Suche

Abo

Fachkräfteinitiative: Wichtigste Massnahmen im Überblick

Schriftgrösse
100%

Ohne eine ausreichende ­Versorgung mit Fachkräften drohen der Schweizer Wirtschaft ­Einbussen an Wertschöpfung und Produktivität. Ausgehend von ­diesem Befund hat das Eidg. Departement für Wirtschaft, ­Bildung und Forschung (WBF) die unter den Kantonen und den So­zialpartnern breit ­abgestützte Fachkräfteinitiative lanciert. Ziel ist es, die Fach­kräftenachfrage bis 2020 vermehrt durch Personen aus der Schweiz abzudecken, unter anderem über die Aktivierung freier Potenziale in der Schweizer ­Erwerbsbevölkerung und der kontinuierlichen Nach- und Höherqualifizierung von Arbeitnehmenden.

Die Schweiz gehört international zur Spitzengruppe der Länder mit dem grössten Exportvolumen und der höchsten Wettbewerbsfähigkeit. Qualifiziertes Personal – und damit verbunden Bildung und Innovation – spielt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle. Für viele Unternehmen ist es nach wie vor eine beträchtliche Herausforderung, an qualifizierte Arbeitskräfte heranzukommen, auch wenn sich die Situation mit dem Inkrafttreten des freien Personenverkehrs mit der Europäischen Union (EU) verbessert hat. Der Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte intensiviert sich zusehends, nicht zuletzt auch aufgrund der demografischen Alterung. Den Bedarf an qualifiziertem Personal nur mittels Einwanderung abzudecken, beinhaltet erhebliche Risiken. Auch die wichtigsten Handelspartner in der EU sehen sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert und haben Massnahmen ergriffen, um qualifizierte Arbeitskräfte halten zu können. Zudem ist das Abkommen zum freien Personenverkehr zurzeit Gegenstand kontroverser politischer Diskussionen.

Handlungsfelder und Schwerpunkte


Auf der Basis dieser Feststellungen hat das WBF im Jahr 2011 eine Initiative zur Bekämpfung des Fachkräftemangels lanciert. Im Herbst desselben Jahres haben Vertreterinnen und Vertreter der Kantone, der Sozialpartner, der Wissenschaft, der Arbeits­organisationen und der Unternehmen entsprechende Gespräche aufgenommen. Der Bericht Fachkräfte für die Schweiz
Der Bericht ist verfügbar unter http://www.wbf.admin.ch, Themen, Bildung, Forschung und Innovation, Fachkräfteinitiative., der aus diesen Gesprächen hervorging, präsentiert Massnahmen, um die bereits überdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung zu 
erhöhen und die Weiter- und Höherqualifizierung der Schweizer Fachkräfte sicherzustellen. Dazu wurden sieben prioritäre Handlungsfelder definiert:

  • Nicht-erwerbstätige Erwachsene ohne Abschluss auf Sekundarstufe II (> 25 Jahre) sollen ins Erwerbsleben integriert und wenn möglich in der Berufstätigkeit nachqualifiziert werden.
  • Nicht- und Teilzeiterwerbstätige mit Abschluss mindestens auf Sekundarstufe II (> 25 Jahre) sollen fürs Erwerbsleben aktiviert und höher qualifiziert werden.
  • Älteren Arbeitnehmenden soll eine möglichst lange Teilnahme am Erwerbsleben ermöglicht werden.
  • Die bereits aktive Erwerbsbevölkerung soll kontinuierlich und ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Wirtschaft höher qualifiziert werden.
  • Zur Flexibilisierung des Schweizer Arbeitsmarkts soll die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften langfristig sichergestellt werden.
  • Ein Fachkräfte-Monitoring soll bedarfsgerecht für die zentralen Nutzergruppen den Arbeits- und Bildungsmarkt flexibler und transparenter machen.


Gestützt auf diese Handlungsfelder haben das WBF und die Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren (VDK) mit Unterstützung der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vier Schwerpunkte festgelegt, auf deren Basis eine Strategie für Fachkräfte in der Schweiz entwickelt werden soll:

  • Höherqualifizierung entsprechend dem Bedarf der Wirtschaft;
  • Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie;
  • Schaffung guter Bedingungen für ältere Arbeitnehmende zur Förderung der Erwerbstätigkeit bis ins Pensionsalter und darüber hinaus;
  • Förderung von Innovationen zur Entschärfung der Fachkräfteknappheit aufgrund höherer Produktivität.

