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Die Aussensicht auf den Schweizer Tourismus

Die Aussensicht auf den Schweizer Tourismus

Die Erfahrung zeigt: Oft ist ein Blick von aussen nötig, um zu Naheliegendes entdecken. Und eigene Ideen sind oft nur durchsetzbar, wenn Externe sie bestätigen. Als Externer kann man Schwachstellen viel schonungsloser offenlegen und Strategiewenden deutlicher empfehlen, als es Insidern «erlaubt» wäre. Zu schnell wird ein Insider, der Kritik übt, als Nestbeschmutzer hingestellt. Externe – und damit der Autor – haben es diesbezüglich leichter. Der folgende Beitrag bringt vielleicht etwas kreative Unruhe, die zu besseren Ergebnissen führt. Da Kohl & Partner auch ein Büro in Zürich hat, ist der Autor eher ein Externer mit Insiderinformationen.

Acht Thesen zum Schweizer Tourismus


Mittlerweile beobachte ich die Schweiz als touristischer Fachmann schon seit einigen Jahrzehnten – insbesondere aus dem österreichischen Blickwinkel. In Verbindung mit den Erfahrungen aus meiner persönlichen Bekanntschaft mit Top-Touristikern aus der Schweiz wage ich nun einige Thesen – nicht als Besserwisser, sondern als Sparringpartner mit Denkanstössen und als Spiegelungen durch einen Externen, der die Schweiz und deren Touristiker schätzt. Den nun folgenden acht Thesen schliesse ich Überlegungen für Strategiewenden an.

Die Schweizer sind gut im Analysieren, aber ­zögerlich in der Umsetzung


Klar, das ist eine Provokation. Diese Beobachtung hat mit der Mentalität und der speziellen Betriebsstruktur zu tun. Nicht umsonst sind die universitären Schweizer Tourismus-Analytiker über die Grenzen hinaus gefragte Referenten und Buchautoren. Sie treten gerade in der Schweiz mit ihrer Expertise auch stark als touristische Berater auf. In der Umsetzung – insbesondere auf der betrieblichen Ebene – wirken sich die überwiegenden Investoren-Betreiber- bzw. Besitzer-Pächter-Modelle hemmend aus. Ein eigentümergeführtes Unternehmen kann einfach schneller entscheiden. Es steht nicht so sehr das Return-on-Investment-Denken im Vordergrund, sondern die Existenzsicherung über Generationen. Während Investoren noch rechnen, überlegen, abwarten und zögern, ob sie den Wünschen der Betreiber nachgeben wollen, haben Familienbetriebe in den Konkurrenzländern schon entschieden und investiert. Damit werden touristische Trends oft nicht schnell genug aufgegriffen, und Mitbewerber haben den Vorteil, First-Mover zu sein. Das Aufspringen auf den Wellnesstrend ist ein gutes Beispiel dafür.

Vielen Destinationen fehlt der Mut zu einem klaren Profil und einer klaren Botschaft


Besonders im Alpensommer geht es darum, die Branding-Richtung festzulegen, dafür eine konsequente Produktentwicklung von der Infrastruktur bis zur Beherbergung durchzuziehen und eine emotionale Botschaft zu finden. Entscheidend ist dabei, welches Lebensgefühl, welche Emotion diese Destination in der Schweiz vermittelt. Es geht nicht um die Anzahl der Bergbahnen und die Kilometer Wander- oder Biker-Wege, sondern darum, Sehnsucht zu wecken und glaubhafte Geschichten für eine ausgewählte Zielgruppe zu erzählen, welche die Menschen bewegen. Spezialprofile, die sich anbieten, sind etwa Familien-, Bike- oder alpine Wellness-Destinationen.

