Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Der Zugang zum EU-Markt ist für die Schweiz unverzichtbar und schafft Arbeitsplätze sowie Wohlstand. Längst stehen aber in der Bevölkerung nicht mehr die ökonomischen Argumente allein im Vordergrund. Zu diskutieren gibt vielmehr die durch die Personenfreizügigkeit ausgelöste hohe Zuwanderung der letzten Jahre. Diese wird heute primär durch die wirtschaftliche Situation der Schweiz und der damit verbundenen Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften bestimmt. Zur Sicherung des Marktzutritts in der EU und der Personenfreizügigkeit braucht es eine dezidierte Steuerung der Migrationspolitik.
Bereits vor drei Jahren hat der Bundesrat ein Forderungspaket «Vollzug des Freizügigkeitsabkommens» mit Massnahmen gegen unberechtigte und missbräuchliche Sozialleistungsbezüge angenommen:
- Entzug des Aufenthaltsrechts und des Leistungsanspruchs auf Sozialbeiträge bei Erlöschen der Arbeitnehmereigenschaft nach 6 Monaten;
- keine Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach 5 Jahren im Falle einer Arbeitslosigkeit von mehr als 12 Monaten;
- Gewährleistung des Informationsflusses zwischen Arbeitslosenversicherung (ALV), Sozialhilfe und Migrationsbehörden;
- Missbrauchsbekämpfung bei der Beanspruchung der ALV.
Das Paket geht in die richtige Richtung. Entscheidend ist aber die rasche Umsetzung, verbunden mit einer glaubwürdigen Kommunikation gegenüber der Bevölkerung.
Konsequente Missbrauchsbekämpfung…
Seit einiger Zeit sieht sich die Schweiz wegen der enormen Finanz- und Schuldenkrise im EU-Raum mit einer verstärkten, vorab unqualifizierten Zuwanderung aus Südeuropa konfrontiert. Dieses Phänomen erhöht das Missbrauchsrisiko vor allem im Bereich Sozialleistungen und Aufenthaltsrecht. Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) unterstützt die vom Bundesrat vorgesehenen Schritte, ungerechtfertigte Aufenthaltsansprüche zu verhindern. Im Vordergrund stehen folgende Massnahmen: ausschliesslich Kurzaufenthaltsbewilligungen für Temporärangestellte, kein Familiennachzug ohne angemessene Wohnung, Bekämpfung von Scheinehen sowie ausreichende finanzielle Mittel bei Nichterwerbstätigen. In diesem Zusammenhang interessiert, ob alle Massnahmen des Bundesrates umgesetzt wurden und welche Zwischenbilanz heute zur angestrebten Missbrauchsbekämpfung gezogen wird. Je nach Fazit müssen zusätzliche Massnahmen in Betracht gezogen werden, um Missbräuche beim Vollzug des Freizügigkeitsabkommens zu reduzieren. Zur Debatte steht die Einführung eines «Missbrauchsmonitorings» des Bundes zusammen mit den Kantonen. Auch hier stellt sich die Frage nach Zielen, Inhalten und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der ersten Resultate. Denkbar ist eine jährliche Berichterstattung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zur Missbrauchsbekämpfung, analog zu derjenigen im Bereich der flankierenden Massnahmen (FlaM).
… ohne Überregulierung des Arbeitsmarkts
Der SGV ist der Auffassung, dass sich Lohndumping mit dem heute geltenden Dispositiv der FlaM effizient bekämpfen lässt und in keiner Weise bloss eine Alibiübung darstellt. Die festgestellte Verstossquote von teilweise über 30% muss stark relativiert werden, weil darin auch nur vermutete und Bagatellverstösse enthalten sind. Es scheint plausibel, von den effektiv sanktionierten Verstössen auszugehen. Das entspricht – je nach Kategorie – einer Verstossquote von
6%–12%.Dieser Befund kontrastiert stark mit der öffentlichen Wahrnehmung, die von zahlreichen Medienberichten über die Beschäftigung osteuropäischer Arbeitskräfte zu Tiefstlöhnen geprägt ist. In einer Gesamtbeurteilung der FlaM muss weiter berücksichtigt werden, dass die Arbeitsleistungen, bei denen Missbräuche vor allem vorkommen, deutlich weniger als 1% des gesamten schweizerischen Arbeitsvolumens ausmachen.Die geltenden FlaM tragen wesentlich dazu bei, unfaire Konkurrenz durch Unternehmen aus der EU zu verhindern. Anders ausgedrückt: Der SGV achtet darauf, dass das Dispositiv der FlaM – wie ursprünglich konzipiert – auf die Verhinderung von Missbräuchen ausgerichtet bleibt und nicht zu einer Überregulierung des Arbeitsmarkts führt. Der SGV befürwortet Verbesserungen beim Vollzug der existierenden Massnahmen überall dort, wo echte Probleme festgestellt werden. Er lehnt hingegen verschiedene ideologisch motivierte Forderungen der Gewerkschaften ab, die nicht auf die Missbrauchsbekämpfung fokussieren und damit unbeteiligte KMU übermässig belasten. Dies gilt insbesondere für die Forderungen, 50% der Neueinstellungen zu kontrollieren, mehr Normalarbeitsverträge zu erlassen oder Minimallöhne einzuführen.