Massnahmenkatalog des Seco und der Volkswirtschaftsdirektoren


Mit der Erarbeitung der Strategie wurde das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und das Sekretariat der VDK beauftragt. Die Resultate dieser Arbeiten sind in den Grundlagenbericht Fachkräfteinitiative – Situationsanalyse und Massnahmenbericht ein­geflossen. Einige der vorgeschlagenen Massnahmen werden im Folgenden präsentiert.

Höherqualifizierung entsprechend dem Bedarf der Wirtschaft


Gemeinsam stärken Bund und Kantone die kontinuierliche Weiterbildung in der Schweiz. Das geplante Weiterbildungsgesetz soll günstige Rahmenbedingungen für eine Verbesserung von Qualität und Transparenz auf dem Weiterbildungsmarkt schaffen. Gleichzeitig sind die Arbeitgeber dazu angehalten, die Arbeitszeiten ihrer Angestellten so zu gestalten, dass sie an Weiterbildungen teilnehmen können. Bund und Kantone unterstützen die Bestrebungen von Schulen, Hochschulen, Berufsverbänden und Wirtschaftsakteuren, um mehr Junge – insbesondere Frauen – im Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) auszubilden. Die Unterstützung erfolgt in erster 
Linie in Form von Aus- und Weiterbildungsangeboten, um die Attraktivität dieser Berufe zu steigern. Heute gibt es bereits über 200 öffentliche oder private Initiativen im Zusammenhang mit der Förderung der Mint-Berufe.

Schaffung guter Bedingungen für ältere Arbeitnehmende zur Förderung der Erwerbstätigkeit bis ins Pensionsalter und darüber hinaus


Im Rahmen der Reformen zur finanziellen Sicherung der Altersvorsorge prüft der Bund, die Anreize für eine höhere Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmenden zu verstärken. Der Bund will mit gutem Beispiel vorangehen. Er fördert altersgerechte Arbeits­bedingungen und will die grundsätzliche Weiterarbeit über das Pensionsalter hinaus ermöglichen. Im Rahmen der vom Bundesrat 2010 verabschiedeten Personalstrategie 2011– 2015 erarbeitet die Bundesverwaltung zurzeit ein Konzept Generationenmanagement. Die Ziele bestehen darin, Massnahmen und Strategien zu definieren, um dem als Folge des demografischen Wandels entstehenden Mangel an Arbeitskräften entgegenzutreten. Dabei sollen bis Ende 2013 unter anderem rechtliche, organisatorische sowie finanzielle Möglichkeiten und Rahmenbedingungen einer Weiterbeschäftigung von Mitarbeitenden über das ordentliche Pensionsalter hinaus geprüft werden.

Förderung von Innovationen zur Entschärfung der Fachkräfteknappheit aufgrund höherer Produktivität


Die Kantone begünstigen den Informationsaustausch im Rahmen innovativer Projekte, um die Spezialisten im Gesundheitsbereich zu entlasten. Sie untersuchen, bis zu welchem Grad erfolgreiche kantonale Massnahmen in anderen Kantonen eingeführt werden könnten. Um den Ideen­ und Erfahrungsaustausch zu begünstigen, ist eine nationale Konferenz angedacht.

Verstärkung der zahlreichen bestehenden Massnahmen


Die befragten Experten des Bundes und der Kantone schätzen die vier ausgewählten Prioritäten als zentral ein, um den Fachkräftemangel bekämpfen zu können. Tatsächlich gibt es bereits eine Vielzahl von Massnahmen, welche zum Teil in der Legislaturplanung 2011–2015 des Bundes figurieren. Verschiedene Kantone und Gemeinden haben ihrerseits bereits Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ergriffen.Die Initiative wirkt aber nicht nur direkt über die definierten Massnahmen, sondern auch indirekt über die Gesetzgebung, indem ihre Ziele in bestehende oder geplante Reformvorhaben einfliessen, so z.B. in den Bereichen Steuerwesen, Altersvorsorge oder Bildung. Im Rahmen der Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) kann ein spezielles ­Augenmerk auf die Konsequenzen umfangreicher Reformen für die Fachkräftesituation gelegt werden. Die Massnahmen im Rahmen der Initiative liegen im Kompetenzbereich verschiedener Departemente und Ämter auf Bundes- und Kantonsebene. Die Initiative braucht deshalb einen koordinierten Ansatz, dessen Umsetzung von einem Monitoring begleitet ist.Eine aktive Kommunikation wird den wichtigsten Massnahmen der Fachkräfte­initiative zusätzliches Gewicht verleihen. Nationale oder kantonale Konferenzen eignen sich dazu, die Aufmerksamkeit auf die zentralen Aspekte zu lenken, den Handlungsbedarf aufzuzeigen und gute Praktiken zu vermitteln.