Die Sommer-Produktentwicklung wurde ­vernachlässigt


Die touristische Projekt- und Produktentwicklung war bisher zu sehr auf den Winter aufgebaut, obwohl im Fünfjahresvergleich der Anteil der Logiernächte im Sommer rund 56% beträgt.Erfolgreiche Sommerprodukte haben ­eines gemeinsam: Sie sind attraktive touris­tische Produkte, die den jeweiligen Erleb­nisraum in Form von buchbaren Leistungsbündeln für den Gast erlebbar machen. Es geht um buchungsentscheidende Produktangebote – und davon stehen zu wenige in den «Schaufenstern» der Schweizer Destinationen. Erfolgreiche Destinationen sehen dafür entsprechende Produktmanager vor, die auch im Innenmarketing in der Vernetzung der Leistungspartner geschickt agieren müssen. Es gilt, touristischen Produkten Flügel zu verleihen und sich auf fünf Jahre Produktentwicklung einzustellen. Die Bergbahnen sollen und müssen auch im Sommer eine aktive Rolle zur Produktentwicklung übernehmen.

Die Alpen werden zu sehr als Kulisse oder ­Fitnessgerät gesehen


Der Winter in den Alpen wird immer vor allem auf Sport ausgerichtet bleiben. Der Sommer in den Schweizer Alpen kann aber mit Mystik angereichert werden: beispielsweise Wandern nicht als sportliche Disziplin, sondern als erhebendes Gefühl. Das würde bedeuten, die Alpen trendgerecht stärker als spirituellen und kulturellen Raum, als Ort der Kraft (abschalten und Energie tanken) und der Spiritualität (abschalten und sich selbst erleben) zu sehen. In den Alpen ist Spirit. Mit dieser emotionalen Botschaft würde zum «Oh, wie schön!» (Kulisse) und zum «Oh, wie gesund!» (Gesundheit) der Ansatz «Oh, wie erhebend!» (Spiritualität) hinzukommen. Dieser Ansatz könnte gerade für die Schweiz und dessen europäische Märkte interessant sein.

Es mangelt an bewusster Steuerung durch eine aktive Tourismuspolitik


Einverstanden, Südtirol ist nicht die Schweiz. Aber Südtirols Tourismusentwicklung ist sicher eine Erfolgsgeschichte, von der man lernen kann. Und letztlich haben beide Länder die natürlichen Vorteile der Alpen, die Schönheit der Natur- und Kultur­landschaftsbilder sowie die touristisch sehr attraktiven Landschaftsformen. Südtirol ­betreibt seit Jahrzehnten eine aktive Tourismuspolitik, die auch vor unpopulären Entwicklungen nicht zurückschreckt, und bekennt sich zu einer bewussten Steuerung des Tourismus. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus in der Schweiz ist zwar deutlich geringer als im Südtirol, aber dennoch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Somit besteht kein Anlass, auf eine aktive Tourismuspolitik zu verzichten.

Jammern über die Krise führt direkt ins ­Jammertal


Die Situation ist schwierig. Aber mit welcher Einstellung gehen die Touristiker der Schweiz in die nächsten Jahre? Aufbruch oder Jammertal? Das ist die Frage, die jeder selbst in der Hand hat. Die Tourismuswirtschaft in der Schweiz befindet sich in einer schwierigen Phase, die durchzustehen einiges an Kraft kosten wird. Tatenloses Zusehen und Jammern werden jedoch die Probleme nicht lösen. Optimismus, Antriebskraft und Mut sind die Eigenschaften, die es in einer problematischen Phase braucht. Für alle, die in diesen Zeiten unbedingt unglücklich sein wollen, hat Paul Watzlawick in seinem herrlichen Büchlein «Anleitung zum Unglücklichsein» folgende Ratschläge bereit: Alles gleich machen wie alle anderen; auf die Regierung hoffen; fest daran glauben, dass es bergab geht. Die Schweiz kann und wird aus diesen schwierigen Jahren entweder gestärkt hervorgehen oder aber eine Negativ-Spirale in Gang setzen.

