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Wofür und für wen spart die Schweiz?

Unter dem Einfluss der finanziellen Globalisierung geht ein zunehmender Anteil der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis der Schweiz als Kapitalexport ins Ausland. Eine ähnliche Entwicklung kann auch auf Ebene der einzelnen institutionellen Sektoren beobachtet werden. Am deutlichsten wird dies bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften. Der Anteil des Nettoauslandvermögens am Volksvermögen ist entsprechend hoch. Gleichzeitig zeigt die integrierte Sach- und Finanzvermögensbilanz der Schweiz, dass der Bruttobestand der Verbindlichkeiten von Schweizer Wirtschaftseinheiten hoch ist – insbesondere gegenüber dem Ausland.

«Wenn sich Wohlstand einstellt, brauche ihn nicht vollständig auf.» Dieser Imperativ wird dem chinesischen Philosophen Konfuzius (551– 479 v. Chr.) zugeschrieben. Seine Wirkung scheint er aber auch in der Schweiz entfaltet zu haben. Dies zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie, die sich mit der ­Ersparnisbildung und -verwendung in der Schweiz auseinandersetzt.
Der vorliegende Beitrag fasst Ergebnisse einer Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zusammen (vgl. Kellermann und Schlag, 2013). Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die deutliche Divergenz der gesamtwirtschaftlichen Bruttosparquote und Bruttoinvestitionsquote, die ­Anfang der 1980er-Jahre einsetzt. Die gesamtwirtschaftliche Bruttoersparnis der Schweiz stieg zwischen 1980 und 1990 von 27% des Bruttoinlandprodukts (BIP) auf 32% an. Im Jahr 2006 erreichte sie bei einem Niveau von nominal 201 Mrd. Franken mit 36,7% einen vorläufigen Höhepunkt (siehe Grafik 1). Die gesamtwirtschaftliche Sparquote der Schweiz liegt damit weit über dem Durchschnitt der Industrieländer, den der Internationale Währungsfonds (IWF) für das Jahr 2010 mit 20,6% angibt.

Divergenz von Spar- und ­Investitionsquoten


Die gesamtwirtschaftliche Bruttoersparnis akkumuliert sich über die Zeit zum Rein- oder Volksvermögen einer Volkswirtschaft. Zwar wird die Entwicklung der Vermögensbestände auch von anderen Faktoren beeinflusst. Der Anstieg der Sparquoten hat jedoch dazu beigetragen, dass sich das Volksvermögen
Das Volksvermögen setzt sich aus Sachvermögen und Nettoauslandvermögen zusammen. Es wird auch als Reinvermögen bezeichnet. der Schweiz seit 2000 deutlich dynamischer entwickelt hat als das BIP. So ist die ­Relation vom Volksvermögen zum BIP zwischen 2000 und 2010 von 4,4 auf 4,8 angestiegen. In Deutschland lag dieses Verhältnis 2010 mit 4,4 leicht tiefer (2000: 3,9). Im Rahmen der Studie wurde das Volksvermögen der Schweiz auf der Basis verschiedener Statistiken für die Jahre 2000 bis 2010 approximiert (siehe Grafik 2 sowie Kasten 1

Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen


Das Europäische System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 95) sieht Vermögensbilanzen prinzipiell vor. Werden die beiden Komponenten Sach- und Finanzvermögen (Geldvermögen) zusammengefasst, so spricht man von integrierten Vermögensbilanzen. Das ESVG 95 enthält Vorgaben zur einheitlichen Abgrenzung von Vermögensgütern, Forderungen und Verbindlichkeiten. In den letzten Jahren wurden beispielsweise in Deutschland Vermögensbilanzen für die institutionellen Sektoren sowie für die gesamte Volkswirtschaft aufgestellt. a

