Jahr 2007 um rund 16% günstiger beziehen konnte als das Schweizer Gastgewerbe. Zum anderen lagen gemäss BAK Basel auch die Arbeitskosten in der Tourismuswirtschaft der vier umliegenden Ländern 2007 um rund 26% unter dem Niveau der Schweiz.
Vgl. BAK Basel (2008). Positiv zu werten ist, dass die jüngste Nachfrageschwäche die Tourismusakteure gezwungen hat, ihre Kostenstrukturen zu überdenken und anzupassen.

Konjunkturelle Lage in Herkunftsländern


Dennoch erfreut sich der Schweizer Tourismus in wirtschaftlich guten Zeiten einer grossen Nachfrage. Das heisst, dass die Gäste bereit sind, für Ferien in der Schweiz einen gewissen Preisaufschlag zu bezahlen, was grundsätzlich für die Attraktivität der Schweiz als Tourismusland spricht. Ist die konjunkturelle Lage in wichtigen Herkunftsländern jedoch angespannt, erweisen sich die höheren Preise in der Schweiz als grosses Handicap. Dies lässt sich anhand der beiden Nachfrageschwächen 2002/03 und 2009 illustrieren: Sowohl die Schweiz als auch die Nachbarländer mussten 2009 infolge der Finanzkrise einen Einbruch der Tourismusnachfrage hinnehmen. Ein ähnliches Bild zeigte sich auch in der Nachfrageschwäche 2002/03, als – mit Ausnahme Österreichs – die Hotelübernachtungen aller betrachteten Länder abnahmen. Diese Einbrüche waren primär die Folge eines schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes, das sich negativ auf die Konsumneigung breiter Bevölkerungskreise ausgewirkt hat. Allerdings waren die Rückgänge in der Schweiz – und damit in einem Land mit eingeschränkter preislichen Wettbewerbsfähigkeit – tendenziell stärker als in den restlichen Ländern. Dies spricht dafür, dass sich in der Schweiz zum Effekt des gesunkenen Privatkonsums ein Substitutionseffekt bemerkbar gemacht hat, der dazu geführt hat, dass die ausländischen Gäste anstatt der teureren Ferien in der Schweiz günstigere Ferien in Österreich oder Deutschland gebucht haben. Diese Vermutung wird gestützt durch den Umstand, dass in der Schweiz die beiden Nachfrageeinbrüche 2002/03 und 2009 primär durch die ausgebliebene ausländische Nachfrage ausgelöst wurde, obwohl der Franken in diesen beiden Phasen nicht übermässig aufgewertet hat.

Frankenstärke


Ein weiteres Problem der Schweizer Tourismuswirtschaft ist die Aufwertung des Frankens. Grundsätzlich dürfte die höhere Zahlungsbereitschaft bereits bei einem mehr oder weniger fair bewerteten Schweizerfranken praktisch ausgeschöpft sein. Verteuert aber eine Aufwertung des Frankens die Ferien zusätzlich, bricht ein bedeutender Teil der Nachfrage weg. Anders formuliert ist der Gast bereit, einen Preisaufschlag von vielleicht 15% bis 20% zu bezahlen, weil die Gesamtattraktivität des Tourismuslandes Schweiz hoch ist. Diese Attraktivität reicht aufgrund der einfachen Substitutionsmöglichkeiten aber nicht aus, um einen Preisaufschlag von 30% oder gar 40% durchzusetzen.

Struktur der Hotellerie


Gleichzeitig sind weitere Anstrengungen seitens der Branche nötig, um die Struktur der Hotellerie den Marktbedürfnissen anzupassen. Dabei wird entscheidend sein, dass in der Schweiz auch in Zukunft Erstklass- und Luxushotels gebaut werden können, weil diese insbesondere eine wichtige Leadfunktion in den Destinationen innehaben und zudem in der Regel bessere betriebswirtschaftliche Kennzahlen erreichen als der Durchschnitt der Schweizer Hotellerie. Als Alternative für kleinere Hotels bieten sich Kooperationen an, welche denselben positiven Einfluss auf die Kosteneffizienz haben können. Daneben braucht es weitere Qualitätsoffensiven, weil nur eine höhere Qualität die Durchsetzung höherer Preise ermöglicht.

Abhängigkeit von europäischen Nahmärkten


Eine weitere grosse Herausforderung ist die Abhängigkeit von den europäischen Nahmärkten. Gerade weil Reisende aus Übersee die Schweiz häufig im Rahmen einer Europareise besuchen, reagieren sie deutlich weniger sensibel auf Schwankungen des Schweizerfrankens. In diesem Sinn ist das verstärkte Bearbeiten von Fern- und Wachstumsmärkten durch Schweiz Tourismus eine wichtige Grundlage für die Zukunft des Schweizer Tourismus. Gleichzeitig wird auch entscheidend sein, die Destinationsstrukturen, welche in der Schweiz eine hohe geografische Zersplitterung aufweisen, zu optimieren. Diese Fragmentierung führt dazu, dass die Destinationen in der zunehmend globalisierten Tourismuslandschaft teilweise zu wenig wahrgenommen werden, weil ihre Marketingmittel die dazu nötige kritische Masse nicht erreichen. Gleichzeitig ist die Anpassungsfähigkeit der Destinationsstrukturen an die wechselnden Markt- und Produktionsbedingungen zu gering.

Fazit


Der Schweizer Tourismus hat seit 2008 rund 7% der Hotellogiernächte verloren. Die Ursachen für diesen Verlust waren primär konjunktureller Art. Während 2009 die weltweite Finanzkrise die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen der Schweizer Tourismuswirtschaft einbrechen liess, verschlechterte die Frankenstärke 2011 und 2012 die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Tourismus. Obwohl die Frankenstärke anhält, stehen die Zeichen seit Herbst 2012 auf Entspannung, was für das hohe Potenzial der Schweiz als Tourismusland spricht. Trotz dieses jüngsten Silberstreifens am Horizont bleibt die Branche gefordert. Sie muss einerseits ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern und andererseits die Herkunftsmärkte so diversifizieren, dass Währungsschwankungen weniger stark ins Gewicht fallen. Der Bund unterstützt das Engagement der Branche subsidiär.

Grafik 1: «Entwicklung der Hotellogiernächte in der Schweiz, 1990-2012»

Grafik 2: «Entwicklung des Schweizer Tourismus im Vergleich zu den umliegenden Ländern, 2000-2012»

Kasten 1: Literatur

Literatur

  • BAK Basel (2012): Auswirkungen von Preisreduktionen im Agrar- und Nahrungsmittelbereich auf das Schweizer Gastgewerbe (Management Summary), Basel.
  • BAK Basel (2008): Preise und Kosten der Schweizer Tourismuswirtschaft im internationalen Vergleich, Basel.
  • BHP – Hanser und Partner (2009): Hotels im Preiswettbewerb, Analyse der Kosten und Preise der Schweizer Hotellerie im internationalen Vergleich, Zürich/Bern.

Zitiervorschlag: Richard Kämpf, Christoph Kuhn, (2013). Wettbewerbs- und Marktsituation des Schweizer Tourismus. Die Volkswirtschaft, 01. April.