Ein breit abgestützter Konsens


Der Bundesrat hat den Grundlagenbericht zur Fachkräfteinitiative im März 2013 verabschiedet; auch die VDK hat den Bericht begrüsst. Die vorgeschlagenen Massnahmen wurden anschliessend an einem runden Tisch – bestehend aus VDK, EDK und Sozialpartnern (Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, Gewerkschaftsbund und Travail­suisse) – diskutiert. Die Zusammenarbeit der Sozialpartner ist entscheidend für das Gelingen der Initiative. Ohne deren Zutun können wichtige Massnahmen aus den Bereichen «Schaffung guter Bedingungen für ältere Arbeitnehmende zur Förderung der Erwerbstätigkeit bis ins Pensionsalter und darüber hinaus» sowie «Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie» nicht umgesetzt werden. Anlässlich des runden Tisches kam man überein, dass alle Akteure (Bund, Kantone und Sozialpartner) rasch die Realisierung der in ihrem Kompetenzbereich liegenden Massnahmen an die Hand nehmen werden.

Resultate des runden Tisches vom 21. Mai 2013


Der Bund bestätigt die im Jahr 2011 formulierten Grundsätze, begrüsst die Schlussfolgerungen des Grundlagenberichts und beschliesst, die Massnahmen umzusetzen. Er wird die Entscheidungsgrundlagen und die Rahmenbedingungen im Hinblick auf das Problem des Fachkräftemangels verbessern. Um die Akteure besser zu informieren, stellt der Bund ein Indikatorensystem zur Verfügung, welches die Fachkräfteknappheit in den einzelnen Berufsgruppen identifiziert. Mit einem Monitoring wird der Bund die Fortschritte bei den bisherigen und neuen Massnahmen messen.Die Kantone engagieren sich weiterhin im Arbeitsmarkt und im Bildungsbereich für das Thema. Im Arbeitsmarkt wird eine Steigerung der Arbeitsmarktfähigkeit der Arbeitnehmenden angestrebt. Die Kantone setzen sich dafür ein, dass diese Verbundaufgabe optimiert und qualitativ verbessert wird. Im Rahmen ihrer Unternehmenskontakte soll das duale Bildungssystem als wichtiger Standortfaktor gefördert werden. Gerade auch global tätige Unternehmen sollen motiviert werden, mit Lehrstellen ihren Beitrag zu einem nachhaltigen Arbeitsmarkt zu leisten. Im Bildungsbereich haben sich der Bund und die EDK bereits 2011 auf Ziele geeinigt wie die Förderung der Mint-Berufe, die höhere Berufsbildung und die Validierung von Bildungsleistungen. Die in die Fachkräfteinitiative aufgenommenen Massnahmen bilden die Fortsetzung dieser Arbeiten. Als Arbeitgeber wollen die Kantone ebenfalls mit 
gutem Beispiel vorangehen, indem sie familienfreundliche und altersgerechte Rahmenbedingungen schaffen Die Spitzenverbände unterstützen und animieren ihre Mitglieder, konkrete Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels zu ergreifen und im Rahmen so­zialpartnerschaftlicher Verhandlungen zu beschliessen. Die Sozialpartner befürworten eine weitere Stärkung der höheren Berufsbildung. Sie setzen sich dafür ein, dass die 
höhere Berufsbildung im Bereich der quali­fizierten Dienstleistungen und bei auslän­dischen Unternehmen sowie Führungsverantwortlichen besser verankert und die Finanzierungslücke – insbesondere im Bereich der Vorbereitungskurse – geschlossen wird. Im Verbund von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sollen Weiterbildungsanstrengungen (Nachholbildung, Zweitausbildung, Umschulung) intensiviert werden.

Nächste Schritte des Bundes


Vor ihrer Umsetzung wird der Bundesrat noch über eine Reihe der am runden Tisch beschlossenen Massnahmen befinden müssen, welche in der Kompetenz des Bundes liegen. An verschiedenen Massnahmen sind denn auch mehrere Departemente beteiligt, und für einige ist die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen notwendig. Der Bundesrat hat das WBF mit der Erarbeitung eines entsprechenden Vorschlags beauftragt. Bei einer positiven Aufnahme durch den Bundesrat werden die Arbeiten unverzüglich aufgenommen.

Zitiervorschlag: Devaud, Laurence (2013). Fachkräfteinitiative: Wichtigste Massnahmen im Überblick. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.