Die Europäische Zentralbank (EZB) legte jüngst Vermögensbilanzen für die Haushaltssektoren ihrer Mitgliedsländer vor. Die SNB erstellt eine Vermögensbilanz für die privaten Haushalte der Schweiz. Eine integrierte Vermögensbilanz für die Gesamtwirtschaft wird von offizieller Stelle in der Schweiz nicht erstellt. Die im Rahmen unserer Studie aufgestellte integrierte Sach- und Finanzvermögensbilanz der Schweiz berücksichtigt folgende Statistiken:

  • BFS, Nichtfinanzieller Nettokapitalstock: Methodenbericht, März 2013.
  • SNB, Vermögen der privaten Haushalte 2011, November 2012.
  • SNB, Finanzierungsrechnung der Schweiz 2010, November 2012.
  • SNB, Auslandvermögen der Schweiz 2011,
Dezember 2012.


a Vgl. Deutsche Bundesbank (2008, 2012a, b)).Der Vermögenszuwachs fällt geringer aus, wenn auf das Sachvermögen bzw. den nichtfinanziellen Kapitalstock fokussiert wird. Die Dynamik des Sachvermögens bleibt seit 1990 hinter derjenigen des BIP zurück; die Quote aus Sachvermögen und BIP sinkt von 2,6 auf 2,3. Dies erklärt sich durch die vergleichsweise schwache Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Bruttoinvestitionen. Der Anteil der Bruttoinvestitionen am BIP ist in der Schweiz über die vergangenen 20 Jahre von 30% auf 20% zurückgegangen. Dieser Rückgang betrifft vor allem die gesamtwirtschaftlichen Bauinvestitionen; aber auch der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen am BIP nimmt seit 1990 ab. Investitionen in den Kapitalstock spielen in einer Volkswirtschaft eine wichtige Rolle als Quelle des Potenzialwachstums. Bei unverändertem Arbeitseinsatz können rückläufige Investitionsquoten ebenso dämpfend auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität wie die Grenzproduktivität der Arbeit und die Reallöhne wirken.
Vgl. Horn et al. (2007).Im internationalen Vergleich entspricht die Bruttoinvestitionsquote der Schweiz aktuell recht genau dem Durchschnitt der Industrieländer. Seit 1990 hat sich die Bruttoinvestitionsquote in dieser Ländergruppe um durchschnittlich 5 Prozentpunkte reduziert. Die fortschreitende Emanzipation von Spar- und Investitionsentwicklung in der Schweiz, die sich sowohl auf gesamtwirtschaftlicher wie sektoraler Ebene vollzieht, lässt sich im Rahmen einer Korrelationsanalyse nach Feldstein und Horioka (1980) ökonometrisch abbilden (siehe Kasten 2

Feldstein-Horioka-Untersuchungen zur Korrelation von Spar- und Investitionsquoten in der Schweiz


Es werden kurz- und langfristige Koeffizienten zum statistischen Zusammenhang von Spar- und Investitionsquoten bestimmt. ­Unterschieden werden drei Teilzeiträume:

  • Im Teilzeitraum von 1952 bis 1980 kann eine Kointegrationsbeziehung zwischen der Investitionsquote I/Y und der Sparquote S/Y nachgewiesen werden. Der Langfristkoeffizient beider Quoten ist 1. Im Teilzeitraum 1980 bis 2006 ist der Ertragsbilanzsaldo nicht stationär; eine Kointegrationsbeziehung von I/Y und S/Y kann nicht nachgewiesen werden. Der Kurzfristkoeffizient zum statistischen Zusammenhang der Quoten ist signifikant und beträgt 0,29. Im Zeitraum 1980 bis 2010 ist der Ertragsbilanzsaldo nicht stationär. Es liegt keine Kointegrationsbeziehung zwischen I/Y und S/Y vor; der Kurzfristkoeffizient ist statistisch nicht signifikant.
  • Auf Ebene der institutionellen Sektoren wird der Zeitraum 1990 bis 2010 untersucht. Für keinen Sektor kann eine Kointegrationsbeziehung zwischen der Investitionsquote und der Sparquote nachgewiesen werden. Auch die entsprechenden Kurzfristkoeffizienten sind nicht signifikant.