Die Schweiz kann ihre Stärken noch besser am europäischen Markt positionieren


Die «Leuchttürme der Natur» – wie Matterhorn und Jungfraujoch – stehen für die Attraktivität der Schweizer Alpen. Diese Ikonen sind weltbekannt und signalisieren den Vorteil der Schweiz etwa gegenüber Österreich, der Repräsentant für die Alpen zu sein. Bekanntheit bedeutet jedoch nicht immer Begehrlichkeit. Insbesondere bei den Nahmärkten sollte es ein Muss sein, diese Ikonen zu besuchen. Andere Leuchttürme wie flächendeckende E-Bike-Angebote und das ausgezeichnete öffentliche Verkehrssystem – insbesondere in Kombination mit Rad und anderen Sportarten – haben Potenzial in der Marktpositionierung in den europäischen Herkunftsländern. Die Internationalisierung der touristischen Nachfrage für die Schweiz ist positiv zu sehen. In der Europäisierung bestehen trotz des Preisproblems gute Chancen.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz wird durch verstaubtes Beherbergungsangebot ­geschwächt


Ein nicht unerheblicher Anteil der mittelständischen Schweizer Beherbergungsbetriebe kann aufgrund von Investitionsstau, sichtbar fehlender Marktattraktivität und ­geringer Zielgruppenorientierung im Wettbewerb kaum mehr mithalten. Dieses strukturelle Problem hemmt die Wettbewerbs­fähigkeit der Schweiz insgesamt – ganz abgesehen von der fatalen Mischung aus Hardwareschwächen und relativ hohen Preisen. In der Leistungskette bilden diese in die Jahre gekommenen Hotels eine Schwachstelle im Gesamtangebot. Andererseits strahlen Hotels im Luxussegment weit über die Grenzen hinaus, und vereinzelte gut positionierte Hotels im mittleren Segment zeigen den Weg auf. Für klare Hotel-Spezialisierungen und themenbezogene Kooperationsgruppen ist jedenfalls noch viel Platz in der Schweiz.

Überlegungen zu Strategiewenden


Es wird noch Gelegenheiten geben, diese und andere Thesen zu diskutieren und in Überlegungen zu Strategiewenden münden zu lassen. Aus meiner Erfahrung mit der Strategieentwicklung ganzer Länder, Regionen oder Destinationen könnten folgende Ansätze eine Basis dazu bilden:

  • Eine aktive Tourismuspolitik bekennt sich zu einer bewussten Steuerung der touristischen Entwicklung, legt Strategiepläne vor und unterstützt alle Leistungsträger mit gezielten Massnahmen bei der Umsetzung. Diese Rückendeckung ist notwendig und mobilisiert Initiativen, weil der «rote Faden» gelegt ist.
  • Mehr touristischen Destinationen als bisher gehen mutig in Richtung klarer Positionierung, entwickeln eine Branding-Richtung, setzen Produktentwickler für Spezialprofile ein und konzentrieren ihre Energien und Budgets in den nächsten drei Jahren auf eine konsequente Produktentwicklung von der Infrastruktur bis zur Beherbergung. Eine wichtige Impulsrolle – vor allem im Sommerangebot – haben dabei die Bergbahnen. Destinationsmasterpläne für die Sommerentwicklung 2013-2020 bilden dazu die Grundlage.
  • Eine kritische Menge von Hotels tritt aus dem undifferenzierten Bereich heraus, entwickelt sich mit Nischenprodukten zu Spezialisten für bestimmte Zielgruppen, vertieft ihr Angebot mit buchungsentscheidenden Argumenten und schliesst sich zum Teil in marketingorientierten Kooperationen zusammen. Durch diese neuen Qualitäten begegnen sie der beliebigen Austauschbarkeit der Angebote und damit dem blossen Preiswettbewerb. Für diese innovativen Produktentwicklungen werden von Seiten der Öffentlichkeit Förderungsanreize geschaffen.
  • Und schliesslich: Die Stimmung im Lande ist nicht durch Jammern und dem Schielen nach Österreich geprägt, sondern durch selbstbewusstes strategisches Handeln, das die Motivation unter den touristischen Leistungsträgern hoch hält. Die Schweiz ist im Tourismus eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt. Was der Uhrenindustrie gelungen ist, kann auch der Tourismuswirtschaft gelingen.

Zitiervorschlag: Manfred Kohl (2013). Die Aussensicht auf den Schweizer Tourismus. Die Volkswirtschaft, 01. April.