).

Steigende Kapitalexportquoten


Der Anteil der volkswirtschaftlichen Bruttoersparnis, der nicht als Bruttoinvestition in den Aufbau des Sachvermögens fliesst, bildet den Finanzierungssaldo. Er entspricht dem Nettobetrag an Mitteln, den eine Volkswirtschaft der übrigen Welt zur Verfügung stellt. Die Divergenz von Ersparnis und Investitionen liess den Finanzierungssaldo der Schweiz zwischen 1990 und 2010 von 1,8% auf 15,1% am BIP ansteigen. Der Abfluss von Bruttoersparnis zeigt sich im Aufbau eines beträchtlichen Nettoauslandvermögens,
Zum Drehscheibenproblem vgl. Mancini-Griffoli und Stoffels (2012). dessen Re­lation zum BIP sich von 0,7 auf 1,4 verdoppelte. Auch der Anteil des Nettoauslandvermögens am Reinvermögen ist in der Schweiz im internationalen Vergleich beachtlich. Er bewegt sich zwischen 25% und 29%.
Der Saldo der Kapitalerträge in der Ertragsbilanz ist entsprechend hoch und treibt deren Entwicklung massgeblich. Die deutsche Vermögensbilanz weist demgegenüber Relationen von knapp über Null bis 3% aus.Die expandierenden Finanzierungssalden sind ökonomisch nicht eindeutig zu bewerten. Für Jordan (2013, S. 5) spricht nichts dagegen, wenn «ein Land lieber mehr spart und diesen Sparüberschuss im Ausland anlegt, also Kapital exportiert… Es gibt keinen – aus der ökonomischen Theorie hergeleiteten – optimalen Ertragsbilanzsaldo.» Obstfeld (2012) bewertet anhaltende Finanzierungssaldos hingegen kritisch. Auch die EU sieht sich, was den Umgang mit Ertragsbilanzsalden angeht, auf den Plan gerufen. So wurde mit der Macroeconomic Imbalance Procedure (MIP) 2012 ein Verfahren entwickelt, um Ertragsbilanzungleichgewichte einzelner Volkswirtschaften zu bestimmen. Das Unter- bzw. Überschreiten bestimmter Schwellenwerte leitet dabei Massnahmen der Aufsichtsbehörde ein. Ertragsbilanzüberschüssse gelten als ungleichgewichtig, wenn im Durchschnitt dreier aufeinanderfolgender Jahre der Anteil des Ertragsbilanzsaldos 6% am BIP übersteigt.

Sämtliche institutionelle Sektoren ­bilden Ersparnisüberschüsse


Auch auf Ebene der institutionellen Sektoren steigen die Finanzierungssalden tendenziell. Die klassische Vorstellung, wonach die privaten Haushalte den Unternehmen sowie dem Staat Überschussersparnisse für Investitionszwecke zur Verfügung stellen, gilt seit einigen Jahren nicht mehr. Die realwirtschaftlichen Aktivitäten (Konsum und Investition) werden von allen institutionellen ­Sektoren in der Schweiz zunehmend innenfinanziert, d.h. aus eigenen Finanzmitteln. Die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften haben gleichzeitig einen dominierenden Einfluss sowohl auf die Entwicklung der 
gesamtwirtschaftlichen Spar- und Investitionsquote als auch auf den Aufbau des Sachvermögens. Die Sparquote der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften berechnet sich als Anteil der nicht weitergegebenen Gewinne am BIP. Sie stieg von 14,3% (1990) auf 17,6% (2010). Mit einer Summe von 101 Mrd. Franken entsprach dies 2010 mehr als der Hälfte der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisbildung in der Schweiz. In Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Die Sparquote der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften stieg dort von 8,8% (1991) auf 12,6% (2010). Ihr Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Ersparnis betrug zuletzt 53%.

Rückläufige Investitionsquoten und ­ansteigende Kapitalexporte


Gleichzeitig geht in der Schweiz die Investitionsquote bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften im Vergleich zu den übrigen institutionellen Sektoren am deutlichsten zurück. Das gilt vor allem für die Ausrüstungsinvestitionen, die 1990 11,5% und 2010 8,4% am BIP ausmachten. Der Ersparnisüberschuss der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften in Relation zum BIP nahm gleichzeitig um fast 10 Prozentpunkte von –4,4% auf 5,4% zu. Dies führte im Zeitraum 2000 bis 2010 zu einem Anstieg des Nettofinanzvermögens der nichtfinanziellen Unternehmen von nominal gut 92 Mrd. Franken. Das produzierte Sachvermögen dieses institutionellen Sektors verzeichnete einen Zuwachs in vergleichbarer Höhe. In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild. Im sektoralen Vergleich geht die Investitionsquote bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften am kräftigsten zurück. Über die Hälfte des in Deutschland beobachteten Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote um 6,5 Prozentpunkte entfällt auf diesen Sektor.Ökonomisch kann die Tendenz rückläufiger Investitionsquoten und ansteigender Kapitalexporte vor dem Hintergrund der neoklassischen Konvergenzhypothese erklärt werden.
Vgl. Barro, Sala i-Martin (1995). Sie besagt, dass Investoren mit Sitz in den Industrieländern unter den Bedingungen der Kapitalmobilität renditeträchtige Anlagen in kapitalärmeren Schwellen- oder Entwicklungsländern suchen. Unternehmen engagieren sich jedoch auch aus Gründen der Risikostreuung, Diversifizierung oder des Marktzutritts im Ausland. Tatsächlich geht der grössere Teil der Schweizer Direktinvestitionen nicht in Schwellenländer, sondern in die EU bzw. die USA.

Beitrag der finanziellen Kapital-
gesellschaften


Die finanziellen Kapitalgesellschaften – insbesondere die Banken und Versicherungen – leisteten im Jahr 2010 einen Beitrag von 3,1 Prozentpunkten zur gesamtwirtschaftlichen Sparquote. Dieser nahm vor der Krise deutlich zu (5,4%), um 2010 wieder auf den Anteil von 1990 abzusinken. Die Investitionsquote der Finanzunternehmen ist seit einigen Jahren rückläufig und betrug 2010 noch 1,1%. Die finanziellen Kapitalgesellschaften trugen damit überproportional zum Aufbau des Sachvermögens bei. Ihre Ersparnis floss primär in den Aufbau des Nettoauslandvermögens. Die Bruttosparquote der privaten Haushalte entwickelte sich mit einer gewissen Volatilität seit 1990 stabil um einen Wert von 12%. Der Anteil der Zwangsersparnis, die im Wesentlichen den an die Pensionskassen einbezahlten Geldern entspricht, sank in diesem Zeitraum von knapp 60% auf ca. 50% am Bruttosparen der privaten Haushalte insgesamt. Merklich geschrumpft ist mit 1,8 Prozentpunkten auch die Quote der Bauinvestitionen der privaten Haushalte. Im Jahr 2010 betrug diese 3,2%. Die Ersparnis der öffentlichen Verwaltungen entspricht der Differenz aus den Gesamteinnahmen und den laufenden Betriebs- und Transferausgaben. Der Staat als institutioneller Sektor wies 1990 eine Sparquote von 3,4% auf. Diese nahm bis 2010 um einen knappen Prozentpunkt auf 2,5% ab. Es fällt auf, dass selbst der Staat seit 2006 Ersparnisüberschüsse realisierte.

Rapide Entwicklung bei den ­Bruttopositionen


Die Betrachtung der sektoralen Spar- und Investitionsquoten erlaubt Rückschlüsse auf die Entwicklung des Volks- und Nettoauslandvermögens. Gleichzeitig führt die Fokussierung auf die Ebene der Sektoren zu erheblichen Informationsverlusten. Vernachlässigt werden sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten, die zwischen Wirtschaftseinheiten innerhalb eines Sektors bestehen. Anschaulich wird dies am Beispiel der privaten Haushalte. Zwar realisieren diese auf Ebene des institutionellen Sektors seit Jahren steigende Ersparnisüberschüsse. Parallel nimmt jedoch auch die Zahl der Privatinsolvenzen und Betreibungen zu. Um die Konsolidierungsproblematik deutlich zu machen, wird eine integrierte Sach- und Finanzvermögensbilanz für die Schweiz aufgestellt (siehe Kasten 1

Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen


Das Europäische System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 95) sieht Vermögensbilanzen prinzipiell vor. Werden die beiden Komponenten Sach- und Finanzvermögen (Geldvermögen) zusammengefasst, so spricht man von integrierten Vermögensbilanzen. Das ESVG 95 enthält Vorgaben zur einheitlichen Abgrenzung von Vermögensgütern, Forderungen und Verbindlichkeiten. In den letzten Jahren wurden beispielsweise in Deutschland Vermögensbilanzen für die institutionellen Sektoren sowie für die gesamte Volkswirtschaft aufgestellt. a

Die Europäische Zentralbank (EZB) legte jüngst Vermögensbilanzen für die Haushaltssektoren ihrer Mitgliedsländer vor. Die SNB erstellt eine Vermögensbilanz für die privaten Haushalte der Schweiz. Eine integrierte Vermögensbilanz für die Gesamtwirtschaft wird von offizieller Stelle in der Schweiz nicht erstellt. Die im Rahmen unserer Studie aufgestellte integrierte Sach- und Finanzvermögensbilanz der Schweiz berücksichtigt folgende Statistiken:

  • BFS, Nichtfinanzieller Nettokapitalstock: Methodenbericht, März 2013.
  • SNB, Vermögen der privaten Haushalte 2011, November 2012.
  • SNB, Finanzierungsrechnung der Schweiz 2010, November 2012.
  • SNB, Auslandvermögen der Schweiz 2011,
Dezember 2012.


a Vgl. Deutsche Bundesbank (2008, 2012a, b)). In dieser Bilanz werden die Forderungen und Verbindlichkeiten, die zwischen den ein­zelnen Wirtschaftsakteuren bestehen, nicht saldiert. Insgesamt addiert sich die Bilanzsumme der integrierten Sach- und Finanzvermögensbilanz auf über 9 Bio. Franken (siehe Grafik 2). Das entspricht dem 17fachen des BIP. Die grössten Anteile an den Bruttopositionen hält der institutionelle Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften, auf den 2010 64% aller Verpflichtungen und 58% ­aller Forderungen entfallen. Der Anteil des Reinvermögens an der Bilanzsumme ­beträgt 2010 29%. Die Verbindlichkeiten (einschliesslich Aktien und andere Anteilsrechte) machen 71% an der Bilanzsumme aus. Wird nur die Vermögensbilanz der privaten Haushalte betrachtet, so ergibt sich eine Schuldenquote von etwa 20%, dieser Wert entspricht ungefähr dem europäischen Durchschnitt.
Vgl. SNB (2012), ECB (2013). Die Bruttopositionen gegenüber dem Ausland haben zwischen 1985 und 2000 im Vergleich zur Nettoauslandposition deutlich stärker expandiert. Die Quote der finanziellen Globalisierung misst das Verhältnis der Auslandaktiven zuzüglich Auslandpassiven zum doppelten BIP. Sie erfährt in der Schweiz zwischen 1985 und 2007 einen beeindruckenden Anstieg von 1,7 auf 5,9 (2010: 5,0). In Deutschland weist diese Quote im Jahr 2010 einen Wert von 2,3 auf.Die ökonomische Bewertung der rapiden Entwicklung der Bruttopositionen ist ambivalent. Nehmen die Auslandaktiven und -passiven zu, so nutzen die Wirtschaftseinheiten die Möglichkeiten der internationalen Vermögensdiversifizierung, was potenziell die Investitionserträge erhöht und Risiken durch internationales Risk-Sharing senkt.
Schätzungen zeigen jedoch, dass der Effekt des internationalen Risk-Sharings auch in der Schweiz eher gering ist (vgl. Kellermann und Schlag, 2013). Gleichzeitig haben die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, dass hohe Bruttopositionen auch erhebliche Gefahren für die Finanzstabilität mit sich bringen können. Das gilt selbst dann, wenn die betreffende Volkswirtschaft über hohe Nettoauslandvermögen verfügt. So hatten in den Jahren 2008 und 2009 auch Gläubigerländer mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen, insbesondere was die Versorgung mit Dollar-Liquidität anbelangt.
Vgl. Jordan (2012). Dazu kommt, dass hohe Forderungsbestände gegenüber dem Ausland das Risiko der finanziellen Ansteckung und sogenannter Dominoeffekte bergen.

Fazit


Die Schweizer Volkswirtschaft spart einen zunehmend grossen Anteil des BIP. Aber wofür und für wen spart die Schweiz? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, welche volkswirtschaftliche Ebene betrachtet wird. Aus makroökonomischer Perspektive fliesst die Bruttoersparnis zunächst in den Erhalt und Aufbau des produzierten Sachvermögens. Der verbleibende gesamtwirtschaftliche Ersparnisüberschuss akkumuliert sich zum Nettoauslandvermögen. Dessen hoher und tendenziell steigender Anteil am Volksvermögen zeigt, dass die gesamtwirtschaftliche Ersparnis vermehrt im Ausland investiert wird. Auch die institutionellen Sektoren realisieren tendenziell steigende Finanzierungssalden. Werden Bruttopositionen auf Ebene der Wirtschaftseinheiten betrachtet, so wird deutlich, dass der Bestand an Verbindlichkeiten in der integrierten Vermögensbilanz der Schweiz hoch ist. Dies gilt gegenüber dem In- und Ausland, mit entsprechenden Implikationen für die Finanzstabilität.

Grafik 1: «Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Spar- und Investitionsquote in der Schweiz, 1990–2010»

Grafik 2: «Integrierte Sach- und Finanzvermögensbilanz für die Schweiz, 2010»

Kasten 1: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen

Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen


Das Europäische System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 95) sieht Vermögensbilanzen prinzipiell vor. Werden die beiden Komponenten Sach- und Finanzvermögen (Geldvermögen) zusammengefasst, so spricht man von integrierten Vermögensbilanzen. Das ESVG 95 enthält Vorgaben zur einheitlichen Abgrenzung von Vermögensgütern, Forderungen und Verbindlichkeiten. In den letzten Jahren wurden beispielsweise in Deutschland Vermögensbilanzen für die institutionellen Sektoren sowie für die gesamte Volkswirtschaft aufgestellt. a

Die Europäische Zentralbank (EZB) legte jüngst Vermögensbilanzen für die Haushaltssektoren ihrer Mitgliedsländer vor. Die SNB erstellt eine Vermögensbilanz für die privaten Haushalte der Schweiz. Eine integrierte Vermögensbilanz für die Gesamtwirtschaft wird von offizieller Stelle in der Schweiz nicht erstellt. Die im Rahmen unserer Studie aufgestellte integrierte Sach- und Finanzvermögensbilanz der Schweiz berücksichtigt folgende Statistiken:

  • BFS, Nichtfinanzieller Nettokapitalstock: Methodenbericht, März 2013.
  • SNB, Vermögen der privaten Haushalte 2011, November 2012.
  • SNB, Finanzierungsrechnung der Schweiz 2010, November 2012.
  • SNB, Auslandvermögen der Schweiz 2011,
Dezember 2012.


a Vgl. Deutsche Bundesbank (2008, 2012a, b)
Kasten 2: Feldstein-Horioka-Untersuchungen zur Korrelation von Spar- und Investitionsquoten in der Schweiz

Feldstein-Horioka-Untersuchungen zur Korrelation von Spar- und Investitionsquoten in der Schweiz


Es werden kurz- und langfristige Koeffizienten zum statistischen Zusammenhang von Spar- und Investitionsquoten bestimmt. ­Unterschieden werden drei Teilzeiträume:

  • Im Teilzeitraum von 1952 bis 1980 kann eine Kointegrationsbeziehung zwischen der Investitionsquote I/Y und der Sparquote S/Y nachgewiesen werden. Der Langfristkoeffizient beider Quoten ist 1. Im Teilzeitraum 1980 bis 2006 ist der Ertragsbilanzsaldo nicht stationär; eine Kointegrationsbeziehung von I/Y und S/Y kann nicht nachgewiesen werden. Der Kurzfristkoeffizient zum statistischen Zusammenhang der Quoten ist signifikant und beträgt 0,29. Im Zeitraum 1980 bis 2010 ist der Ertragsbilanzsaldo nicht stationär. Es liegt keine Kointegrationsbeziehung zwischen I/Y und S/Y vor; der Kurzfristkoeffizient ist statistisch nicht signifikant.
  • Auf Ebene der institutionellen Sektoren wird der Zeitraum 1990 bis 2010 untersucht. Für keinen Sektor kann eine Kointegrationsbeziehung zwischen der Investitionsquote und der Sparquote nachgewiesen werden. Auch die entsprechenden Kurzfristkoeffizienten sind nicht signifikant.


Kasten 3: Literatur

Literatur

  • Barro, R. J., X. Sala-i-Martin (1995), Economic Growth, McGraw Hill.
  • Deutsche Bundesbank (2008), Integrierte sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen für Deutschland, Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 1, S. 31-47.
  • Deutsche Bundesbank (2012a), Das PHF: eine Erhebung zu Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland, Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 1, S. 29-46.
  • Deutsche Bundesbank (2012b), Finanzierungsrechnung 2006 bis 2011, Juni.
  • ECB – European Central Bank (2013), The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey: Results from the first wave, Statistic Paper Series Nr. 2, April.
  • Feldstein, M., C. Horioka (1980), Domestic Saving and International Capital Flows, The Economic Journal 90, S, 314-329.
  • Horn, G. A., C. Logeay, S. Tober (2007), Methodische Fragen mittelfristiger gesamtwirtschaftlicher Projektionen am Beispiel des Produktionspotenzials, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), IMK Studies 1/2007, Düsseldorf.
  • Jordan, T. (2012), Geldpolitik in Krisenzeiten – Warum Zentralbanken miteinander reden, Referat beim 45. Energie-Apero Etavis, Zürich, 14. Mai.
  • Jordan, T. (2013), Starker Franken und hoher Ertragsbilanzüberschuss: ein Widerspruch? 
Referat beim Schweizerischen Institut für Auslandforschung, Zürich, 19. Februar.
  • Kellermann, K., C.-H. Schlag (2013), Wofür und für wen spart die Schweiz? – Der Einfluss der finanziellen Globalisierung auf die Vermögensbildung und -struktur in der Schweiz, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).
  • Mancini-Griffoli, T., N. Stoffels (2012), Adjusting the Current Account to Better Capture Wealth Accumulation, August.
  • Obstfeld, M. (2012), Does the Current Account Still Matter?, American Economic Review, American Economic Association 102, S. 1-23.
  • SNB – Schweizerische Nationalbank (2012), Auslandvermögen der Schweiz 2011, Dezember, Zürich.
  • Statistisches Bundesamt (2012), Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen: 1991-2011, September, Wiesbaden.

Zitiervorschlag: Kersten Kellermann, Carsten-Henning Schlag, (2013). Wofür und für wen spart die Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.